Über dem Nebel ? ein Winternachmittag im Dammkar
Vorbemerkung:
Über 4 Jahre ist dieser Nachmittag mittlerweile her, daher bitte ich um Nachsicht, dass ich nicht mehr genau über die Details berichten kann. Auch fehlen leider Bilder von Abfahrt, Tunnel und Seilbahn, weil ich damals doch vorrangig die Landschaft fotografiert habe. Nachdem ich im Frühling aber die Dias habe einscannen lassen, will ich hier doch einige Eindrücke vom Dammkar zeigen. Als kleiner Appetitanreger für die neue Saison?
Das Dammkar:
Das Dammkar bei Mittenwald ist legendär. Häufig wird die 6,5 km lange Abfahrt als längste und anspruchsvolle ?Piste? Deutschlands bezeichnet. Beides stimmt zwar nicht so ganz, doch wenn man beides, Länge und Anspruch, betrachtet, gehört das Dammkar auf jeden Fall zu den herausragenden Abfahrten Deutschlands.
Früher wurde die Abfahrt, die einen Höhenunterschied von 1311 Höhenmetern überwindet, aufwändig präpariert. Die Kosten waren irgendwann jedoch nicht mehr tragbar, und die Karwendelbahn erkannte bald den neuen Trend zum Freeriden. Das Dammkar wurde zur ersten (?)offiziellen Freeridestrecke Deutschlands.
Panorama aus dem DSV-Atlas 2005
Den Start der Abfahrt erreicht man in 10 Minuten mit der 2498 Meter langen Karwendelbahn, sicherlich eine der eindrucksvollsten Seilbahnen in Deutschland. Von der Bergstation führt ein 400 Meter langer Stollen mit einem Aussichtsfenster in der Felswand zum ersten Hang. Nach diesem noch relativ sanften Starthang geht es steil hinunter ins eigentliche Kar. Zwischen den senkrechten Felswänden nimmt das Gefälle langsam wieder ab, ehe sich das Kar nach Norden hin öffnet. Ein kurzer Hang führt an der im Winter geschlossenen (?) Dammkarhütte vorbei, dann teilt sich die Abfahrt.
Links führt die frühere Piste relativ eng durch das Kanonenrohr hinunter zur Baumgrenze, rechts bietet der Latschenhang bei ausreichender Schneelage eine interessante Alternative (nicht vor Lawinengefahr gesichert!). Im Wald wird aus der Abfahrt ein langer, später relativ flotter Ziehweg, der mit einigen kleinen Hängen am Ende zurück zur Talstation führt.
Ausschnitt aus einer (schlechten) Wanderkarte. Ganz grob (!) eingzeichnet habe ich den Tunnel (rot), die Abfahrt (blau) und die Variante Latschenhang (blaue Punkte)
Das Dammkar war und ist ein klassisches Frühlingsziel, die letzten Meter im Tal muss man dann aber meist zu Fuß zurücklegen. Mittlerweile hat das Dammkar auch im Hochwinter Saison, die hochalpine Landschaft zeigt sich zu dieser Jahreszeit von ihrer eindrucksvollsten Seite.
Über dem Nebel
Irgendwann im Februar 2002. Schon seit längerer Zeit habe ich den ?Powder Alarm? der Karwendelbahn abonniert. Immer wenn das Kar nach stärkeren Neuschneefällen von der Lawinenwarnkommission wieder freigegeben wird, werde ich (wie viele andere) per mail informiert. Aus verschiedensten Gründen ist es aber bisher nie etwas mit dem Neuschneetag im Dammkar geworden. Doch dieses Mal scheinen die Bedingungen günstig. Am Montagabend lese ich, dass die Abfahrt am Dienstag wieder geöffnet wird, übers Wochenende sind 50 cm Neuschnee gefallen.
Im ersten Semester kann ich mir die Freiheit nehmen, auch unter der Woche mal in die Berge zu fahren. Ein Kumpel von mir, der noch zur Schule geht, will auch mit, kann aber erst nach Schulschluss. Egal, allein Freeriden brauch ich nicht und am Dienstag wird ja wohl am Nachmittag auch noch etwas unverspurter Powder übrig sein.
Eine gute Stunde dauert die Anfahrt über die Garmischer Autobahn bis Mittenwald. Die verschneite Landschaft liegt unter einer dicken grauen Nebeldecke. Als wir kurz vor zwei Uhr in Mittenwald ankommen, schimmert über uns der blaue Himmel durch. Sofort steigt unsere Stimmung in ungeahnte Höhen. Schnell sind die Nachmittagskarten gekauft, als nette Beigabe gibt es eine kleine Tafel Rittersport umsonst dazu. Nach dem Wiegen der Passagiere (kenne ich nur bei der Karwendelbahn), schweben wir mit der überraschend voll besetzten Gondel steil nach oben. Rüstige Rentner, Studenten, Einheimische; die Chance ein Fleckchen unverspurten Tiefschnee zu finden, ist vielleicht doch nicht so groß wie angenommen. Bald durchbrechen wir die Nebeldecke, über schroffe Felsflanken gleitet die Kabine der Bergstation entgegen.
Blick von der Bergstation nach Westen
Sofort hasten wir zum Stollen und absolvieren im Laufschritt die 400 Meter zum Start der Abfahrt. Doch was ist das? Von Tiefschnee keine Spur, der erste Hang sieht aus wie eine ganz normale ausgefahrene Piste. Dort wo es steiler wird, bauen sich mächtige Buckel vor uns auf. Kurzzeitig verfluche ich die Entscheidung, das Snowboard und nicht die Ski genommen zu haben. Im Tiefschnee komme ich mit meinem Board bei fast allen Verhältnissen gut klar, aber im richtig verbuckelten Gelände, na ja?
Verlauf der Piste im oberen Teil (blau = verdeckt, das sind die steilsten Hänge)
Im Kar weichen die Buckel zumindest am Rand der Abfahrt aber doch sehr stark verspurtem Tiefschnee. Mit etwas Spürsinn lassen sich für wenige Schwünge sogar noch einige nicht verspurte Quadratmeter Neuschnee finden. Wir geben Vollgas, wollen möglichst drei Fahrten an diesem Nachmittag schaffen. Der Ziehweg geht mit dem Snowboard besser als erwartet. Nach einigen etwas flachen Metern zu Beginn können wir es richtig laufen lassen.
Im mittleren Teil des Kars
Verschwitzt aber zufrieden erreichen wir wieder die Talstation. Die kurze Wartezeit auf die nächste Gondel kommt gerade recht, um schnell den größten Durst zu löschen. Bei der zweiten Abfahrt unterbieten wir die Zeit von der ersten Fahrt deutlich. Es klappt, eine dritte Fahrt geht sich noch aus.
Dieses Mal haben wir Zeit. An der Bergstation genießen wir den gigantischen Tiefblick auf das Nebelmeer, im Tunnel bestaunen wir die Aussicht aus dem Fenster in der Steilwand. Der Beginn der Abfahrt liegt noch in der Nachmittagssonne, doch schon nach den ersten Schwüngen geht es hinein in den bläulichen Schatten. Zwischen eisverkrusteten Felswänden schwingen wir talwärts, bis sich vor uns das Kar öffnet und den Blick auf die Soierngruppe freigibt, die aus dem Nebelmeer ragt. Statt dem Latschenhang, den wir bei der zweiten Abfahrt genossen haben, wählen wir dieses Mal wieder das Kanonenrohr. Kurz vor dem Wald finden wir unter den senkrechten Felswänden noch ein letztes Mal unverspurten Pulverschnee, dann geht es ganz gemächlich durch den Winterwald hinunter ins Tal.
Das Estergebirge ragt aus dem Nebelmeer, links der Wank.
Blick von der Bergstation nach Westen Richtung Garmisch
Start der Abfahrt
Die Abfahrt wendet sich nach Norden, Blick auf die Soierngruppe
Kurz vor dem Eintauchen in den Nebel, hinten das Estergebirge
Auf der Heimfahrt bricht schon bald die Nacht herein, aus dem monotonen Grau der Landschaft wird wieder Schwarz. Den heutigen Nachmittag aber kann uns keiner nehmen. Erfüllt von diesem unbeschreiblichen, wohligen Glücksgefühl rollen wir zurück in die Stadt, zurück in den Alltag. Den ultimativen Powder haben wir zwar nicht gefunden, unvergesslich ist dieser Nachmittag für mich aber bis heute geblieben. Für einige Stunden aus der Routine ausbrechen, mit guten Freunden draußen unterwegs sein, wunderbare Stimmungen erleben, das kann manchmal eben genauso großartig sein wie ein Traumtag bei idealen Bedingungen.