Zermatt: Klassiker mit Schönheitsfehlern
Als krönender Abschluss unserer Wallis-Tour war Zermatt vorgesehen. Nach meinen guten Erfahrungen Ende April 2006 waren meine Erwartungen sehr hoch und meine Erzählungen haben sicher auch bei Gerrit und Sabine dementsprechend hohe Erwartungen geweckt.
Nun zählt das Mattertal mit Zermatt ja zu jenen alpinen Gegenden, die nicht gerade reichlich mit Niederschlägen gesegnet sind – zu viele hohe Gebirgsketten schirmen das Tal von den Fronten ab. Dies gilt insbesondere für Niederschlagsfronten aus dem Norden. Den Wettermeldungen aus dem Internet entnahmen wir auch, dass das Frontsystem, das uns im Lötschental noch bis zu 40 cm Pulver beschert hatte, in Zermatt lediglich kosmetisch die Berge ein wenig angezuckert hatte.
Wir waren daher auch wenig überrascht, als wir vom Rhonetal das grün-grau-braune Mattertal hinauf nach Randa fuhren, wo wir in einem kleinen Hotel Herberge bezogen. Noch am gleichen Tag fuhren wir hinauf nach Täsch um die Transfermöglichkeiten Randa-Zermatt zu klären (unser Hotel war doch zu weit vom Bahnhof in Randa entfernt). In Täsch trafen wir dann auch gleich Theo, der uns gleich mit den neuesten Informationen hinsichtlich Schnee- und Wetterlage oben im Skigebiet versorgte. Zudem diskutierten wir auch die Möglichkeiten eines gemeinsamen Skitages, der uns unter Theos Führung hinüber nach Cervinia führen sollte.
Trotz der traditionell geringen Schneelage verirren sich jeden Winter große Lawinen bis hinunter zum Talboden bei Randa
Die Wetteraussichten waren alles andere als gut. Umso mehr waren wir positiv überrascht als gleich am ersten Tag die Sonne zwischen Wolkenfeldern hervorlugte und etwas Sicht auf die grandiose Bergwelt rings um Zermatt versprach.
Unser erstes Ziel war dann auch gleich die Freeride-Arena rund um das Stockhorn.
Freeridegebiet Stockhorn: Rote Nase und Triftji Skilift (Monte Rosa im Hintergrund)
Rote Nase Seilbahn. Rechts die alte nunmehr “historische” Stockhorn Bahn
Ohne gross Zeit zu verlieren begannen wir gleich mit dem Fellaufstieg Richtung Stockhorn – wir wollten das Schönwetterfenster möglichst gleich nutzen, da einige Wolken schon ankündigten die Sicht bald zu verschlechtern.
Aufstieg zum Stockhorn
Rückblick zur Bergstation mit dem Matterhorn im Hintergrund
Leider kamen die Wolken grade dann, als wir mit der lange ersehnten Abfahrt vom Stockhorn über dessen Nordflanke begannen. Die Sicht war dementsprechend schlecht und in Verbindung mit den Schneeverhältnissen (windgepresst) waren die Abfahrtsfreuden auch etwas eingetrübt.
Gerrit im diffusen Licht der Stockhorn-Nordflanke
Weiter unten im flacheren Bereich war die Sicht dann zwar nicht wesentlich besser, der Schnee jedoch etwas pulvriger. Später ging’s dann über recht harte Buckelhänge runter nach Gant. Besonders Gerrit hatte dabei an seiner (nachgerade manischen) „Angst“ vor Steinchen zu kämpfen – die inneralpinen Lagen mit den dort üblichen geringen Schneehöhen sind in der Tat nicht das ideale Skigelände für Leute, die den Belag ihrer Ski als ihre zweite Haut ansehen (und daher jeden Kratzer bis ins Mark durchspüren …). Ich fand diese Fahrt durch die mit etwas Schnee gefüllte Fels- und Steinwüsten sogar recht ansprechend, stellt die Wahl der besten Linie doch eine interessante Navigationsaufgabe dar.
Den Rest des Tages verbrachten wir dann auf den Pisten.
Am nächsten Tag begannen wir wieder mit der Runde Rothorn-Gant-Hohtälli. Diesmal war der Triftji-Sektor des Freeride-Gebiets dran, wo wir auch die interessante technische Lösung des Gletscherschwundproblems für den Triftji-Skilift bestaunen konnten.
Im Bereich des Skilifts fanden wir noch einige schöne, recht unverspurte Hänge mit durchaus ansprechenden Schneeverhältnissen.
Zur Mittagspause ging es dann – mit der altehrwürdigen Gornergratbahn – auf den Gornergrat, wo wir neben dem ausgezeichneten Essen im innenarchitektonisch sehr dezent modernisierten Restaurant auch die grandiose Aussicht bei nun wieder besserem Wetter genossen.
Unter anderem beeindruckte uns die Skigruppen, welche die berühmte Schwarztor-Variante (erreichbar durch ca. 1h Fussmarsch vom Kleinmatterhorn) zum Gornergletscher runterfuhren. Wir hatten die Tage zuvor mehrmals von fatalen Spaltenstürzen in Zermatt auch bei geführten Touren gelesen, so dass wir derartiges gar nicht in unser Programm einplanten. Die geringe Schneelage und die dadurch schlecht eingeschneiten Gletscherspalten schreckten uns davon ab.
Schwarztor-Variante mit frischen Spurgen
Da das Wetter nun endgültig besser geworden war, fuhren wir über Riffelberg runter nach Furi um von dort via Kleinmatterhorn auf die italienische Seite zu wechseln, wobei sich insbesondere im unteren Bereich die Piste als überfülltes Eisstadion auf schiefer Ebene darstellte.
Am Kleinmatterhorn wurden wir dann mit frischen -22 Grad Celsius begrüßt, wobei die Kälte durch den herrschenden Nordwind noch zusätzlich unterstrichen wurde.
Selbstverständlich trotzten wir der Kälte und ließen uns dadurch nicht vom Fotografieren abhalten.
Blick zur Testa Grigia und den Bergen rund um Cervinia
Testa Grigia und Matterhorn
An der Cime Bianchi merkten wir dann allerdings, dass die Zeit schon etwas weiter vorangeschritten ist und eine Abfahrt nach Cervinia an diesem Nachmittag nicht mehr ratsam war. Also ging es wieder rauf in die Kälte und von der Testa Grigia über die gar arg flachen Hänge runter Richtung Trockener Steg. Zum Glück für mich war auch Sabines Lust auf das Befahren langweiliger Pistenhänge im obersten Gletscherbereich bei starkem Wind und hohen Minusgraden nicht mehr vorhanden. So musste ich nicht extra Quengeln um Gerrit überreden zu können, die Gletscherhochfläche zu verlassen. Tatsächlich hatten Wind und Kälte meinen Ohren schon ordentlich zugesetzt und ich fürchtete bereits, dass sie bei der nächsten Belastung einfach abbrechen würden.
Echtes Skiglück fanden wir dann allerdings weiter unten auch nicht vor. Die Pisten um den Trockenen Steg sind durch zahllose, überdimensionierte Schneilanzen verunstaltet, die bei mir irgendwie Skihallenfeeling aufkommen ließen. Nicht einmal die grandiose Landschaft ringsherum konnte diesen fahlen Beigeschmack lindern.
Eine „Katastrophe“ war dann allerdings die an sich schöne Talabfahrt von Furgg nach Furi. Landschaftlich schön gelegen und teilweise kühn in die Felsen gesprengt war sie mir vom Vorjahr in bester Erinnerung. Leider erwischten wir aber diesmal den falschen Zeitpunkt und erlebten die Piste als vollkommen überfüllten und vereisten Entleerungsflaschenhals – natürlich unsere Schuld, dass wir hier nicht antizyklisch unterwegs waren. Trotzdem hat dieses Erlebnis meine im Laufe des Tages immer stärker gewordenen Zweifel an dem Pistenskilauf zusätzlich Auftrieb gegeben:
„Anstatt irgendwo in schöner Landschaft ein Skitourenerlebnis zu genießen, koffer ich hier zwischen all den verrückt kreuz und quer fahrenden Menschenmassen herum …“, dachte ich mir beim Runternavigieren ständig. Auch Sabine und Gerrit waren alles andere begeistert und ich hatte schon beinah ein schlechtes Gewissen durch meine euphorischen Zermattschilderungen zu vielleicht enttäuschten Erwartungen beigetragen zu haben.
Als dann der nächste Tag, statt des angekündigten Schönwetters Nebel und Schneefall (natürlich nur leichter ohne nennenswerten Schneezuwachs …) brachte und dadurch die geplante Freeride-Tour zum hintersten Sektor des Stockhorns verunmöglichte, mussten wir nicht lange diskutieren, ließen lieber unseren noch gültige Skipass verfallen und begaben uns auf die lange Heimreise.