Anzère, 11.3.2007
Die grosse Unbekannte
Von Anzère wusste ich seither nicht viel. In Skiatlanten war diese Südhang-Station im mittleren Wallis allenfalls als Anhängsel von Crans-Montana dargestellt, zu dem es allerdings keine Pistenverbindung gibt und auch keine direkte Strassenverbindung. Auch die Homepage von Téléanzère ist dürftig. Genaugenommen gibt es gar keine Homepage, denn es wird auf die Homepage der Gemeinde weitergeleitet, die wiederum nur Bestandteil der Homepage der Region Mittleres Wallis ist. Viel ist dort nicht zu sehen. Zeitweise fand sich noch nicht mal ein Pistenplan. Kommentare in den verschiedenen Foren waren aber durchweg positiv, wenngleich sich kaum vollständige Dokumentationen fanden, was ich hiermit ändere. Anzère schien mir eine kleine bis mittelgrosse symphatische Station zu sein - so etwas wie ein Geheimtipp neben den etablierten Walliser Stationen. Mit der Grösse war ich mir jedoch etwas unsicher: Auf älteren Pistenplänen wirkte das Gebiet eher klein; der ganz neue Pistenplan jedoch suggeriert das Bild einer weitläufigen Skischaukel. Snowotz ging es ähnlich in seiner Einschätzung. Der neue Pistenplan sah jedenfalls sehr attraktiv aus, wenngleich der frühere zweite Zubringer aus Anzère nicht mehr eingezeichnet ist (er ist für die nächsten Jahre neu geplant). Daher gehörte Anzère auch für Snowotz zum Pflichtprogramm für Wallis 2007.
Um es vorwegzunehmen: Meine hohen Erwartungen haben sich im Bezug auf meine Idealvorstellungen von einem Skigebiet nicht ganz erfüllt; auch dieses Skigebiet hat jedoch seine Stärken und Chancen - aber dazu mehr im Fazit.
Beginnen wir mit dem Pistenplan:
^^ Zum Vergrössern in separatem Fenster bitte anklicken
Ab Sion kurvt man eine kurvenreiche Strasse etwa 1000 Höhenmeter hinauf bis nach Anzère. In Sion ist Anzère erst ab dem Ortsausgang ausgeschildert. In der Stadt half uns ein Polizist weiter. Praktisch ist es aber, ab der Autobahn (Sion Est) den Umfahrungstunnel zu nehmen. Der führt direkt zum dem Kreisel hinter Sion, ab dem die Bergstrasse nach Anzère beginnt. Etwa nach der Hälfte der Strecke teilt sich die Strasse und man hat 2 Möglichkeiten, nach Anzère zu gelangen. Beide Strecken sind etwa gleich lang, es ist also ziemlich egal wie man fährt. Zum früheren zweiten Zubringer (damals DSB) war die rechte Strasse näher. Laut Plan soll dieser Zubringer wieder neu gebaut werden, die Talstation soll aber etwas höher liegen.
Der Parkplatz an der 8EUB Pas de Maimbre war gut gefüllt und die Regelung, für das Parkieren 5,-- CHF Gebühr zu verlangen, deutet darauf hin, dass dieser Platz generell gut besucht ist. An der Kasse hat man uns darauf hingewiesen, dass oben starker Wind mit bis zu 70 km/h blase. Ich habe mich daraufhin erkundigt, ob einige Anlagen in Betrieb seien. "Ja", bekam ich zur Antwort, der Betrieb laufe, aber man wolle uns vorsorglich auf die Situation hinweisen, damit wir uns hinterher nicht beschwerten, falls es zu Einschränkungen komme. Da es unsinnig gewesen wäre, jetzt noch wo anders hin zu wechseln, wo es vermutlich auch nicht besser wäre, nahmen wir dieses Risiko in Kauf.
^^ Parkplatz mit 8EUB an grünen Sonnenhängen auf 1500 m
Auf 1500 Meter Ortshöhe war es erwartungsgemäss grün, aber bereits ab 1800 Meter lag eine geschlossene Schneedecke, die auch von Beginn an ordentlich mächtig war und gemäss realistisch erscheinender Angaben zwischen 100 und 250 cm betrug. Die Schneelage war auf jeden Fall ausgezeichnet, abgesehen von der Schneequalität auf dem untersten Drittel der schwarzen Talabfahrt. So einen tiefen und unangenehmen Maschinenschnee-Sulz habe ich ehrlich gesagt noch nie erlebt.
^^ Dieses Bild mit der Bahn vor dem 1500 Meter tiefer liegenden Rhonetal hat's mir einfach angetan
Wir zuckelten in unserer 8er-Gondel mit deutlich reduzierter Geschwindigkeit nach oben - geschätzte 3 m/s; Ursache war mit hoher Wahrscheinlichkeit der starke Wind im Bereich der Bergstation. Bei der Bahn handelt es sich um eine recht neue Doppelmayr-Bahn, sie hat vor wenigen Jahren eine ZUB ersetzt.
^^ Die einseitige Zustiegsstation der EUB, die an Tagen mit solcher Schneelage sehr wertvoll ist. Bis hierher war der Schnee nämlich exzellet.
^^ Ein erster Blick auf das Skigebiet vermittelt bereits einen repräsentativen Eindruck: Der Hauptteil des Skigebietes spielt sich auf diesem grossen gleichmässig geneigten baumfreien Hang ab.
^^ Toll gestaltete Einfahrt in die Bergstation - ist wohl die gestalterische Weiterentwicklung der Grimentzer Lösung - allerdings einstöckig.
^^ Blick von hinten auf die Bergstation der EUB mit dem Tal-Berg-Tal-Lift Cuvette (links) / Turin (rechts) im Vordergrund. Dieser Schlepper ist eine interessante Konstruktion: Die Cuvette-Talstation ist als kuppelbare Station ausgeführt, die Turin-Talstation nicht. Beim Betrieb mit beiden Seiten wird allerdings auch auf der Cuvette-Seite die Kupplungs-Kulisse nicht genutzt, sondern die Schleppstangen bleiben mit gleichem Abstand fest eingehängt. Alles andere wäre auch problematisch, wenn die Cuvette-Talstation kuppelbar betrieben würde, könnten auf der Turin-Seite nur dann Leute einsteigen, wenn der Lift vorher auf der Cuvette-Seite benutzt worden wäre. Wozu also die Kupplungs-Kulisse auf der Cuvette-Seite? Möglicherweise wird die genutzt, wenn die Turin-Seite gesperrt ist. Der Lift läuft natürlich auch mit sehr geringem Tempo, weil nicht gekuppelt wird. Am Ende des Skitages konnte der Lift nicht mehr benutzt werden, weil das Seil an der rechten hier zu sehenden Stütze aus dem Führungsrad gefallen war. Könnte durch den Wind in Kombination mit "aus der Spur fahren" verursacht worden sein.
^^ Um zum Hauptteil des Gebietes hinüberzuwechseln, muss man diese Télécorde benutzen, wenn man nicht schieben will. So gelangt man zu Skilift La Combe.
^^ Hier die Piste Combe am Skilift La Combe. Wie man sieht: Der Name ist naheliegend und passt genau zur Geländeform. Ich habe den Lift so genannt, ohne auf den Pisteplan geachtet zu haben und zu wissen dass er wirklich so heisst. Die deutlich erkennbare Muldenlage schützt den Schnee vor Verwehung und zu grosser Sonneneinstrahlung, so dass die Verhältnisse hier fantastisch waren. Dazu kommt, dass ich solche Pisten in Muldenlagen auch von Fahrerischen her liebe. Da macht es richtig Spass, Gas zu geben. Die Frequentierung hält sich in Grenzen, auf vielen Pisten war es noch deutlich leerer - und das am Sonntag. Probleme mit der Frequentierung hatte nur die Piste nach Les Rousses, aber dazu später mehr. Um es vorwegzunehmen: Diese Piste hier ist meiner Meinung nach die attraktivste im Gebiet. Vielleicht fällt die Talabfahrt auch in diese Kategorie wenn sie optimale Bedingungen vorweisen kann. An diesem Tage konnte sie es jedoch nicht. Hinten sieht man die DSB Duez-Le Bâte.
^^ Sicherlich kein Geheimnis mehr: Solche Durchfahrten zwingen mich regelrecht, den Fotoapparat auszupacken.
^^ Schlepplift Grilesse, der in Kombination mit La Combe oder Le Bâte recht lange Abfahrten ermöglicht. Alle Schlepplifte in Anzère sehen recht mitgenommen aus, obgleich sie vermutlich nie per Anhalter unterwegs waren. Dieser hier soll gemäß Pistenplan zusammen mit der anschliessenden DSB durch eine KSB ersetzt werden.
Die Pisten am Grilesse-Lift sind wie viele andere in diesem Skigebiet perfekte carvingtaugliche Skiautobahnen - leicht bis mässig geneigt, breit, glatt, gut gewalzt. Wirklich herrlich zum heizen, aber für meinen Geschmack fehlt hier das "gewisse Etwas". Unerwartete Kuppen, Kurve, Steilstücke - kleine Geländekammern, von Felsen begrenzt: Alles Fehlanzeige am weitläufigen Haupthang zwischen der 8EUB und dem Grilesse-Lift. Mehr bietet in dieser Hinsicht die Felslandschaft um den wortwörtlichen Gebietshöhepunkt Le Bâte. Aber dieser interessante Bereich ist räumlich sehr begrenzt und im Verhältnis zum nicht gerade riesigen Gesamtgebiet doch sehr klein.
^^ Blick zurück über den grossen Haupthang zum Pas de Maimbre
^^ Oberer Teil Grilesse-Lift. Rechts die Talstation der DSB Duez-Le Bâte
^^ Selbige
^^ Blick aus der DSB in die Combe mit herrlicher Piste
^^ Nach einer Kuppe geht's mit der DSB erstmal wider bergab. Aber Moment mal - was war das hier? Man hat - wie im Bild zu sehen ist - bereits Schnee von der Kuppe abgefräst und trotzden setzten die Skier im Schnee auf! Mitten auf der Strecke! Habe ich, glaube ich, noch nie erlebt. Auf jeden Fall hat's hier gigantisch Schneemengen - auf jeden Fall mehr als auf der Rhonetal-Südseite mit ihren Nordhängen. Offenbar wirkt an den Südhängen noch ein wenig der "Berner-Alpen-Effekt" und weniger der trockene "Inneralpin-Effekt".
^^ Blick zurück zu diesem kuriosen "Aufsetzer".
^^ Ganz oben bei Le Bâte dann nochmal eine schöne Muldenpiste mit zusätzlichen Tiefschnee- und Steilhangvarianten. Auch die Felsen kommen hier zu ihrem Recht. Dies ist nochmal ein kleines Glanzlicht des Gebietes, das sich auch auf die andere Seite, die Combe de Serin, erstreckt.
^^ Oben dann erstmal ein technisches Highlight: Die Bergstation der Von-Roll-3KSB Les Rousses-Le Bâte, die aus der Combe de Serin hinaufführt. Dies ist bislang die einzige KSB im Gebiet.
^^ Blick in die Combe de Serin mit Mittelstation
^^ Von dort führt die Piste weiter nach Les Rousses. Sie führt zunächst über freie Hänge, dann durch lichten Baumbestand und später durch Wald. Diese Piste ist beim erstmaligen Befahren sehr abwechslungsreich - genau die Kurven und Kuppen, die ich im vorderen Skigebiet vermisst habe. Allerdings ist die Piste auch nicht sehr breit und daher streckeweise sehr voll. Vernünftige Varianten habe ich auch nicht gefunden und so wurde die Piste nach 2maligem Befahren doch langweilig.
^^ Wie gesagt: Eigentlich recht nett, aber doch voll, schmal und variantenarm
^^ Interessante verschneite Hütte. Da drinnen gibt's Grillfeuer. Wenn man etwas im Rucksack hat, kann man es da drinnen auf den Rost werfen. Verkauft wird hier aber nichts.
^^ Talstation der 3KSB Les Rousses-Le Bâte. Hier betrug die Wartezeit 5 bis 10 Minuten, weil die Piste offenbar sehr beliebt ist und weil das die einzige KSB ist. Die Bahn hat grosse Sesselabstände und nur etwa 1000 p/h Beföderungskapazität. Angesichts der Warteschlange wünscht man sich auf den ersten Blick mehr Durchsatz. Aber andererseits verträgt die Piste nicht mehr Menschen. Dies ist halt die Crux dieses Skigebietsteils. Lösen kann man das vermutlioch nur durch Attraktivierung des Rest-Skkigebiets.
^^ Die landschaftlich wirklich schöne Combe de Serin
^^ Mittelstation
^^ Bergstation der DSB. Hinten ist die breite Schneisse der berühmten Bärenpiste (Piste de l'Ours) bei Veysonnaz zu sehen.
^^ Nochmal der obere Teil der DSB. Ich habe anstelle der Piste gleich vorn die Steilhangvariante gewählt - geht schon gewaltig runter
^^ Zeitsprung: Hier sind wir nach einigen Fahrten im Bereich Tsalan-Grilesse-Combe schon wieder am entgegengesetzten Ende des Skigebiets am Tal-Berg-Tal-Lift im Bereich der EUB-Bergstation - und zwar auf der Turin-Seite - also wirklich völlig entgegengesetzt. Snowotz braust der Turin-Talstation entgegen, deren Umlenkscheibe an einem trutzigen Fachwerkmast baumelt. ich muss schon sagen, das ist ein kurze aber geniale Heizer-Piste.
^^ Ideale Carving-Piste auch am nahe der EUB gelegenen Lift Les Luis. Ja, Carven kann man hier super auf leeren, breiten Klasse-Pisten. Aber wie erwähnt: Des "gewisse Etwas" nach meinem Geschmack kommt zu kurz.
^^ Snowotz nimmt Anlauf für eine Carving-Übung. Um diese Uhrzeit ist er voll in seinem Element. Zur üblichen Skitag-Aufstehzeit um 6 Uhr morgens benötigt er immer noch ei bisschen Anlauf.
^^ Talabfahrt! Hier nochmal kleinräumige Schönheit mit Felsen, Kurven und Kuppen. In diesem Bereich war auch der Schnee noch gut. Weiter unten wurde er zur Katastrophe. Es lag zwar genügen Maschinenschnee, aber die Konsistenz war grausig. Die Piste selbst ist "hellschwarz" und gar nicht übel.
^^ Herausragende Erscheinung
^^ Nettes Abendlicht. Wir waren die Talabfahrt vorher schonmal gefahren (was ein Fehler war - einmal reicht bie diesem Schnee unten). Jetzt um 16.30 uhr wurde man wenigstens durch schöne Farben des stärker gebrochenen Abendlichtes entschädigt.
^^ Hier der Kampf durch die Sulz-Häufen. Unten die Skibrücke, die den Parkplatz bis zur Talstation überbrückt.
^^ Das gleiche ohne nachträglich Behandlung der Tonwerte - die spinnen, diese Digital-Kleinbildkameras!
Das wars dann erstmal mit den Bildern und ich versuche ein Fazit zu ziehen:
Meine Erwartungen an das Gebiet waren nicht sonderlich konkret aber doch hoch. Für mich haben sich die Erwartungen nicht erfüllt. Andere Wallis-Stationen kommen einfach meinem Geschmack mehr entgegen. Diese vielen glatten Autobahnen an Idealhängen sind sicherlich ganz toll, aber mir fehlt die Abwechslung in Form der oben mehrmals beschriebenen Dinge. Die Anlagen ausser der EUB und der KSB erscheinen recht alt und das Gebiet könnte an einem Schweideweg stehen. Da stellt sich die Frage der Positionierung. Meine Meinung: In Sachen hochalpine Landschaft, Anspruch und Variabilität der Pisten, Freeride-Möglichkeiten, tolle Geländekammern kann das Gebiet nicht von den anderen Wallis-Gebieten mithalten, geschweige denn sich abheben. Anzère ist halt der kleine Bruder des eher mittelmässigen Crans-Montana. Also muss es nach anderen Möglichkeiten der Differenzierung, Vermarktung und Zielgruppenfindung suchen. Hier im Wallis sehe ich diesbezüglich eine Möglichkeit: Fokussierung auf Komfort. Meine strategische Empfehlung (keine Ahnung ob das finzierbar ist) wäre: Reaktivierung zweiter Zubringer mit beschneiter roter Talabfahrt. Ersatz der 5 alten Hauptlifte durch 3-4 geschickt angelegte KSB. Damit hätte das Gebiet im Wallis eine Alleinstellung, die der vermultich derzeit schon angesprochenen Zielgruppe (wollen perfekte Pistenautobahnen zum heizen) sehr entgegenkommt. Ansonsten gibt es nicht so viele topmoderne Gebiete im Wallis. Verbier ist von der Ausrichtung und vom Preis her kein direkter Konkurrent; Zermatt ist als gewachsenes mondänes Dorf kein Konkurrent. Das Aletschgebiet ist weit entfernt und dürfte die Gäste aus der Romandie auch aufgrund der Entrfernung zur Sprachgrenze weniger anziehen. Hier sähe ich Potenzial, das aber freilich auch finanziert werden muss.
Ansonsten ist mir aufgefallen, dass Anzère sich zweisprachig gibt. Wärend das näher an der Sparchgrenze liegende Crans-Montana sich bewusst Französisch gibt, sprechen in Anzère offenbar alle Einheimischen genauso fliessend und bereitwillig Deutsch wie Französisch, und das ohne Akzent.
Wartezeiten gab es neben den erwähnten 5-10 Minuten in Les Rousses nur nachmittags am La-Combe-Lift mit 5 Minuten, da dieser Lift auch als Rückbringer zur Talabfahrt dient. Ansonsten gab es keinerlei Wartezeiten und die meisten Pisten waren recht leer, obwohl es ein Sonntag war.
Anzère war für mich eine intressante Erfahrung und ich bereue es nicht, dieses Gebiet mal getestet zu haben. Aber es entspricht nicht vollumfänglich meinen Vorstellungen von einem mittelgrossen Idealgebiet.
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