Ich habe mich aus gegebenem Anlass in den letzten Tagen ein wenig mit Skihelmen auseinandergesetzt. Dabei bin ich auf verschiedene interessante Dinge gestoßen, die ich hier einmal kurz wiedergeben mag. Grundsätzlich geht es um folgende Frage: Was kann ein Skihelm - und was kann er nicht?
I. Sinn und Zweck von Helmen
Generell haben Helme in diesem und ähnlichen Anwendungsbereichen drei wesentliche Funktionen, die es zu unterscheiden gilt.
1. Stoßdämpfung
Dies ist eine ganz wesentliche Aufgabe von Helmen. Hierbei geht es nicht um äußere Verletzungen des Kopfes durch den Aufprall, sondern vielmehr um den Schutz des Gehirns vor inneren Verletzungen durch extreme Beschleunigungen (Verzögerungen). Die Grenze dessen, was als gerade noch akzeptabel (also nicht tödlich) gilt, wurde in grauer Vorzeit für den Bau von Motorradhelmen mal bei 400 G, später dann bei 300 G gesehen (Einwirkdauer jeweils im Bereich von 2 ms und weniger). Heute sind Verzögerungen unter 200 G solche, die als mit ausreichender Wahrscheinlichkeit überlebbar betrachtet werden, tendenziell wird man aufgrund der jüngeren medizinischen Untersuchungen wohl noch weiter runtergehen.
Anwendungsbereich ist der Aufprall mit Helm auf eine flache Oberfläche. In den Tests wird konsequenterweise ein Alukunstkopf mit integriertem Beschleunigungsmesser auf ein flaches Stahlstück fallen gelassen und dabei die maximal auftretende Beschleunigung gemessen. Die Dämpfung seitens des Helm erfolgt dabei nicht durch die äußere Helmschale, sondern durch die innen liegende Kunststoffschicht, die sich verformt.
2. Durchdringungsfestigkeit
Die äußere Helmschale wiederum schützt gegen Durchdringung, insbesondere von spitzen Gegenständen. Bei Skihelmen kann dies insbesondere in Zusammenhang mit Stahlkanten oder dem Aufprall auf Gegenstände eine Rolle spielen. Generell stellt sich hier eine Designfrage: eine hohe Durchdringungsfestigkeit setzt eine gewisse Steifigkeit der Helmschale voraus. Diese wiederum reduziert die Stoßdämpfung, da eine schnellere Verformung der äußeren Helmschale zu einer schnelleren Verformung der innen liegenden Kunststoffschicht führt, wodurch die Verformung insgesamt verlängert wird, was wiederum die auftretende Beschleunigung reduziert.
Da in den allermeisten Fällen bei Motorrad- wie bei Skihelmen die Stoßdämpfung die wesentliche Rolle hinsichtlich des Verletzungsgrades spielt (dies ist eine Konsequenz typischer Unfallszenarien), sind grundsätzlich Helme, die weniger Steif sind, vorzugswürdig. Aus diesem Grund sieht die Norm ECE 22-05 (Motorradhelme) auch tendenziell weichere Helme mit besserer Stoßdämpfung vor, anstatt sehr steife Helme zu begünstigen, wie es beispielsweise der amerikanische SNELL Standard tut. Bei entsprechenden Tests haben sogar Motorradhelme mit Plastikschale insgesamt deutlich besser abgeschnitten als solche aus Fiberglas oder gar Kevlar.
Der Schluss, dass solche (teuren) Helme besser seien, ist also trügerisch: lediglich bei extrem hohen Aufprallenergien, wie sie nur bei einem Bruchteil von Motorradunfällen vorkommen (<5 % ist mir in Erinnerung) kann es sein, dass die Plastikschale eventuell nicht mehr hält, was aber in den Tests nicht vorkam. Bei derart krassen Unfällen sind aber üblicherweise die sonstigen Verletzungen bereits tödlich. Zudem kommen sie wohl auf der Piste noch seltener vor.
Erste interessante Erkenntnis: Der günstige Helm mit der Plastikschale ist zumindest bei Motorradhelmen beim Großteil aller Unfallszenarien nicht nur nicht schlechter, sondern mitunter wesentlich besser! Auf Skihelme dürfte das Ergebnis zu übertragen sein, da die Unfallszenarien sehr ähnlich sind (Sturz und Aufprall auf eine harte, glatte Fläche bei hohen Geschwindigkeit).
Die gesamte Untersuchung mit interessanten technischen Details über Baukonzepte von Helmen und ihre Effektivität:
http://www.motorcyclistonline.com/gearb ... index.html
3. Schutz vor sonstigen Verletzungen
Schließlich schützen Helme auch vor sonstigen Verletzungen wie Schürfwunden, dies ist im Allgemeinen unkritisch, da hieran keine besonderen technischen Voraussetzungen zu stellen sind, außer, dass der Helm auf dem Kopf bleibt, was im allgemeinen wohl bei den heutigen Bauweisen der Fall ist. Hinsichtlich von Skihelmen ist allerdings zu bedenken, dass diese meist nur bestimmte Bereiche des Kopfes und insbesondere das Gesicht nicht oder nicht vollständig schützen.
II. Sicherheitsgewinn im Skisport
1. Allgemeines
Bisher konnte ein Sicherheitsgewinn durch Helme im Skisport nicht endgültig wissenschaftlich nach gewiesen werden ( Report des Bfu (Schweizer Beratungsstelle für Unfallverhütung):
http://www.bfu.ch/PDFLib/820_74.pdf ), er gilt aber unter Experten als sehr wahrscheinlich. Gleichermaßen konnte bisher nicht nachgewiesen werden, dass Helme die Verletzungsgefahr erhöhen. Dieser zunächst paradox anmutende Effekt ist bekannt aus dem Anwendungsfeld schwerer Helme (Militärhelme mit Zusatzausstattungen z.B.), wo durch das Zusatzgewicht auf dem Kopf bei starken Beschleunigungen (Aufprall) Nackenverletzungen auftreten können. Aufgrund des geringen Gewichts von Skihelmen gilt eine solche Gefahr unter Experten allerdings als unwahrscheinlich, der Effekt tritt wohl erst bei Helmgewichten deutlich über 1 kg auf (insb. ab 1,5 kg) [BfU Report]. Die Annahme, die Risikofreude steige durch das Helmtragen, ließ sich bisher empirisch nicht belegen [BfU Report].
2. Technische Standards für Helme und ihre Bedeutung in der Praxis
Skihelme unterliegen der Norm EN 1077 hinsichtlich des europäischen Binnenmarktes sowie der Schweiz. Daneben existiert die Norm ASTM F2040-02 (2002) für den amerikanischen Markt. In Bezug auf Stoßdämpfung und Durchstoßfestigkeit werden dabei folgende Tests durchgeführt.
a) Stoßdämpfung
Zur Überprüfung der Stoßdämpfung wird der Helm mit einem Alukunstkopf auf einen flachen Stahlamboss fallen gelassen. Nach der europäischen Norm darf dabei bei einer Auftreffgeschwindigkeit von 5,42 m/s eine Beschleunigung von 250 G nicht überschritten werden.
Hierbei fallen zwei Dinge auf: erstens ist die Grenze von 250 G schon in einem Bereich, der grundsätzlich als kritisch angesehen wird. Moderne Helikopterhelme beispielsweise weisen beispielsweise Grenzwerte von weit unter 200 G bei deutlich höheren Aufprallgeschwindigkeiten auf.
Zweitens ist die Aufprallgeschwindigkeit von etwa 20 km/h extrem gering gewählt. Tatsächlich mögen entsprechende Helme guten Schutz bieten beim Sturz auf die harte Piste an sich oder auch bei Überschlagung. Rutscht der gestürzte Schifahrer dann aber gegen ein Hindernis, so wird dies üblicherweise mit deutlich höherer Geschwindigkeit passieren (typisch sind 40 - 70 km/h, bei sportlicher fahrweise auch 100 km/h und mehr). Erst recht bei einem direkten Zusammenstoß mit einem Hindernis aus voller Fahrt kann ein Skihelm keinen ausreichenden Schutz bieten! Insbesondere das Fahren oder Rutschen gegen Bäume, Felsen oder ungesicherte Liftstützen und ähnliches ist also mit Helm immer noch extrem gefährlich. Für Motorradhelme gelten bspw. viel strengere Grenzwerte. Die niedrige Grenze für Skihelme bot auch immer wieder Anlass zur Kritik.
Während nach deutscher Norm Energien von ca. 50 - 90 J im Test auftreten, werden nach amerikanischer Norm Energien von 235 J frei gesetzt. Die Grenze der auftretenden Verzögerung ist für Skihelme dabei mit 300 G zwar auch höher angesetzt, dennoch dürften Helme nach amerikanischem Standard einen besseren Schutz bieten.
b) Durchstoßfestigkeit
Wirklich kritisch ist bei Skihelmen aber die Durchstoßfestigkeit. Aufgrund des Wunsches der Schifahrer, kleine und leichte, vor allem aber gut belüftete Helme zu tragen, ist die Durchstoßfestigkeit dieser sehr begrenzt. Nach amerikanischer Norm ist ein derartiger Test überhaupt nicht vorgeschrieben, nach europäischer Norm wurde bisher ein spitzes Fallgewicht von 3 kg aus 75 cm Höhe auf den Helm fallen gelassen. Dies ist extrem wenig. Motorradhelme werden nach der SNELL Norm beispielsweise mit 3 kg bei 3m Fallhöhe getestet. Für Skihelme wurde die Testhöhe zudem nunmehr auf 50 cm reduziert, um so dem Problem aus dem Weg zu gehen, dass amerikanische Helme bessere Belüftungsmöglichkeiten bieten, da hier die Durchstoßfestigkeit nicht für die Zulassung getestet werden muss. Die Durchstoßfestigkeit ist damit für Geschwindigkeiten bis nur etwa 12 km/h (!) gewährleistet. Wer mit höherer Geschwindigkeit auf einen spitzen Gegenstand – möglicherweise auch eine Stahlkante eines Ski – prallt, ist damit einem hohen Verletzungsrisiko ausgesetzt!
III. Fazit
Skihelme stellen sicherlich einen Sicherheitsgewinn dar. Ohne Zweifel schützen sie in den bedeckten Bereichen des Kopfes vor einfachen Verletzungen, insbesondere Schürfwunden. In bestimmten Umfang ist auch der Schutz des Gehirns bei Stößen gewährleistet, nämlich dann, wenn der Kopf auf die harte Piste aufgrund eines Sturzes oder beim Überschlagen aufschlägt. Kollisionsverletzungen können Skihelme allerdings nur bei sehr geringen Geschwindigkeiten effektiv vermeiden. Oberhalb von 20 km/h besteht insbesondere beim Aufprall auf feste Hindernisse eine beachtliche Verletzungsgefahr. Sind diese zudem spitz geformt, bieten Skihelme bauartbedingt nur einen sehr geringen Schutz. Inwiefern die Gefahr von Halsverletzungen durch Skihelme erhöht wird, ist noch nicht geklärt, auch wenn es derzeit nicht so aussieht, als bestehe ein solches Gefahrenpotential. Letztlich ist der Schutz mit Skihelm ohne Zweifel höher als ohne. Dennoch sollte sich der Skifahrer keinen falschen Illusionen hingeben: wer auch nur mit mittleren Geschwindigkeiten auf ein Hindernis prallt – seien es nun Felsen, Bäume, Liftstützen, sonstige Infrastruktur oder auch die Stahlkanten anderer Ski – muss auch mit Helm mit erheblichen Verletzungen rechnen!