Wie war das noch zu Zeiten des alten Roms? Die Auswahl an Pässen war nicht groß, winterfest im heutigen Sinne war kein einziger. Später dann kamen die ersten Straßen über die Alpen, damals noch für Fuhrwerke, dann die Bahnen mit ihren langen Tunneln - man denke nur an die Meisterleistungen Lötschberg- und Simplontunnel. Schließlich die Autotunnel durch den Alpenhauptkamm und heute die Basistunnel.
All diese Projekte waren Ergebnisse mehr oder weniger aufwendiger Planungen, die sich oft über Jahrzehnte hinwegzogen, Derartige Planungen erfordern denken in großen Zeiträumen. Bekannte Beispiele sind die U-Bahnbauten der Großstädte, wo bereits zu Beginn ganze Netze geplant werden müssen, auch wenn einige Bauabschnitte erst Jahrzehnte später realisiert werden können. Oft erfordern diese Planungen dann auch Vorsorgemaßnahmen für spätere Linien, die sich nachträglich nicht mehr oder nur noch mit großen Aufwand realisieren ließen. So wurden in Hannover beispielsweise mit den ersten Bauabschnitten bereits Kreuzungsstationen mit bis zu drei zum Betriebsbeginn brach liegenden weiteren Untergeschossen gebaut, die erst in den folgen Jahrzehnten an das Netz angeschlossen und ausgebaut werden konnten. In manchen Fällen sind diese Planungen so langfristig, dass sich eine veränderte städtebauliche Realität mit der ursprünglichen Planung nicht mehr vereinbaren lässt. Dann liegen solche Vorsorgemaßnahmen für immer brach. In Hannover existieren zwei solcher "Geisterstationen" - U-Bahnstation im Rohbau, durch die niemals Züge verkehren werden.
Doch - und wer hätte das gedacht - auch bei den großen Alpentunneln exisiteren solche Geistertunnel. Eines der wichtigtisten Verkehrsprojekte der Schweiz war in den 60er Jahren der Furkabasistunnel. Dieser Tunnel war seit Beginn der Planungen ein höchst umstrittenes Projekt. Maßgebliche treibende Kraft hinter diesem Projekt war Alt-Bundesrat Roger Bovin. Aufgrund der endlosen politischen Querelen dauerte es bis weit in die 70er Jahre, bis der Tunnelbau beginnen konnte. Erst in den 80er Jahren - Bovin war mittlerweile verstorben - wurde der Tunnel dem Verkehr übergeben.
Für große Verwunderung sorgte die Tatsache - so erinnert sich Alt-Nationalrat Hans Oester -, dass Furkabasistunnel nicht etwa wie erwartet in gerader Linie die beiden Portal verband, sondern einen großen Bogen nach Süden machte. Tatsächlich musste auch zweimal ein weiterer Kredit bewilligt werden, die Baukosten stiegen auf das viereinhalbfache der ursprünglichen Veranschlagung. Offiziell waren es große geologische Probleme, die eine derartige Verlegung der Trasse nötig gemacht hätten. Inoffiziell existert eine zweite Begründung, die zwar abenteuerlich erscheint, die aber möglicherweise neben vielleicht tatsächlich existierenden geologischen Besonderheiten, Grund für diese sehr ungewöhnliche Trassenführung sein könnte.
Roger Bovin hatte sich von Anfang an sehr großer Kritik am gesamten Tunnelprojekt entgegenzusetzten. Es gab um die gesamte Planung eine jahrzehnte lange politische Schlammschlacht. Sein Traum sah urprünglich nicht nur eine Verbindung des Wallis mit Uri vor, sondern vielmehr das sog. Schmalspurkreuz. Dies wäre eine sternförmige Tunnelstreck gewesen, die neben Wallis und Uri auch das Tessin angebunden hätte und im Bedrettotal unterhalb des Nufenenpasses geendet wäre. Dieser letzte Teil der Planung sah sich aber so starkem politischen Gegenwind ausgesetzt, dass Bovin ihn schließlich aufgab.
Stattdessen wurde der Furka-Basis Tunnel in der bekannten Form gebaut, mit dem starken Bogen nach Süden in Richtung Tessin. Soweit ist an der Geschichte noch nicht so viel ungewöhnliches, Wesentlich weniger bekannt is allerdings die Tatsache, dass der dritte Tunnel - der Stollen ins Tessin - tatsächlich gebaut wurde. Mitten im Herzen der Berge in der tiefsten Stelle des Furkatunnels zweigt ein kilometer langer Stollen nach Süden ab - das sog. Bedrettofenster. Der Tunnel diente offiziell dem Abstransport des Aushubes, liegt aber mit seinem Portal kaum dichter an der Abzweigung, als die beiden Portale des Furkabasistunnels. Der Ausbauzustand dieses Tunnels entspricht allerdings nicht dem des Eisenbahntunnels, insbesondere ist sein Querschnitt geringer. Nichtsdestotrotz sagte Alt-Nationalrat Oester der SZ:
Zitat:
"Stutzig wurden wir, als wir realisierten, dass der Tunnel nicht gerade war, sondern einen Bogen gegen Süden machte», erinnert sich alt Nationalrat Hans Oester (EVP, ZH). Er war Mitglied der parlamentarischen Kommission, die sich mit dem Furkaprojekt befasste. Gewisse Leute hätten den Tunnel möglichst nahe zum Tessin bauen wollen, um den Durchstich doch zu erstellen. Was denn auch geschah. Man schob «bautechnische Gründe» vor: Der Aushub aus der Mitte des Tunnels wurde im Bedretto-Tal entsorgt."
So kam Bovin also letztendlich doch noch zu seinem Tunnel ins Tessin - nur wurde das Projekt niemals völlig fertiggestellt. Mit dem Tod Bovins fehlte die treibende Kraft, Gelder waren nach dem ohnehin viel zu teuren Bau des Basistunnels ebenfalls keine mehr verfügbar.
So liegt der alte Tunnel ins Bedrettotal bis heute unangetastet brach. Alle paar flammt die alte Diskussion noch einmal auf, Pläne werden geschmiedet, insbesondere das arme und kaum noch bevölkerte Bedrettotal ist an einem Ausbau der Strecke interessiert. Nichtsdestotrotz ist das Projekt auf nationaler Ebene abgeschrieben. So lawinengefährdet ist das Tal, so teuer wäre der Ausbau, dass eine Realisierung nicht lohnenswert erscheint.
So liegt seit Jahrzehnten, beinahe völlig vergessen, ein letzter Tunnel unter dem Alpenhauptkamm, der wohl niemals eröffnet werden wird.