Zitat:
Wahnsinn! Die Planung dieses Ortes könnte eigentlich auch hier im Forum entstanden sein. Was da geschrieben wird deckt sich an so vielen Stellen mit unseren Diskussionen, das ist echt kaum zu glauben.
Nun, das dürfte zu einem Teil vielleicht auch darin liegen, dass die Philosophien hinter diesen infrastrukturellen und architektonischen Konzepten kein typisches Sportgastein-, sondern ein typisches Zeitphänomen für die späten 60er und vor allem frühen 70er Jahre sind. Man kann diese Konzepte in vielen Bauten dieser Zeit, die wie ich ja schon oft betont habe entgegen der heute teils vorherrschenden Meinung, hervorragend und excellent durchdacht waren, wiederfinden. Da mich die Frage nach dem "warum" hinsichtlich derartiger Projekte schon immer gereizt habe, bin ich für meinen Teil schon früher über diese Konzepte gestolpert, wenn ich auch bisher nie die Möglichkeit hatte, derart bis ins Detail gehende Planungen nachzuvollziehen. Zumindest für meine eigene Diskussionsbeiträge gilt natürlich insofern, dass sich die Gedanken aus diesen Konzepten darin wiederfinden.
Interessanter, wenn eigentlich auch nicht überraschender Weise, macht die Architektur aber auch fast schulbeispielhaft die zeittypischen Fehler.
1. Hohe Gebäudekonentration, um die Landschaft nicht zu zersiedeln! Optisch in meinen Augen zwar hochinteressant, aber in der Wirkung natürlich konträr: die massiven Bauten nehmen natürlich auf das Landschaftsbild in einer Intensität Einfluss, wie kaum sonst erreicht. Das gleiche Konzept steht auch hinter Kurzras und ging auch hier nicht auf. Nicht missverstehen: ich mag diese verschachtelten Komplexe, aber die Idee, durch diese Bauweise weniger in das Landschaftsbild einzugreifen, funktioniert natürlich nicht.
2. Extrem komplexe gebrochene Profile, Verschachtelungen, "Verspieltheit" der Grundrisse etc. pp. Damit wollte man sich von der "kubistischen" Architektur der 50er und insbesondere der frühen 60er Jahre, die nicht geringen wohl auf Corbier zurückgeht, distanzieren. Typisches Beispiel für diese waren noch das Brelin in Menuires (und im weiteren Sinne die gesamte Croisette), Plagne Centre, viele Gebäude in Courchevel. Rechteckige, rechtwinklige Strukturen, klare geometrische Formen und einheitliche lange Fassaden dominieren das Bild. Ganz anders eine Generation später: das hufeisenförimige Bellecote, mit seinem hunderfach gebrochenen Grundriss zeugt bereits davon, noch deutlicher sieht man es aber bei Arc 1600 und 1800 mit ihren komplexen an die Hänge gebauten, verwinkelten Gebäuden. Schräge Winkel, komplexe Linien, verschachtelte Fassaden, Holz statt Beton und Glas. NUR: die Idee, damit anheimelnde moderne Gebäude zu schaffen, ist ebenfalls verfehlt. Ein normaler Mensch ohne Interesse für Archtektur Basics sieht wahrscheinlich nicht einmal den Unterschied zwischen einem Konzept wie Arc 1800 / Sportgastein und Les Menuires. Es ist schlussendlich nämlich nicht die Form der Gebäude, sondern ihre Größe und Wucht i.A. die das Urbane und Künstliche erzeugt. Daran ändern die komplexen Grundrisse und Fassadenstrukturen ebensowenig, wie Holzverkleidungen (die zu allem Überfluss im Hochgebirge aufgrund der starken Strahlung schnell sehr dunkel werden). Am ehesten verhindert man die urbane Wirkung, duch die Vermeidung von Flachdächern, die Verwendung traditioneller Elemente bereits im Grundkonzept und durch die Vermeidung von Kenzentrierung und damit zu großer Grundrisse. Dies lässt sich ja auch bei Stationen der nächsten Generation wie Belleplagne oder der typischen tiroler Hotelarchitektur gut beoabchten. (Nichts destotrotz gefällt mir die futuristische Architektur besser, aber aus anderen als den bezweckten Gründen).
3. Das ganze führt teilweise zum dritten ganz klassichen Fehler der 70er Jahre Architektur: dadurch, dass man versuchte keine zu großen Formen zu verwenden, enstanden die berühmt berüchtigten kpmplexen Labyrinthe. Diverse Zwischenebenen, verwinkelte Verbindungsgänge, kleine Treppen hier, kleine Treppen dort: stets sieht man sein Ziel, aber man weiß nie, wie man da gerade hinkommt! Die komplexe Stuktur aus Verbindungsgängen und Zwischenebenen macht orientierungslos, statt zu integrierren anonymisiert sie. Dazu kommt, dass der Verzicht auf große Elemente, also auch auf weite offene Gänge oder zentrale Plätze ein Gefühl der Enge erzeugt, dass nicht anheimelnd, sondern erdrückend wird (das sieht man sogar schon teils auf den Zeichnungen oben). Man verfühlt sich verloren und ohnmächtig in den riesigen Gebäudekomplexen, der Fortschritt ist hier Rückschritt zu den klaren schlichten Formen der Gebäude der 60er Jahre (die zwar auch riesig wirken, aber wenigsten genug Licht und Luft zum Atmen lassen). Ein letztes Problem in der Folge: man schafft riesige Areale toten Raumes. Der Begriff ist nicht ganz leicht zu erklären, am besten versteht man das, wenn man mal in solchen Gebäudekomplexen war: durch die verwinkelte, verschachtelte Architektur, hat man überall Gänge, Zwischenpodeste, Treppenabsätze, die nicht groß genug sind, um eiinen Aufenthaltsort zu bieten, aber doch nicht klein genug und zu viele, um unbemerkt zu bleiben. So hat man großere Areale sog. "non-lieus" ("Nicht-Orte"), also Bereiche, an denen es unangenehm ist, sich aufzuhalten. Gerade bei Gebäudeeing#ngen sieht man das oft: gigantische Gebäude, sie haben aber keine großen Foyers, die etwas offenes einladendes austrahlen (auf solche großen Elemente wollte man ja verzichten). Statt dessen hat man irgendwo in den Betonmauern versteckt, verschiedene kleine Eingänge, die man erstmal finden muss und von der Baumasse als solcher erdrückt werden - Ort an denen man sich nicht gerne aufhält.
Auf diesem Bild kann man das erahnen. Links am Rand, die kleine durchsichtige Treppe (einen von denen, die man immer von unten sieht, aber nicht weiß wie man hinkommt und die dazu nur für schwindelfreie ist aufgrund des durchsichtigen Bodens). Links dahinter , der Säulenraum unter dem Balkon: ein typischer Non-Lieu. Das kleine enge Säulenraster unterteil diesen Bereich so, dass keine wirkliche Größe aufkommt, er ist aber dennoch zu groß, um irgendwie gemütlich zu sein. Die niedrige Decke wirkt etwas erdrückend und was soll man unter diesem "Vordach"? Stellt Euch mal vor, ihr sollte ein kleines Café in dieser Passage aufmachen, wo würdet ihr die Stühle hinstellen? Doch sicher nicht in diese seltsame Nische dort, wohl eher in den Knick der Passage, wo man wenigsten zu beiden Seiten ein Stück weit schauen kann.
Hier sieht man es auch. Unter den Treppen, den Gallerien_ überall toter Raum, der irgendwie verstörend wirkt. Auch diese einzelnen kleinen Fenster in der Fassade: statt alles gemütlicher zumachen, sehen sie eher verloren aus.
Na ja, könnte man noch viel zu schreiben, aber wir wollen ja keinen Architekturkurs draus machen. Wer sich dafür interessiert, wie ein identisches Planungskonzept nachher in der Wirklichkeit wirkt, besuche mich in Hannover. Das Ihmezentrum folgt in vielen Punkten exact den gleichen Prämissen und wirkt gerade dadurch so eng, erdrückend, anonym verstörend.