... “This is commercial towing vehicle Nostromo out of the Solomons, registration number 1-8-0-niner-2-4-6-0-niner. Calling Antarctica traffic control. Do you read me? Over.“ ...
Momentaufnahme:
::: Here I lie…
… sounding in my ears Tell me, .. how long have .. been lying here? What am I doing in this place? ...
::: Klamme Kälte… mein Kopf dröhnt, alle Knochen schmerzen – wo bin ich? Es ist, als habe ich einhundert Jahre geschlafen, erwacht aus der Stasis einer Eiskammer, verloren in den Weiten des Raumes. Feuchtigkeit zieht durch den Raum, der Boden, auf dem ich liege, ist steinhart. Kaum schemenhafte Zeichnung kennzeichnet das Bild vor Augen, Schatten in tieferen Schatten. Was ist… ?! Nein, ich kann mich nicht konzentrieren, es pocht in meinem Kopf, mir ist schlecht, ich muss mich aufrichten. Die Muskeln gehorchen nur widerspenstig, durch den Rücken flammt ein stechender Schmerz, ich ringe nach Luft. Ich erinnere mich, immer noch kaum klar im Geiste, wo ich bin. Links von mir ist die kleine Küchenzeile, nur wenige Zentimeter entfernt. Ich stütze mich auf die Ellenbogen, lehne mich an. Immer noch dreht sich alles, ich muss mich mehr und mehr konzentrieren, so gut es geht, mich nicht sofort zu übergeben. Ich lehne am kalten Metall. Stunden, über Stunden, über Stunden. Der Blick auf die Uhr und die Erinnerung an die letzten Zeiten verraten, dass zwischen diesen Momenten allenfalls wenige Minuten Schlaf liegen können, ich fühle mich unendlich erschöpft. Die Zeit steht hier oben, jede Minute der nächtlichen Kälte scheint ewig zu währen – und noch immer scheint mein Bewusstsein und körperliches Gleichgewicht jede Sekunde in einen Art Limbo abzudriften, der wohl am ehesten mit abklingenden Rauschzuständen übertriebenen Rauschmittelkonsums zu vergleichen sein dürfte. Imme noch fällt mir das Atmen schwer, immer noch scheint sich alles in Raumdimensionen hineinzudrehen, die es physikalisch gar nicht geben dürfte… und immer noch ist alles nass, feucht, kalt und klamm. Ich zittere - was zur Hölle tue ich hier?
::: Gerrit ::: ”Fu...“! Seitdem ich das Internet nutze, bin ich zwei- bzw. eindeutige Angebote per mail ja einigermaßen gewohnt, aber nun versetzt mich auch im Skype ein Angebot mit dem F-Wort in freudige Erregung. Sicher, derartige Einladungen sind mit Vorsicht zu genießen, auch könnte die damit in Verbindung stehenden körperlichen Anstrengungen sind nicht zu unterschätzen und so weiß ich, dass ein gar nicht so leichter Entscheidungsprozess auf mich zukommt.
„Furggen“ lautet das Zauberwort in der Anfrage von [trincerone], vor einigen Tagen hat Krisu die Idee geboren, dort hinaufzumarschieren und einer der wohl spektakulärsten Seilbahnruinen weltweit einen Besuch abzustatten, der Plan wurde nun um eine Übernachtung ebendort auf 3500 Meter Seehöhe erweitert und die beiden wollen mich nun in die endgültige Terminfindung einbeziehen. Auf Anhieb fallen mir gleich eine ganze Reihe Gründe ein, an dieser Unternehmung nicht teilzunehmen: eigentlich habe ich überhaupt keine Zeit, die in Frage kommenden Tage sind mit Terminen vollgepflastert, und selbst wenn sich eine kleine Lücke freimachen ließe, so müsste man immer noch 2400 Kilometer Autofahrt quer durch Europa für nur eine relativ kurze Schitour mit zugehöriger Abfahrt rechtfertigen. Und genau dieses potentielle kurze Zeitfenster bereitet mir noch zusätzliches Kopfzerbrechen: aus vergangenen Erfahrungen weiß ich, dass ich raschen Aufstieg in Höhen von über 3000 Metern nicht gut vertrage, die jeweils ersten Nächte in diesen Höhen (Rifugio 3A und Berghotel Grawand im Schnalstal) habe ich in ziemlich schlechter Erinnerung und die Furggen-Station liegt ja noch fast 500 Meter höher. Ein oder zwei Akklimatisationstage würden das Problem beheben, aber das geht sich definitiv nicht aus. Auch bin ich etwas skeptisch bezüglich der Steilstufe am Gipfelgrat. Insgesamt könnte diese Unternehmung irgendwo im Bereich meiner Leistungsgrenze oder sogar jenseits von ihr liegen. Genug vernünftige Gründe also, sich über die Einladung zu freuen und dankend abzusagen.
Doch auch wenn ein geflügeltes Wort behauptet, die wahren Abenteuer wären nur im Kopf zu finden, viele eindrückliche Erlebnisse sind verbunden realen Erlebnissen, oft mit heftigen Anstrengungen, die durchaus an der persönlichen Leistungsgrenze kratzen können.
Mit 10 Jahren habe ich die Bücher von Enid Blyton verschlungen, in denen eine Gruppe von Kindern, meist verstärkt durch einen treuen Hund einsame Täler, verlassene Häuser, stillgelegte Bergwerke oder entlegene Inseln erforschen, mit 13 oder 14 begleitete ich lesend Thor Heyerdal auf seiner Reise mit dem Balsafloß Kontiki und Edmund Hillary bei seinem Aufstieg auf den Mt. Everest. Auch später habe ich immer wieder mit Spannung Erlebnisberichte von hohen Bergen oder fernen Inseln gelesen, doch vergleichbare Abenteuer haben in meinem Leben über Jahrzehnte nicht stattgefunden, als mäßig sportlicher Mensch wäre ich für anspruchsvollere bergsteigerische Unternehmungen ohnehin nicht geeignet und auch zu „Forschungsarbeit“ hatte ich mangels unentdeckter Landschaften oder unerforschter Themengebieten in meinem Umfeld keinerlei Gelegenheit.
Geändert hat sich dieser Zustand jedoch mit meinem Einstieg in die Welt einschlägiger Internetforen vor einigen Jahren, Abenteuer und Forschungsmöglichkeiten definieren sich durch den geeigneten Kontext, und so habe ich in den letzten Jahren überraschender Weise meinen längst verschüttet geglaubten Forscher- und Entdeckerdrang bei einigen Unternehmungen ausleben können, sei es in Hollenstein, einem längst stillgelegten Schigebiet in den Niederösterreichischen Voralpen, als „Erstbefahrer“ des Pitztaler Notwegs, in den Archiven der Gasteiner Bergbahnen auf den Spuren nie verwirklichter Großprojekte, in der Seilbahnruine auf der Alpe Rosareggio in Macugnaga oder am fast schon legendären Gletscherlift beim Rifugio 3A.
Auch die Furggen-Bergstation lässt sich einordnen in die Liste jener geheimnisvollen, fast schon mystischen Orte, daher ist mir bald klar, die „vernünftigen“ Gegenargumente verblassen angesichts der Tatsache, dass sich in meinem Leben wohl keine zweite Möglichkeit ergeben wird, dort hinaufzugelangen. So entschließe ich mich rasch zur Zusage und wir legen uns schließlich auf den Abreisetermin 28. April fest, die Nacht vom 29. zum 30. April wollen wir auf dem Gipfel verbringen, eventuell mit wetterbedingter Verschiebungsmöglichkeit um einen Tag.
Da dieser Termin nur mehr eine Woche in der Zukunft liegt, beginnt nun ein fieberhaftes Verschieben einiger für diese Tage schon festgelegter Termine, an einer wichtigen Sitzung am Mittwoch Vormittag möchte ich noch teilnehmen, und so mache ich mit [trincerone] einen Treffpunkt am Bahnhof in Rosenheim um 15 Uhr aus.
::: [trincerone] ::: Es ist ein lauer Frühlingsabend. Nach dem langen strengen Winter, der mich an Kindheitstage vor Jahrzehnten erinnerte, ist es hier im Norden innerhalb kürzester Zeit warm und fast schon sommerlich geworden. Angenehm frühlingshaft bläst mir die Abendluft voller Vorboten der Blüte ins Gesicht, tausend Gerüche von Blumen und Gräsern, während der filigrane Rahmen aus Aluminium auf seinen zwei Rädern lautlos durch die Straßen gleitet. Wie habe ich mein nun schon über 25 Jahre altes Rennrad lieben gelernt, oft schneller als der motorisierte Verkehr trägt es mich durch die Straßen, überflutet die Reize und fordert alle Sinne und höchste Konzentration, denn oft bleiben nur Bruchteile von Sekunden für Ausweich- und Bremsmanoeuver.
Ich biege auf die große Straße im Zentrum der Stadt, sechs Spuren an der Peripherie des Rotlichtmilieus. Die Spuren gekreuzt, auf die Abzweigung Richtung Zentrum, auf der nun zweispurigen Trasse sehe ich vor mir einen Skater. Aus der steilen Kurve heraus im Stand setze ich zum Überholen an - als ich das Krachen höre und den Halt verliere… noch bevor ich falle, weiß ich, was passiert ist: die Pedale ist aus der Verankerung gebrochen. Unweigerlich gleitet das Bein, eben noch mit voller Kraft gestreckt, auf die Straße, ich weiß, was jetzt geschehen wird. Das Fahrrad überschlägt sich mit mir, ich lande hart auf dem Asphalt, den Kopf gerade noch rechtzeitig angezogen, rolle ich ab, wie ich es einst gelernt habe, einige Meter weiter, dann bleibe ich liegen. Es ist als hielte die Welt den Atem an: alles ist still.
::: Gerrit ::: Nun beginnt das übliche Nachdenken bezüglich der Ausrüstung: auf Grund der unklaren Situation an der Gratwächte sind Steigeisen und Pickel möglicherweise nötig, beides befindet sich noch nicht in meinem Besitz und so muss ich mir diese Dinge ausborgen (an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Helmut). Kalt wird es oben sicher sein, der Daunenschlafsack muss also mit, ebenso eine Isoliermatte. Ein bisschen Wäsche zum Wechseln, genug Flüssigkeit, Schaufel, Sonde, Felle, Pieps, da kommt schon einiges zusammen, der Rucksack wird also auch nicht ganz leicht sein. Nach dem ersten Probepacken tausche ich die selbstaufblasende Luftmatratze noch gegen eine einfache Schaumstoffmatte, bringt immerhin auch ein halbes Kilo, ich befürchte ohnehin, da oben nicht wirklich gut zu schlafen.
::: [trincerone] ::: Ich liege für einige Sekunden auf dem Asphalt. Schritte nahen heran, aufgeregte Stimmen. Ich fühle mich benommen. Langsam stehe ich auf, prüfe die Funktionen aller Gliedmaßen, ich fühle mich wie gerädert, aber gebrochen ist nichts. Ich taste vorsichtig den Kopf ab: kein Blut. Ich erinnere mich an jedes Detail des Sturzes: ich bin nicht auf den Kopf gestürzt.
Das Rad liegt gut fünf Meter entfernt, die gebrochene Pedale gut acht Meter: das muss ein spektakulärer Sturz gewesen sein. Bis in den fünften Stock der Gebäude des Rotlichtmillieus öffnen sich Fenster, die Außenterrassen der türkischen Restaurants schweigen, alles schaut herüber. Ich signalisiere, dass soweit alles ok ist. Ich kann laufen und klar denken: das ist erst einmal das wichtigste.
Der Skater hat umgedreht und hilft mir, die Straße zu räumen. Noch stehe ich wackelig auf den Beinen. Mein Nacken ist so steif, dass ich kaum den Kopf drehen kann, mein Knochen lassen mich den Crash spüren. Dann durchfährt es mich wie einen Blitz: ein drei Tagen wollen wir den Furggen besteigen – wenn ich jetzt verletzt bin, ist der Traum aus.
Vorsichtig beginne ich, die Beine und Arme zu untersuchen. Zum Glück hatte ich eine lange Jeans und eine Jacke an. Beinahe unglaublich erscheint es, dass ich zwar beachtliche Hämatome, aber nur eine einzige kleine Abschürfung erlitten habe. Ich hatte wahnsinniges Glück, dass ich abrollen konnte. Ich beginne, langsam durch die Stadt zu humpeln, immer noch ziemlich benommen… aber es flammt wieder Hoffnung auf, dass ich unverletzt genug bin, um den Aufstieg doch zu schaffen.
::: Gerrit ::: Langsam naht der Tag der Abfahrt, und wie üblich verschlechtern sich die ursprünglich guten Wetteraussichten für das Zielgebiet langsam aber stetig, waren wir zunächst noch von stabilem Hochdruckwetter für Donnerstag und Freitag ausgegangen so wird nun eine Wolkenfront genau für unsere Gipfelnacht angekündigt. Naja, das Zeitfenster ist freigeräumt, und im schlimmstenfalls unternehmen wir eben etwas anderes, aber wir wollen zusammen auf jeden Fall auf einen Berg.
::: [trincerone] ::: Ein wundervoller Frühsommertag, der Zug rauscht gen Süden. Es ist einer der ersten richtig heißen Tage im Jahr, in München trage ich Schier zwischen Mädchen in Spaghetti-Tops und Jungs in Shorts. Manchmal treffen mich verwunderte Blicke, manchmal respektvolle. Fragmentierte Gespräche, Austausch von Lächeln … Oberbayern zieht vor dem Fenster entlang, Rosenheim ist nicht mehr fern…
::: Gerrit ::: In meiner Sitzung erhalte ich ein SMS von [trincerone], er verschiebt unser Treffen um eine Stunde und wird erst um 16.00 Uhr in Rosenheim sein, den Grund werde ich später erfahren. Mir kommt die Verschiebung durchaus gelegen, denn so kann ich bis zum Ende der Sitzung bleiben und dann ohne großen Zeitdruck über die Westautobahn nach Bayern fahren.
Mit zehnminütiger Verspätung kommt der Zug in Rosenheim an und so sitzen wir um Viertel nach Vier endlich zusammen im Auto und besprechen die Optionen für die kommenden Tage: Vorrang hat natürlich die Expedition zur Furggen-Station, das ist klar, aber wir wollen noch die aktuellen Wetterprognosen einbeziehen, und so erörtern wir noch einige mögliche Alternativziele weiter östlich, da hier die Front voraussichtlich erst Freitag Abend eintreffen wird. Die Marmolata ist um diese Jahreszeit sicher ein lohnendes Ziel, möglich wäre das Schnalstal mit Aufstieg auf die Weißkugel, auch ein Besuch von Sulden mit Übernachtung in der Casatihütte, Aufstieg zum Cevedale und Abfahrt ins Martelltal wäre eine Option.
Gegen halb sechs treffen wir endlich in Innsbruck bei Krisu ein, ich kenne ihn noch nicht persönlich, aber bald stellt sich heraus, dass wir in vielen Dingen auf einer Linie liegen, die gleichen Radiosendungen hören und uns sicher gut verstehen werden. In seiner Wohnung gibt es ein letztes Brainstorming und schließlich eine Abstimmung, die trotz nicht ganz sicheren Wetteraussichten mit 3 Stimmen für einen Versuch am Furggen endet, (denn schließlich sind wir ja nicht zum Spaß unterwegs....).
Dann geht es endlich weiter, am Brenner verlassen wir noch kurz die Autobahn zum Tanken, widerstehen den Verlockungen einer benachbarten Table-Dancing-Bar und brausen schließlich über die Autostrada gen Süden, dann Richtung Westen.
::: [trincerone] ::: Der Brenner amüsiert uns wie stets mit seinem einzigartigen nichtssagenden Charme. An der Tankstelle dröhnt das Motorengeräusch herüber, die heruntergekommene Table-Dance-Bar macht nicht den Eindruck, häufig frequentiert zu werden – ich frage mich irgendwie ja schon, wie so ein Schuppen wohl hier in einem verlassenen Nest entlang der Autobahn kurz vor der tiroler Grenze aussehen mag… ich will es lieber nicht wissen!
::: Gerrit ::: Während ich auf der Alleinfahrt nach Rosenheim noch ein bisschen Doping in Form von Red Bull gebraucht habe, halten mich nun die üblichen anregenden „Fach-“ und auch andere Gespräche einer solchen Tour wach, nur [trincerone] klinkt sich immer wieder durch kürzere und längere Schlafattacken aus den Gesprächen aus. Nachdem die erwartete Ankunftszeit nach Mitternacht liegt, versuchen wir telefonisch ein Hotel zu finden, was sich zunächst wegen vieler geschlossener Häuser als gar nicht so leicht erweist, doch schließlich buchen wir ein Dreibettzimmer im Hotel „Bijoux“ in St. Vincent, bis 4 Uhr könnten wir uns Zeit lassen, meint der Portier, das werden wir wohl trotz der Unterbrechung für ein durchaus brauchbares Abendessen im Autogrill schaffen.
Wir kommen ganz gut voran, es gibt keine Staus und so erreichen wir gegen halb eins das ziemlich, aber nicht ganz ausgestorbene St. Vincent, denn einige Damen gehen dort offenbar von der Straße aus ihrer nächtlichen Arbeit nach. Um Missverständnisse zu vermeiden verzichten wir auf eine Anfrage bezüglich des Wegs zum Hotel und finden dieses dann auch ohne Hilfe in der Fußgängerzone des Ortes. Nachdem das Auto mit montierter Schibox nicht in die Garage einfahren kann, bleibt es einfach in der Fußgängerzone vor dem Hotel stehen und wir fallen mehr oder weniger müde in die Betten unseres Dreibettzimmers.
Auch wenn es kein Müsli am Buffet gibt, so ist das Frühstück für italienische Verhältnisse durchaus brauchbar, [trincerone] scheint von dem Hotel allerdings so fasziniert zu sein, dass er gleich den Schlüssel mitnimmt und es erst in Cervinia bemerkt. Für mich ist es ja der erste Kontakt mit diesem Ort, vor Jahren habe ich einmal von Zermatt aus versucht, dorthin zu gelangen, bin aber am eisigen Wind bzw. an den hartnäckigen Protesten von Sabine und Helmut gescheitert, so daß es damals nur zu einer einmaligen Abfahrt bis zur Cime-Bianche-Laghi-Pendelbahn gereicht hat.
Der anfänglich bedeckte Himmel reißt auf der Fahrt auf und so erblicke ich bald erstmals das Matterhorn von seiner Südseite her, es macht einen wesentlich gedrungeneren und uneleganteren Eindruck als von Zermatt aus. Cervinia selbst ist auch real so, wie ich es mir vorgestellt habe: ein Sammelsurium aus Bauwerken verschiedenster Zeit- und Stilepochen, architektonische Highlights aus den 30-er Jahren bis hin zu einem Bauwerk von Gio Ponti, interessante Gebäude aus späteren Jahrzehnten, beeindruckend vor allem die Satellitensiedlung Cielo Alto mit ihren höchst interessant geschwungenen, aber leider aus der Nähe schon ziemlich abgewohnten Bauköpern, dazwischen aber auch viele nichts sagende und austauschbare Hotels und Appartementhäuser.
::: [trincerone] ::: Cervinia! Wieder einmal… Was könnte dieses Hochplateau alles sein… oder ist es dies alles auch – und gerade deswegen nichts davon? Dorfidylle, mondäner Schiort, Retortenstation, 70er Jahre-Flair, 80er-Jahre-Flair, 90er-Jahre-Flair, Plastik aus 2010, Backsteine der 50er, Fassaden, Ruinen, Glanz und Imitat… nun ja… am Ende gefällt es mir dann trotz aller Widrigkeiten doch immer: denn es ist so einzigartig unlogisch!
Die berühmte ausgebrannte Talstation der ersten Luftseilbahn aus den 30er Jahren.
::: Gerrit ::: Ein Besuch des örtlichen Supermarkts verschafft Klarheit über das abendliche Haubenmenue (ja, in 3500 Metern Höhe wird es möglicherweise sehr kalt werden), wir kaufen Nudeln, Thunfisch in Gemüse, Brot, Käse und Schinken, das Selbstbedienungsrestaurant Plan Maison wird zu Mittag noch Salz und Parmesan spendieren (allerdings ohne sich dessen bewusst zu sein). Schließlich parken wir (zehn Kilometer nördlich müssten wir schon „parkieren“) unser Auto auf dem großen Parkplatz der Seil- und Umlaufbahnen nach Plan Maison, dann geht es ans endgültige Packen der Rucksäcke.
Blick nach Plan Maison.
Es ist immer wieder interessant, wie rasch sich ein paar Kleinigkeiten zu einem Riesenhaufen ansammeln und dann auf dem Rücken natürlich doch ein erhebliches Gewicht darstellen. Nach einigem Überlegen an der Kassa entscheiden wir uns schließlich zum Kauf von 4-Stunden-Karten, vorgesehen sind eine kurze Erkundung des Pistenschigebiets, dann ein Mittagessen in Plan Maison und nach der Auffahrt mit der neuen KSB-Pancheron schließlich am Nachmittag der Aufstieg.
::: [trincerone] ::: Am Parkplatz brauche ich einen Moment länger als die beiden anderen: da ich mit dem Zug angereist bin, konnte ich mein Gepäck noch nicht aufstiegsgerecht vorbereiten und muss dies nun nachholen. Auch will ich ganz genau überlegen, wasich wirklich brauche – und was nicht. Ich tendiere sehr dazu, für alle Eventualitäten gerüstet zu sein, an sich kein schlechter Ansatz. Allerdings führt er bei mir gerne zu dermaßen viel Übergepäck, dass sich das beim Aufstieg dann ziemlich negativ bemerkbar macht. Da ich meine Begleiter ohnehin eher sportlich bis leistungssportlich einschätze, will ich mir keine zusätzlichen Hindernisse schaffen, denn ständig hinter der Gruppe zurück zu bleiben und dabei noch völlig fertig anzukommen, ist nicht gerade ein Garant für einen persönlich als glücklich empfundenen Tag für mich. Da ich fest damit rechne, eher der langsamste zu sein und definitiv der unerfahrenste bin, lasse ich alles im Tal, was ich nicht unbedingt benötige. Lange zögere ich bei der Lammfelljacke: der zweite Feind dort oben wird die Kälte sein. Nächtliche Kälte, Zug und Feuchtigkeit: das ist die Hölle im Hochgebirge, das habe ich oft genug erlebt. So grübele ich: am Ende bleibt die Jacke unten. Ich habe einen Daunenschlafsack und es hier unten so wahnsinnig heiß, dass selbst bei 15 °C weniger am Berg eigentlich nicht mit arktischen Temperaturen zu rechnen ist. „Was soll’s…“, denke ich mir, „das ist Frühling – übermorgen beginnt der Mai!“.
::: Gerrit ::: Dankenswerterweise dürfen wir im Sportgeschäft an der Mittelstation unsere Rucksäcke einstellen, und so fühle ich mich ganz ungewöhnlich frei und leicht, da ich ja eigentlich praktisch immer mit einem – wenn auch kleineren – Rucksack unterwegs bin. Ich habe dann auch am Weg zur EUB Cime Bianche Laghi die ganze Zeit das Gefühl, irgendetwas fehlt mir und bin verwundert, dass nur der Verzicht auf den Rucksack dieses Gefühl hervorruft, allerdings nur bis zu dem Zeitpunkt, als mich [trincerone] fragt, ob ich nicht vielleicht doch meine Schi hätte mitnehmen wollen, den die lehnen immer noch draußen am Schiständer.
::: [trincerone] ::: Krisu hat wie stets ein wachsames Auge für alles, schreitet durch die Station, während Gerrit und ich uns noch organisieren. Wenig später ist er zurück. „Kommt mal mit!“.
Wir folgen ihm einige Meter, dann passieren wir eine Tür in der Seite der Mauer, die offen steht. „Hier hinein.“. Und dann stehen wir auf den Perrons der alten Seilbahn hinauf zum Plateau Rosa, die seit den 60er Jahren – glaube ich – die erste, noch einspurige Trasse hinauf aus den 30er Jahren ergänzte. Während die erste Sektion dieser Bahn – „Cervinia – Plan Maison“ – heute in renovierte Fassung noch genutzt werden kann, sind die beiden folgenden Sektionen – „Plan Maison – Cime Bianche“ und „Cime Bianche – Plateau Rosa“ seit fast zwanzig Jahren außer Betrieb.
Beinahe einsam windet sich die „Ventina“-Piste über das weite weiße Gletschereis.
::: Gerrit ::: Ich erreiche die nächste Zwischenstation, nach der Episode mit den Schi, also erst drei Gondeln nach meinen Begleitern, dann geht es aber wieder gemeinsam mit der Hölzl-Pendelbahn hinauf zum Plateau Rosa.
Immer wieder beäugen wir den von dieser Seite ziemlich imposanten Felsaufbau unseres heutigen Ziels, mit dem die verwitterten Mauern der Seilbahnstation beinahe organisch verschmolzen wirken. Auch das Wetter bereitet uns etwas Kopfzerbrechen, immer wieder werden aus dem Tal von Südwesten her Wolken hereingedrückt, die Matterhorn und Furggen zeitweise unsichtbar machen, sollte sich die angekündigte Schlechtwetterfront schon um so viel früher eingestellt haben?
Klein Matterhorn vom Plateau Rosa aus. Hier soll ein wenigen Jahren eine weitere Pendelbahn eine zusätzliche Verbindung herstellen.
Ventina-Piste.
Sommerschi-Hänge mit Gobba di Rollin, dem höchsten erschlossenen Punkt Europas, im Hintergrund.
Altes Bild an der Bergstation oben.
Scout Krisu!
Furggen-Bergstation am Kamm auf 3500m Seehöhe.
Stützen der Pendelbahn nach Plan-Maison aus der Kabinenbahn gesehen.
Jedenfalls wollen wir uns nicht mehr unnötig Zeit lassen, und so kehren wir nach einer netten Abfahrt auf der fast menschenleeren Ventina-Piste (natürlich unterbrochen von einigen Fotostopps) nach Cervinia und der Wiederauffahrt nach Plan Maison im dortigen Restaurant ein, um uns für die kommenden Ereignisse zu stärken. Dann naht die Stunde des endgültigen Aufbruchs. Bis 1993 konnte man ja von hier mit einer Seilbahnfahrt unser heutiges Ziel erreichen, heute wird es komplizierter und wesentlich anstrengender.
::: [trincerone] ::: Außerhalb des Stationskomplexes von Plan Maison betrachten wir noch ein wenig das Schigelände und die Relikte. Schnell ist die Talstation der alten Furggenbahn entdeckt.
Dann gleiten wir über die sehr flachen Hänge hinüber zur neuen KSB Pancheron und dürfen das neue Cervinia „bestaunen“. Was für ein interessanter Sektor war das einst, mit seinen vielfältigen Möglichkeiten und Bahnen. Nichts davon hat die Modernisierung überdauert. Zwei Großanlagen mit dem Charme eines Recycling-Hofes, dazu mit Kindersicherung und Schließautomatik (vorbereitet) – man müsste ja lachen, wenn man nicht gezwungen wäre, diesen Schwachsinn mitzumachen. Cervinia ist heute vermutlich eines der schlechtest erschlossenen Großschigebiete der Alpen!
Recyclinghof Vechelde-Ost ?!
::: Gerrit ::: Auf einer kurzen Zwischenabfahrt zur neuen Pancheron KSB können wir uns ans Fahren mit dem Rucksack gewöhnen, dann ärgern wir uns kurz über die Kindersicherungen und die eigenartige Mechanik der Fußraster dieser Bahn, doch nun folgt der Moment, an dem wir uns an den Absperrungen vorbei ins „ungesicherte Hochgebirge“ begeben.
Noch ein paar Höhenmeter verlieren wir auf einer kurzen Schrägfahrt, bis wir endlich die Felle anlegen. Mittlerweile hat sich die Sonne wieder durchgesetzt und strahlt recht kräftig in den ziemlich steilen ersten Hang, deshalb ziehen wir rasch so viel wie möglich aus, trotzdem wird uns bald sehr warm.
Noch bietet die Silhouette des letzten der alten Lifte – stillgelegt, aber noch nicht abgerissen – ein interessantes Photomotiv vor der Kulisse der Eisfelder am Plateau Rosa.
::: [trincerone] ::: Der Unmut über die Umgestaltungen verfliegt schnell, als wir das Absperrband hinter uns lassen. Nach wenigen Metern stoßen wir auf etwas sehr interessantes. Für die Kenner des ehemaligen Schigebietes am Furggen kein Geheimnis ist die Existenz der berühmten Piste 9. Von der Gipfel-Station zunächst über den schweiz-seitigen Grat bis zu einem schmalen Durchlass, dann über weite Gletscher- und tiefer Moränenfelder folgte die Abfahrt am Fuße des Matterhorns 1500 Höhenmeter den Hängen, bis sie sanft nach Breuil-Cervinia auslief. Dabei gab es eine Variante, die noch dichter an die Felsen des Matterhorns führte und den Bereich des Rifugios „Duca degli Abruzzi“ passierte, bevor sie über die äußersten abgelegenen Hänge wiederum Cervinia erreichte. Die sehr ausgesetzte Passage am Starthang auf dem Grat, welcher auf schweizer Seite schnell sehr steil abfällt und schließlich in hunderte Meter hohe Felsmauern mündet, war zu recht gefürchtet und ohne Zweifel ziemlich gefährlich. Auch dürfte sie witterungsbedingt häufig unpassierbar gewesen sein, insbesondere bei Wind oder eisigen Verhältnissen. Schon in den 60er Jahren wurde sie daher durch den bekannten, noch heute deutlich sichtbaren Betontunnel umgangen, der auf italienischer Seite direkt an den Felsen entlang führt und unmittelbar unterhalb des Übergangs, über den auch die Gratabfahrt führte, den Gletscher erreichte. Der Gletscherschwund der letzten Jahrzehnte hat heute zu der berühmten Begebenheit geführt, dass der Tunnelausgang mittlerweile gut fünfzehn Meter oberhalb des Bodens in den Felsen liegt.
Soweit sind die Gegebenheiten hinsichtlich des Schifahrens am Furggen weitestgehend bekannt. Interessant ist aber folgender Aspekt: Die Piste 9 führt direkt nach Cervinia, eine Rückkehr in das oberhalb gelegene Schigebiet war allenfalls über die Cretaz-Liftkette möglich, die entsprechenden Anlagen sind aber teilweise erst sehr viel später gebaut worden. Immer wieder las man aber von einer Passage, die von der Piste 9 hätte abzweigen und durch die Felsen direkt in der Bereich der Bergstationen des heutigen Pancheron-Sesselliftes hätte führen sollen.
Die Existenz einer solchen Passagen erschien allerdings ob der sehr steilen und hohen Felswand, die zu überwinden gewesen wäre, bisher immer als einer der nicht unüblichen Fehler auf den Pistenplänen jener Zeit. Es erschien kaum denkbar, dass durch eine viele Meter hohe, quasi senkrechte Felswand irgendeine Form von Piste hätte gebaut, geschweige denn gesichert und unterhalten werden können. Nichtsdestotrotz finden sich in der Literatur jener Zeit einige sehr explizite Hinweise.
Hier sieht man die Querpassage, die in den Bereich Plan Maison zurück führt.
Während wir den kurzen Hang ab der Bergstation Pancheron aufsteigen, um anschließend in einer kurzen Schrägfahrt unter den Felsen den späteren Aufstiegsbereich zu erreichen, beobachte ich intensiv die Felsen. Die jahrelange Suche nach derartigen Relikten scheint das Auge sensibler zu machen für geringfügige Abweichungen. Plötzlich bleibe ich stehen und kneife die Augen zusammen: ein sehr gleichmäßig laufende schräge Struktur in den Felsen fällt mir auf. Zunächst völlig unscheinbar – und doch verhält sich der Felsen nicht natürlich an dieser Stelle. Es gibt immer Rinnen und Auswaschungen an Felsen, ab diese folgen logischerweise immer mehr oder weniger der Falllinie (und der Löslichkeit des Fels‘, versteht sich). Die Rinne hier läuft aber quer, mit gleichmäßigem Gefälle – und genau dort, wo die Passage hätte sein müssen.
Ich werde aufgeregt, schaue genauer und folge der gedachten Linie. Schon sehe ich Reste von etwas, das Stahlseile, Holzplanken und Metallträger sein könnten. Ich halte die anderen an. Wir suchen die Teleobjektive heraus, versuchen den Bereich abzulichten. Die Bilder belegen es: irgendetwas war dort! Ob es tatsächlich eine Piste gewesen sein kann, können wir aus dieser geringen Distanz mit steilem Blickwinkel auf die Felsen nicht wirklich sagen – auch liegt zu viel Schnee. Die Stelle wäre einen Sommerausflug wert. Dennoch bin ich mir beinahe sicher, dass wir die alte Passage gefunden haben. Nie hätte ich gedacht, dass jemand es wagen könnte, in solch ein Gelände eine Schiabfahrt zu legen!
Wer genau hinsieht, bemerkt die ungewöhnliche Felsstruktur (hier schon eine Teleaufnahme).
Die Passage von Plan Maison aus gesehen. Im unteren Bereich bin ich über den Verlauf nicht ganz sicher, die rechte Variante erscheint mir die naheliegendere.
::: Gerrit ::: Es zeigt sich bald, dass Krisu deutlich schneller ist, auch [trincerone] steigt relativ rasch auf, allerdings kann ich auf ihn bei den durch den schweren Rucksack und das steile Gelände durchaus anspruchsvollen Spitzkehren anfänglich immer wieder Boden gut machen. Ich weiß, dass ich mich keinesfalls zu sehr verausgaben darf, und so steige ich langsam aber stetig bergan, nicht ohne Pausen zur Begutachtung und photographischen Dokumentation der Szenerie. Die Sonne heizt nicht nur uns gehörig ein, sondern verursacht auch immer wieder spektakuläre Lawinenabgänge in der Südostwand des Matterhorns, die – untermalt mit fast Furcht erregendem Donnern – immer wieder willkommenen Anlass zum Stehenbleiben und kontemplativem Studium der Lawinenbahn geben.
::: [trincerone] ::: Der Aufstieg beginnt für mich in durchaus anspruchsvollem Gelände. Durch eine steile Scharte kürzen wir den Weg auf die Schulter ab, der die ehemalige Piste 9 folgte. Besonders die Spitzkehren im steilen Gelände mit Gepäck wollen erst einmal gelernt sein. Mit jeder wird es etwas besser, ich muss nur aufpassen, dass Gerrit mich dabei nicht erwischt, sondern besteht die Gefahr, dass ich in albernen Posen nachher auf Ewig auf das gebannt bin, was einst Zelluloid war.
Konditionsmäßig hingegen komme ich wider Erwarten gut voran. Die viele Ausflüge ins Gebirge dieses Jahr, der diesmal relativ leichte Rucksack – all das macht sich positiv bemerkbar. Und so kann ich nebenbei die bei jedem Meter schon jetzt immer grandioser werdende Hochgebirgslandschaft beobachten. Noch befinden wir uns innerhalb einer etwas diesigen Schicht, doch es ist absehbar, dass wir diese in wenigen hundert Metern verlassen werden. Und auch meine Wetterprognose scheint sich entgegen jener der anderen zu bewahrheiten: es sieht nach einem stabilen, ruhigen Frühlingsnachmittag im Hochgebirge aus.
Nach den ersten steilen etwa zwei hundert Höhenmetern wird das Gelände flacher. Durch eine nur leicht ansteigende Mulde hindurch erreichen wir die weite Schulter, der die Piste 9 folgte, und nach Norden durch den Furggengrat, nach Süden und Osten durch die Felsmauern gen Cervinia und nach Western durch niemanden geringeren als das Matterhorn selbst begrenzt wird.
Auf der noch etwas dunstigen Flanke im Hintergrund kam die Piste 9 herab, um dann links des Standortes dem Talverlauf zu folgen.
Die warme und nicht weit entfernte Südflanke des Matterhorn bietet spektakuläre und durchaus laute Lawinenabgänge.
Im Hintergrund die Mulde, durch die wir aufgestiegen sind, die obere Grenze der Dunstschicht rückt näher.
Es ist wunderwarm und hier, wo der Aufstieg moderat steil ist, ist es einfach nur traumhaft. Wir eilen uns nicht, es ist das schöne Gefühl, sich sportlich zu betätigen, ohne sich völlig zu verausgaben. Je weiter wir der ausgesetzten Felsstufe folgen, desto spektakulärere Perspektiven ergeben sich. Im Bereich vor der Felsmauer, durch die die ehemalige Passage geführt haben muss (Spuren kann ich direkt am Weg aber nicht erkennen), treffen wir wieder auf Krisu, der für uns spurt. Er sitzt und genießt die Sonne – auf den ehemaligen Befestigungen der Piste 9!
Nach der spektakulären Passage knapp oberhalb der Felskante, bei der Cervinia zum Greifen nahe unter uns zu liegen scheint, folgt noch einmal eine weitere weite Mulde, die es in einer langgezogen Kurve hinaufzusteigen gilt. Die warm strahlende Sonne, der gleißende Schnee, der azzur-blaue Himmel: das alles lässt Hochgefühle aufkommen. Die Dunstschicht lassen wie bei etwa 3200m Höhe hinter uns – von nun an strahlt alles.
Als ich den Sattel am Ende dieser letzten Mulde überwinde – mittlerweile müssten wir an die 3350m Höhe erreicht haben – erscheint endlich das ersehnte Bild vor Augen. Ein weites weißes Gletscherschneefeld, friedlich strahlend in der schon abendlicheren Sonne, nur noch von Himmel umgeben, wie es scheint. An dessen Ende, auf einem eisumfirnten Felsgrat thronend, liegt schweigend im goldenen Licht die Furggenbergstation!
Von diesem wundervollen Bild inspiriert, beschleunige ich noch einmal meinen Aufstieg. Das vor mir liegende Schneefeld hat Krisu schon fast hinter sich gelassen. Jenseits liegt der Furggengrat. Zu erreichen ist dieser nur über eine steile Schneewächte, an deren Ende Übergang zwischen der Schweiz und Italien liegt, durch den auch einst die erste Route der Piste 9 führte. In unmittelbarer Nähe in den Felsen, nun schon deutlich sichtbar, der Ausgang des berühmten Tunnels, der einst den ausgesetzten letzten Teil oben auf dem Grat zu umgehen suchte. Wenige Meter entfernt, in der schon beeindruckend steilen Flanke, schaufelt Krisu eine Art Basislager in den Schnee, wo wir die Schi abschnallen können. Die letzten, extrem steilen ca. zwanzig Höhenmeter sind zu Fuß und mit dem Eispickel zu überwinden.
Ein Bild von CV aus dem Jahr 1981, zu den Zeiten als der Tunnel noch auf das Schneefeld mündete und begeisterte Schifahrer sich an die fordernde, aber einmalige Piste 9, die Furggenabfahrt wagen konnten.
::: Gerrit ::: Der Wettergott ist uns offenbar hold, denn blauer Himmel und prachtvolle Fernsicht lindern die Mühsal des Aufstiegs auf ein erträgliches Niveau. Ich bin froh, dass wir früh genug aufgebrochen sind, denn so kann ich ohne psychischen Stress mein Schneckentempo gehen (der körperliche Stress reicht vollkommen) und treffe mit einiger Verspätung (natürlich nur wegen der Fotopausen...) an der Schlüsselstelle unseres Aufstiegs ein.
In einem anderen Forum steht unter meinem Avatar „geht, wo sein Hund geht“, und das trifft in der Regel auch auf alle meine Touren zu. Ich bin kein Kletterer und meide Umgebungen, in denen ein einziger Fehler zu einem Absturz führen kann. Die kommenden zwanzig Höhenmeter erfüllen dieses Kriterium zwar, aber die Tatsache, dass der darunter liegende Hang zunehmend flacher wird und selbst ein Ausrutschen und Abstürzen prinzipiell mit dem Überleben vereinbar wäre, beruhigt mich ausreichend. (Allerdings denke ich, dass meine Hunde diese Steilstufe vielleicht auch überwunden hätten......). Trotzdem, die Höhe macht mir mittlerweile ordentlich zu schaffen, und so bin ich nicht undankbar, als mir Krisu anbietet, die Passage zweimal zu gehen und meinen Rucksack hinaufzutragen.
::: [trincerone] ::: Der Aufstieg mit dem Pickel ist genial! Nachdem Krisu angeboten hat, zwei mal zu gehen und Gerrits Rucksack zu holen, schlägt er vor, bei dieser Gelegenheit auch meine Schi mit zu bringen. Zunächst zögere ich kurz – eigentlich möchte ich alles selbst hinauf tragen. Doch dann besinne ich mich, dass solche Eitelkeiten albern sind und nur Zeit kosten – und nehme dankend das wirklich sehr liebenswerte Angebot von Krisu an. So kann ich den Aufstieg – nach einer kurzen Einweisung in die Handhabung des Pickels – in vollen Zügen genießen. Ich habe so etwas noch nie gemacht, aber das „Kleben“ am steilen ausgesetzten Hang, bei diesem milden Wetter und der absolut faszinierenden Aussicht, schließlich das Wissen, dass in wenigen Sekunden der Blick auf den ersehnten Gipfel und das Tal dahinter frei werden – all das versetzt mich in höchste Euphorie!
Und dann ist der Moment, in dem ich über die letzte Eiskante klettere. Ich bin überwältigt! Tief in den Schatten unter mir liegt das Tal von Zermatt! Oft habe ich es gesehen, doch nie habe ich es mir so sehr verdienen müssen. Das Wissen, dass dieser Blick diese 2000m hinab nur frei wird, weil ich diesen Grat erklommen habe, lässt dem Bild für mich ein gigantisches Gefühl des Erfolges innewohnen.
Beinahe noch magischer ist aber das, was ich zu meiner rechten sehe. Einsam golden ruht der letzte Grat vor mir, eine Treppe in den Himmel, und kurz bevor das Eis das Blau berührt: die Station. Was für ein Ort! Mich haben diese verlassenen Stationen italienischen Beton abgelegen in der Eiswüste immer fasziniert. Ausgesetzt, trutzig, vom Wind allein beachtet und besucht – und wunderschön! Welch ein Ort könnte all diese Emotionen besser verkörpern, als dieser!
::: Gerrit ::: Langsam krabble ich also die (objektiv wohl ziemlich leichte, für mich aber durchaus anspruchsvolle) Schneeflanke hinauf, um dann endlich die zweite Seite des Panoramas in Form eines spektakulären Blicks auf Zermatt und seine Berge genießen zu können.
Während ich langsam wieder zu Atem komme, bringt unser „Sherpa“ Krisu (dankeschön!) meinen Rucksack und trinc´s Schi herauf, ich habe beschlossen, meine Schi unterhalb der Steilstufe zu lassen und die letzten Meter am Grat zu Fuß zu gehen. Allerdings bereue ich diese Entscheidung bald, denn natürlich breche ich immer wieder mit den Schuhen in der Schneedecke ein, was mich offenbar zu einigen kräftigen Flüchen verleitet. (Zumindestens behauptet das [trincerone] später.)
::: [trincerone] ::: Die letzten Meter auf dem Grat fordern noch einmal die volle Konzentration und Leistung. Der Schnee ist windgepresst hier, wenige Meter links von uns dürfte er auf dem meist schattigen Nordhang richtig eisig sein. Ein mulmiges Gefühl überkommt mich. Wenig rechts von uns fällt das Gelände steil über die Felsflanke fünfzig und mehr Meter auf das Eisfeld hinab, von dem wir eben aufgestiegen sind. Die Gefahr ist präsent, aber sehr sichtbar. Nicht diese Kante beunruhigt mich, es ist die andere Seite. So harmlos der Hang aussieht, zu deutlich erinnere ich den Mont Fort, aber auch die Furnica in den Carpathen! Wer hier ins Rutschen kommt, ist zweifelsohne tot! Denn nach wenigen Metern schon wird der Hang steiler und steiler, mit Sicherheit auch eisiger und noch viel rutschiger als der windgepresste, aber sonnenbeschienene Schnee hier oben schon ist, und dann – dann folgen hunderte Meter senkrechter Felsmauern, die man von hier nicht sieht.
Ich frage mich, wie genau Gerrit das weiß. Er hat seine Schi unterhalb der Eisflanke gelassen… doch die Schi scheinen mir die Lebensversicherung hier oben zu sein. Die Schischuhe werden kaum Halt bieten, sollte man in Rutschen kommen … ich grübele. Er wirkt ein wenig erschöpft und nicht ganz so trittsicher, wie ich ihn kenne, manchmal ist Angst unser größter Feind, und ich weiß, dass Gerrit solche ausgesetzten und objektiv gefährlichen Passagen im allgemeinen meidet – gibt es doch genug Herausforderung im Gebirge, die einen nicht gleich das Leben kostet, wenn man einen Fehler begeht. So entschließe ich mich, eine kurzen Hinweis zu geben. Wenn man genau auf dem schmalen Bereich ohne Quergefälle bleibt, kann eigentlich nichts passieren…
Schließlich erreiche ich den Gipfel und die Station. Ruhig warten die alten verwitterten Betonstufen am Eingang auf mich, laden mich zu einer Rast ein. Krisu ist bereits auf der Dachterrasse, Gerrit noch ein gutes Stück unterhalb. Einen Moment ruhe ich, dann beginne auch ich diesen mystischen Ort näher zu erforschen!
Weit unten nun liegt Cervinia…
Ungewohnte Perspektive auf das Plateau Rosa.
Wie auch schon dreißig Jahre früher.
Steil fällt der Hang nach Norden in die Schweiz ab.
::: Gerrit ::: Ich bin sehr erschöpft und ziemlich froh, als ich endlich an der Steilbahnstation am höchsten Punkt des Grates eintreffe. Die Lage ist wirklich einzigartig: direkt vis-a-vis fast zum Angreifen nahe das Matterhorn, im Süden, tief unter uns, Cervina und seine Schipisten, im Norden Zermatt, umrahmt von seiner klassischen Kulisse Rothorn, Gornergrat, Stockhorn, Monte Rosa und Klein-Matterhorn. Die Dachterrasse bietet eine 360°-Rundumsicht und reiht sich auf jeden Fall unter die Top-Aussichtspunkte der Alpen ein. Sogar die schon auf den alten Bildern abgebildete Bank befindet sich noch an Ort und Stelle und bietet nun auch mir einen willkommenen Platz zum Ausruhen.
Krisu hat inzwischen die Türe geöffnet und so gelangen wir durch einen schneegefüllten Windfang in das Innere der Station. Keine zwanzig Jahre ist es her, dass hier noch lebhafter Betrieb geherrscht hat, doch nun gewinnt das Hochgebirge langsam die Macht über diesen Platz zurück. Noch sind es nur kleine Ritzen in Dach und Mauerwerk, doch in fast allen Räumen finden sich fest gepresste Schneeablagerungen, auch in unserem „Hotelzimmer“. Krisu hat der Aufstieg offenbar überhaupt keine Anstrengung gekostet, er ist höchst aktiv und befördert den Schnee ins Freie. Ein länglicher Raum ist es, in dem wir übernachten werden, im obersten Geschoß der Station, kleine Fenster bieten Ausblick nach Osten und Süden, die Inneneinrichtung ist karg, ein Tisch, eine kurze Sitzbank in einer Nische, in einer Ecke ein Gasherd, ein Stapel Decken.
„Hüttenwirt“ Krisu ermahnt uns, unsere Schischuhe gut vom Schnee zu befreien, bevor wir das „Schlafzimmer“ betreten, damit wenigstens der Teil des Bodens, auf dem vor seiner Schaufelaktion kein Schnee gelegen ist, halbwegs trocken bleibt. Nun geht es aber an die Besichtigung der übrigen Räume der Bergstation.
Eine Stiege führt uns eine Ebene tiefer, in einem Korridor findet sich ein Generator, von seinem ursprünglichen Standort heraus geschleppt zu einem Abtransport, die nie stattgefunden hat. Durch eine Türe erreichen wir schließlich den ehemaligen Einfahrtsbereich. Wie zwei kleine „Skywalks“ [„Musste der Begriff sein?“ – Anm. v. [trinc] ] ragen die Bahnsteige hinaus über den Abgrund, ganz wohl ist mir nicht beim Anblick des rostigen Geländers und des Jahrzehnte alten Bretterbodens, nur einzeln wagen wir uns hinaus.
Es war schon zu Zeiten des Seilbahnbetriebs sicher ein erhebendes Erlebnis, hier anzukommen und wie aus einem Flugzeug (ich bitte um Entschuldigung für diesen abgedroschenen Begriff, aber es trifft wirklich zu) hinunter ins Tal zu blicken, doch jetzt, nach einem höchst anstrengenden Aufstieg mit der verfallenden Station im Rücken habe ich am äußersten Ende des nun funktionslosen, ins Nichts führenden Perrons das Gefühl, am Ende der Zivilisation zu stehen. Nie wieder wird hier jemand mit einer Seilbahn ankommen oder abfahren, wer weiß, wie lange die an den Felsen geklebte Station überhaupt noch vorhanden sein wird, vielleicht kommt es durch den Klimawandel auch hier zur Instabilität des Untergrundes, ich würde mich nicht wundern, wenn das ganze Bauwerk irgendwann einmal den Halt verliert und in Trümmern viele Hunderte Meter tiefer auf den Hängen oberhalb Plan Maisons endet. (Ich hoffe allerdings, dass das nicht heute Nacht passieren wird...).
Lange verweile ich nicht auf dem ausgesetzten Bahnsteig, ziemlich mulmig fühle ich mich, obwohl die Konstruktion bei näherer Betrachtung noch ausreichend stabil wirkt. Aber schließlich gilt es ja noch, den ehemaligen Tunnel zur Piste zu erkunden.
Zum Tunneleingang muss man noch eine Etage hinuntersteigen, im Stiegenhaus wurde offenbar eine ins Freie führende Türe aufgebrochen, deshalb befindet sich hier besonders viel Schnee und wir bahnen uns etwas mühsam den Abstieg. Mitten im Durchgang steht ein Diesel-Aggregat. Anscheinend hat mal jemand versucht, das Gerät abzutransportieren, ist dann aber trotz Aufbrechens der Tür gescheitert.
Hat schon die Station mir den Eindruck vermittelt, in ein „Enid-Blyton-Buch“ für Erwachsene geraten zu sein, so fühle ich mich nun wie eine Figur in einem „Indiana Jones Film“. Eng an den Felsgrat geklebt ist der Stollen, die rechte Wand roh aus dem Fels geschlagen, bedeckt mit feinen Eiskristallen, manchmal auch mit Moospolstern, links Mauerwerk, durch einzelne Fenster und schadhafte Stellen dringt das Licht der tiefstehenden Sonne und verstärkt den mystischen Eindruck des Ortes, vor uns senkt sich der Stollen langsam, immer wieder blockiert eingedrungener Schnee den Pfad und irgendwo weiter unten verliert sich der Blick im Halbdunkel.
Krisu ist wieder am schnellsten unterwegs, mit schlafwandlerischer Sicherheit überwindet er die „Gletschereinbrüche“ im Tunnel, ich keuche langsam nach und denke angesichts meines etwas angeschlagenen Gesamtzustands bald daran, dass ich ja im Anschluss auch den gesamten Weg wieder aufsteigen muss. Deshalb entscheide ich mich nach etwa zwei Dritteln des Stollens zur Umkehr, auch möchte ich den Sonnenuntergang im Freien erleben und nicht hier im Stollen. Deshalb überlasse ich den beiden anderen die Erforschung der letzten Meter und steige langsam wieder hinauf zur Bergstation.
::: [trincerone] ::: Eine tief verschneite Treppe führt uns ins unterste Geschoss der Station. Am Ende des Ganges klafft in dunkles Loch im Felsen: der Tunnel!
Es ist gespenstisch in dem engen Schacht. Teilweise viele Meter ist es völlig dunkel, die Wände vereist, Trümmer tückisch auf den bröckelnden, trügererischen Stufen, Kabel hängen von der Decke… ich denke an die Nostromo, LV-426, 1979… . Nach einiger Zeit tritt der Tunnel wieder aus dem Felsen heraus, der linke Seite ist nun gemauert, 50 Jahres altes staubiges Glas lässt Streiflicht passieren. Auf dem Boden und von der Decke rinnt das Wasser, bricht das Licht, dann wieder Finsternis, hier und da Schneewehen bis zur Decke, die man kaum zu passieren vermag. Liegend quetschen wir uns zwischen Eis und Betondecke hindurch… claustrophobia…
Irgendwann finden wir eine alte Tür, die nach links hinaus auf den Gletscher geführt haben muss. Der eigentliche Ausgang des Tunnels kann nur noch wenige Meter entfernt sein. Und doch ist hier kein Durchkommen mehr. Durch die alte Tür ist der Schnee herein geweht, meterweise, Tonnen… Einzig die Kamera kann durch Spalten die dunklen Gemäuer, das eisige Grab dieses Tunnels verlassen.
Um in diese hinterste Kammer des Tunnels zu gelangen, mussten wir noch einmal ein langes Stück auf den Schneewehen unter der Decke durch den Schnee robben. Mein Jeans und Stoffjacke sind nass bis auf die Haut. Überall von der Decke rinnt hier das Wasser, hallt in dem Schacht wieder, als ich sehe, wie das Streiflicht den Tunnel durch die Bruchstellen des Betons zu fluten und sich in den Rinnsaalen zu brechen beginnt…
Dunkel und Inseln des Lichts – so wandern wir den Tunnel zurück in die verlassene Station.
::: Gerrit ::: Als ich wieder ins Freie komme, ist die Sonne schon fast hinter dem Bergkamm südlich des Matterhorns versunken, das schräg einfallende Licht zaubert lange Schatten auf die tief unter mir liegenden Gletscherflächen der Zermatter Berge, schlagartig wird es kalt beziehungsweise wird mir kalt. Ich kann nicht sagen, ob die Lufttemperatur wirklich mit dem Verschwinden der Sonne so stark gesunken ist, doch ich beginne – wahrscheinlich durch die Kombination aus Kälte und meiner offensichtlichen Erschöpfung – plötzlich massiv zu zittern.
Nachdem die Sonne versunken ist, begebe ich mich wieder ins Gebäude, doch auch der Rückzug in unseren Schlafraum bringt keinerlei Besserung, ich friere entsetzlich und so hole ich kurzerhand trockene Wechselwäsche und Isomatte aus dem Rucksack und krieche in meinen Daunenschlafsack um mich irgendwie aufzuwärmen.
So finden mich dann auch [trincerone] und Krisu vor. Es dauert lange, bis das Zittern aufhört und das Kältegefühl etwas nachlässt, und so verfolge ich aus dem Schlafsack heraus die Versuche von Krisu und [trincerone], dem Gasherd Leben einzuhauchen, ohne dabei die gesamte Station in die Luft zu jagen. Irgendwie kann ich mir gar nicht vorstellen, heute noch etwas anders als Flüssigkeit zu mir zu nehmen.
::: [trincerone] ::: Im letzten Dämmerlicht verlassen Krisu und ich noch einmal die Station. War es vorhin in der Sonne noch geradezu frühjahrshaft warm gewesen, so dass man ohne Jacke auf der Terrasse sitzen konnte, so erreicht uns mit der Dämmerung die Kälte. Eisiger werden Luft und Licht, Nebelmeere beginne die Bergschründe hinauf zu ziehen, fluten die Täler mit Vergessenheit…
So kehren wir schließlich ins Innere der Station zurück. Im Halbdunkel jetzt muss man schon ziemlich aufpassen. Was tagsüber ein abenteuerlicher Ort ist, beginnt mit Einbruch der Nacht unheimlicher zu werden. Die ungesicherten Schächte in die Tiefe, aber auch nur Kabel und Stangen auf dem Boden, im verbleibenden Zwielicht beginnen sie, nicht mehr nur harmloses Beiwerk zu sein.
Gerrit scheint für den Moment etwas Ruhe zu brauchen, so beginnen Krisu und ich, den Gasherd zum Laufen zu bringen. So richtig will das zunächst nicht gelingen. Wir lauschen, es zischt, der Geruch von Gas ist in der Luft. Krisu prüft der Verschlüsse und Ventile. Sie sind dicht. „Und der Gummischlauch… ?!“, frage ich. – „Hm… wie willst Du da ein Loch finden?“. – „Mit dem Feuerzeug!“, antworte ich. Krisu schaut einen Moment, als sei ich total bescheuert. Dann nickt er. „Stimmt, ist ja hinter dem Ventil.“.
Minimal drehen wir das Gas auf und fahren vorsichtig am Schlauch entlang. An einer Knickstelle dann eine Stichflamme. „Aha!“, ruft Krisu, nun wieder Feuer und Flamme (Ha! ). Schnell ist der Schlauch gekürzt und neu montiert – nun leckt er nicht mehr.
Die Freude lässt etwas nach, als sich der Herd immer noch nicht in Gang bringen lassen will. „Was ist denn jetzt schon wieder…“, murmelt Krisu. Aber mir kommt eine Idee. Ich rücke den Herd von der Wand ab und verfolge die Schläuche. „Ha!“, rufe ich aus. „Hey, Kris, versuch’s doch mal mit der anderen Gasflasche in dem zweiten Schrank hier!“. Ich grinse. Wenige Sekunden später wird in zwei Töpfen Schnee geschmolzen.
::: Gerrit ::: Doch als schließlich nach längerer Vorbereitung ein Topf mit dampfenden Spaghetti auf dem Tisch steht, krabble ich doch aus dem Schlafsack, zwänge ich mit Mühe in die durch die Kälte steif gewordenen Schischuhe und esse mit steigendem Appetit eine Portion Nudeln mit durchaus schmackhafter Thunfisch-Gemüsesauce aus der Dose. Auch eine süße Nachspeise haben wir mitgebracht, und so bin ich schließlich gestärkt genug, um an dem obligaten nächtlichen Ausrücken nach dem Abendessen teilzunehmen.
Habe ich schon vor Sonnenuntergang ein fast entrücktes Gefühl gehabt, so wird dieser Eindruck durch die Nacht an diesem abgelegenen Ort noch verstärkt. Auf der Südseite hat sich tief unter uns eine Hochnebeldecke gebildet, an einer Stelle durch den darunter liegenden Ortskern von Cervinia gelb beleuchtet, nördlich ist die Luft klar und bietet freien Blick auf die entfernten Lichter von Zermatt. Unerreichbar weit weg scheinen diese Anzeichen der Zivilisation, weg von diesem aufgegebenen Außenposten menschlicher Erschließung auf 3500 Meter Höhe.
Bald wird mir wieder kalt, und so überlasse ich [trincerone] die Nacht. Dafür übernehme ich – wie es sich in einem guten Hotel gehört – das der Kategorie entsprechende spätabendliche Aufbereiten der Schlafstatt: Als unterste Schicht dienen die von [trincerone] und mir mitgebrachten Isomatten (Krisu hat seine zu Hause vergessen), dann kommt eine dicke Schicht der glücklicherweise reichlich vorhandenen Decken, darüber werden die Schlafsäcke aufgebreitet und eine zusätzliche Decke ist noch als oberste Schicht verfügbar.
Schließlich kommen auch meine Begleiter wieder aus der Nacht zurück in unser von Kerzen erhelltes Refugium, und bald liegen wir alle in unseren Schlafsäcken und versuchen, auf der trotz der Decken ziemlich harten Unterlage eine möglichst bequeme Stellung zu finden. Auch wenn in dieser Nacht wahrscheinlich ausgesprochen gute Bedingungen herrschen, es hat wahrscheinlich nur wenige Grade unter Null und es geht fast kein Wind, so ist es außerhalb des Schlafsacks doch ziemlich ungemütlich kalt, vor allem knapp über dem Boden, für uns also jetzt in Kopfhöhe, zieht immer wieder ein eisiger Lufthauch und veranlasst uns dazu, die Kapuzen der Schlafsäcke möglichst dicht zu verschließen.
Kurze Zeit später wird es plötzlich wieder hell in unserem Zimmer, ein fast voller Mond ist im Osten aufgegangen und taucht die umliegenden Berge in ein milchiges Licht. Doch obwohl ich weiß, dass ich es später bereuen werde, kann ich mich nicht mehr aufraffen, noch einmal aus dem Schlafsack zu steigen und mich in meine kalten Schischuhe zu quälen. So muss der Blick aus dem Fenster in der Nähe meines Schlafplatzes reichen. Der Tag war offenbar doch so strapaziös, dass ich überraschend rasch einschlafen kann, doch immer wieder erwache ich aus dem nur oberflächlichen Schlaf, wälze mich unruhig hin und her mit dem Wunsch, endlich eine bequemere Position zu finden. Eine leichte Atemnot und eine erhöhte Pulsfrequenz erinnern mich stets daran, dass ich bisher noch nie in dieser Höhe übernachtet habe.
Die Nacht zieht sich hin, auch der Schlaf der anderen scheint nicht ganz ungestört zu verlaufen, doch gegen vier Uhr früh treten bei mir schlagartig rasch zunehmende Kopfschmerzen ein, zunächst überlege ich noch, etwas dagegen zu schlucken, doch bald überkommt mich auch eine massive Übelkeit mit Brechreiz, so daß ich den Gedanken an eine in meinem Magen liegende Tablette nicht ertragen kann und still weiter vor mich hin leide. Die nächsten zwei Wochen waren die längsten meines Lebens, auch wenn sie nach Kontrolle von Uhr und Kalender offenbar nur etwa drei Stunden gedauert haben.
::: [trincerone] ::: Irgendwann in den frühen Morgenstunden, es muss gegen halb sechs sein, schaffe ich es tatsächlich, noch einmal für ein paar Minuten zu schlafen. Als ich wieder erwache, dämmert es bereits. Gerrit scheint es jetzt ähnlich schlecht zu gehen, wir mir die ganze Nacht… Als die Sonne über den Horizont klettert, gehen Krisu und ich an die frische Luft, bevor wir mit den Frühstücksvorbereitungen beginnen.
::: Gerrit ::: Keiner von uns hat wirklich gut geschlafen, aber ich fühle mich hundsmiserabel, als die beiden anderen aus dem Schlafsack kriechen und Frühstücksvorbereitungen treffen. Ich habe das Gefühl, mich jeden Augenblick übergeben zu müssen, jede Lageänderung verstärkt die Kopfschmerzen und schon das Aufsetzen im Schlafsack verursacht Gleichgewichtsstörungen. Irgendwie kann ich mir im Moment überhaupt nicht vorstellen, auch nur ins Freie zu gehen, geschweige denn, die Steilstufe hinunter zu klettern, die Schi anzuschnallen und mit dem schweren Rucksack ins Tal abzufahren.
Doch [trincerone], selbst etwas mitgenommen von der Nacht, und Krisu reden mir gut zu und zwingen mich dazu, etwas zu trinken und wenigstens einen Teil eines Fruchtriegels hinunter zu würgen. Sogar beim Anziehen meiner Schischuhe benötige ich Hilfe, was aber nicht nur auf meinen schlechten Zustand, sonder auf die mir schon bekannte massive Steifigkeit der Strolz-Schalen bei Temperaturen unter Null zurückzuführen ist. [trincerone] mit seinen antiquierten Heckeinsteigern tut sich da deutlich leichter.
Auch der Weg an die frische Luft tut mir gut, die Hochnebeldecke hat sich etwas gehoben und befindet sich nun etwa 150 Höhenmeter unterhalb der Steilstufe, doch über uns ist der Himmel klar und etwas von der mit einem Sonnenaufgang in großer Höhe verbundenen Euphorie regt sich in mir und nun glaube ich wieder daran, aus eigener Kraft ins Tal zu kommen.
Ursprünglich haben wir ja vor gehabt, mit dem Aufbruch noch bis zum Vormittag zu warten, um die berühmte Abfahrt Nr. 9 in perfekt aufgefirntem Zustand zu genießen, doch gegen meine offensichtliche Höhenkrankheit hilft nur rascher Abstieg, die hoch liegende Nebeldecke dürfte sich heute wohl nicht mehr auflösen und auch für die anderen scheint der Aufenthalt in der kalten Ruine nicht mehr wirklich attraktiv zu sein.
Deshalb packen wir langsam zusammen, schlichten die Decken auf die Bank und wieder ist es der unermüdliche Krisu, der mit einem gefundenen Besen die „Endreinigung“ vornimmt. Ich muss grinsen und unwillkürlich an Syssiphus denken, als ich sehe, wie er den zusammengekehrten Schmutz mit seiner Lawinenschaufel hinaustragen möchte, denn diese ist aus Gewichtsgründen mit etwa münzgroßen Löchern versehen. Schließlich haben wir unseren Übernachtungsplatz wieder in den ursprünglichen, ja wahrscheinlich sogar in einen besseren Zustand versetzt und brechen endlich auf.
Natürlich ärgere ich mich wieder über die fehlenden Schi, denn die beiden anderen können nun auf dem ausgesetzten Grat langsam zur Steilstufe hinunterschwingen, während ich – noch etwas wackelig auf den Beinen – vor allem vor dem ersten Stück nach Verlassen der Station übertriebenen Respekt habe. Hier ist es etwas steiler und die Schneeschicht über dem harten Untergrund ziemlich dünn, ich habe – wahrscheinlich unbegründete – Angst mit den profillosen Sohlen der Pistenschischuhe auszurutschen und die geschätzten 500 Höhenmeter in die Schweiz hinunter zu kollern, deshalb steige ich die ersten Meter rückwärts auf allen Vieren ab und mache wohl einen ziemlich lächerlichen Eindruck. Doch bald richte ich mich wieder auf und der Spaziergang auf dem einsamen Grenzgrat zwischen Italien und der Schweiz hat einen ganz eigenen Reiz. Langsam gehe ich mich warm und fühle mich auch zunehmend sicher.
::: [trincerone] ::: Der Abstieg von Gerrit macht mir beinahe noch mehr Sorgen als der gestrige Aufstieg. Der Hang ist heute morgen deutlich eisiger, vor allem im obersten Stück scheint mir die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ausrutschen nicht ganz abwegig ist und ebenfalls durchaus irreversibel sein kann, ziemlich groß. Erst einige Meter tiefer verliert der Hang sein starkes Gefälle in Richtung Schweiz, wenn man auf direkt auf dem Gipfelgrat bleibt. Hinzu kommt Gerrits mangelnde Trittsicherheit aufgrund der Höhe. Ich passe also peinlich genau auf, dass ich stets in seiner Falllinie etwa zwei Meter unterhalb stehe – für alle Fälle…
Erst im unteren, sichereren Bereich mache ich einige Schwünge auf dieser wohl spektakulärsten Abfahrt der Alpen. Ein schmales Schneeband im Himmel, die berühmtesten Gipfel der Alpen vis-à-vis – was könnte diese Abfahrt noch übertreffen? Wenig später kommt Kris furchtlos von oben herangeschossen, für einen Moment wird die Vergangenheit, als Schifahren hier die Normalität war, präsenter und klarer als die Gegenwart. Dann stehen wir auch schon wieder an der steilen Wächte, wo die Piste nach Italien hinab stößt.
::: Gerrit ::: Auch der Abstieg über die Steilstufe, natürlich wieder rückwärts mit Unterstützung des Pickels, geht gut von statten, an dieser Stelle wieder ein Dankeschön an Krisu für den neuerlichen Rucksacktransport. Endlich sind auch die Schi wieder angeschnallt und zunächst schwingen wir weit nach links, um in einer Mulde unterhalb des Gipfelaufbaus, aber oberhalb einer weiteren Felsbarriere einen von der Perspektive her ungewöhnlichen Blick auf die Lifte des Plateau Rosa zu erhalten, doch die herumziehenden Nebelschwaden verbergen das Gletscherplateau immer wieder vor unseren Blicken. Auch eine in diesem Bereich vermutete frühere Abfahrtsmöglichkeit können wir wegen der Unübersichtlichkeit des Geländes nicht erkennen.
[trincerone] auf der ausgesetzten Schneeflanke unterhalb des Furggengipfels.
::: [trincerone] ::: Gerrit folgt zunächst nicht der Abfahrtsroute der Piste 9 nach rechts, sondern quert das weite Schneefeld nach links, unmittelbar vor die Felskante. So stehen wir, herrlich über dem Nebelmeer, auf diesem vorgelagerten Balkon des Furggen! Krisu und Gerrit diskutieren eine mögliche Abfahrtsvariante in diesem Bereich – ich jedoch bin mir sicher: nur wenige Meter hinter uns stürzen die Felsen quasi senkrecht über hunderte Meter nach Cervinia ab.
Gerrit auf der Eisinsel im Nebelmeer.
Gerrit und [trincerone].
::: Gerrit ::: Dann tauchen wir in den dichten Nebel ein und müssen uns an der Aufstiegsspur orientieren. Der in den obersten Passagen noch ziemlich hart gefrorene Untergrund wird im Nebel rasch griffiger und das Abfahren ist trotz des Rucksacks eigentlich recht gemütlich. Auch legt sich schon bei etwa 3100 Metern meine Übelkeit schlagartig und die Kopfschmerzen lassen deutlich nach.
Die Nebelschicht ist nicht besonders dick, daher haben wir bald wieder freie Sicht auf das Gelände unterhalb des Nebels und erfreuen uns – wie auch beim gestrigen Aufstieg – an dem großartigen Landschaftsrahmen, durch den sich die einstige Piste Nr. 9 ins Tal schlängelt. Zweifellos hat es sich bei dieser Abfahrt um eine der spektakulärsten der Alpen gehandelt. Zuerst wahlweise die Route über den ausgesetzten Grat über die Steilstufe bzw. der Marsch durch den Tunnel, dann weiter über kupiertes, abwechslungsreiches Gelände und schließlich zwischen Moränenwällen langsam hinunter zur „Zivilisation“, die sich heute im Auftreffen auf eine präparierte Abfahrt mit neckischen Polsterungen auf neben der Piste herumliegenden Felsbrocken manifestiert.
Wer gut zielen kann, dem kann nichts passieren...
Auch wir sind heilfroh, als wir endlich wieder den gesicherten Schiraum erreichen! Nicht auszudenken, was hier hätte passieren können...
Gemütlich bummeln wir hinunter, um schließlich im Bereich der Talstation der Cretaz-KSB Cervinia zu erreichen. Durstig und mittlerweile auch wieder hungrig und durstig fallen wir in einer kleinen Bar ein. Im Rahmen einer kleinen Stärkung besprechend wir den weiteren Verlauf unserer Reise, angesichts des mäßigen Wetters – der Hochnebel hat sich gehalten – hat keiner von uns mehr Lust auf weiteres Pistenrutschen, und so beschließen wir, unsere Unternehmung mit einem netten Abend am Gardasee ausklingen zu lassen.
Cielo Alto.
Ehemalige unterirdische Autowerkstatt in Cielo-Alto.
Nach einer gemütlichen Stunde hole ich das Auto, wir verladen unsere Ausrüstung, machen noch eine kurze Besichtigung von Cielo Alto und beenden das Unternehmen Furggengrat in Riva bzw. einem netten Restaurant aus meinem Slow-Food-Italienführer in einem kleinen Ort irgendwo in den umliegenden Bergen.
Wieder ist eine Unternehmung abgeschlossen, für die mich viele Freunde und Bekannte aus meinem „normalen“ Leben wahrscheinlich für verrückt halten. Auch die meisten Bergsportler in meinem Umfeld können wahrscheinlich nicht verstehen, dass man quer durch Mitteleuropa fährt, um dann auf einen absolut gesehen doch ziemlich unbekannten Felszacken aufzusteigen, in einer zugigen Ruine zu übernachten und dabei auch noch höhenkrank zu werden.
Doch die wahren Abenteuer finden offensichtlich gleichzeitig im Kopf und in der Realität statt. Es ist wohl nur ein kleiner Kreis, der nachvollziehen kann, warum manche von uns alles Mögliche unternehmen, um irgendwo eine verrostete Liftstütze zu finden, eine verfallendes Stationsgebäude zu durchstöbern oder auch nur an einem ungewöhnlichen und irgendwie besonderen Platz Schi zu fahren. Es gibt unzählige Möglichkeiten und Perspektiven, sich im Rahmen eines Hobbys die Welt anzueignen, eine dieser Perspektiven ist die der historischen Entwicklung des Schilaufs zusammen mit der damit in Verbindung stehenden infrastrukturellen Erschließung der Berge. Die Bahn zum Furggen war zweifellos ein Meilenstein des Seilbahnbaus, aus heutiger Sicht ist es fast nicht vorstellbar, unter welchen Bedingungen die Erbauer noch in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts arbeiten mussten, um dieses Bauwerk in 3500m Seehöhe zu errichten. Für die meisten Besucher von Cervinia handelt es sich bei der Furggen-Bergstation nur mehr um eine sinnlose Ruine (soferne sie das Gebäude überhaupt als solches wahrnehmen), doch einige wenige sehen in diesem Gemäuer viel mehr.
Der Begriff des „Industriedenkmals“ hat sich bereits international durchgesetzt, in Großbritannien existiert die Studienrichtung der Industriearchäologie, also ist es wohl keinesfalls absurd, dass sich eine kleine Gruppe „Verrückter“ in den Kopf gesetzt hat, auch die Erschließungsgeschichte der Alpen mittels Berg- und Seilbahnen zu dokumentieren und so für die Nachwelt zu bewahren. Bei der Bergstation der Furggen-Seilbahn handelt es sich in diesem Kontext zweifellos um ein höchst bedeutendes und schützenswertes Baudenkmal.
… sounding in my ears Tell me, .. how long have .. been lying here? What am I doing in this place? ...
::: Das Dunkel umhüllt mich, der Nacken lehnt schwer und schmerzend am kalten Metall … Stunden um Stunden liege ich nun schon wach, das Herz rast, ich bin so erschöpft, dass ich das Gefühl habe, jeden Moment die Besinnung zu verlieren … mir ist unglaublich schlecht, spei-übel, ich muss mich extrem konzentrieren, um mich nicht zu übergeben … es dröhnt in meinem Schädel und pocht, Erinnerungen des Tages tauchen auf, grell verzerrte Fetzen, dann wieder driften Gedanken hinweg … höhnisch, wie eine gesprungene Platte, wiederholen sich endlos und endlos die gleichen wenigen Zeilen des alten Stones-Songs vor meinem geistigen Ohr … … „here I lie…“ ... „Sister Morphine“ … ich zittere, mir ist so unendlich kalt, ein feuchter eisiger Hauch zieht langsam über den Boden, die Knochen schmerzen vom Liegen auf dem kalten Grund … ich spüre den Puls in meinem Kopf, die Kehle schnürt sich zu, ich würge, ringe nach Luft ... ich muss hinaus, ich muss HIER RAUS!! Mühsam stehe ich auf, mir ist schwindelig, fehlt die Kraft … durch das Halbdunkel ertaste ich eine Stirnlampe, finde im kalten Vorraum meine Schuhe, schleppe mich durch die Tür ins Freie, ans Geländer… seltsam ist es, wenn in die Tiefe hinab kein Licht fällt, 3500m hoch und ausgesetzt, bei Nacht jedoch gespenstisch, denn nichts davon ist zu sehen … die frische klare Luft prallt auf mein Gesicht auf meine Lungen, der Brechreiz verschwindet, bevor ich ihm hätte nachgeben können … langsam richte ich mich auf, der Kopf wird klarer… auch hier ist es kalt, aber es ist nicht die kranke, feucht-klamme Kälte auf dem Fußboden des Raumes … die Schwäche schwindet, die Sinne werden frei für die Umgebung…
… Stille … Unendliche Weite … und .. Stille… ich blicke hinaus, ganz ruhig ist es, die Luft klar … ich bin allein… ich gehe ein paar Schritte … ein leiser, ganz sanfter Windhauch streift mein Gesicht als ich aus dem Schatten des Gebäudes die Treppe hinunter auf den Schnee trete … der Puls ist ruhiger nun, der Atem gleichmäßig … den letzten Außenposten im Rücken, gehe ich in die Nacht … auf dem Dach setzte ich mich auf die einsame Bank, die ruhig und friedlich hier seit einem halben Jahrhundert Ruhe spendet ... der entrückteste Ort dieser Erde, in diesem Moment … wie friedlich ist hier… die Stille ist nur mein …
… still und ungerührt senden die Sterne ihr Licht zur Erde hinab wie seit Urzeiten: ein schweigender Chor der Ewigkeit -
‚ … und Frieden den Menschen auf Erden … ‘
“Final report of the commercial starship Nostromo, third officer reporting. Cargo and ship destroyed. I should reach the frontier in about six weeks. With a little luck, the network will pick me up. This is Ripley, last survivor of the Nostromo, signing off.”
danke, das lange warten hat sich gelohnt, einzigartig, großartig !!! and the laureus world sports awards goes to: trinc, dafür, dass er sogar aufstiege in jeans bewältigt #aweseome
Ein kühler und verregneter Samstagmorgen, ein gemütliches Frühstück und die Lektüre dieser spannenden Unternehmung, nur getrübt durch den Umstand dass ich hätte dabei sein können müssen (und doch auch wieder nicht, denn es ging einfach nicht zu diesem Zeitpunkt). Aber: James Bond will return...
Registriert: Sa, 10.05.2008, 20:33 Beiträge: 45 Wohnort: Detmold
Das ist das geilste was ich je gesehen habe!!! Mir fehlen die Worte. Schreibt das ganze zu nem Buch zusammen und verkauft das. Die Komentare und die Bilder so genial. Man spürt richtig die sich aufbauende Spannung wenn das Ziel fast erreicht ist... Wahnsinn!!! Wie gut dass man soetwas auch in Österreich erleben kann.
Registriert: Sa, 17.02.2007, 8:22 Beiträge: 117 Wohnort: Bern/Sedrun
Waaaah, der Hammer, ihr seid Genies! Ich war an diesen beiden Tagen auch in der Gegend und hab meine Bildersammlung soeben nach euren Spuren abgesucht, wurde aber leider nicht fündig.
@trinc: Warum musstest Du eigentlich unbedingt ein Bild von meinem Garten hineintun? @alle: Danke für die Rückmeldungen, ich hoffe, es ist uns halbwegs gelungen, unsere Eindrücke zu vermitteln!
_________________ Schweben im Powder - Die, die es erlebt haben, verstehen, den anderen kann man es nicht erklären!
@Gerrit: ja ja... da war ich gerade ein junger Assistenzarzt in Wien, der mit dem Chef durch Schönbrunn gefahren ist, oder wie war das... @alle: vielen Dank.
@Bilder: Spuren könnte man aber wohl nur auf Bildern vom 30. April sehen. Denn am 29. sind wir ja recht spät rauf, darum ist vermutlich nichts zu sehen.
_________________ ... the echo of a distant time ...
Registriert: So, 02.11.2008, 22:37 Beiträge: 252 Wohnort: an der Ostsee - Insel Rügen
Wunderbar, da hat sich das Warten absolut gelohnt. Ich finds auch toll, dass ihr auch die Probleme beschreibt, die auf so einem Trip entstehen. Ist das Gebäude da oben denn irgendwie "bewirtschaftet "? Oder wo kommen die Decken und die Gasflasche her ?
_________________ Grüße von der Insel ! Urlaub am Meer - hier
Registriert: So, 26.02.2006, 14:05 Beiträge: 190 Wohnort: München
Faszination pur! Vielen Dank fürs daran teilhaben lassen.
Als Freund gedruckter Werke träume ich auch von den gesammelten Berichten in Buchform, natürlich in entsprechend hochwertiger Aufmachung.
Beeindruckt hat mich wieder einmal besonders, wie nah doch die - manchmal so banal wirkende - Zivilisation und herausragende, dem Alltäglichen weit entrückte Orte, zusammen liegen. Oft weniger als ein paar Kilometer und doch sind es völlig verschiedene Welten. Das fasziniert mich auch beim Wildwasserpaddeln in abgeschiedenen Schluchten immer wieder. Die Faszination, die dieser Ort auf mich ausübt, ist durch die Erschließung des Berges durch den Menschen in der Vergangenheit aber ganz besonders groß.
Registriert: So, 18.12.2005, 19:12 Beiträge: 8031 Wohnort: Nicht mehr im Forum
Geil geil .. wenn das der Grund war, warum du die letzten Wochen nicht im Forum warst - dann hat sich's ja gelohnt!
Ich hoffe, die Furggen-Station bricht bald dank Permafrost ab, dann muss ich mich jedenfalls nicht Jahr für Jahr bedauern, dass ich's nie da rauf schaffen werde :-)
Ok, wenn ihr von dem Vorhandensein der Decken und des Gasherds wusstet (nur um das mal zu rekapitulieren, da ist nach 20 Jahren noch Gas oben, obwohl da immer mal wieder welche etwas kochen?), ist die Übernachtung nun doch nicht so abwegig wie ich erst dachte :) Wobei, aufgrund der Kälte (und evtl. des schlechten Wetters am folgenden Tage) habt ihr ja nicht wirklich Vorteile daraus gezogen, dort übernachtet zu haben.
Wenigstens hat Trinc noch ein paar Nachtfotos geschafft, die ich übrigens für sehr gelungen erachte, da ich schon bei dunklerem Himmel die Erddrehung anhand der Sterne sah. Muss wohl am Mond gelegen haben? Wie lang ist die Belichtung?
Zitat:
Interessant, dass es an der Abfahrt früher schon riesige Fangzäune gegeben haben muss. War das auf der "normalen" oder auf der Fels-Traverse? (Bei der ich mich etwas wundere, dass da zu eurem Zeitpunkt kein Schnee lag, d.h. da wird auch früher kaum Schnee gelegen haben?)
Zitat:
Mich hätte ja mal interessiert, wie es nach dem "Hügel" in der Bildmitte ausgesehen hätte - anhand anderer Fotos wäre ich ja der Meinung, dass man dort einfacher und weniger steil runter bzw. rauf kommen müsste.... (und ich auch nach wie vor glaub, dass die Abfahrt damals dort rum ging)
.. was hat es eigentlich mit diesen Türen da zu tun, wurde da mal ein Teil des Hauses abgetragen oder ist es abgebrochen?
phb hat geschrieben:
Wie gut dass man soetwas auch in Österreich erleben kann.
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