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Alpen: I fahr' todsicher nimmer nei
Die deutschen Alpen, weithin Inbegriff einer gesunden Umwelt, sind bedroht -- von den Folgen des Massentourismus, von Zersiedlung und Landschaftszerstörung. Mancherorts sinken die Übernachtungsziffern. "Erst geht die Kuh", spottet Umwelt-Kritiker Horst Stern, "dann geht der Gast -- wen soll man da noch melken?"
Samstags um acht Uhr in der Früh schnallte der Münchner Maschinenbauer Hans Thunig, 34, die Skier auf seinen, gelben BMW 2002 und machte sich auf den Weg zum Wendelstein. Den Berg bei Bayrischzell, nur 65 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, erreichte der Wintersportler gegen halb elf -- nachdem er drei Verkehrsstaus auf zeitraubenden Schleichwegen umfahren hatte.
Eine Dreiviertelstunde verstrich dann noch beim Schlangestehen an der Osterhofener Kabinenbahn: "Da ham alle sauber g"flucht." Aus der schneidigen Abfahrt auf g"führigem Schnee wurde auch nichts Gescheites: "Die Piste war g"steckt voll, mir san mehr g"standen wie g'fahren."
Wie am Wendelstein (1838 Meter) wandelt sich Wintersport, von Massen betrieben, in Deutschlands Alpen allenthalben zum Alptraum: "Die Situation im Freizeit-Skisport", meldete der Deutsche Skiverband (DSV) Anfang dieses Monats aus den Bergen, "ist mehr als kritisch: Wochenende für Wochenende überfüllte Pisten, Aggressionen fördernde Liftschlangen, kilometerlange Autokarawanen." Skiläufer Thunig hat den Rummel bereits satt: "Am Samstag oder Sonntag fahr" i todsicher nimmer nei."
Verdruß statt Vergnügen droht in den Bergen vom Bodensee bis Berchtesgaden freilich nicht nur im Winter, wenn es schneit. Auch in der Sommersaison "77 könnte sich im deutschen Teil des größten binneneuropäischen Urlaubsgebietes bestätigen, was sich in Rimini wie an der Costa del Sol und der Ostseeküste bereits bewahrheitet hat: daß, wo immer mehr Erholung suchen, am Ende immer weniger Erholung finden.
Noch zwar erscheint Bayerns Gebirge Millionen von Bundesbürgern als Idylle voller Enzian und Edelweiß, Almenrausch und Alpenglühen. Und obschon das Land um Watzmann und Zugspitze, Tegernsee und Winklmoosalm gerade 2,7 Prozent der Bonner Republik ausmacht, rührt keine Gegend so ans deutsche Gemüt wie diese: Wo der Wildbach rauscht und der Förster im Silberwald pirscht -- dort wähnen die Bürger die Natur noch in Ordnung.
Ob die Alpen jedoch mit Recht noch immer weithin als "Inbegriff einer gesunden Umwelt" (Bayerns Umweltminister Max Streibl) gelten, wird seit Jahren schon bezweifelt -- überwiegend allerdings von naturschutzbeflissenen Einzelgängern, die kaum Resonanz fanden, wenn sie, wie in einem 1972 erschienenen Traktat, einen "Zusammenbruch der Berggebiete" ankündigten.
Neuerdings aber hallt den stillen Mahnern ein lautes Echo entgegen: Der Deutsche Alpenverein (DAV), der nach eigenem Eingeständnis jahrelang "überwiegend Vorkämpfer für den Fremdenverkehr" war, geht nun auf Gegenkurs; er will sich mit seinen 300 000 Mitgliedern gegen "zivilisatorische Eingriffe aller Art" stemmen.
"Der Alpenraum", heißt es in dem jüngst vorgelegten Entwurf eines neuen DAV-Grundsatzprogramms. sei "in seiner Substanz bedroht" -- so arg, daß nicht nur "das natürliche Gleichgewicht" des alpinen Lebenshaushalts gefährdet sei, sondern auch die "Existenzgrundlage für die einheimische Bevölkerung". Jahrhundertelang, kommentiert ein Mitautor, seien die Alpen immer nur erschlossen worden -- nun müßten sie eigentlich verschlossen werden".
Denn wo bergferne Bundesbürger eine Landschaft von "weitgehender Unberührtheit" (Minister Streibl) erwarten,
* haben die Begleit- und Folgeerscheinungen des Tourismus begonnen, selbst entlegene Regionen zu denaturieren,
* läßt die "Verrummelung" in einzelnen Urlaubsorten die Übernachtungszahlen sinken,
* wächst stetig die Zahl der Tier- und Pflanzenarten. die vom Aussterben bedroht sind.
* können menschliche Eingriffe in den alpinen Wasserhaushalt Naturkatastrophen auslösen,
* werden immer mehr Täler und Höhen zersiedelt; Planer fürchten, daß die betonierten Bereiche zu einer einzigen multinationalen "Alpinopolis" zusammenwachsen, die von Oberbayern bis Oberitalien reicht.
Seit Jahren schon brummt in den großen Alpentälern an Rhein und Rhone. Etsch und Inn -- so Walter Danz, Leiter des Münchner Alpeninstituts für Umweltforschung -- ein "Bauboom ohnegleichen": Wo sich einst schindelgedeckte Gehöfte an satte Matten schmiegten, wachsen Hochhäuser und Hochspannungsmasten empor, rattern Betonmischer, entstehen Tankstellen und Diskotheken, Curling-Bahnen und Kuhstallbars -- für Jost Krippendorf, Direktor des Berner Forschungsinstituts für Fremdenverkehr, Instrumentarium einer "touristischen Selbstmordgesellschaft".
Überall in den Alpen -- dem ohnehin besterschlossenen Hochgebirge der Erde -- verdichtet sich der Raster von Autobahnen, Staats- und Gemeindestraßen. Auf Forst-Trassen (allein in Bayern 1700 Kilometer) und Almwirtschaftswegen dringt der Tourismus bis in den letzten Herrgottswinkel.
Seilbahnen und Skilifte schleppen täglich Zehntausende in Zonen des ewigen Eises, wo zuweilen Raupenfahrzeuge für Gletscherausflüge bereitstehen. In den Zentralalpen fliegen Hubschrauber und Sportmaschinen Hochplateaus an, die einst nur dem Steinwild zugänglich waren; schon jetzt gibt es in der Schweiz mehr Landeplätze als Adlerhorste.
Auf vielen Gipfeln und Uraten, in Rinnen und Karen bietet sich, klagt der Alpenverein, "ein trostloses Bild des Drecks": Statt Akelei und Arnika grüßen Bier- und Cola-Dosen. Hoch droben im Gletschereis des Kitzsteinhorns, 3204 Meter über dem Meeresspiegel. machten Geologen noch Zivilisationsrückstände aus: eine millimeterdicke Schicht aus Schmutz und Sonnencreme.
Selbst die bizarre Skyline des Hochgebirges scheint gegen massive Manipulation nicht mehr gefeit. Zwar scheiterte vor zwei Jahren ein Plan, die Zugspitze (2963 Meter) mit einem knapp 40 Meter hohen künstlichen Höcker zu versehen; Deutschland, so lautete die Begründung, müsse -- sacklzement no amoi -- endlich einen Dreitausender haben.
"Zustände, von denen man sich eigentlich erholen müßte."
Doch im Berner Oberland gedeiht nun ein noch verwegeneres Vorhaben zur Realität: Auf dem 3454 Meter hohen Jungfraujoch soll bis 1983 ein sechsstöckiges, drehbares Gratrestaurant in Gestalt eines Riesen-Bergkristalls entstehen. Drinnen werden 720 Besucher bei Kaffee und Kuchen durch getöntes Glas bis zum Schwarzwald lugen können.
"Spinnt man", entsetzt sich der Schweizer Naturschützer Hans Weiß, "den Gedanken des Bergkristalls weiter, so wären eine fünfzig Meter hohe Weintraube aus Plastik am Genfer See oder ein zwanziggeschossiger Käse im Emmental wohl das nächste." Weiß sieht die Berge "der Kitschwelt von Walt Disneys Wunderland um einen großen Schritt" näherkommen.
In den französischen Alpen, weitab von jedem Dorf, läßt derweil die Pariser Regierung im Rahmen ihres "Plan neige" (Unternehmen Schnee) Wälder abholzen, Felsen sprengen und Berge einebnen: Bis 1980 sollen in gigantischen, fünfzehngeschossigen Hotelburgen 500 000 Skitouristen Platz finden. "Wohin führt das?" fragt ahnungsvoll ein Sprecher des französischen Alpenklubs, "zu Pizzabuden auf dem Montblanc?"
Obschon derlei Mammutprojekte im deutschen Abschnitt der Alpen bislang nicht anstehen -- Bayerns Bergwelt ist durch den Tourismus ungleich stärker belastet als alle anderen Teile dieses Gebietes zwischen dem Wienerwald und dem Golf von Genua.
Denn "die Kapitalien und die Erholungsuchenden quellen", sagt Direktor Danz vom Alpeninstitut, "vor allem von Norden her aus den Verdichtungsgebieten in die Alpen hinein". Und: Am Südrand der Bundesrepublik überlagern sich wie kaum irgendwo sonst die Ströme der Langzeiturlauber und der Wochenendausflügler -- vor allem aus dem Ballungsraum München.
In den intensiv genutzten Tälern der Nordalpen kommen sich schon heute
* Zeitgenössische Darstellung: aus der Gartenlaube".
zuweilen bis zu 1300 Lufthungrige auf einem Quadratkilometer in die Quere
eine Zusammenballung, wie sie in keinem hochindustrialisierten Land der Erde zu finden ist (Durchschnittswert für die Bundesrepublik: 236 Menschen pro Quadratkilometer, Holland: 332).
In den Straßen von Alpen- und Voralpenstädten wie Bad Tölz oder Rosenheim wabert Kohlenmonoxyd manchmal in Mengen, wie sie selbst in Essen nur selten überschritten werden -- laut Danz "Zustände, von denen man sich eigentlich erholen müßte".
Ersatz für die verlorene Ursprünglichkeit versuchen Dutzende von Fremdenverkehrsgemeinden mit bajuwarischen Belustigungsprogrammen zu bieten: Zug um Zug werden die Pauschal-Touristen am Bahnsteig mit Blasmusik und Obstler eingestimmt; Tag für Tag laden Rummelplätze wie Ruhpolding zu "Heimatabenden" mit Wettsägen und Watschntanz, Alphornblasen und Fingerhakeln. Und wer will, darf, holladrio, über den krachledernen Gaudiburschen den Taktstock schwingen.
"Die Einheimischen", bedauert Alpenkundler Danz, "stehen Kopf und wackeln mit Füßen, nur weil die Gäste ihren Obolus entrichten." Wenn das Brauchtum weiterhin derart "pervertiert" werde, sei "das kulturelle Potential des Alpenraums in absehbarer Zeit kaputt".
Wer echtes Almvieh oder wilde Alpenveilchen sehen will, muß oft erst einen kilometerbreiten Ring dorffremder Randsiedlungen durchwandern, in dem die rustikal maskierten, konfektionierten "Jodlerhäuser" (Architekten-Jargon) vorherrschen. Wer den seltenen stengellosen Enzian sucht, findet die Blume vielerorts nur mehr am Souvenir-Shop neben der Zwiebelturmkirche -- auf handbemalten Eierbechern.
Und selbst "kristallklare Bächlein" führen, wie die Münchner Gewässerkundlerin Maria Rauscher im Fachblatt "Alpine Umwelt" analysiert hat, "bereits hinter dem ersten der vielen Einzelhöfe kein trinkbares Wasser mehr". Dafür wird auf mancher Bergwiese, neben dem Park- oder Campingplatz, am mobilen Limo-Standl der süßsäuerliche "Almdudler" gereicht.
"Viele Alpentäler", resümiert der Deutsche Alpenverein, "haben inzwischen Siedlungsdichten, Verkehrsdichten, Lärmbelastungen, Luftverschmutzungen, Gewässerbelastungen, Bodenpreise, Mietpreise" Verluste an Bau- und Landschaftsgestalt" Infrastrukturnöte und einen Überfremdungsgrad erreicht, die den großen Verdichtungsräumen wie zum Beispiel Mailand, Zürich, Frankfurt, Stuttgart oder München kaum nachstehen."
Kein Wunder, daß sich mancherorts der Gast mit Grausen wendet -- etwa in Garmisch-Partenkirchen, um die Jahrhundertwende noch idyllische Winter- und Sommerfrische, heute Gastronomie-Gigant mit weit über einer Million Übernachtungen, einer Spielbank, einem Kongreßzentrum mit 2000 Plätzen und einem Eisstadion mit 10 000 Plätzen. Der Ort gilt Tourismusfachleuten als Musterbeispiel einer Kommune, mit deren Verstädterung die Gefahr eines künftigen "Ruins" gewachsen ist, wie der Münchner Alpen-Autor und Werkbund-Leiter Hans Wichmann schreibt.
Deutschlands Bergwälder "am Rand des Ruins".
Die Landschaft rund um Garmisch-Partenkirchen ist heute verfremdet durch eine Vielzahl sportlicher und touristischer Einrichtungen. Nach einer Aufstellung des Münchner Landwirtschaftsministeriums werden innerhalb des Staatsforstgebietes bei Garmisch derzeit betrieben:
* die Wankbahn, die Eckbauerbahn, die Graseckbahn, die Hausbergbahn, die Kreuzwanklbahn, die Kreuzeckbahn, die Osterfelderbahn, die Hochalmbahn, die Zugspitz-Zahnradbahn und die Zugspitz-Eibsee-Seilbahn sowie 18 Liftanlagen mit einer Beförderungskapazität von mehr als 22 000 Personen pro Stunde, dazu 22 Skipisten auf einer Fläche von 56 Hektar. Nach immer neuen Bergwald-Rodungen -- erst zur Winter-Olympiade 1936, dann zu verschiedenen Skiwettkämpfen und neuerdings wieder zur Skiweltmeisterschaft 1978 -- ist laut Landwirtschaftsministerium jetzt "die Grenze der Belastbarkeit" des Garmischer Raums erreicht: "Weitere Flächenverluste durch Rodung könnten hier die Schutzfunktion des Bergwaldes bereits gefährden"; die Folgen wären "Erosion, Lawinenbildung und Hochwasser".
Überschritten ist in Garmisch-Partenkirchen offenbar auch die Grenze jener Belastung, die Urlaubern zugemutet werden kann -- so verschiedenartige Funktionen wie "heilklimatischer Kurort" und "Deutschlands Wintersport-Metropole" (Eigenwerbung) scheinen kaum länger miteinander vereinbar. In Garmisch jedenfalls sind die Übernachtungszahlen bereits gesunken, ebenso in Mittenwald" im Oberinntal sowie am Kochel- und am Walchensee. mancherorts um sieben Prozent. "Erst", bemerkt sarkastisch der TV-Naturschützer Horst Stern, "geht die Kuh, dann geht der Gast -- wen soll man da noch melken?"
Was einzelnen Urlaubsorten schon widerfahren ist, wird sich, warnt Wichmann, anderswo früher oder später wiederholen. Der Alpenraum, bestätigt Professor Herbert Aulitzky von der Wiener Hochschule für Bodenkultur, "ist an vielen Stellen durch menschliche Eingriffe bereits so weitgehend zerstört, daß er dort in wenigen Jahren als Erholungsgebiet von Bedeutung endgültig verloren ist".
Allein in Bayerns Bergen entstehen alljährlich bis zu 8000 Wohnbauten -- obwohl die Bevölkerung vielerorts stagniert oder sinkt. Zur alpinen Suburbia fügen sich die vornehmlich von "geldigen" Fremden hingeklotzten Zweitwohnsitze; ihr Anteil liegt in Ruhpolding oder Reit im Winkl, in Wiessee oder Rottach-Egern bei 60 bis 70 Prozent.
Wie einst König Ludwig II. als Standort seiner pompösen Zweitschlösser die Berge bevorzugte, wie später der "Münchner" Adolf Hitler Zweitwohnsitz auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden nahm, so zog und zieht es auch neudeutsche Herrschaften in alpine Höhenlagen: Politiker wie Georg Leber (Ramsau) und Franz Josef Strauß (Rottach-Egern) und Magnaten wie August von Finck (Kochel) oder Millionäre wie Gunter Sachs (Oberaudorf), dazu Abertausende anonymer Ansiedler und Anleger.
Die gekünstelte "Lederhosen-Architektur" für die Landnehmer, grantelt der Münchner Denkmalspfleger Professor Torsten Gebhard, verdrängt zusehends die bäuerlich-barocke Baukunst vergangener Zeiten. "Wenn", kalkuliert der Arbeitskreis Alpenregion des Deutschen Werkbundes Bayern, "wie bisher pro Jahr etwa tausend Objekte unwiederbringlich durch Abbruch oder Umbau verlorengehen, wird noch vor dem Jahr 2000 der historische Bestand ausgelöscht sein."
Zumindest ebenso bedroht wie durch die "Verramschung" (Naturschützer-Klage) ist die Region durch komplizierte ökologische Mechanismen, die, wie das Alpeninstitut mahnt, den "Keim katastrophaler Entwicklungen" schon in sich tragen -- Gefahren, die lange Zeit unerkannt geblieben waren.
"Es ist", hatte noch 1973 der Bayerische Rundfunk gemeldet, "kaum eine Landschaft denkbar, bei der die Behauptung, daß sie gefährdet sei, so unüberzeugend wäre wie bei den Alpen": Die Monumentalität des Massivs verstellte den Blick darauf, daß gerade im Alpenraum -- wo arktische Gletscherzonen und mediterrane Talgründe näher beieinanderliegen als irgendwo sonst -- das Zusammenspiel von Flora und Fauna, Wetter und Wasser besonders störanfällig ist; kleine Ursachen zeitigen hier, im Wortsinne, lawinenartige Wirkungen.
Die Büchsenschüsse beispielsweise, die höfische Jäger im vorigen Jahrhundert auf alpenländische Adler und Bären, Wölfe und Luchse abfeuerten, setzten ein unaufhaltsam wirkendes Räderwerk in Gang, dessen naturzerstörerische Folgen jetzt erst vollends übersehbar scheinen: Die ökologisch ahnungslosen Weidwerker von einst gaben den Startschuß für eine Entwicklung, die nun, hundert Jahre später. im Alpenland Bergrutsche, Schlammströme und Schneekatastrophen wie nie zuvor auslösen kann.
Denn: Das Ausrotten der Raubtiere, dazumal generalstabsmäßig organisiert, griff tief in den Naturhaushalt ein; ebenso die Einführung der Winter-Wildfütterung im Gebirge -- beides erfolgreiche Versuche der Landesherren, starke Rotwildbestände zur Jagdbelustigung heranzuhegen. Das Schalenwild im deutschen Alpenland hat sich binnen hundert Jahren verfünffacht; in Bayerns Bergen gibt es mehr Hirsche als einstmals Rinder.
Derlei Überhege aber hat den Bergwald, so Johann Karl von der Landesstelle für Gewässerkunde. mittlerweile "an den Rand des Ruins gebracht". Denn im Winter gibt sich das im Hochgebirge durchgefütterte Wild -- das früher zu dieser Jahreszeit ins äsungsreiche Flachland gezogen war -- nicht mit dem einseitigen Krippen-Angebot (Heu, Kastanien, Silage) zufrieden; es verbeißt, was immer aus dem Schnee hervorsprießt: Triebe von Tannen und Ahorn, Eiben und Eschen, Vogelbeeren und Ulmen.
Wo einst bunter Mischwald mit üppigem Unterholz, mit Heidelbeeren und Orchideen vorherrschte, breitet sieh inzwischen nur mehr aus, was das gefräßige Rotwild verschmäht: saures Gras. Disteln und der Klebrige Salbei -- dazu Fichten, Fichten, Fichten. Dieser Wandel wiederum läßt den Lebensraum vieler Tiere verschwinden, etwa der Auer- und der Haselhühner, die ebenso wie Steinwild und Steinadler in Bayern vom Aussterben bedroht sind.
Allerorten hat dei, Rückgang des Mischwaldes, der die Berge "wie eine schützende Haut" (Landwirtschaftsministerium) überzog, zu schweren Beeinträchtigungen des Wasserhaushalts geführt -- die nun auch den Lebensraum des Menschen zu gefährden beginnen.
Denn die staksigen, flachwurzelnden Fichten werden von Sturm, Stein- und Schneelawinen eher hinweggefegt als der widerstandsfähige Mischwald. Zudem können Fichten-Forste die starken alpinen Niederschläge nur unzureichend auffangen: Bergbäche werden zu unkontrollierbaren Wildwassern; über Wege. Weiden, Wohngebiete wälzen sieh immer häufiger Schnee, Schutt- und Schlammströme, Wenn die heutigen Entwicklungstendenzen anhalten", prophezeit das Alpeninstitut, "ist in 100 bis 140 Jahren der Bergwald in Höhen von über 1400 Metern bis auf wenige Reste verschwunden." Nach Erhebungen der Landesstelle für Gewässerkunde sind vierzig Prozent der Bergwaldfläche schon jetzt vom Zusammenbruch bedroht.
Beeinträchtigt wird der alpine Naturhaushalt zudem durch wirtschaftlichen Wandel droben auf den
Almen (im Allgäu Alpen genannt): Seit 1963 haben in Bayern jährlich 140 Bergbauern ihre Sennereien aufgegeben -- viele, weil sie, so Xaver Hölzer vom Schachenhof bei Oberstaufen, "von zehntausend Mark Jahreseinkommen und weniger auf die Dauer keine Familie ernähren" konnten.
Wo Almen aufgelassen werden, verwandelt sich die vom Menschen durch Kahlschlag und Weidepflege geschaffene Kulturlandschaft zwar mancherorts, aber keineswegs überall in die waldige Naturlandschaft von einst zurück: "An zahllosen Stellen des bayrischen Alpenlandes" sei, meldet der Alpenverein, zu beobachten, daß "das nicht mehr gemähte oder vom Vieh nicht mehr abgeweidete Gras im Winter fest in die Schneedecke einbäckt" -- die dann, wenn sie ins Rutschen kommt, "das Gras büschelweise samt dem Humusboden herausreißt". Folge: "Der nackte Fels tritt zutage."
In bestimmten Hanglagen kann, wie bayrische Forstwissenschaftler festgestellt haben, durch Versteppung und Verkarstung binnen kurzem "die ursprüngliche Lebensgemeinschaft völlig vernichtet" werden; sie wird "in ihrer Entwicklung um etwa zehntausend Jahre auf ein Pionierstadium zurückgeworfen, wie es ähnlich nach dem Ende der Eiszeit geherrscht hat".
Vor fünf Jahren bereits kennzeichnete Münchens Umweitminister Streibl weite Teile des Gebirges als "erosionsgefährdete Bereiche", vor allem die Flyschzonen* am nördlichen Alpenrand sowie Areale "eiszeitlicher Talverfüllungen" (siehe Karte).
Der Teufelskreis rotiert, so scheint es, von Jahr zu Jahr geschwinder. Das Wild, das in den düsteren Stangenwäldern nicht genügend Nahrung findet. zieht die verbliebenen Mischwälder noch mehr in Mitleidenschaft denn je; rasant pflanzt sich die Landschaftszerstörung fort -- der jährliche Wild-Verbißschaden in Bayern wird auf 40 Millionen Mark geschätzt.
Der Niedergang der Schutzwälder wiederum fördert die Versumpfung von Talregionen; dort verliert die bäuerliche Bevölkerung ihre Existenzgrundlage; das schließlich hat, so Karl, "automatisch" zur Folge, daß weitere Almen aufgegeben werden -- in ganz Bayern sind derzeit nur noch 1224 bewirtschaftet.
Kettenreaktionen und kein Ende: Die Lawinengefahr wächst, zugleich steigt die Bereitschaft, in katastrophenträchtigen Gebieten zu siedeln: Immer häufiger errichten landfremde Tourismus-Spekulanten Hotels und Ferienhäuser in zwar schneesicheren, aber auch lawinengefährdeten Gegenden abseits der schon betonierten Zonen.
* Flysch: Schutt- und Schlammablagerungen, verfestigt zu Mergel und Tonschiefer: mit Sandstein-Einlagerungen.
"Sie bauen", doziert Professor Aulitzky, "die Katastrophen von morgen."
Im bayrischen Alpengebiet gelten mittlerweile mehr als dreihundert der insgesamt rund tausend Lawinenstriche als gefährlich; sie bedrohen Siedlungs- und Wintersportgebiete. Drei von vier Lawinen, meint Wasserkundler Karl, hätten durch intakte Schutzwälder in ihrer Entstehung verhindert werden können.
"In den Bergen gehen starke Wölfe um."
Gefahr droht infolge des gestörten Wasserhaushalts nicht nur im Winter, sondern auch bei starken sommerlichen Regenfällen, die in den letzten Jahren in den österreichischen Landesteilen Kärnten und Osttirol Dutzende von Todesopfern gefordert haben." Solche Katastrophen", warnt der Münchner Karl, "werden demnächst auch bei uns eintreten, wenn wir nicht unverzüglich die Land- und Forstwirtschaft wieder in die Lage versetzen, ihren lebensnotwendigen Beitrag zum ökologischen Gleichgewicht im bayrischen Alpengebiet zu leisten."
Viel Zeit freilich bleibt wohl nicht mehr. Die "Allmutter Natur", die bislang viele Umweltschäden geheilt habe, dürfe, meint der Münchner Sozialwissenschaftler Professor Burkhart Lutz, in Sachen Alpen "nicht mehr ins Kalkül" gezogen werden. Mittlerweile sei diese Region, glaubt auch Karl, so stark belastet, daß ein "scheinbar unbedeutender Eingriff" genüge, "das komplexe Gebäude "Landschaft" ins Wanken zu bringen".
An guten Ratschlägen, wie das Unheil abzuwenden sei, mangelt es nicht. In den letzten Jahren sind in den Alpenstaaten immer wieder Denkschriften und Hilfsprogramme formuliert, Konferenzen und Symposien abgehalten worden. Zu Wort meldeten sich der Europarat und das Europäische Seminar für Touristik, die Unesco und die "Arbeitsgemeinschaft der Alpenländer" (Arge-Alp), der World Wildlife Fund und, zuhauf, Bürgerinitiativen mit Bezeichnungen wie "Rettet den Geigelstein".
Doch während sich die Aktionen häufen und die Aktenberge wachsen, geht es "mit den Alpen weiter bergab" (Danz) -- auch deshalb wohl, weil es eine probate Einheitsrezeptur gegen die Landschaftszerstörung nicht gibt: Zu mannigfaltig ist die Morphologie, zu unterschiedlich die Umweltbelastbarkeit der diversen Gebirgsregionen. Einige Prämissen freilich, darin sind sich die Experten einig" müßten für sämtliche Planungen gelten:
"Staat und Gemeinde sind berechtigt und verpflichtet, der Allgemeinheit die Zugänge zu Bergen, Seen, Flüssen und sonstigen landschaftlichen Schönheiten freizuhalten" -- an diesem Gebot der bayrischen Verfassung, Artikel 141, will auch kein Alpenschützer rütteln. Jedoch: Wo das Recht auf Zugang als Recht auf Durchfahrt mißverstanden wird, wo Verschandelung der Landschaft etwa durch Betonschneisen droht -- da fordern Umweltschützer mit Recht Einschränkungen.
Vergnügungsflüge mit Hubschraubern und Sightseeing mit Schneeraupen will der Alpenverein ebenso untersagt wissen wie Pkw-Fahrten auf Forststraßen und Almwirtschaftswegen. Neue "Erschließungszonen für den Breitentourismus", fordert der DAV, müßten "auf geeignete, belastbare Landschaftsteile" konzentriert werden.
Der Fremdenverkehr -- der jährlich eine Milliarde Mark allein in die bayrischen Berge rollen läßt -- solle, sagen die Umweltstreiter, keineswegs gedrosselt, wohl aber kanalisiert werden: Die Anlage von Seilbahnen und Skiliften muß nach den Vorstellungen des Alpenvereins künftig auf "bereits erschlossene Bereiche" beschränkt werden, Massenskilauf auf solche Zonen, in denen ohne "nachteilige Folgen für den Wasserhaushalt" Pisten planiert werden können.
Die Bergbauern -- die mittlerweile weniger zum Käsemachen als zur Umweltpflege gebraucht werden -- verdienen nach aller Experten Ansicht "erhöhte Förderung" (DAV). Freilich: ökologisch wertvolle Lebensgemeinschaften von Tieren und Pflanzen dürften fortan "nicht in eine intensive Bewirtschaftung einbezogen werden". Und nicht zu jeder Sennhütte brauche mit Staatszuschüssen (90 Prozent der Kosten) eine acht Meter breite Teerstraße gebaut zu werden: "Ein Kiesweg von 2,80 Meter", sagt Institutsdirektor Danz, "tut"s oft auch."
Für schier unabdingbar halten Alpenschützer zwei besonders einschneidende, aber einleuchtende Maßnahmen:
* Um die Waldschäden und ihre katastrophalen Folgen einzudämmen, muß laut Programmentwurf des Alpenvereins der Rot- und Rehwildbestand "mit der Äsungskapazität in Einklang" gebracht werden -- im Klartext: Mancherorts wäre jedes zweite Tier abzuschießen.
* Um eine weitere Betonierung der Bergwelt zu verhindern, soll sich das Siedlungswachstum "generell auf den Eigenbedarf der einheimischen Bevölkerung beschränken" -- das heißt: "Grunderwerbsstopp für Auswärtige" und "generelles Verbot für Zweitwohnungen", soweit sie "ausschließlich eigengenutzt" werden sollen.
Doch im weißblauen Freistaat scheinen solche Forderungen vorerst kaum durchsetzbar. Zwar mangelt es nicht an Beteuerungen, den Erfordernissen des Landschaftsschutzes, so Minister Streibl, "in verstärktem Maße Rechnung zu tragen". Doch wo immer dabei Ökonomie und Ökologie in Konflikt geraten, scheint die Zukunft den kürzeren zu ziehen.
Den Naturschutzforderungen widersetzt sich eine breite Front millionenschwerer Immobilienunternehmer und kapitalkräftiger Seilbahngesellschaften, einflußreicher Jagdfunktionäre und ortsansässiger Geschäftlhuber. Und nur zu oft finden diese Gruppen Beistand von willfährigen Ministerialen und wachstumsbesessenen Bürgermeistern.
Für viele seien die Alpen. so sieht es Umweltstreiter Horst Stern, vor allem "Objekt politischen Machtstrebens und privilegierter Nutzungsansprüche". In den Bergen, formuliert Stern fabelhaft, "gehen starke Wölfe um", die "weit gefährlicher" seien als jene, die letztes Jahr einem Gehege im Bayerischen Wald entsprungen waren.
Umweltminister Streibl, so scheint es, mag den Viechern nicht in die Quere kommen. "Um den Bürgermeistern nicht gar so weh zu tun", kritisiert Berghüter Wichmann vom Werkbund, habe Streibl "den Weg des geringsten Widerstandes gewählt", als er 1972 einen bayrischen "Alpenplan" verfaßte.
In diesem Papier sind als "Ruhezonen" großenteils Hochgebirgsregionen ausgewiesen, die ohnehin schwer zugänglich sind oder eh unter Naturschutz stehen. Als "Erschließungs-" und "Pufferzonen" hingegen ließ Streibl zum Teil bereits überlastete Talbereiche markieren, die nach Ruhe schreien.
"Was nutzt", fragte damals schon Direktor Danz, "eine intakte hochalpine Erholungslandschaft, wenn man im Tal nicht mehr ruhig schlafen, nicht mehr erholsam spazierengehen, keine saubere Luft mehr atmen, nur noch gechlortes Wasser trinken kann und in den gleichen Bauten wohnen muß, die auch der großstädtische Verdichtungsraum aufweist. In der wachsenden Überlastung der Tallagen liegt der eigentliche gesellschaftliche Zündstoff. der ohne Sofortmaßnahmen zu einer Eskalation führen muß."
Almhütten mit
versenkbarem Kamin.
Der Zündstoff ließe sich entschärfen. Denn mit dem Bundesbaugesetz verfügen Westdeutschlands Gemeinden, anders als die Kommunen anderer Alpenstaaten, über "ein hervorragendes Instrument zur Kontrolle des Baugeschehens" (Danz). Doch selten nur machen sie davon hinreichend Gebrauch: Bei Quadratmeterpreisen von 200 Mark und mehr ist der Ausverkauf des Alpenbodens ein zu verlockendes Geschäft für die Grundeigner, die mit den Gemeindepolitikern oft zumindest politisch verschwägert sind.
Die Nachfrage nach alpinen Zweitwohnsitzen hat mittlerweile das Bodenpreisniveau vielerorts so hoch getrieben, daß es für einheimische Normalverdiener, wie ein Miesbacher Gemeindepolitiker klagt, "leichter ist, den Tegernsee mit einem Teelöffel auszuschöpfen", als in der Heimatgemeinde zum eigenen Häuschen zu kommen. "Auf vielerlei Weise", berichtet der Tölzer Landrat Otmar Huber, versuchten daher Ortsansässige nun, Baugenehmigungen für den billigeren, aber eigentlich der Landwirtschaft vorbehaltenen Außenbereich zu ergattern -- womit die Landschaftszersiedlung weiter vorangetrieben wird.
Immerhin: Alte Bergbauernhofe und aufgelassene Almhütten dürfen laut Bayerns Bauordnung seit einiger Zeit nicht mehr von Landfremden aufgekauft und zu Feriendomizilen umgemodelt werden: Derlei "Nutzungsänderungen" gestatten die Aufsichtsbehörden allenfalls, wenn das Erscheinungsbild der bäuerlichen Bauten erhalten bleibt.
Dennoch stehen beispielsweise auf den Buckelwiesen und dem Gamsberg bei Mittenwald Dutzende von zweckentfremdeten Heustadeln und Kochhütten, ausgebaut zu komfortablen Freizeit-Chalets. Eines ist, zwecks Tarnung, ausgestattet mit versenkbarem Kamin.
Zwar hat letztes Jahr das Landratsamt Garmisch-Partenkirchen den Abriß aller Schwarzbauten verfügt. Doch in München stritt der Mittenwalder CSU-Abgeordnete und Gebirgsschützen-Oberst Sepp Prentl für eine Aussetzung der Abbruchanordnung -- mit Erfolg. Prentls Begründung, da schau her: Die Wochenendler trieben droben Landschaftspflege, obendrein böten die Dachvorsprünge ihrer Häuser "bei Regen Unterstand für Bergwanderer".
Die bajuwarische Politik der "ewigen Ausnahmen" (Werkbund-Wichmann) kommt immer wieder auch jenen zugute, von denen die Erschließung der Alpen buchstäblich auf die Spitze getrieben wird: den Bergbahngesellschaften.
Die Drahtseilzieher -- darunter die Bayerische Hypotheken- und Wechsel-Bank (Wallbergbahn) und die Bayerischen Elektrizitäts-Werke (Berchtesgadener Bergbahn), die Westfalen-Union (Kampenwandbahn) und Fürst Georg von Waldburg-Zeil (Hochgratbahn) -- haben im deutschen Alpenraum mittlerweile 88 Schwebebahnen und mehr als 600 Schlepplifte installiert. Damit ist die Liftdichte in den bayrischen Bergen zwei- bis dreimal so hoch wie in Österreich und der Schweiz.
Wenn es um die Genehmigung von Bahnen und Liften gehe, klagt Reinhold Kaub, Umweltspezialist der Bayern-SPD, wisse in den Behörden "häufig die linke Hand nicht, was die rechte tut". Regelmäßig fielen die Beamten, so Kaub, auf die "Salami-Taktik" der Seilbahner herein, die "zunächst munter drauflos bauen und nachher mit dem Argument Druck auf die Behörden ausüben, daß die Gesellschaft in Konkurs gehen müsse, wenn nicht neue Eingriffe in die Natur genehmigt werden" -- etwa zusätzliche Abfahrtspisten oder Anschlußlifte. Wo erst einmal eine Seilbahn verkehrt, folge, klagt auch der Alpenverein, "erfahrungsgemäß" eine "Umwandlung der Landschaft durch Zersiedlung": Erst ziehe die Bahn ein "Parkwächterhäuschen" nach sich, sodann "Imbißstuben, Hotels, Chalets". Und am Ende stünden die Behörden vor dem "kaum lösbaren Problem der Wasserversorgung, der Entwässerung, der Abfallbeseitigung" sowie "in zunehmendem Maße auch der Verkarstung"; denn wo gewedelt wird, wächst bald kein Gras mehr.
"Das Spitzinggebiet beispielsweise", beschreibt Werkbund-Leiter Wichmann die Bergregion bei Schliersee" die von Münchner Skifans wegen ihrer Nähe und Schneesicherheit bevorzugt wird, "ist landschaftlich fast völlig im Eimer."
Obwohl schon jetzt, wie Sozialdemokrat Kaub meint, "der bayrische Bergbahnsalat jeden politisch verantwortlichen Menschen zutiefst beunruhigen muß", ist ein Ende der Verdrahtung nicht abzusehen. Denn Skitourismus" glauben die Planer, rentiert sieh erst, wenn mehrere Anlagen zum Verbund ("Skizirkus") hochgezogen werden können und ein bequemes "Umsteigen" ermöglichen. Bayrischzell etwa plant eine "Alpen-Liftbrücke" vom Inntal bis zum Tegernsee, verbunden mit den Anlagen von Wendelstein und Spitzing.
"Skizirkus" unter
Lockerschnee-Lawinen.
Manch ein Bahnplaner ist so ehrgeizig, daß er Berggefahren schlichtweg bagatellisiert. Am Geigelstein im Chiemgau liebäugeln die Gemeinden Sachrang und Schleching mit einem Liftsystem, obwohl es teils in "grob ungeeignetem Gelände" entstehen würde, "das äußerst lawinengefährlich ist" (so ein Gutachten des Münchner Lawinenfachmanns Walter Kellermann).
Und am Wank im Walchenseegebirge, wo ein "Skizirkus Esterbergalm" angelegt werden soll, halten es die Promoter für ein gutes Argument, daß die dafür ausersehenen Pisten trotz Südlage bis in den Frühling hinein schneesicher seien -- dank der dort regelmäßig niedergehenden Lockerschneelawinen.
Wohin solcher Geschäftssinn führt, glauben Kritiker mit Zahlen aus Österreich belegen zu können: Dort gelten nach amtlicher Darstellung 400 der rund 2800 Bergbahnen als lawinengefährdet; die österreichische Bergwacht registriert durchschnittlich 36 Lawinentote pro Jahr.
Für nicht minder gemeingefährlich als manche Pläne der Liftlobby halten alpenländische Ökologen die Verbandspolitik der bayrischen Freizeitjäger. Und in der Tat scheint die Mehrheit jener, die sonntags auf Pirsch gehen, nicht daran zu denken, mit der für Wald wie Wasserhaushalt verhängnisvollen Überhege des Rot- und Rebwildes Schluß zu machen. "Die glauben", mokiert sich Ernst Jobst, Direktor in Münchens Oberforstdirektion, "sie kämen nur dann zu ihrem Vergnügen, wenn sie im Wald eine möglichst große Auswahl haben."
Die nichtbäuerlichen Jagdamateure gehören nach einer Analyse des Alpenforschers Danz zu rund 90 Prozent der Oberschicht an; 80 Prozent haben außerhalb der Alpenregion ihren Hauptwohnsitz. Die Jagd betrachten die meisten von ihnen weniger als "landeskulturelle Aufgabe": Im grünen Rock sehen die Schießer" spottet Jobst, vor allem ein "sportliches Statussymbol".
Repräsentiert werden die Belange der bayrischen Sportjäger -- darunter der Münchner Textilkönig Feldmeier und der Zigarrenmillionär Zechbauer, der Großherzog von Luxemburg und der Ex-Reeder Schlieker sowie die Häupter der Elektro-Dynastien Siemens und Bosch -- von dem Csu-Abgeordneten Gerhard Frank, der dem Landesjagdverband präsidiert. Befreundet mit zwei einflußreichen Jagdliebhabern, dem Umweltminister Streibl und dem CSU-Chef Franz Josef Strauß, hat Frank es bislang verstanden, eine waldfreundliche Gesetzgebung zu blockieren; Bayern dürfe nicht zum "Experimentierfeld wildgewordener Ökologen" werden.
Angesichts der mächtigen "grünschwarzen Filzokratie" macht sieh unter Umweltschützern Resignation breit. Denn die Überhege gilt vielen von ihnen wegen der mannigfachen ökologischen Konsequenzen als "die vielleicht entscheidende Frage" (SPD-Kaub) des gesamten alpinen Problemsyndroms.
Schon fürchtet der Münchner Professor Lutz, daß künftigen Generationen jene Erlebniswelt verschlossen sein könnte, "die meine eigene Kindheit geprägt hat: Gerüche wie sonnenheißes Latschenharz bei einer Rast unter dem Gipfel; Geräusche von krächzenden Bergdohlen" im Wind knarrenden Baumwipfeln oder dem Bergbach, der in eine Bachgumpe plätschert; der Anblick einer dreidimensionalen stillen Landschaft".
Nachdem solche Idylle mancherorts bereits zerstört ist, scheinen sich Bayerns Umweltkämpfer nun um so mehr darauf zu konzentrieren, daß wenigstens ein Zipfel der deutschen Alpen zum absoluten Naturschutz-Areal erhoben wird: der entlegenste Winkel der Bundesrepublik, das 21 000 Hektar große Gebiet um Königssee und Watzmann im Berchtesgadener Land.
Dort erstreckt sieh ein Gelände, das schon Alexander von Humboldt "zu den schönsten der Erde" zählte -- mit malerischen Almen und Ganghofersehen Wäldern, den Felsmonumenten des Steinernen Meeres und der Kirche von St. Bartholomä. In der zerklüfteten Gebirgsregion gedeihen Raritäten der Natur: Deutschlands letzte Zirbelbäume und der aussterbende Grüne Regenwurm, ganze Steinwildrudel und Hunderte der seltensten Pflanzen wie der Knöllchenknöterich und das Fleischrote Läusekraut, Brillenschötchen, Teufelskralle und Schwalbenwurzenzian.
"Der Nationalpark", urteilte 1975 der damalige Planungsbeauftragte der Münchner Regierung. Oberforstmeister Georg Meister, "könnte für viele Arten zu einer echten Arche Noah werden." Und die "Gruppe Ökologie" des Verhaltensforschers Konrad Lorenz kündigte an, sie würde eine Verwirklichung des Projekts als "Krönung des Naturschutzes" empfinden (SPIEGEL 53/1975).
Doch mittlerweile, nach jahrelangem Fingerhakeln widerstreitender Interessenten. scheint festzustehen, daß Meisters Pläne scheitern werden -- vor allein am Widerstand der im Alpenland allgegenwärtigen Allianz von Baulöwen und Liftplanern, Jagdsportlern und Touristikspekulanten.
Schon hat, per einstimmigem Ratsbeschluß, die Gemeinde Berchtesgaden dagegen protestiert, die Nationalpark-Idee nach internationalem Standard, also mit Erschließungsverboten und Zutrittsbeschränkungen, zu realisieren. Viele Einheimische wünschten, kommentiert Horst Stern, "den Nationalpark in erster Linie als Magnet für zu schröpfende Menschenmassen".
An der Spitze der Fremdenverkehrs-Fronde streitet Berchtesgadens CSU-Landrat Rudolf Müller -- Motto: "Die Landschaft ist unser größtes Kapital" Der Kreisverwalter hatte schon früher der Landesregierung im vorgesehenen Nationalparksgebiet eine Genehmigung für den Bau einer Seilbahn am Nordhang des Jenner abgerungen. Er fördert nun am Jenner-Südhang Liftpläne für einen familiengerechten Skizirkus und sieht es -- so der Münchner Forstwissenschaftler Professor Richard Plochmann -- "bekanntermaßen als seine Lebensaufgabe an, auch noch eine Kabinenseilbahn auf den Watzmann zu bauen "Wollen Sie, daß
die Tiere verhungern?"
Mit Müller weitgehend konform geht der Jagdverband, der insbesondere gegen den Plan schießt, daß nach einer biologisch erforderlichen Dezimierung des Reh- und Rotwildbestandes (auf ein Drittel) die Natur sich weitgehend selber regulieren soll. Ungeniert schüren die Jäger mit Pamphleten und Bambi-Bildern Volkshaß gegen die Ökologen: "Wollen Sie, daß die Tiere in Zukunft verhungern müssen?"
Wo sich die örtlichen Honoratioren derart einig sind, mag auch die Kirche nicht abseits stehen: "Nun soll in Deutschland", wetterte der Berchtesgadener Pfarrer Ruprecht von Gilardi, "wieder planmäßig der Hungertod geschehen, wie es einst in den Vernichtungslagern praktiziert wurde"; einer "romantischen Alpenparksvorstellung zuliebe" werde "bewußt der grausamste Wildmord" geplant.
Ende letzten Jahres forderten die Jagdszenen aus Oberbayern ein kapitales Opfer: Nach monatelangen Reibereien mit Landrat. Landesregierung wie Landesjagdverband und nach nächtlichem Telephonterror ("Mörder", "Schweinehund") mochte Georg Meister nicht länger als Alpenparkplaner amtieren. Der "Vater des Nationalparks" ("Süddeutsche Zeitung") wurde auf eigenen Wunsch aus Streibls Umweltministerium entlassen.
Im April dieses Jahres steht der Entwurf einer "Nationalparkverordnung", vielfach verwässert, im Münchner Landtag zur Verabschiedung an. Der Aberwitz bayrischer Alpenpolitik -- Ökonomie vor Ökologie -- wird sich dann wahrscheinlich auch an einem Detail offenbaren:
Zwar droht auch im Nationalpark das Naturschutzgesetz jedem Bergwanderer bis zu 1000 Mark Geldbuße an, der einen Enzianstengel bricht.
Einem Berchtesgadener Enzianschnapshersteller indessen haben die Planer bereits das Privileg versprochen, aus dem künftigen Nationalpark seinen Rohstoff holen zu können: Der Unternehmer darf der blauen Blume an die Wurzel gehen.
Teilweise erstaunlich real, oder? Es handelt sich um die Titelstory des Spiegel vom 21. Februar 1977. Eigentlich wollte ich den Text erst ein bisschen frisieren, so dass man nicht gleich auf Anhieb merkt, dass er schon ein bisschen älter ist, um die Sache dann am Ende aufzulösen. Ich habe mich anders entschieden, weil dann doch an der einen oder anderen Stelle der Sinn entstellt worden wäre, z.B. wenn man aus D-Mark von 1977 einfach Euros macht. Und natürlich merkt man die Zeit ein bisschen auch an den Details der Themen - nirgends ist z.B. die Rede von Schneemangel, dafür ist der lädierte Wald ein ganz großes Thema. Dennoch gibt es doch eine ganze Menge Parallelen zur heutigen Zeit: Überfüllte Abfahrten, Alpen-Disneyland und auch das eine oder andere Umweltthema werden ja heute im Prinzip unverändert diskutiert.