29.12.2003 - Anfahrt & Meran 2000
Es ist die Monotonie, die einen begleitet. Dieses mal, jedes mal, fortwährend, immer wieder aufs neue. Die Monotonie einer grauen Welt, die ihr Antlitz in Schatten hüllt und dennoch nichts verbirgt. Man verliert das Gefühl für die Zeit. Minute um Minute, Kilometer um Kilometer gleitet man dahin, begleitet nur durch das Rauschen des Fahrtwindes, das Prasseln des Regens auf der Windschutzscheibe, dem ewigen Hin und Her der Scheibenwischer. Draußen ist es dunkel, das Licht der Schweinwerfer vermag das aufgewirbelte schmutzig-graue Wasser kaum zu durchdringen, in einigem Abstand weist seit einer halben Ewigkeit dasselbe paar verwaschen-verklärter roter Rücklichter den Weg, den weiten Bögen folgend der Rheintalautobahn.
Jener Autobahn, auf der wie überall in der Schweiz, das strikte Tempolimit von 120 km/h gilt. Jener Autobahn, wo wie auf allen diesen Autobahnen, stets Kolonne gefahren wird. Jener Autobahn, die linkerhand fortwährend durch einen Deich gegen den Rhein begrenzt wird und rechterhand gelegentlich den Blick auf Industrieanlagen, Freileitungen oder Kieswerke freigibt. Jener Autobahn, die ins Herz der Alpen führt, in eine der schönsten Gegenden Europas, und die einem im Winter immer wieder mit der gleichen monotonen Tristesse begegnet wie an diesem grauen Dezembermorgen, zwei Tage vor dem Jahreswechsel 2003.
Die Fahrt von Lindau nach Chur erscheint mir jedesmal wieder ewig, dabei sind es wohl kaum mehr als 80 Kilometer. Es ist ein ewiges Schicksal des Schiurlaubes im Hochwinter. Verzaubert das Hochgebirge stets mit beinahe magischer Ästhetik von arktischer Schönheit, bietet es phantastische Schauspiele an Licht und Farben im Gegenzug für die kurzen Tage, so ist dennoch oft die Anfahrt durch die Tallandschaften von immer der gleichen Tristesse gezeichnet, die diese im Frühjahr so herrlich blühende Landschaft im Winter prägt.
Während ich an diesem Morgen meiner Hauptroute in die Alpen folgte, gingen mir diese und ähnliche Gedanken durch den Kopf. Das letze mal war ich diese Strecke bei sengender Hitze und dankbar für jede schattige Passage Ende August gefahren, bei meiner Radtour an den Comer See. Wenn man eine solche Strecke einmal mit dem Rad gefahren ist, kenn man plötzlich jeden Felsvorsprung, jede Windung des Tals, jedes Dorf und jeden Weiler. Umso krasser fielen mir an diesem Tag die Gegensätze auf, bargen doch eben jede Biegung des Flusses, jede Brücke, jede Ortschaft Erinnerung an einen heißen Augusttag.
Indes konnte einem das Grau und der Regen nichts anhaben. Scheint einem zum einen oft die Fahrt im Wagen umso behaglicher, je ungemütlicher das Wetter draußen ist, so versprachen die niedrigen Temperaturen dieses Mal dazu, dass wenige hundert Meter höher etwas verspätet aber gerade noch rechtzeitig der Hochwinter Einzug gehalten hatte. Die Tage vor und um Weihnachten hatten ja etwas bangen lassen, was die weiße Pracht anging. Unser Ziel war es, das Aostatal mit seinen diversen und abwechslungreichen, vor allem jedoch landschaftlich sehr schönen Schigebieten zu erkunden. Nachdem ich auf skipass.com so oft über das legendäre Alagna gelesen hatte, stand dieser Ort mit seinem wohl einzigartigen Schigebiet ganz oben auf meiner Wunschliste. Da ich jedoch ebenfalls auf skipass den Tip bekommen hatte, nicht in Alagna selbst zu wohnen, da es bei schlechtem Wetter vom Rest des Monte Rosa Schigebiets, also vom Gressoneytal und vom Ayastal, abgeschnitten sei, hatten wir uns anderweitig nach einer Unterkunft umgesehen. Mir war empfohlen worden, in Gressoney, dem mittleren Tal des Monte Rosa Schigebiets zu übernachten, hier jedoch war bereits alles ausgebucht. Außerdem ist die Fahrt ins Gressoneytal vom Aostatal recht lang, so dass es von dort schwierig gewesen wäre, die anderen Schigebiete der Region zu erkunden. Wir zogen es daher vor, in St. Vincent, einem kleinen Dorf oberhalb des Aostatals am Taleingang des Val Tournenche, des Tales von Breuil Cervinia, zu übernachten. 30,- € pro Person im Doppelzimmer mit Frühstück, noch dazu in der Sylvesterwoche, ist ein sehr fairer Preis. Umso mehr als dass wir wieder einmal am Tag vor der Abreise gebucht hatten - über Sylvester ein Zimmer für eine ganze Woche einen Tag vor Anreise zu finden ist nicht ganz einfach. Dafür hält man sich anderseits die Optionen offen, was im Klartext heißt: Schnee- und Sonnengarantie (letzteres zumindest in einem gewissen Rahmen).
In diesen Gedanken versunken bemerkte ich erst etwas verspätet, dass das Plätschern und Prasseln auf der Windschutzscheibe nachgelassen hatte. Die eben noch triste graue Landschaft begann kurz hinter Chur einer friedvollen weißen Pracht zu weichen, die im ersten Dämmerlicht unter den dichten grauen Wolken plötzlich unwirklich hell erschien. Die dicken Flocken, mit denen der Schnee vom Himmel stieb, gaben dem ganzen etwas märchenhaftes - dies ist die Art von Winter, von dem wohl jedes Kind träumt und eben auch mancher Erwachsene.
Schon auf der Auffahrt nach Thusis blieb der Schnee mehr und mehr auf der Autobahn liegen, auf 800m Seehöhe war die Schneedecke auf den Straßen beinahe geschlossen. Einen derart überraschenden Wintereinbruch hatte ich selten erlebt. Unser Ziel an diesem Tag war vorerst Madésimo, ein italienischer Skiort südlich des Splügenpasses, dem ich bereits mehrfach in der schneefreien Saison kurze Ausflüge abgestattet hatte und dessen Schigebiet ich bei eben jener Fahrradtour im letzten August mit dem Rad erkundet hatte. Madésimo zeichnet sich in erster Linie durch zwei Vorzüge aus: eine umwerfend schöne Landschaft im oberen Bereich südlich des Splügenpasses und die alte Seilbahn auf den Pizzo Groppera mit ihrem kleinen aber feinem Freeridegebiet. Unten bietet der Ort dazu allerhand leichte Pisten, die mit modernen und komfortablen Liftanlagen erschlossen sind, der Höhepunkt aber bleibt der Pizzo Groppera mit seiner klassichen Seilbahn aus den frühen 60er Jahren. Bekannt wurde der Pizzo Groppera unter anderem durch die seinerzeit stärkste UKW Funkanlage auf dem Gipfel, von dem aus ein Schweizer Piratensender in den späten 70er Jahren das halbe Land bis fast nach Zürich erreichte. Diese UKW Anlage ist heute noch zu sehen. Auf der Rückseite des Berges spielt sich dann noch einmal mittelschwerer Schibetrieb ins wunderschöne und gewissermaßen versteckte Val die Lei ab. Der Pizzo Groppera ist nicht ganz dreitausend Meter hoch, umgeben jedoch ist er von einer großartigen Kulisse von Dreitausendern, die mit ihren schroffen Klippen insbesondere durch eine für die Ostalpen mittlerweile untypische Pfad- und Weglosigkeit bestechen, die diesen Bergen etwas Wildes und Urtümliches zurückgibt.
Da der Splügenpass eine Wintersperre aufweist, wollten wir an diesem Tag den Umweg über den Julierpass nach St. Moritz und von dort über den Malojapass nach Chiavenna nehmen, von wo aus man dann nach Madésimo oder aber ab Campodolcino mit der Stollenbahn direkt ins Schigebiet fahren kann. Letzteres erspart einem den schwierigen und gefährlichen Teil der Passstraße durch die Schlucht. Diese Stollenbahn hat übrigens eine uralte Pendelbahn ersetzt, deren Masten und vermutlich auch Stationsgebäude noch deutlich sichtbar sind und darauf warten, erkundet zu werden.
Die Fahrt hinauf zum Julierpass erwies sich als schwieriger als vermutet. Die Unmengen Schnee auf der Straße bereiteten dem Verkehr an sich schon arge Schwierigkeiten. Die Schneepflüge, die den Schnee nicht nur räumten, sondern auch glatt schliffen, schufen eine Straßenoberfläche, die schon bei geringsten Steigungen ohne Ketten nur mit viel Übung zu befahren war. Insofern war es von Vorteil, die Schneepflüge zu überholen, was aufgrund der Witterungsbedingungen aber nur sehr selten möglich war. Hatte sich diese Strecke bei identischen Verhältnissen mit meinem Audi quattro ein Jahr zuvor eher als spaßiges Abenteuer präsentiert, stellte sie sich mit dem Astra der Eltern meiner Freundin, der nach entsprechenden Umbauten auf trockener Straße ebenfalls ein astreines Gefährt ist, trotz neuer Winterreifen als schwierig heraus. Problematisch waren vor allem die vielen Autofahrer, die mit ihren Fahrzeugen aufgrund mangelnder Fahrtechnik oder Ausrüstung quer auf der Straße standen oder liegen geblieben waren oder aber die Steigungen so langsam befuhren, dass die Reifen nicht mehr griffen. Sah man dieses voraus, konnte man entsprechend am Fuße der Steigung warten. Oft jedoch, standen diese Fahrzeuge so in der Steigung, dass dies nicht von unten zu erkennen war, so dass man selbst zum Anhalten gezwungen war, was - anders als beim Audi - hier meist hieß, zurück zum Fuße der Steigung zu rollen, um von dort erneut die Steigung in Angriff zu nehmen.
Zwischen Thusis und Tiefencastell.
Ortsdurchfahrt in Savonin.
Im oberen Bereich der Julierpassstraße.
Glücklicherweise gaben die meisten Autofahrer recht bald auf, so dass wir auf der nun freien Straße ohne weitere nennenswerte Probleme zur Passhöhe auffahren konnten und von dort hinab nach Silvaplana bei St. Moritz.
Die weite Tallandschaft von St. Moritz erwartete uns mit fast sibirischem Flair. Nicht nur, dass der frische Neuschnee alle Geräusche extrem dämpfte, die hohen Schneewälle und die tiefverschneiten Straßen erinnerten mehr an Dokumentationen aus polaren Gefilden oder aber an vergangene Zeiten europäischer Winter vor dem Eintritt der ersten Auswirkungen der globalen Erwärmung.
See zwischen Silvaplana und St. Moritz.
So schön der Neuschnee auch anzusehen war, an diesem Tage sollte er uns einen Strich durch die Rechnung machen: der Passtraße über den Maloja war kurzfirsitg wegen der großen Lawinengefahr gesperrt worden, ebenso die Straße über den Bernina. Madésimo innerhalb absehbarer Zeit zu erreichen war somit unmöglich geworden. Schwierig auch die Frage, wie der bereits fortgeschrittene Tag ohne Verlust eines Schitages zu nutzen sei. Skifahren in St. Moritz erschien mir für einen halben Tag mit schlechter Sicht wenig sinnvoll, zumal von dort eine weite Strecke vor uns lag, um nach Italien zu kommen. Eher interessant schien es mir, nach einem kleinen interessanten Schigebiet zu suchen, dass man normalerweise aufgrund seiner Größe nicht extra anfahren würde. Da ich nicht zurück über den Julierpass fahren wollte, weil ich erwartete, dass der Verkehr gegen mittag zunehmen und somit noch mehr Autos liegen bleiben würden, kam zur Weiterfahrt ohnehin nur der Ofenpass und die Fahrt Richtung Südtirol in Betracht. Außerdem gibt es eben in dieser Region mehrere kleine Schigebiete, die ich schon immer mal besuchen wollte, wegen der ich aber für gewöhnlich nicht extra die Fahrt nach Südtirol angetreten hätte. Insbesondere ein Schigebiet direkt hinter dem Ofenpass, das vor einiger Zeit ausgebaut worden ist, hatte bei sommerlichen Überfahrten wiederholt meine Aufmerksamkeit erregt.
Wir erreichten diese Gegend gegen halb eins. Dennoch schafften wir es nicht ins Schigebiet zu kommen. So unglaublich es klingen mag und so unangenehm es mir bei meinem mit Verlaub gesagt sonst gut aus geprägtem Orientierungssinn ist: wir haben es trotz fünf Anläufen nicht geschafft, die Talstation des unteren Sessellifts zu finden. Skifahrer auf der Talabfahrt haben wir ebeso gesehen wie die obere Sektion der Schigebiets, nicht jedoch den unteren Sessellift. Eine Forststraße zur Mittelstation, die den einzigen Hinweis in Form einer Auschilderung enthielt, war zwar geräumt, jedoch bei diesen Verhältnissen mit einem frontgetriebenen Wagen nicht sicher zu befahren, so dass ich nach etwa der Hälfte wendete. Um alle Steigungen zu schaffen, hätte man so zügig fahren müssen, dass man auf der einspurigen Straße eventuellem Gegenverkehr nicht mehr hätte ausweichen können. Dies ist das einzige Mal, dass ein Versuch skizufahren meinerseits daran gescheitert ist, dass ich die Talstation des Zubringerliftes nicht finden konnte.
Ich entschied mich also an diesem Tag stattdessen in der verbleibenden Zeit einem anderen Schigebiet einen Besuch abzustatten, von dem ich seit meiner jüngsten Kindheit geträumt hatte: Meran 2000. Mit die ersten Erinnerungen meinerseits an die Berge stammen von einem Wanderurlaub mit meiner Familie in Hafling - im Herbst 1985, wenn ich mich recht entsinne. Die weiten Wiesenlandschaften, die lichten Lärchenwälder und die steile Schlucht des Naiftals haben mich damals wie heute verzaubert. Da damals neben der Seilbahn durchs Naiftal nur der Einersessellift von Falzeben Sommerbetrieb hatte, blieben mir als Kind all die anderen, teilweise weit beeindruckenderen Lifte wie der steile Kuhleiten Einersessellift oder der Eierlift zur Kirchsteiger Alm verschlossen. Seit damals hatte ich den Wunsch, irgendwann einmal wieder her zu kommen, um diese Fahrten nach zu holen. An diesem Tag, fast zwanzig Jahre später, wollte ich dies nun in Angriff nehmen.
In Italien wird anders als in der Schweiz mit Salz gestreut, wie es scheint.
Die Fahrt vom Ofenpass nach Meran brauchte noch mal einige Zeit, so dass wir erst gegen halb drei die Seilbahn am Grunde des Naiftals erreichten. Der Schnee reichte an diesem Tag mittlerweile bis auf die dreihundert Meter Seehöhe Merans herab. Die wenige verbleibende Zeit veranlasste meine Freundin dazu, sich gegen den Kauf eines Schipasses zu entscheiden. Wir veraberedeten, dass sie nach Falzeben fahren sollte, um dort in einer der Bars auf mich zu warten.
In der Eile, die geboten war, um überhaupt noch skifahren zu können, beging ich einen Fehler, den ich bis jetzt schwer bereue: ich vergaß meine Digitalkamera im Wagen, so dass ich keine Bilder machen konnte. Schon die Fahrt mit der alten Seilschwebebahn durch das Naiftal war beeindruckend. Die Bahn überwindet in zwei Sektionen 1700 Höhenmeter. Das steile und enge Tal, mit seinen Felsen und Wänden, den auf den Felsvorsprüngen klebenden Tannen und seinem wilden Gebirgsbach, bietet schon im Herbst eine Wildromantik, die ihres gleichen sucht. Jetzt, nachdem wohl etwa eineinhalb Meter Neuschnee gefallen waren, der tiefe Schnee die Felsbrocken wie Wasser umspülte und die dichten Tannenwälder in eine Märchenlandschaft verwandelt waren, hatte das Tal eine beinahe unwirkliche Schönheit bekommen, die eben nur der frische Winter der Landschaft einhauchen kann. Ich bedaure bis heute, dass ich diese wahrhaft verzaubernde Szenerie nicht habe festhalten können.
Oben musste ich feststellen, dass sich seit 1985 viel - zu viel - verändert hat. Dass der alte Sessellift aus Falzeben einer Achtergondelbahn weichen musste, war mir bereits bekannt. Dass aber aus Trojers Zeiten nur der Kombilift zum Kesselberg übrig ist, musste ich mit Erschrecken erst vor Ort feststellen. Ist das Schigebiet zwar von großen kuppelbaren Sesselbahnen verschont geblieben und konnte so im großen und ganzen seine Gemütlichkeit bewahren, so ist doch das aktuelle Erschließungskonzept eine unglaubliche Fehlplanung. Ich habe selten erlebt, dass eine an sich gut funktionierende Infrastruktur so verschlimmbessert wurde, wie in diesem Fall. Es beginnt damit, dass der im Prinzip interessanteste Lift des Gebietes, der die steilen und skitechnisch interessanten Hänge des Kuhleiten erschließt, durch den St. Osswaldlift ersetzt wurde, der deutlich niedriger in einer Senke hinter dem Kuhleiten endet. So fehlt dem Gebiet jetzt erstens der anspruchvolle Teil, weil hier gleich mehrere sehr interessante steile Pisten, dieursprünglich auf der Front des Kuhleiten erschlossen wurden, nun unzugänglich sind. Zweitens ist das Gebiet seines höchsten Punktes auf 2360m beraubt. Drittens steht am ehemaligen Ende des Lifts eine sehr sehr schön gelegene Hütte, die in der Senke zwischen Iffinger und Alplatt ein grandioses Panorama zu beiden Seiten des schmalen Sattels bietet, was einem auch auf den ausgesetzt gelegenen schwarzen Pisten begleitet hat. Viertens fehlen diesem Sektor durch den abriss des Kuhleitenlifts nun auch zwei Drittel der Pisten. Der St. Osswaldlift erschließt selbt nämlich nur eine der drei Pisten und auch nur ihren flachen und eher wenig spektakulären unteren Teil.
In diesem Zusammenhang steht gleich die nächste Verschlechterung. Ganz am Anfang gelangte man vom Piffinger Köpfl, wo die beiden Zubringerbahnen aus Meran und Falzeben enden, nur mit der Gondelbahn Kirchsteiger Alm ins Schigebiet. Man konnte wahlweise in der Mitte aussteigen, um direkt zum Kuhleitensessellift abzufahren, oder aber bis ans Ende in das Pistenrevier am Kesselberg und Mittager gelangen. Später konnte man optimalerweise vom Piffinger Köpfl über den kurzen Sessellift aufs Naifjoch und anschließend über eine Piste zur Talstation des Kuhleiten ins Gebiet abfahren. Alternativ war der Einstieg ins Schigebiet nach wie vor mit der Gondelbahn möglich. Nachdem diese Gondelbahn wegfiel und der neue St. Osswaldlift vom Naifjoch aus nicht per Piste zu erreichen ist, gelangt man nun über einen langen und langsamen Sessellift, der mehrere Buckel quert ohne viel an Höhe zu gewinnen, ins Schigebiet. In beide Richtungen - sowohl auf dem Weg ins weitere Schigebiet wie auch später auf dem obligatorischen Rückweg zum Piffinger Köpfl - schließen sich heute anstatt der Pisten elends lange Ziehwege an, die teilweise so flach sind, dass man schon ordentlich schieben muss, um voran zu kommen. Umso ärgerlicher ist dies, als dass dort ausreichend steile Hänge existieren, um bei geschickter Erschließung entsprechende Skifreuden aufkommen zu lassen. Der gesamte vordere Teil des Schigebiets wird jetzt durch den Lift und die Ziewege überbrückt anstelle einer Erschließung durch Pisten und Lifte.
Hier findet man eine optische Verdeutlichung des eben gesagten, durch Klick auf den Pistenplan kann man Zwischen den beiden Ansichten 'gestern' und 'heute' umschalten.
http://www.trincerone.com/archive/aosta ... klung.html
Nach dieser ersten Enttäuschung, stellte ich dann zu meiner Freude fest, dass wenigstens der hinterste Bereich des Gebietes - Mittager und Kesselberg - in ihrer Erschließung nicht nachteilig verändert wurden. Ersterer wird heute durch einen neuen fixen Sessellift erschlossen, dessen Talstation günstiger liegt, als die des alten Trojerliftes und der als einziger im Gebiet einen lobenswerten Fortschritt darstellt. Der Kesselberg wird immer noch durch den einst von Trojer errichteten Kombilift erschlossen, der mittlerweile mangels Sommerbetrieb, als reiner Schlepplift fungiert. Allerdings existiert die rote Piste über die Flanke nicht mehr - möglicherweise ist sie aber als Tiefschneeabfahrt machbar.
Da ich auch bei früheren Wanderungen nie den Mittager bestiegen hatte und die Tatsache, dass es schon kurz vor vier war, mich zu einer Entscheidung zwang, ließ ich den Kesselberglift links liegen, um zum Mittager aufzufahren. Aufgrund der schlechten Witterungsbedingungen hatte dieser Lift allerdings, obwohl er noch fuhr, für den öffentlichen Verkehr bereits geschlossen. So blieb mir nichts anderes übrig, als von dort einen weiteren Ziehweg zurück zur Talstation des St. Osswaldliftes zu fahren. Aufgrund dieses Missgeschickes konnte ich also den ganz hinteren Teil des Gebietes nicht mehr auf Skiern erkunden. An der Bergstation des St. Osswaldliftes passierte mir gleich das nächste Missgeschick. Die Ausschilderung ist so schlecht, dass ich aufgrund der schlechten Sicht obwohl ich wusste, dass ich mich rechts halten musste, einige hundert Meter an dem Abzweig zurück zum Piffinger Köpfl vorbei fuhr. Da die Talstation des St. Osswaldliftes gefangener Punkt des Gebietes ist und ich nicht riskieren wollte, nach dessen Schließung dort anzukommen, stieg ich notgedrungen die etwa 130 Höhenmeter wieder auf, um dann den nächsten Ziehweg zurück zum Piffinger Köpfl zu fahren.
Als Fazit kann man sagen, dass der obere Bereich von Meran 2000 trotz vorhandenem Potential, das wohl schlecht erschlossenste Schigebiet der Alpen ist und dass es außer einem Haufen anstrengeder Ziehwege kaum lohnenswerte Pisten gibt. Die Abfahrt vom St. Osswaldlift ist recht flach, so dass man teilweise kaum schwingen kann. Die Abfahrt am Kesselberg ist wohl kaum interessanter, wenn auch schöner gelegen und als gemütliche Familienabfahrten einzustufen. Allein der Mittager bietet Pisten nach alpinem Maßstab. Wenn man bedenkt, wie reichhaltig das Pistenangebot in den 70er Jahren hier war, so ist die Veränderung umso trauriger, ja erschreckender. Ich selbst bin an diesem Tag im oberen Bereich von Meran 2000 nur Ziehwege gefahren (bis auf das Stück, dass ich irrtümlich befuhr und wieder rauflaufen musste).
Dennoch habe auch ich noch meine Hänge dort gefunden. Ausgerechnet die Abfahrten nach Falzeben sind nämlich wirklich toll. Aufgrund des vielen Neuschnees glichen sie an diesem Tage ohnehin beinahe Tiefschneehängen. Im oberen Teil teilweise erstaunlich steil und sportlich, im unteren Teil weit und gemütlich bestechen sie durch ein einmaliges Flair. Sie liegen als einzige unterhalb der Baumgrenze, so dass man an diesem Tage hier intensiv die Athmosphäre des märchenhaften Winterwaldes zu spüren bekam. Die dicken Schneeberge, die schwer auf den Zweigen der Tannen lasteten, ließen den Wald wie erstarrt wirken, in der zunehmenden Dunkelheit ein beeindruckendes Bild. Dazwischen schimmerte immer wieder das gemütliche warme Licht vieler kleiner Almhütten und Weiler zwischen den Stämmen hindurch, der Wald war erfüllt von dem Geruch der Holzöfen, die rustikalen Holzhütten und einfach gezimmerten Zäune, schufen eine beinahe bilderbuchhafte Winteridylle, die einer Weihnachtsgeschichte hätte entstammen können. Eine nicht ausgeschilderte Pistensackgasse zur Talstation eines bereits geschlossenen Parallelsesselliftes bescherte mir dann auch noch einen weiteren Spaziergang in diesem zauberhaften Wald. Unten in Falzeben strahlte mir hell und freundlich das Licht, der beiden Hotels und Restaurants entgegen. Dennoch fuhr ich kurz vor fünf Uhr im stockdunkeln noch ein letztes Mal mit der Kabinenbahn hinauf zum Piffinger Köpfl, um diese berauschende Abfahrt in dieser unwirklichen Märchenlandschaft zu wiederholen. Selten habe ich mir so sehr den alten Einersessellift anstelle der Gondelbahn herbeigewünscht - wie großaritg wäre es gewesen an der frischen Luft sachte und leis durch den nächtlich verzauberten Winterwald zu schweben. Das moderne Technikungetüm einer Achtergondelbahn wollte so gar nicht in diese rustikal-weihnachtliche Winteridylle passen.
Meine Freundin wartete geduldig in der Bar an der Talstation. Nach einem heißen Kaffee, machten wir uns schließlich auf den Weg zurück nach Meran. Die Bilder vom Parkplatz in Falzeben und von Hafling mögen vielleicht eine Idee von der Stimmung an diesem Abend schaffen.
Falzeben: Hotels und Gondelbahntalstation
Von Meran folgten wir der Schnellstraße nach Bozen, von dort der Autobahn nach Trento, Bergamo, Milano, Novara und schließlich ins Aostatal. Gegen halb eins kamen wir in unserem Hotel in St. Vincent an.