[Drei] Der WettersturzAlesjaure - Tjäktjapasset
Dass nicht alles Gold ist, was glänzt und dass es nicht eine Woche lang so weiter geht, wie es begonnen hat, ja das, das lässt der Titel des dritten Tages bereits erahnen. Andererseits entstehen auf solchen Tagen auch die Geschichten, die man noch lange erzählt, die einer solchen Wanderung den Abenteuerfaktor verleihen und die einem auch zeigen, was es eben bedeutet, im Gebirge unterwegs zu sein…
Der Tag beginnt bewölkt, nicht schlecht, aber auch kein Kaiserwetter. Wir laufen weiter gen Süden, wollen den höchsten Punkt unserer Wanderung, den Tjäktjapasset auf etwa 1150 m überqueren und dann unser Lager auf dem Weg nach Sälka aufschlagen. Je höher wir gelangen, desto mehr Schnee liegt auf und neben dem Weg, die Schneefelder werden mehr. Anfangs lassen sie sich noch gut umgehen oder überqueren, später wird immer mehr Orientierungssinn und Routenwahl nötig, da der eigentliche Wanderweg häufig durch sumpfige Wiesen direkt neben oder gar im Schmelzbach führt und daher nicht sinnvoll passierbar ist.
Zunächst zeigt sich der Schnee aber von seiner besten Seite und posiert mit der Sonne und dem reißenden Schmelzbach um die Wette.
# morgendlicher Ausblick in Richtung Süden
# beeindruckende Schneeformationen am Wegesrand
Weiter geht es Richtung Tjäktjapasset, auf halbem Weg dorthin zweigen wir von dem größeren Fluss Aliseatnu nach links ab und folgen dem Pfad hinauf Richtung Tjäktjahütte. Das Wetter verschlechtert sich zunehmend, die Sonne verschwindet alsbald ganz, dicke, graue Wolken ziehen über die Berge hinab ins Tal, sorgen für immer nebligere Verhältnisse und starken Wind. Der Weg selbst wird auch nicht besser, die Schneefelder werden immer mehr, der Weg selbst ist nur mehr selten passierbar, da der Boden in Flussnähe viel zu aufgeweicht ist und die vorhandenen Schneefelder hier nicht tragen. Die Holzbohlen lassen sich unter den Schneemassen entweder gar nicht mehr ausmachen oder sie versinken samt unseren Füßen in tiefem Schlamm. Schritt für Schritt sinken wir tief in den Schneematsch ein, die Feuchtigkeit kriecht so langsam überall hinein. Wir verlassen den markierten Weg immer häufiger und laufen höher am Hang, wo es weniger, dafür stabilere Schneefelder gibt, die nicht ganz so durchnässt sind. Wir kommen immer langsamer voran, der Wind ist ebenfalls wenig motivierend, er drückt die Wolken immer mehr hinein.
So sind wir froh, endlich die Tjäktjastugan, eine der STF-Schutzhütten, etwa 250 Höhenmeter unterhalb der Passhöhe, zu erreichen. Nun ja, fast zu erreichen. Die Hütte liegt auf der anderen Seite des Flusses, eine Hängebrücke ist vorhanden, jedoch wird das Erreichen selbiger zu einem kleinen Abenteuer für sich. Zunächst müssen wir durch ein sehr großes und vor allem tiefes Schneefeld – immer wieder sinke ich hüfttief ein – und dann folgt die Schlüsselstelle, der Übergang zur Treppe. Es ist immer etwas heikel, da man ja nie sieht, was sich unter dem Schnee befindet, insbesondere wenn man auf eine Brück zusteuert und drunter auch ein steiler Hang sein könnte. Letztlich geht alles gut und wir machen erstmal Mittagspause im Winterraum der Hütte und versuchen, unsere Sachen bestmöglichst zu trocknen.
# Hängebrücke mit Schlüsselstelle
# Tjäktjastugan
Nun wird uns endgültig klar, warum wir alleine unterwegs sind und warum die Saison hier erst Mitte Juni zu midsommar beginnt. Das Wetter verschlechtert sich zusehends, der Wind wird noch stärker, es beginnt zu regnen und es ist empfindlich kalt. Teils mischen sich auch Schnee- und Graupelkörner in den Regen. Dennoch packen wir uns – nachdem wir uns versucht haben, mit einer heißen Suppe wieder aufzuwärmen – in unsere dicken Pullis und Regenklamotten ein, es ist schließlich erst nachmittag und ein gutes Stück weiter sollten wir heute schon noch kommen. Eigentlich trennen uns von der Passhöhe auch nur noch gute drei Kilometer, auf der Südseite erhoffen wir uns dann weniger Schnee und Wind.
# Blick zurück, von dort unten kamen wir
Eigentlich… Denn die folgenden drei Kilometer kommen wir gefühlt überhaupt nicht mehr voran. Der Wind peitscht uns den Regen aus allen erdenklichen Richtungen ins Gesicht, die Schneefelder scheinen kein Ende mehr zu nehmen. Der Schnee wird immer weicher und tiefer, ich sinke regelmäßig bis weit über die Knie ein, Schritt für Schritt. Jeder Meter wird ein Kampf, trotz Regenklamotten sind wir bald beide komplett durchnässt, insbesondere die Hosen/Schuhe halten der Dauerbelastung durch solchen Nassschnee kaum stand. Gamaschen wären hier ein nützlicher Helfer. Die schneefreien Abschnitte werden kürzer und verschwinden bald ganz, ein Durchkommen im Talgrund nähe des Flusses wird immer unmöglicher. Bald weichen wir weiträumig nach oben aus, steigen mindestens 100-150 Höhenmeter über den Talgrund auf und versuchen uns dort querfeldein durchzukämpfen.
An sich wäre das alles schon irgendwie machbar, aber die Kombination aus grausligem Wetter, dem vielen Schnee, der permanenten Steigung und dem schweren Gepäck lassen uns schnell an unsere Grenzen stoßen. Zur Not wäre ein Umdrehen und Zurücklaufen nach Abisko zwar kein Problem, aber eigentlich möchten wir das unter allen vertretbaren Umständen vermeiden. So arbeiten wir uns Schritt für Schritt, Meter für Meter vorwärts, diskutieren unsere weitere Route, wechseln die Führungsposition und kommen schließlich nach knapp drei Stunden, völlig erschöpft, durchnässt und durchgefroren, an der Passhöhe des Tjäktjapassets an. Zu unserer großen Erleichterung steht dort oben eine kleine Notunterkunft. Beim Betreten selbiger wissen wir beide, dass wir hier erstmal über Nacht bleiben.
Wir sind sicher nicht die besttrainiertesten Bergsteiger und hatten auch nicht die optimale Ausrüstung dabei (mit Gamaschen und wasserdichteren Hosen wäre es schon deutlich angenehmer gewesen), aber auch nicht unerfahren. Das schwere Gepäck und das schlechte Wetter haben aber letztlich dazu geführt, dass diese letzten Kilometer doch Grenzerfahrungen waren, die ich zwar definitiv wieder so machen würde, aber einem auch deutlich klar machen, dass die Natur stärker ist wie man selbst. Und dass man als mit den Alpen groß gewordener, die Mittelgebirge, insbesondere hier im hohen Norden, gerne intuitiv unterschätzt.
# rettende Notunterkunft auf der Passhöhe
# Rückblick
# Passhöhe
Auch hier oben gibt es ein Holzlager, sodass wir den Ofen anheizen können und den Raum auf angenehme Temperaturen erwärmen können. Insbesondere zum Trocknen unsere Klamotten und Schuhe sehr wichtig. Total erschöpft schmelzen wir Schnee und kochen uns ein verdientes Abendessen. Mit gegenseitigem Massieren - insbesondere der schwere Rucksack, dessen Tragen wir beide nicht gewöhnt sind, hinterlässt nach drei Tagen seine Spuren an Schulter und Rücken - und der weiteren Routenplanung für die nächsten Tage freuen wir uns auf einen gesunden Schlaf in der folgenden Nacht. Am Abend bessert sich das Wetter und lässt uns wieder zuversichtlicher auf die kommenden Tage blicken, gegen zehn Uhr abends kommt sogar nochmal die Sonne heraus.
# 22:00 Uhr
# 23:30 Uhr
…Fortsetzung folgt…