Ich stehe am Berg. Ich lasse meine Schi in den Schnee fallen. Es ist der 25. Oktober und es ist kein Gletscher. Unüblich für mich. Normalerweise starte ich ja schon viel früher. Was war da los?
Rückblende in den Mai 2014:
Die Schisaison 2013 / 2014 war nicht schlecht, aber aufgrund der Schneelage in den Nordalpen auch nicht berauschend. Und so verbrachten Schafi und ich die meiste Zeit im Gültigkeitsbereich der SSSC. Es war also etwas Urlaubsgeld übrig und so entschlossen wir, uns mal was neues anzuschaun. Dass diese Entscheidung fatal sein würde, das konnte keiner von uns zwei ahnen. Und so ging es für einen Städtetripp nach Lissabon.
Lissabon ist eine herrliche Stadt. Kultige Straßenbahnen, Standseilbahnen, schöne Gebäude, alles was das Herz begehrt. Ich erfahre, dass mein neuer Job auch kla geht und man mich sofort, am besten gestern, einstellen will.
Wir erkunden die Stadt, fahren aufs Land und machen Abendfotoexkursionen. Die Standseilbahnen haben es mir angetan, die abgestellten Wagen stehen hell erleuchtet in den Straßen, das Stativ ist mit und so wird eine um die andere Bahn in der Blauen Stunde erlegt.
Und zum Schluss kommt der Ascensor da Lavra dran. Dass das das letzte Foto des Urlaubs werden wird, konnte ich nicht ahnen. Es hat ganz leicht genieselt, die Straßen bestehen hauptsächlich aus Kopfsteinpflaster und sind rutschig. Auf der letzten Stufe beim Runtergehen vor der Ebene passiert es - ich rutsche aus, ich fliege und ich lande. Die Kamera hat es überlebt, das Objektiv auch. Nur ein stechender Schmerz im rechten Knöchel ist zu spüren. Die Schwellung ist entsprechend schnell da. Urlaub gelaufen? Ja. Knöchelbruch... Und so endet der Abend ohne Essen im Krankenhaus...
Dort gerate ich an einen jungen Arzt, der mich eingehend untersucht, mich röntgen lässt und schließlich meint: "Well, i have to apologize für the streets of Lisbon, they are a bit slippy when wet - you need a surgery."
Danke fürs Einfühlsame Beibringen von dem, was ich eh schon vermutet habe. Urlaub gelaufen, neuer Job gelaufen?! Das kann es jetzt wohl nicht sein, denke ich mir noch, und beschließe mich nicht in Portugal operieren zu lassen. Das UKH in Salzburg kann das auch. Und so werde ich eingegipst und verlasse einbeinig das Krankenhaus, Krücken bekomme ich keine, die bekommt man in der Apotheke, nur die haben um 3 in der Früh zu.
Und so rufe ich in meiner Not beim ÖAMTC an, wo ich über den Schutzbrief entsprechend versichert bin. Und so wird der Heimtransport problemlos klappen - in der Business Class der Lufthansa zur OP ins UKH. Irgendwie komme ich mir verarscht vor. Da geht man etliche Tage de Saison schifahren, fährt mit der Uni um die halbe Welt und nichts passiert. Wie oft hätte ich mich spektakulär ins Nirvana befördern können? Keine Chance, aber die letzte Stufe in Lissabon... Naja, wenigstens habe ich einmalige Souveniers - zwei Krücken und einen Gips. Das kann auch was...
Im UKS Salzburg wird die Diagnose bestätigt und ich werde operiert. Einen Rausch auf Krankenschein gibt es quasi dazu, Dipi tut verdammt gut wenn was weh tut und auch sonst sollte mir in den nächsten Tagen nichts fehlen. Mit Bauchweh rufe ich meinen neuen Chef an und gestehe ihm mein Unglück. Der nimmt es gelassen, der Job mir trotzdem sicher, ich bin erleichtert. Wenigstens eine Sorge weg.
Bei der Visite frage ich mal ganz vorsichtig, wie es denn im kommenden Winter ausschaut. Die Schrauben sollen ja nach 6 Monaten, also November wieder raus. Der Arzt meint lapidar - stabil ist der Knöchel mit Schraube sowieso. Keine Schonung mehr nötig.
Letztlich werde ich entlassen, ich humple mit den Krücken aus Lissabon heim und denke, wie das gehen soll. Ich soll da drauf steigen? Unmöglich. Nach zwei Wochen ist Kontrolle. Der Arzt ist entsprechend erstaunt, dass ich noch Krücken brauche. Ich kann ja schon belasten und nimmt mir die Krücken weg. Der erste Schritt tut höllisch weh. Wenn ich könnte, würde ich ihn jetzt erwürgen.
Die nächsten Wochen verbringe ich mit Klotz am Bein mehr oder weniger herumhinkend, aber es geht. Letztlich auch ohne Krücken. Dann kommt der Gips runter. Die ersten Schritte haben mit Gehen nichts zu tun... Ich dachte eigentlich, dass das wieder einfach ginge. Irrtum - Optimismus ist ein Mangel an Information. Ich bekomme dafür einen 10er Block Domina verordnet - Physio. Warum ich Domina schreibe? Wer das Gefühl kennt, wenn sich eine zarte Frauenhand in eine Wade bohrt, die steinhart ist und man das Gefühl hat, jetzt durch die Stahlbetonwand fahren zu müssen, der weiß, warum ich Domina schreibe....
Gerrit und Bastian_m haben ja von meinem Schicksal mitbekommen und mich auch bezüglich der Narkose gut beraten - so ein Filmriss hat schon was. Und so kommt bei den Gesprächen auch irgendwie immer das Thema Schifahren auf. Ich will eigentlich gar nicht dran denken. Aber irgendwann muss es sein, mit oder ohne Metall im Knochen. Gottseidank war der Herbst bis letzte Woche nicht so berauschend, bis dann der Kaltlufteinbruch mit viel Schnee kam. Und jetzt? Es juckt in den Knochen, aber hinken tue ich immer noch... Keine guten Voraussetzungen also. Aber Schnee bis auf 800 Höhenmeter. Und dann fallen mir wieder die Worte meines Arztes ein - keine Schonung. Eine eigentlich eindeutige Ansage. Es sollte also gehen. Und so ziehe ich den Schischuh mal zuhause an. Wer wissen, wie sich ein Spanischer Stiefel angefühlt haben muss, der soll mir das bis hier her mal nachmachen. Autsch. Und je enger die Schnalle werden, desto... Bei der letzten Schnalle habe ich Tränen in den Augen. Uff. Aber er ist zu und der Schmerz beginnt nachzulassen. Interessant - nicht das im Schischuh sein ist das Problem, nein, das Reinkommen. Vorgewärmt geht es entsprechend besser und so wäre alles klar. Trotzdem beschließe ich einen Arzt meines Vertrauens zu konsultieren. Es bietet sich G. irgendwie an.
Das Telefonat sei auch kurz rekapituliert:
D: Servus, wie geht's?
G: Gut, wir sind in Marrakesch. Urlaub. (Ich telefoniere also mit einem Arzt in Marokko - Sachen gibts...)
D: Aja, Urlaub?
G: Ja.
D: Na dann komm ich gleich zur Sache. Weißt ja, wir haben einiges an Schnee bekommen und ich würde gerne loslegen.
G: Spricht eh nix dagegen, bist ja eh im Schischuh drinnen. Alles stabil. Wohin soll's gehen?
D: Naja, Planai oder Loser....
G
LOSER?!D: Ja die sperren auf, die haben einiges an Schnee bekommen. (Ich habe das Gefühl, dass das Kinn meines Gesprächspartners jetzt unterhalb der Grundoberkante ist.
)
G: Na Sachen gibts - die haben jetzt mehr Schnee als den ganzen letzten Winter, und ich bin in Marrakesch... Bericht ist aber klar, dass du mir einen liefern musst.
D: Geht klar. Also du sagst, es geht.
G: Ja.
D: Na gut, ich schau was geht... Servus, schönen Urlaub noch.
G: Danke. Viel Spaß!
Ich habe also von einem Arzt aus Marrakesch das OK zum Schifahren bekommen. LOL!
Gut, es wurde weder Loser noch Planai, letztlich ging es nach Leogang. Dort wurde glatt die zweite Sektion der Asitzbahn für den Schibetrieb geöffnet. Eine Gondelbahn zum Rasten und Schischuhaufmachen also. Ideal...
Dann wollen wir mal schaun. Kann ich es noch? Schaffe ich überhaupt eine Abfahrt? Oder ist die Sache gestorben, bevor sie überhaupt begonnen hat?
Erster Blick zum Gipfel. Zwar präpariert, aber noch geschlossen. Es wird eine Bergeübung geben.
Die ersten Schwünge sind unbeholfen. Ich habe ein komisches Gefühl, die Knie sind weich, der Puls geht hoch. Aber der Knöchel spielt mit!
Im Flachen geht es ganz gut. Puh. Jetzt wird es aber steil.
Noch nie kam mir der Pistenabschnitt so steil vor!
Aber ich komme runter. Ok, teilweise gerutscht. Ein schöner Schwung ist noch nicht ganz drinnen, aber es wird!
Die Stufen in der Piste tun jetzt nicht so gut, aber der Knöchel hält.
Fast unten... Puh, ich habe es geschafft. Es geht. Die Saison kann kommen.
E war der wohl härteste Schitag meines Lebens. Viel Rasten, gemütlich wird es angegangen. Aber, I am back und ich habe angeschrieben. Ich hätte es nicht für möglich gehalten. Auch wenn lanschi und schafi mehr gefahren sind als ich heute, bin ich einigermaßen stolz auf mich. Gehen kann ich immer noch nicht ganz gescheit, aber Schifahren geht.
Nach der ersten Abfahrt meldet sich Gerrit, fragt nach meinem Befinden. Na, was soll ich sagen? Ich bin ehrlich gesagt überglücklich, dass das so geht und der Knöchel mitspielt. Nach nicht mal 6 Monaten nach dem Unfall stehe ich wieder auf Schi. Danke nochmal für deinen Rat und Tat!
MFG Dachstein