Trekking im Tien Shan - September/Oktober 2015„
Als hielten sie sich an den Händen, eilten die schäumenden, blauen Wellen in dichter Folge ans gelbe Ufer. Die hinter den Bergen versinkende Sonne färbte das Wasser rötlich. Fern, von der anderen Seite des Sees, grüßten violette Schneeberge herüber. Über ihren Häuptern türmten sich graue Wolken.“
Dshingis Aitmatov über den Issyk Kul in „Du meine Pappel im roten Kopftuch“
EinleitungTrekken in Kirgistan? Nicht gerade die erste Idee, wenn man an Urlaub denkt. Aber mit ein paar Zufällen ergab es sich schließlich, dass wir im September und Oktober 2015 vier Wochen in Kirgistan und Kasachstan unterwegs waren. Im Mittelpunkt stand dabei die etwa 10-tägige Durchquerung des Terskej Alatau im Tien Shan südlich von Karakol, ca. 450 km östlich der Hauptstadt Bishkek. In Bergsteiger-Kreisen ist die Gegend nicht unbekannt, mit dem Khan Tengri besitzt sie einen namhaften Gipfel und der Engiltschek-Gletscher mit dem Merzbacher-See ist insbesondere unter Forschern ein Begriff.
Terskej-Alatau-TraverseDie letzten Vorbereitungen für die bevorstehende 10-Tages-Tour treffen wir in Karakol. Das meiste Essen haben wir bereits aus Deutschland mitgebracht, weshalb wir uns auf dem Basar nur noch mit den letzten nötigen Dingen wie frischem Brot oder Gasflaschen eindecken müssen. Letztlich bekommt man übrigens alles, was man für so eine Tour an Verpflegung braucht, auch in Karakol – aber das weiß man vorher schließlich nicht. In unserem Gästehaus (sehr empfehlenswert - Teskey Guesthouse in der ul. Asanalyeva) holen wir vom sehr freundlichen und hilfsbereiten Chef Informationen über die aktuellen Bedingungen ein und lagern die nicht benötigten Teile unseres Gepäcks ein.
Auch eine Besichtigung Karakols darf natürlich nicht fehlen, allerdings gibt es nicht gerade viel zu sehen. Zwei schöne Gotteshäuser (unten zu sehen die russisch-orthodoxe Kirche) und ein riesiger Basar – das war’s eigentlich auch schon wieder. Asphaltiert sind auch nur die beiden großen Hauptstraßen, der Rest ist staubig, grau und etwas heruntergekommen…
Die von uns geplante Terskej-Alatau-Traverse wird mit Akklimatisierung und einigen Abstechern mit etwa 10 Tagen angegeben. Dabei durchquert man den Terskej Alatau von West nach Ost etwa 30 km südlich von Karakol. Geprägt ist die Gegend von langen in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Tälern, die als Zu- und Abstieg der Trekkingtour sowie zur Verkürzung der Strecke nutzbar sind. Die Täler werden intensiv viehwirtschaftlich von Hirten genutzt und es gibt jeweils einen mächtigen, von Gletschern gespeisten Gebirgsfluss. In der Nähe des jeweiligen Talschlusses gibt es meist einen Übergang über einen Pass ins nächste solche Tal. Die 10-Tages-Tour erstreckt sich über fünf Täler und 4 Pässe. In der Karte ist die Tour der Übersicht halber als rote bzw. gelbe Linie eingezeichnet. Zur näheren Bedeutung der Zeichen später mehr.
So starten wir mit dem Taxi von Karakol nach Kyzyl-Suu, wo das erste Tal beginnt. Da die Rucksäcke schwer, die Wanderung sowieso lang genug und das Tal und die Fahrstraße lang aber nur mäßig spannend sind, gönnen wir uns ein zweites (geländegängigeres) Taxi, dass uns in die Nähe der heißen Quellen von Dschyluu Suu auf 2300 m bringt. Dort belohnen wir uns trotz der nicht vorhandenen körperlichen Ertüchtigung mit einem heißen Bad und schlagen unser erstes Lager auf. Da man zu schwere Literatur ungern über 4000 m hohe Pässe schleppt, testen wir auch den Brennwert russischer Historienromane…
Nun beginnt die eigentliche Trekkingtour. Ein paar allgemeine Worte: technisch ist die Strecke größtenteils unschwierig, die beiden großen Herausforderungen sind das ungewohnt schwere 20 kg-Gepäck und die Höhe mit Passhöhen an die 4000 m, wo die Luft schon deutlich dünner wird. Daher ist auch die Einhaltung der Akklimatisierungs-Etappe zu Beginn der Tour durchaus zu empfehlen. Die Landschaft ist grundsätzlich nicht ganz ungewohnt, vieles erinnert an die Alpen. Nur spielt sich hier alles etwa 1000 m höher ab und das Gefühl beim Laufen ist ein gänzlich anderes, wenn man in touristisch vollständig unerschlossenem Gelände alleine auf sich gestellt mit Zelt unterwegs ist.
Die markante Vegetation der steilen Bergflanken ist die endemische Tien-Shan-Fichte, ein sehr ästhetischer, schlanker und hoch emporragender Nadelbaum. Die flachen Talsohlen sind stark abgegrast, durch die intensive Nutzung als Weideland vor allem für Rinder und Pferde sind die Wiesenflächen völlig überweidet. Eine Wetterstation markiert das vorerst endgültige Ende der Zivilisation. Bis zu einer Modernisierung vor wenigen Jahren wurden die aktuellen Wetterdaten von hier noch per Morsezeichen übermittelt.
Als kleinen Abendspaziergang steigen wir ohne Gepäck von unserem Lager noch zu einem einsamen Hochtal auf und genießen dort die letzten Sonnenstrahlen in herrlicher Natur und Einsamkeit.
Auf dem Weg zum ersten Übergang, dem Archa-Tor-Pass, müssen wir zunächst wieder ein Stück zurück und treffen die kirgisische Variante des Holztransports (die Jungs hätten uns sogar mitgenommen – wir mussten leider in die andere Richtung). Dann trennt uns noch eine interessante Flussquerung vom Beginn des Anstiegs in Richtung Pass. Generell warnt unser Wanderführer vor den Flussquerungen, allerdings hatten wir damit überhaupt keine Probleme. Entweder es gibt eine Überquerungsmöglichkeit mittels Brücke, Pferden oder Seilbahn oder der Fluss ist ganz schmal. Zu Beginn der Saison – wenn auch die kleineren Bäche durch die Schneeschmelze anschwellen – mag dies freilich anders aussehen.
Auf knapp 3500 m schlagen wir nochmals ein Lager auf, bevor es am nächsten Morgen auf den ersten – bereits im Hintergrund erkennbaren – Pass geht. Hier oben ist nicht nur die Luft dünn, nachts wird es auch schon empfindlich kalt. Das im Eimer verbliebene restliche Wasser ist am nächsten Morgen jedenfalls von einer Eisschicht bedeckt.
Der restliche Anstieg zum Archa-Tor-Pass (3930 m) ist mühsam, es geht durch viel losen Schotter und das Ziel scheint dabei nicht wirklich näher zu kommen. Aber schließlich wird man mit einer phantastischen Aussicht auf 5000er, Gletscher, Täler und vielem mehr belohnt.
Nach Erreichen der ersten Almen machen wir erstmal ausgiebig Mittagspause und wärmen uns wieder auf – auf der Passhöhe war es bei starkem Wind eher frostig. Im weiteren Wegverlauf steht uns noch ein weiterer Abstieg ins nächste Haupttal bevor. Menschen haben wir heute noch keinen getroffen. Dies gilt bis auf die paar Hirten und wenigen Touristen in den großen Tälern sowie die zentrale Etappe zum Ala-Kol-See übrigens für die gesamte Strecke.
Faszinierende Hängegletscher säumen den Talschluss des Jeti-Oguz-Tals. Wir folgen dem Tal am nächsten Tag etwas talauswärts, um dann in ein anderes Seitental in Richtung Teleti-Pass abzubiegen. Beim Aufstieg verschlechtert sich das Wetter jedoch rapide, zunächst drücken Wolken und Nebel ins Tal hinein, gegen Mittag beginn es zu regnen.
Am Ende des Seitentals, bevor links der steile Anstieg zur Passhöhe beginnt, ist es bereits späterer Nachmittag und es schüttet. Der weitere Weg führt durch Wacholderfelder hindurch und ist aufgrund des Regens und des gerade abgeschlossenen Almabtriebs extrem matschig und mühsam zu gehen. Wir versuchen es kurz, drehen nach mehrfachem lauten Blitzen und Donnern jedoch wieder um und schlagen im Regen unser Lager am Talschluss auf. Es sieht nicht gut aus, unser (nicht mehr aktueller) Wetterbericht hatte auch eine ein- bis zweitägige Schlechtwetterfront mit drin, aber wir hoffen trotzdem das Beste für den nächsten Tag.
Die erhoffte Wetterbesserung kam aber leider nicht, nach einer eher nasskalten Nacht hört man frühmorgens schon den Schnee vom Zeltdach rutschen… Der Blick aus dem Zelt ist auch eindeutig…
Bis Mittag warten wir. Da aber keine Wetterbesserung eintritt und vor allem die Sicht weiter oben auch gleich Null, der Weg aber natürlich nicht markiert ist, beschließen wir die Zelte abzubauen und wieder zurück zu laufen. Im Haupttal hoffen wir auf irgendwas Motorisiertes zu treffen, was uns zurück in die Zivilisation und schließlich nach Karakol bringt. Von dort wollen wir im nächsten Schönwetterfenster mit getrockneter Ausrüstung wieder aufbrechen und einen weiteren Abschnitt der Tour laufen.
Leider müssen wir im Haupttal noch locker 10 km laufen, bis wir ein Jurtencamp finden, von wo aus uns jemand mit dem Jeep bis Karakol fährt. Zumindest nachdem er den Jeep wieder repariert hat
Letztlich ist schon vor dem zweiten Pass klar, dass wir nicht die ganze Terskej-Alatau-Traverse schaffen werden. Es ist schade drum, aber letztlich zählt für uns das Erlebnis in der freien Natur, das Abenteuer und nicht das Abhaken von Gipfeln oder Pässen. Der restliche Wehmut (auch über das viele umsonst geschleppte Essen
) lichtet sich, als sich in der Wettervorhersage herauskristallisiert, dass schnell wieder drei bis vier Tage mit stabilem Hochdruckwetter folgen – wenn auch bei empfindlich kälteren Temperaturen.
So beschließen wir einen Ruhetag in Karakol einzulegen und erkunden etwas die Umgebung. Das Naturkundemuseum zeigt dabei hervorragend die hohen Talente der Kirgisen beim Ausstopfen von Tieren (
), der Blick auf Karakol und die frisch verschneiten Berge des Terskej Alatau im Hintergrund bei angenehm warmen Temperaturen entschädigt dafür wiederum.
Am linken Bildrand ist übrigens auch das Skigebiet von Karakol zu erkennen.
Mit deutlich weniger Gepäck lassen wir uns also am kommenden Tag wieder in die Berge fahren, um das zentrale Teilstück der Terskej Alatau Durchquerung mit dem Nationalpark um den Ala-Kol-See noch zu absolvieren. Laut Vermieter werden wir mit dem Auto soweit reingefahren, dass wir nur noch fünf Kilometer laufen müssen. Wir lassen es daher ruhig angehen und machen uns gemütlich mittags auf den Weg. Leider hat sich auch das mal wieder als kirgisische Interpretation von Distanzen und Zeiten herausgestellt und die 5 wurden schnell mal 15 Kilometer.
Aber egal, bloß ein bisschen früher los wären wir losgefahren, die Landschaft war jedenfalls umso schöner. Es geht durch ein herrliches Almental mit unzähligen idyllischen Picknickplätzen entlang des mal reißenden, mal ruhig dahinfließenden Bergbachs. Das alles ist bereits Nationalpark-Gelände, was man vor allem daran merkt, dass die Vegetation noch ursprünglich und nicht komplett abgeweidet ist. Ein sehr angenehmer Gegensatz zu den vergangenen Tagen. Der Eintritt ist billig, 4 Euro + 1 Euro pro Nacht oder so, den man am Eingang bzw. bei den Rangern bezahlen muss.
Unsere Zelte schlagen wir etwa 500 Höhenmeter unterhalb des Ala-Kol-Sees auf. Dort sind wir dann – ganz ungewohnt – nicht mehr ganz allein, sondern teilen uns die großen Wiesen und Waldlichtungen mit noch ca. 20 anderen Leuten. Von russischen Jungs, die neben riesigen Zelten noch Gusseisentöpfe, zahlreiche Äxte und Werkzeug sowie Schnaps und Musikinstrumente hier hoch geschleppt haben, über israelische Weltreisende und die allseits auftauchenden Deutschen und Franzosen ist hier alles dabei. Allerdings gehen viele am nächsten Tag nur hoch zum See und nicht über den anschließenden Ala-Kol-Pass hinüber ins nächste Tal. Dort sind wir dann wieder alleine…
Die Schlechtwetterfront hat auch kalte Luftmassen mitgebracht, sodass der Abend und die Nacht auf 3000 m Höhe doch eine recht frostige Angelegenheit werden. Die Morgentemperatur dürfte wieder so bei ca. -5°C gelegen haben. Als erste Gruppe des Tages brechen wir nach Sonnenaufgang auf und bringen uns in dem steilen Anstieg erstmal wieder auf Betriebstemperatur.
Was folgt, ist ein traumhaft gelegener Hochgebirgssee auf 3500 m. Völlig zurecht Nationalparkgelände, der See hat eine wunderbar blaue Farbe. Der frisch gefallene Schnee an den steilen Fels- und Geröllflanken, die direkt in den See stürzen, bildet herrliche Kontraste. Weiter hinten zeugt ein nicht mehr in den See kalbender Gletscher auch hier vom Klimawandel, trotzdem ist man dem ewigen Eis gefühlt ganz nah.
Die Luft ist eisig kalt, der Wind tut sein Übriges, aber die Aussicht entschädigt für alles.
Die Steinmännchen hoch über dem Seeufer sind in der leicht eingeschneiten Geröllwüste nur schwer auszumachen, aber nach etwas Suchen finden wir den Pfad, der hoch über dem Ufer am See entlang führt. Vom Seeende sind es nochmal 400 steile Höhenmeter direkt die sandige Geröllflanke hoch zum Ala-Kol-Pass auf 3920 m. Dort erwartet uns einmal mehr ein perfektes Panorama, Tiefblicke zum leuchtend blauen See, glitzernde Gletscherflächen, grüne Almen. Da die Sturmböen aber massiv an unserem Gleichgewichtssinn rütteln, halten wir die Pause kurz …
… und machen uns an den Abstieg durch die sehr steile Nordostflanke. Hier liegt gut ein halber Meter Schnee drin und erfordert erstmals wirklich unsere alpinen Fähigkeiten. Die ersten Meter sind etwas heikel, aber anschließend geht der Abstieg im Rutsch- und Sprungmodus dafür umso schneller. Und Spaß macht’s oben drein
.
Viele Höhenmeter und eine ausgiebige Mittagspause später kommen wir schließlich im nächsten Haupttal an, in welchem wir wieder talauswärts marschieren wollen. Die letzte Nacht planen wir im „Dorf“ Altyn Araschan zu verbringen, wo es heiße Quellen geben soll. Die gibt es tatsächlich und sind herrlich eingefasst (zumindest wenn man an der richtigen Stelle ist…). Das Dorf ist mehr eine lose Ansammlung von vier Bretterverschlägen, aber wir gönnen uns eine Nacht für wenig Geld in einer Jurte. Ist ja schließlich auch Pflicht, wenn man schon mal in Zentralasien unterwegs ist.
Am kommenden Tag steht nur noch der Marsch zurück in die Zivilisation an. Laut Wanderführer drei Stunden, leider auch hier wieder falsch. Tatsächlich summiert sich der Weg auf 25 km stinklangweilige Fahrstraße, was dann eher kräfte- und nervenraubend wird, aber gut, auch das schaffen wir zum Abschluss. Den letzten Pass haben wir bewusst ausgelassen, da wir eh nicht die ganze Querung geschafft haben und daher nicht mehr so motiviert für diesen Abstecher waren. Und mir ging’s sowieso nicht gut an dem Tag.
Hier noch mal zur Übersicht die Karte. Alles rote sind wir gelaufen, das gelbe sind die fehlenden Teilstücke der Terskej Alatau Querung, das oragene die per Taxi abkürzbaren Strecken und Zwischen-Ein/Ausstiege.
Zusammenfassend hatten wir herrliche Tage und die Tour lohnt sich auf alle Fälle, auch wenn wir nicht den ganzen Weg geschafft haben. Letztlich ist das auch der Vorteil einer solchen Route, dass man quasi jederzeit abbrechen und wieder starten kann. Trotzdem bewegt man sich weitgehend einsam (bis auf die Nationalpark-Passage) durch herrliche Natur und kann einfach mal abschalten.
Nach ein paar Tagen laufen hat man dann auch wieder gelernt, einfach an gar nichts zu denken.