Sommerski im HarzWenn norddeutsche Skifans im Sommer ihrem Hobby nachgehen wollen, denken sie dabei heute an die Skihallen in ihrer Nähe, zum Beispiel an die in Bispingen oder in Wittenburg. Dass es Jahrzehnte vor der Existenz norddeutscher Skihallen ein Sommerskiangebot im Harz gab, ist weitgehend vergessen. Das ist kein Wunder, denn vor Ort erinnert an diese Episode quasi nichts mehr.
Der Harz war seit Einführung des Skilaufs als Breitensport in Deutschland immer ein beliebtes Wintersportgebiet. Schon in der Vorkriegszeit tummelten sich dort die Skiläufer, und bei den norddeutschen Städtern wurde es schick, dort Winterurlaub zu machen. Nach dem Zweiten Weltkrieg fand der Harz allmählich wieder Anschluss ans wintersportliche Geschehen, und in den späten 1950er bzw. frühen 1960er Jahren hielt auch der mechanisierte Skilauf Einzug im Harz. In St. Andreasberg wurde am Matthias-Schmidt-Berg der erste Harzer Einsessellift mit Wintersportnutzung gebaut, am Torfhaus der erste Einsessel-, später Schlepplift am Rinderkopf. In den 1960er Jahren, noch vor Beginn der Sommerski-Welle, kamen die findigen Andreasberger Betreiber auf die Idee, den Skibetrieb auch im Sommer zu ermöglichen. Freilich wurde Sommerski am Matthias-Schmidt-Berg nicht auf Schnee angeboten. Hier erwies sich der Umstand, dass die Liftanlage am Matthias-Schmidt-Berg mit der Fa. Alberti einem Bad Lauterberger Bergwerksunternehmen gehörte, als förderlich: Eigens für den Zweck des Sommerskilaufs wurde (wohl 1963 oder 1964) der 300 Meter lange Skihang neben der Sesselbahn in einer Breite von 20 Metern mit Schwerspat- bzw. Barytkies aus der Grube Wolkenhügel in Bad Lauterberg aufgeschüttet. Barytkies ist ein helles, sandartiges Material. Er ist witterungsbeständig und wird als Baumaterial für verschiedenste Spezialzwecke eingesetzt. Die Grube Wolkenhügel, die erst 2007 stillgelegt wurde, war übrigens das letzte aktive Harzer Bergwerk.
Der Sommerskibetrieb auf der "Pista Barytina" am Matthias-Schmidt-Berg wurde aufgenommen, um den damals noch viel populäreren Breiten-Skisport auch im Sommer zu ermöglichen und auch, um sportlichen Fahrern eine Trainingsgelegenheit zu geben. Der Sommerskihang konnte nur mit schweren Spezial-Leihskiern mit einem Metallbelag befahren werden, welcher dem starken Abrieb zu trotzen vermochte. Laut Auskunft der Alberti Lift GmbH fuhr sich der Barytkies wie sehr schwerer, nasser Schnee. Sommerski am Matthias-Schmidt-Berg muss also eine recht kraftraubende Angelegenheit gewesen sein. Wegen der starken Reibung der Skier auf dem Barytmaterial mussten die Harzer Sommerskifahrer offenbar viel stärker in die Falllinie gehen, um eine vergleichbare Geschwindigkeit zu erreichen wie beim Fahren auf Schnee. Um den Skifahrern überhaupt die nötige Grundgeschwindigkeit zum Befahren des Hanges zu geben, stand neben der Bergstation der Sesselbahn ein hölzerner Anlaufturm, von dem aus sich die Fahrer zu Tal begaben. Offenbar ermöglichte erst die relative Steilheit des Hangs dessen Sommerskinutzung auf die beschriebene Weise. Ein 1960er-Jahre-Prospekt schreibt über die "Pista Barytina": "Skilauf auf dieser Piste ist ungefährlich. Fehler führen zu wesentlicher Verminderung des Tempos. Deshalb sind Stürze sehr selten." Das weist andererseits darauf hin, dass weniger gute Skifahrer ihre liebe Mühe gehabt haben dürften, auf der Barytpiste nicht ständig stehen zu bleiben. Ich möchte nicht wissen, wie verdreckt die damals noch ledernen Skischuhe nach Benutzung der Barytkiespiste waren und wie verstaubt die Kleidung der Besucher nach einem Sturz war!
Von der regelmäßigen Nutzung durch Akteure Harzer und Norddeutscher Skiclubs zeugen bis heute die Fotos von Skirennen auf dem Barytkies-Hang. Laut Prospekt gab es sogar eine Sommerskischule!
Das Sommerskiangebot erfreute sich zwar einer gewissen Beliebtheit, vermochte die Einnahmen aus dem Winterbetrieb aber nicht zu erreichen. Wahrscheinlich war der Barytkieshang nur im trockenen Zustand mit den Spezialskiern befahrbar, d.h. während und direkt nach feuchterer Witterung musste das Sommerskiangebot wohl entfallen. Das wirtschaftliche Aus für Sommerski am St. Andreasberger Matthias-Schmidt-Berg kam bereits Ende der 1960er Jahre (wohl 1969 oder 1970 - genauere Angaben waren auch über die Alberti Lift GmbH nicht mehr zu beziehen). Hauptauslöser war die Erschließung der Sommerskigebiete auf den Alpengletschern, die dank der Massenmotorisierung für jedermann erreichbar wurden - auch aus Norddeutschland. Neben sinkenden Nutzerzahlen trug zur Unwirtschaftlichkeit des Angebots bei, dass der Barytkies regelmäßig aufwändig wieder "nach oben" befördert werden musste. Ob die Barytkiespiste auch von Unkraut befreit werden musste, wird nicht erwähnt.
Nach der Einstellung des Sommerski-Angebots wurde die Barytkiespiste durch Einsaat begrünt. Noch heute ist eine von den anderen Skihängen am Matthias-Schmidt-Berg abweichende Vegetation zu erkennen. Andere Spuren der früheren Existenz von Sommerski im Harz finden sich vor Ort jedoch nicht mehr.
Von den 1970er bis in die 1980er Jahre wurde am Matthias-Schmidt-Berg im Sommer Grasskifahren angeboten. Im Gegensatz zur "Pista Barytina" ist es aber nicht bildlich dokumentiert.
Ende 2009 wurde laut Internet-Info in St. Andreasberg noch einmal laut über die
Reaktivierung des Sommerski-Angebots nachgedacht, in welcher Form auch immer. Konkretes hat sich hieraus aber nicht ergeben.
An dieser Stelle herzlichen Dank an Herrn Karsten Otto von der St. Andreasberger Alberti Lift GmbH für die Auskünfte zum Sommerskiangebot am Matthias-Schmidt-Berg!
Hier einige Impressionen vom damaligen Sommerski-Angebot in St. Andreasberg von alten Ansichtskarten und einem Prospektauszug. Hinter den Ansichtskarten-Previews sind wie immer große Scans in Auflösung 1700x1200 (wo technisch möglich) verlinkt, um Details zugänglich zu machen.
Prospektauszug ca. 1965. Das Sommerskiangebot wurde von St. Andreasberg offenbar wenig beworben, jedenfalls gibt es kaum entsprechende Dokumente dazu.
Sommerskihang St. Andreasberg ca. 1970 aus der Vogelperspektive. © Verlag Harzfoto Barke, Clausthal-Zellerfeld. Dies ist ein eher "jüngeres" Foto, zu erkennen an der bereits existierenden Sommerrodelbahn, deren Betonrinnen sich neben der Sommerskipiste herunterschlängeln, und der rechts daneben befindlichen Doppelsesselbahn mit den roten Stützen.
Sommerskihang St. Andreasberg vor 1965, © Verlag Foto Stille St. Andreasberg. Abgeleitet von den wenigen sichtbaren Fahrzeugen muss dies ein recht frühes Bild der Sommerskipiste sein.
Sommerskihang St. Andreasberg ca. 1965, hier in koloriert. © Verlag Cramers Kunstanstalt Dortmund.
Sommerskilauf in St. Andreasberg ca. 1965, © Verlag Foto Stille St. Andreasberg. Die Einzelbilder sind weiter unten noch einmal vergößert wiedergegeben.
Sommerskilauf in St. Andreasberg ca. 1965, © Harzbild-Verlag Werner Stille St. Andreasberg.
Sommerskilauf in St. Andreasberg 1973, © Harzbild-Verlag Werner Stille St. Andreasberg.
Sommerskipiste St. Andreasberg mit dem Einsessellift (von PHB?) 1965. © Verlag Foto Stille St. Andreasberg. Ob die Flutlichtanlage auch für Sommerski genutzt wurde, ist nicht überliefert. Man beachte die "eierige" Haltung der Skifahrer auf der Piste (verlinkten großen Scan bemühen!). Ganz so einfach kann das Fahren auf dem Barytkies nicht gewesen sein.
Sommerskipiste St. Andreasberg mit Einsessellift ca. 1965. © Verlag Foto Stille St. Andreasberg. Hier mit Skifahrern im Sessellift.
Sommerskifahrerin im St. Andreasberger Sessellift ca. 1965. © Verlag Foto Stille St. Andreasberg. Wenn das keine klassische 1960er-Jahre-Impression ist!
Man beachte neben der Dame mit Bubikopf-Frisur auch die massiven Witterungsschutz-Bleche über den Rollenbatterien, die schon auf den vorigen Bildern zu erkennen sind.
Sommerskipiste St. Andreasberg mit Einsessellift 1968. © Verlag Foto Stille St. Andreasberg. Hier haben die Skifahrer eine deutlich schwungvollere Haltung als auf dem Bild weiter oben. Offenbar musste man auf dem Barytkies deutlich in die Falllinie gehen, um so etwas wie Fahrgeschwindigkeit zu erzeugen.
Sommerskipiste in St. Andreasberg mit Einsessellift 1973, © Harzbild-Verlag Werner Stille St. Andreasberg. Wie die Farbfotografie die Impression aufwertet!
Und noch eines der ganz wenigen Farbfotos vom Andreasberger Sommerskihang, datiert 1975, als es das Sommerskiangebot wohl schon nicht mehr gab. © Harzbild-Verlag Werner Stille St. Andreasberg.
Nun wie oben angekündigt einige Vergrößerungen der Mehrbildkarten-Motive:
Startrampe der Sommerskipiste auf dem Andreasberger Matthias-Schmidt-Berg ca. 1965, © Verlag Foto Stille St. Andreasberg.. Für mich deutet sie darauf hin, dass Spaß am Sommerskifahren im Harz nur aufkam, wenn man die Barytkiespiste bereits mit Anlauf unter die Spezialski nahm.
Kein Kommentar nötig ...
Ca. 1965, © Verlag Foto Stille St. Andreasberg.
Slalom auf der Andreasberger "Pista Barytina" ca. 1965, © Verlag Foto Stille St. Andreasberg. Die Epoche der parallelen Skihaltung beginnt.
"Zielraum" der Sommerskipiste an der Talstation des Einsessellifts ca. 1965, © Verlag Foto Stille St. Andreasberg. Ein Blickfang für die wartenden Sommerbenutzer der Bahn.
Noch ein Slalomfoto vom Barytkieshang am Matthias-Schmidt-Berg ca. 1965, © Verlag Foto Stille St. Andreasberg.
Talstationsbereich des Andreasberger Einsessellifts ca. 1965, © Verlag Foto Stille St. Andreasberg.