Rettenbachferner/Obergurgl, 07. September 2016
DSB Rettenbachjoch, vmtl. eine Frühjahrsaufnahme, vmtl. Ende der 1970er Jahre
8-EUB Schwarze Schneid I, 4-KSB Rettenbachjoch, 6. August 2004
8-EUB Schwarze Schneid I, 4-KSB Rettenbachjoch, 7. September 2016
Liebenerspitze, 3399 m und Gaisbergferner im Zoom von der Hohen Mut
Anfang September 2016 hatten Kris und ich die großartige Chance gemeinsam an einer Exkursion zum Rettenbachferner und nach Obergurl auf die Hohe Mut teilzunehmen. Da es sich um eine Tagesfahrt in großer Gruppe von Innsbruck und zurück handelte hatten wir kaum Möglichkeiten zur individuellen Programmanpassung, d.h. wir konnten nicht spontan auf die Schwarze Schneid hinauffahren oder durch den Straßentunnel hinüber zum Tiefenbachferner um auch dort eine Bestandsaufnahme zu machen. Dies nur vorweg als Erklärung für die aus Außenperspektive vielleicht unerwartete gemeinsame Destinationswahl, die wohl insbesondere nicht zu Kris’ expliziten persönlichen Präferenzen gehört hätte. Vielleicht wird er aber dazu noch selbst etwas schreiben, wer weiß… Die in vielerlei Hinsicht eingeschränkte Motivausbeute erklärt sich auch daraus: wir waren ohne adäquate hochalpine Ausrüstung unterwegs und bewegten uns quasi im Aktionsradius klassischer Halbschuhtouristen und aßen stilecht im SB-Restaurant (wo dennoch ein berückend-bedrücktendes historisches Photo auf uns wartete, siehe Beginn des Berichtes).
Ausblick von der Gletscherstraße hinauf zum Rettenbachferner. Sofort ins Auge fallend: die drei neuen Felsinseln im unteren Zungenbereich. In Bildmitte die dezent modellierte „Talabfahrt“ vom Gletscher durchs Rettenbachtal
Zoom zum SL Seiterjöchl
Für mich war dieser Ausflug eine in diesem Jahr einmalige Möglichkeit ins vergletscherte Hochgebirge zu gelangen und noch dazu in das Gletscherskigebiet in dem ich vor 12 Jahren meinen ersten Sommerskitag verbracht hatte. Das Wetter war phänomenal: frühherbstlich klar nach einem ersten zarten Neuschneefall in den Tagen zuvor der die größte Unansehnlichkeit der ausgeaperten Gletscher schonend überdeckte.
Guter Überblick der Gletscherstation Rettenbachferner, 2670 m, mit dem Weltcup-Hang (Bildmitte rechts), davor Restaurant, Bergstation der Verbindungsbahn zum Winterskigebiet sowie dem Stadion mit den Zuschauertribünen für die Weltcuprennen
Einige eigene Vergleichsaufnahmen vom 6. August 2004 verdeutlichen den Wandel der natürlichen Faktoren und die Genese der skitouristischen Kulturlandschaft seither.
Am Parkplatz Rettenbachferner fallen natürlich wenig überraschend vor allem zwei Aspekte sehr deutlich ins Auge. Zunächst ist da der fortgesetzte Eismassenschwund des Gletschers, der in seinem Steilhangbereich die bereits von anderen Gletscherskigebieten dieser Höhenlage in Österreich bekannten Auflösungserscheinungen zeigt.
Ausgeaperte Felsinseln im Steilbereich der Zunge des Rettenbachferners im Zoom
Anstelle des einstmals spektakulären Eisbruchs ist die Zunge nun dünn und löchrig, im Bereich der ehemaligen Querung von der Seiterjöchlabfahrt ist der Eis verschwunden und der in den Fels gesprengte Bereich des Ziehwegs hängt in der Luft. Kaum vorstellbar, dass an diesen Stellen die Piste dem Gletscher mit Eissägen etc. abgerungen werden musste.
Übersicht Weltcup-Hang zum Rettenbachjoch, 2974 m, mit den beiden Zubringerbahnen, der 8-EUB Schwarze Schneid I (links) und der 4-KSB Rettenbachjoch, die auf der Ur-Trasse der gleichnamigen DSB aus dem Jahr 1975 verläuft, die damals mehrere Gletscherstützen aufwies, was belegt, dass damals unterhalb der Trasse noch gut Eis vorhanden war. Links der 8-EUB (Baujahr 2003) massive Planien und zwei parallele Beschneiungslinien mit Propellerschneeerzeugern von TechnoAlpin
Ebenso deutlich sind die Anpassungsmaßnahmen der Skigebietsbetreiber mit diesen sich rasch verändernden natürlichen Gegebenheiten umzugehen. Die Hauptabfahrt wird immer weiter nach Süden weg von den Lifttrassen verlegt. Zeigen ältere Photos klar und deutlich, dass früher im steilsten Bereich der alten DSB- und heutigen 4-KSB Trasse zum Rettenbachjoch die Piste (auch) direkt unterhalb des Liftes verlief, liegt der sog. Weltcup-Hang heute nun mindestens ein Dutzend Meter von der ohnehin weiter nach Südosten verschobenen, 2003 errichteten 8-EUB Schwarze Schneid I, entfernt. Im unteren Abschnitt steht man dann aber auch nicht mehr auf Gletschereis, sondern unterhalb einer teilweise gedoppelten Beschneiungslinie von hochperformanten Propellerschneeerzeugern auf einem einigermaßen glatt planierten Schuttgelände.
Blick direkt entlang der Trasse der 8-EUB Schwarze Schneid I zum Rettenbachjoch
Die Weltcupabfahrt muss immer weiter nach bergwärts gesehen links verlegt werden, weg von den Seilbahntrassen
Ein Teil der Weltcup-Piste ist im Steilhang vermattet, im unteren, heute sehr flachen Abschnitt wurden die Matten kurz vor unserem Besuch entfernt. Mindestens 1,5 Meter Firnschnee konnten so der sommerlichen Ablation abgerungen werden, mit der Folge, dass die Piste in diesem Bereich sich richtiggehend vom nicht mittels Snowfarming, Beschneiung und Vermattung am Leben gehaltenen Gletscherrest abhebt.
Adaptionsmaßnahmen an den Klimawandel: Vermattung der Rennpiste, Planien der ausgeaperten Schuttflächen und Installation schlagkräftiger Beschneiungsanlagen
Propellerschneeerzeuger direkt neben dem vermatteten Schlussstück der Weltcuppiste
Zoom hinauf zu den Planien und zu vermatteten Steilhangpartien
Gletscherstadion und Ende des vermatteten Pistenbereichs
Anhand der Exkursionsteilnehmer erkennt man gut, die durch die Vermattung übersommerte Firnschneemenge, mindestens 1,5 Meter Höhe
Diese Maßnahmen erklären auch unter anderem, warum man hier seit 2006 keinen Sommerskibetrieb mehr anbietet: das Snowfarming und die Vermattung und gleichzeitiger Skibetrieb schließen sich auf den gleichen Flächen aus – wobei das Beispiel aus Hintertux am Tuxerfernerhaushang belegt, dass ein gewisser Kompromiss dennoch möglich sein sollte. Klar ist dennoch, dass die Vorbereitung des frühen Saisonstarts Ende September, spätestens Anfang Oktober und die alljährliche Skiweltcup-Eröffnung Ende Oktober absolute Priorität gegenüber dem einstmals viel bedeutenderen sommerlichen Skibeitrieb genießt.
Deutlicher geht es kaum: Sommerskibetrieb seit 2006 eingestellt in Sölden, auch wenn in manchen Jahren ein Saisonstart vor dem 22. September die Sommerskidefinition erfüllt
Planien im Detail
Zoom hinauf zum Rettenbachjoch, 2974 m, und den beiden Bergstationen. Die glatt planierte Schutthangpiste links steht in deutlichem Kontrast zum „ungeordneten“ Chaos der Gletscherschliffe und des anstehenden Gesteins unterhalb der Seilbahntrassen
Restgletscher, Vermattungen, Propellerschneeerzeuger auf hohen Schwenkarmen und Planien: Geballte Adaptationsmaßnahmen an den Eismassenschwund und Absicherung des frühen Saisonstarts samt Weltcuprennen
Die Seiterjöchl-Querung wurde – in Klimawandelzeiten kontraintuitiv – nicht nach oben, sondern nach unten in den anstehenden Fels hinein verlegt. Dies schafft allerdings das Problem, wie der Höhenunterschied zur weiter an Masse einbüßenden Gletscherzunge bewältigt werden soll – schließlich soll die Piste ja weiterhin zu den Talstationen führen und kein Aufstieg notwendig sein. Bei unserem Besuch sahen wir, dass dies durch die Anlage einer rampenartigen Querung versucht wird bzw. diese bereits vorhandene Querung an die Abschmelzereignisse dieses Sommers angepasst wird.
Die alte Querung von Seiterjöchlhang hängt „in der Luft“ und ist gut sichtbar in die Felsen modelliert. Die neue Querung verläuft seit einigen Jahren daher deutlich tiefer und wurde auch in diesem Jahr neu dem Gelände angepasst, man sieht gut einen Bagger
Zum Vergleich: alte, obere Seiterjöchl-Querung Anfang August 2004, also vor 12 Jahren
Alte, obere Seiterjöchl-Querung Anfang August 2004 aus der ersten Sektion der 8-EUB Schwarze Schneid gesehen. Die Gletschermasse ist noch deutlich mächtiger, man sieht, dass der Ziehweg damals noch ins Eis geschnitten werden musste
Blick nach Norden zum Polleskamm in Richtung „Golden Gate“-Verbindung zum Winterskigebiet. Aus dieser Perspektive wirken die Talstationen nicht gerade wie zu einem Gletscherskigebiet gehörig
Zum Vergleich 6. August 2004:
Mehr Eismasse, keine Beschneiung, keine Vermattung, dafür großer Depotschneehaufen in Analog zum berühmten „Riesenschneehaufen“ am benachbarten Tiefenbachferner
Zoom hinauf zum Rettenbachjoch: Unterhalb der 8-EUB-Trasse ist noch Gletscher, die 4-KSB weist sogar noch eine Gletscherstütze auf, die gerade umgebaut wird. Noch keine Beschneiung und keine Planien zu sehen
Blick auf die Talstation und das Gletscherstadion aus der EUB Schwarze Schneid I: Unten das große Schneedepot, keine Vermattungen in diesem Bereich, keine Beschneiung, keine Planien
Die 8-EUB Schwarze Schneid I verläuft noch über weite Strecken ihrer großen Spannfelder über Gletschereis
Wieder zurück in die Jetztzeit:
Bei der Talfahrt auf der Gletscherstraße fällt der Zoom auf die in der Fertigstellung befindliche massive Bergstation der neuen 10-EUB Giggijoch. Schon ein Wahnsinn, dass eine 18 Jahre alte Hochleistungs-8-EUB nun bereits wieder ersetzt wird/werden muss.
Bergstation neue 10-EUB Giggijoch
Bei diesem Wetter und noch so sommerlich grün wirkt aber auch der Hauptort Sölden nicht komplett abschreckend.
Nach dem vormittaglichem Aufenthalt am Rettenbachferner fuhren wir wieder zurück ins Tal und hinauf nach Obergurgl wo wir die 8-EUB hinauf zur Hohen Mut nahmen.
8-EUB Hohe Mut erste Sektion. Interessanterweise kein Durchfahrbetrieb heute
In Gurgl war ich bislang erst zweimal und beide Male kurioserweise ebenfalls in 2004 (einige Teilnehmer des AF-Wochenendes dort mögen sich evtl. erinnern) Anfang Mai und dann erneut Anfang August. Auf der Hohen Mut war ich beide Male nicht: beim Skitag war dieser Sektor bereits im Sommerschlaf (der Ersterschließungs-ESL stand noch). Inzwischen wurde ja die durchgehende 8-EUB vom Ort aus errichtet (mit Mittelstation am ehemaligen Talstationsstandort des ESL) und eine massentaugliche Serpentinenabfahrt dem Steilhang förmlich abgerungen (zuvor nur die sehr steile direkte Buckelpiste).
Hochfirst (3404 m) und Liebener Spitze (3399 m) von der Hohen Mut gesehen. Dazwischen der archetypische Gletscherlobus des Gaisbergferners
Rotmoos- und Wasserfallferner, gleicher Aufnahmestandort. Man sieht gut, wie Nährgebiet und Zunge des auf der linken Bildseite befindlichen Rotmoosferners sich getrennt haben
Auf der Hohen Mut (2670 m) genossen wir die fabelhafte Aussicht auf den Alpenhauptkamm mit durchaus noch ansehnlich großen Gletschern (Wasserfall-, Rotmoos- und Gaisbergferner) und den mächtigen, aber deutlich sparsamer vergletscherten Ramolkamm.
Dies dürfte der Vordere Seelenkogel, 3286 m mit dem Hangererferner sein
Trotz der intensiven Erschließungen im Skigebiet Ober-/Hochgurgl wird einem von dieser Aussichtswarte bewusst, dass hier dennoch sehr große, nur sehr extensiv erschlossene und wenig frequentierte Hochgebirgswelten direkt im Anschluss warten und dass in einer derart flächengroßen Gemeinde wie Sölden durchaus völlig unterschiedliche Tourismusformen parallel und direkter Nachbarschaft existieren können.
Talfahrt mit der 8-EUB Hohe Mut II. Links Obergurgl, in Bildmitte Hochgurgl. Rechts der Bildmitte das Skigebiet Festkogel. Im Hintergrund die von hier aus fast eisfrei erscheinenden Stubaier Alpen – ein Vorgeschmack auf kommende Zeiten?
Retortensiedlung Hochgurgl, 2150 m und skitouristische Kulturlandschaft. Links hinten die neue Mautstelle der Timmelsjochstraße samt Museum und Talstation Kirchenkarbahn
Trotz massiver Erschließungen reizvolle Weite der Gebirgslandschaft. Der markante Gipfel links der Bildmitte wurde von uns im August 2004 bestiegen, der 3161 m hohe Nederkogel
Obergurgl, 1930 m von oben
Wasserfallferner im Zoom von der Hohen Mut mit Wasserfallkogel und Mittlerem Seelenkogel
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