Ich habe dieser Tage einen Artikel zum Notweg im Pitztal bekommen, der der Zeitschrift "Alpinwelt" des DAV (?) entstammt und von Angela Knill verfasst wurde. Ich will den Inhalt hier im wesentlichen zusammenfassen.
Ende Juli 2007 fuhr eine Delegation der Arbeitsgemeinschaft alpiner Umweltschutz Sektion Oberland (AGUSSO) in das obere Pitztal, um dort im Griestal unterhalb des Mittelbergferners den sog. Notweg zu begehn und zu begutachten, der seit 2005 im Bau bzw. Ausbau ist und der Notentleerung des ansonsten nur durch eine Tunnelstandseilbahn erreichbaren Schigebiets "Pitztaler Gletscher" dienen soll. Der Notweg war in der Vergangenheit wiederholt Ursache scharfer öffentlicher Kontroversen, zum einen, weil (möglicherweise?) beim Bau bestimmte Rechtsverletzungen begangen worden sein sollen (so soll gegen den gesetzlich verbürgten Moränenschutz verstoßen sein), jedenfalls der Bau zumindest einmal polizeilich gestoppt wurde. Zum anderen scheint dieses Projekt - trotz seines geringen Umfangen relativ zu den heute sonst allgemein üblichen und erstaunlicherweise stillschweigend tolerierten Landschaftseingriffen beim Pistenbau - zum Schauplatz eines Stellvertreterkrieges der Umweltschutzverbände gegen die Schitourismusindustrie geworden zu sein. Grund mag die vormalige besondere Unberührtheit und die außergewöhnliche Schönheit des Griestales sowie die sehr hochalpine Landschaft sein, das Ausmaß des Bauprojektes jedenfalls kommt aufgrund seines geringen Umfanges an Eingriffen eigentlich nicht in Betracht. Der Notweg führt vom unteren Ende des Gletscherschigebiets über den Mittelbergferner und dessen Zunge in das Griestal und endet (wohl) in etwa bei der Talstation der Materialseilbahn zur Braunschweiger Hütte.
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Zusammenfassung:
Die Autorin beschreibt insbesondere den mittleren Abschnitt als "brutalsten Eingriff in das Landschaftsbild" und bezieht sich hierbei auf ein neu angelegtes Serpentinenstück zur Passage einer Steilstufe sowie eine laut ihrer Aussage etwa zehn Meter breite, in den Felsgesprengte Passage als Durchstich. Auch die Tauglichkeit des Notweges wird seitens der Autorin bezweifelt: er sei sehr steil, die Begehbarkeit sei in vereistem Zustand mit Schischuhen (als Extremfall - Anm. des Berichterstatters) zweifelhaft. Im unteren Abschnitt sei der Notweg zudem "hochgradig steinschlag-, muren- und lawinengefährdet" und daher untauglich.
Kritsch vermerkt werden der entstehende Baulärm, daneben wird der Trasse eine mangelnde Orientierung an den extremen Einflüssen des Hochgebirges zugunsten einer Kostenminimierung attestiert. Rechtsbrüche sieht die Autorin weiterhin in der nach ihrer Ansicht vorgenommenen Durchbrechung zweier Moränen aus dem 19. und frühen 20. Jahundert, die zumindest zwischenzeitlich rechtswidrig gewesen, mittlerweile durch eine kaum nach Verabschiedung des Gesetzes zum Moränenschutz jedoch bereits wieder vorgenommene Lockerung des Schutzes überholt seien. Laut geologischem Gutachten der Pitztaler Gletscherbahn soll es sich allerdings hierbei ohnehin nicht um Moränen gehandelt haben.
Die Autorin kommt zu dem Ergebnis, der Notweg sei als solcher ungeeignet, aber nach ihrer Ansicht auch nur vorgeschobenes Projekt in Zusammenhang mit den großen Projekten der Erschließung des linken Fernkogels durch eine Seilbahn einerseits und der Verbindung mit dem Gletscherschigebiet von Sölden andererseits. Sie stellt fest, dass nach ihrer Ansicht der Bau eines zweiten Stollens oder einer Seilbahn landschaftsschonender und zweckmäßiger gewesen wäre.
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Hintergrundinformationen:
Um den Bau des Notweges wird seit längerem auch juristisch gestritten. Zunächst hätte der Ausbau der Liftanlagen am Gletscher wohl als baubehördliche Auflage einen Verbesserung der Evakuierungsmöglichkeiten erfordert. Seitens der Pitztaler Gletscherbahn - die wohl schon seit längerem aus nachvollziehbaren Gründen den Bau einer Talabfahrt anstrebt - wurde die Notwegvariante wohl favorisiert. Der Notweg wurde vom Land in zwei Abschnitten genehmigt, durch dieses Vorgehen wurde eine Umweltverträglichkeitsprüfung unnötig. Dagegen ging der Landesumweltanwalt vor, laut dem Artikel soll er beim Umweltsenat in Wien in Berufung gegangen sein, wobei mir die genaue Bedeutung dessen - möglicherweise mangels genauerer Kenntnisse des österreichischen Rechtssystems - verschlossen bleibt. Berufungen sind eigentlich Verfahren in zweiter Instanz, dies scheint mir hier aber nicht gemeint zu sein. Jedenfalls war dieses Vorgehen soweit erfolgreich, die Pitztaler Gletscherbahn hat jetzt laut dem Artikel Verfahren vor österr. Verwaltungsgerichtshof und dem Verfassungsgerichtshof angestrengt (wieso das gleichzeitig geht, fände ich auch interessant zu wissen!). Bis zur endgültigen Klärung ist wohl die Nutzung des Wegs untersagt worden.
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Stellungnahme:
Die Aufregung um den Notweg der Pitztalergletscherbahn erscheint mehr als erstaunlich. Tatsächlich handelt es sich im gesamt oberen Bereich um eine - noch dazu sehr schmale - Abfahrt, die ausschließlich durch das Verfüllen von Gletscherspalten mit Schnee hergestellt wurde. Eine solcher "Pistenbau" - wenn dieses Wort angesicht der eigentlich fehlenden Baumaßnahmen überhaupt zutreffend sein sollte - dürfte wohl so ziemlich die mit Abstand geringst mögliche Maßnahme zur Befahrmachung von Gelände mit Schi sein, die überhaupt nur denkbar ist. Sie ist quasi kaum sichtbar, absolut reversibel und erfordert in diesem Sinne keine "Künstlichen" Eingriffe in das Gelände im Sinne von Stützmauern, Sprengungen, Drainagen und ähnlichem. Interessanterweise ist aber gerade dieser Bauabschnitt am härtesten umstritten gewesen.
Was den unteren Teil angeht, so ist dieser - auch und gerade in Anbetracht der im Artikel veröffentlichten Photos - die wohl mit am wenigsten Aufwand und am meisten Rücksicht auf die Landschaft realisierten Pistenbaumaßnahme, die mir trotz gewissen Interesses an der Thematik je untergekommen ist. Der Weg hat eine minimale Breite und kommt ohne größere Baumaßnahmen wie Brücken oder Stützmauern aus. Seine Trassierung folgt auf intelligente Weise dem Gelände - soweit dies auf den Bildern zu beurteilen ist. Insgesamt macht er den Eindruck eines typischen Wirtschaftsweges, wie es sie in Tirol - auch im Hochgebirge - zu tausenden gibt. Warum gerade dieser hier so viel Aufsehen erregt, erscheint rational kaum nachvollziehbar!
Insbesondere ist traurig, dass - wenn es doch schon Gruppen und Fürsprecher gibt, die sich richtigerweise um den Landschaftsschutz in den Alpen sorgen - sich diese ausgerechnet dieses harmlose Projekt für einen Frontalangriff aussuchen. Anderswo werden Berge auf vielen Kilometern Länge und Breiten von hundert Meter aufs äußerste planiert, gesprengt und umgeformt - Eingriffe die noch in hundert Jahren - wenn hier vielleicht kein Schnee mehr fällt - deutlich sichtbar sein werden und zwar bereits aus vielen Kilometern Distanz. Solche massiven Eingriffe in die Landschaft, die dicht an dicht in den großen Schigebieten Tirols zu finden sind und einen gesamt Berg völlig verunstalten können, geschehen dort einzig zur Optimierung des Gewinns durch möglichts frühe Öffnung des Schigebietes mittels Beschneiung (dies setzt zumindest teils derart modifizierte Hänge voraus), niemals jedoch aus Sicherheitsgründen. Der Notweg im Pitztal hingegen ist ein daran gemessen lächerlich geringer Eingriff, der nicht mal in der Bauphase optisch stark auffällt und in einige Jahren wohl kaum noch einen Wanderer beschäftigt. Zudem dient - zumindest auch - einem ohne Zweifel berechtigtem Sicherheitsinteresse. Ob der Bau einer Seilbahn über den exponierten Grat landschaftlich schonender gewesen wäre erscheint mehr als stark zweifelhaft. Ob der Bau einer zweiten Röhre gleichermaßen effektiv die Evakuierbarkeit hätte herstellen können zumindest fraglich - zumal der Aufwand hierfür nicht zuletzt finanzieller Natur enorm gewesen wäre.
Alles in allem scheint die Kritik an dem Notweg in ihrer Heftigkeit völlig überzogen und vor allem hinsichtlich der sonst gedulteten Verunstaltungen der Alpen hier völlig fehl am Platz. Derart wird nicht nur das ohne Zweifel legitime Interesse am Landschaftsschutz diskreditiert, es wird vor allem weiterhin schweigend dabei zugesehen, wie nur wenige Kilometer weiter in Schigebieten wie Sölden oder Serfaus Flughafen-Startbahn-breite Pistenautobahnen völlig ohne Beachtung der natürlichen landschaftlichen Begebenheiten in die Hochgebirgsbergwelt gesprengt werden, um eine maximale Pistenauslastung zu erzielen. Ob dies verhältnismäßig ist und zudem durch diese Doppelmoral irgendjemandem geholfen wird, erscheint unwahrscheinlich.
C. M. Hawellek
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