Die Wälder um Alagna haben etwas urwaldmäßiges. Fast tropisch irgendwie. Dicht wuchernd, unberührt und alles verschlingend, was ihnen dauerhaft ausgesetzt ist. Überall findet man unter dicken Schichten Moos alte, halb verfallene Mauern zwischen umgestürzten Baumstämmen. Es dauert keine dreißig Jahre bis einst gut ausgebaute und durch dicke Steinmauern gestützte und befestigte Wege vollständig verschwunden sind ohne eine Spur zu hinterlassen. Sie versinken in Farnen und Moosen, halbverrotteten vor Jahren umgestürzten Baumstämmen - Erdrutsche und Lawinenabgänge tun ein übriges. Durch diese grüne Hölle, in der man teilweise keine zehn Meter weit sehen kann, hatten wir uns am ersten Tag auf den 700m über Alagna auf 1850m gelegnen Felssims mit dem schönen Namen Belvedere gekämpft. Oben findet man die Bergstation einer alten Carlevarobahn aus den späten 40ern, die nach zwei Unfällen zu Beginn der 70er Jahre die Konzession verlor. Stützen, Gondeln, die Abspannung: es ist alles noch da. Allerdings in sehr desolatem Zustand. Da man von der Rückseite aus recht einfach hinaufkommt, ist die Station schon öfter dem Vandalismus ihrer Besucher zum Opfer gefallen. Weiterhin stehen am Belvedere ein Marchisiosessellift, von dem Stützen und Bergstation erhalten sind sowie die Talstation eines kurzen Marchisioschleppers. Schließlich findet man ein bis auf die Grundmauern abgebranntes Hotel. Im Wald müssen noch jedemenge weitere Stützen der Belvederebahn stehen, aber sie sind kaum zu erreichen. Bei unserem Querfeldeinaufstieg, dem ich niemanden empfehlen kann, sind wir wahrscheinlich teilweise nur zehn Meter an ihnen vorbeigelaufen, ohne sie zu sehen.
Die ersten paar hundert Höhenmeter sieht man noch Spuren des ehemaligen Weges hinauf, der wohl zu Zeiten des Betriebs der Bahn in Stand gehalten wurde und einst gut ausgebaut war. Heute findet man oberhalb 1400m nur noch vereinzelt Reste, oberhalb 1600m hat der Wald den Weg verschlungen. Auf dieser Höhe waren wir aber auch schon lange dazu übergegangen, senkrecht den Berg aufzusteigen, da auch die Reste des Weges nur in die Irre leiteten: unpassierbare Lawinenschneisen, kleine enge und steile Täler. Das Unterholz ist schier undurchdringlich. Man glaubt gar nicht, wie hinderlich die ganzen umgestürzten Bäume sind, insbesondere an einem Steilhang. Dazukommt, dass der Boden weich und rutschig ist, das Erdreich wegbricht, man kaum Halt findet in dem vemoderterten Gestrüpp. Bis in eine Höhe von etwas 1,20m ist alles dicht zugewachsen mit Brennnesseln, Dornengestrüpp, heckenähnlichem Dickicht und allen anderen Formen von unangenehmen Gestrüpp, das einen nicht ohne Spuren zu hinterlassen passieren lässt.
Im unteren, noch halbwegs gangbaren Bereich. Im Hintergrund, die von uns ins Gestrüpp geschlagene Schneise.
Im oberen Teil ist der Hang dann auch noch extrem steil und teilweise ausgesetzt. Wenn man bedenkt, dass schon die Bahn Steigungen über 45° überwand, dann kann man sich vorstellen, wie steil der Hang ist, wenn man direkt aufsteigt und jeder Geländestufe folgen muss (die Bahn idealisiert ja die Hanglinie noch). Alleine wär ich wohl auch irgendwann umgedreht. Mit Kris, den ich am Abend zuvor am Lago Maggiore getroffen hatte, als Führer und Kletterhilfe habe ich es dann aber doch geschafft. Dazu muss man sagen, dass ich immerhin schon in den zwei Tagen zuvor 230km Rad gefahren war, teilweise - nach Platzregen und Hagel - in eiskalten nassen Klamotten. Ich hatte in diesen zwei Tagen meine Beinmuskeln genug überstrapaziert, um echte Probleme beim Laufen zu haben, so dass auch die Trittsicherheit sehr darunter gelitten hat. Ansonsten habe ich auch wenig Erfahrung damit, senkrecht Steilhänge durch Wälder zu laufen - sowas mache ich eher im Geröll. Aber ein schönes Abenteuer war's! Ein bisschen wie früher mit den Kumpels nach der Schule als es mit dem ersten eigenen Rad in die Wälder ging.
Je höher wir kamen, desto weniger wussten wir so ganz genau, wo wir relativ zur Lifttrasse eigentlich waren. Die Hoffnung Reste des Liftes im Wald zu finden, hatte wir lange vorher bereits aufgegeben und uns nur noch daran orientiert, wo man überhaupt den Hang hochklettern konnte. So quälten wir uns Steilstufe um Steilstufe hinauf, ohne wirklich das Gefühl zuhaben, voran zu kommen. Wenn man durchs Gestrüpp bergauf klettert, sieht man nie die Oberkante des Hanges, den man durchsteigt. Einzig der Höhenmesser zeugt von den kleinen Erfolgen mit winzigen Bewegungen der Nadel. Die Kletterpassagen oben wurden länger und länger, der Hang immer ausgesetzter, nach meiner Schätzung mussten es noch etwa fünfzig Höhenmeter bis zur Bergstation sein, als Kris, der immer ein paar Meter vor mir war, um Möglichkeiten des Aufstieges zu erkunden, auf einmal anfängt zu lachen. "Was ist ?" frage ich. - "Ich hab was für Dich gefunden." - "Was? Eine Stütze?" - "Nee, viel besser, komm halt rauf!" . Ich klettere über die nächste Kante - und muss grinsen. Urplötzlich stehe ich auf einer von einigen Bäumen umgebenen kleinen, völlig ebenen Wiese. Links, keine zehn Meter entfernt, die Bergstation der Belvederebahn! Sie hätte hunderte Meter links oder rechts sein können, bei unserer Suche nach einer passablen Aufstiegsmöglichkeit, hatten wir bald die Lage der alten Lifttrasse zugunsten eines möglichst gangbaren Aufstiegs völlig ignoriert. Dennoch kamen wir direkt neben der Bergstation raus. Dass wir im Wald vorher nicht über eine Stütze gestolpert sind, mag fast wie ein Wunder erscheinen - und sagt vor allem viel über das Dickicht des Waldes aus. Erstaunlich aber auch der jähe Übergang zu den sanften Almwiesen oben am Belvedere. Noch fünf Meter unterhalb der Kante war ich sicher, dass es noch mindestens fünfzig Höhenmeter sein müssten, zumal man die Kante des Berges jenseits eines kleinen Einschnitts weiter rechts oberhalb sichtbar war. Dort liegt sie allerdings schon hundert Meter höher als am Belvedere.
Hinter dem Dickicht, das mit nach dem vorigen Aufstieg wie lichter Wald vorkam, liegt schemenhaft zu erkennen die Bergstation der alten Carlevarobahn.
Kris vor der Bergstation.
endlich...
Grobe Skizze unserer Route. Falls das wer nachmachen will .....
Blick von der Bergstation nach Alagna (das eigentlich Dorf ist rechts des Bildrandes).
Die Bergstation ist für einen Liftfan ein kleiner Abenteuerspielplatz - viele Utensilien und viel Technik ist da oben. Der Zustand der Station lässt wie eingangs gesagt etwas zu wünschen übrig, aber nett ist es dennoch. Zwischenzeitlich frage ich mich, obwohl die damals abgestürzten Gondeln auch noch im Wald liegen... ?!? Wahrscheinlich wurden sie wohl zur Untersuchung der Unglücksursache abtransportiert. Dennoch: der Gedanke, die zerschellten Gondeln halb versunken im Erdreich unter Moos und Gestrüpp zufällig zu entdecken... verstörend...
Die letzte Stützen vor der Station. Ästhetik des Maroden...
Passagierausgang und Vegetation aus 30 Jahren.
Impressionen aus der Station.
Rückansicht der Station.
Blick in die Gegenrichtung zum Sessellift und Schlepplift.
Von dem Hotel oben ist nur Schrott übrig, die Lage an der Kante fast 800m oberhalb Alagnas mit Blick auf die Eiskrone des Monte Rosa muss gigantisch gewesen sein. Rückwärtig schließen sich an die Bergstation und das Hotel recht sanfte Almwiesen an, die in den 50er Jahren durch einen kurzen Übungsschlepper und einen längeren Sessellift, der bis in die Nähe der alten Walserdörfer auf den Almen in etwa 1500m Höhe hinab reicht. Die Talstation des Sesselliftes fehlt, das Fundament ist aber noch sichtbar. Viele der Stützen sind ebenfalls noch zu erkennen, ebenso die ehemalige Piste.
An der Bergstation des Marchisiosesselliftes.
Marchisioschlepplift.
Sesselliftstütze auf der Trasse.
Walserdorf mit Talstationsfundament links.
Unterhalb führt ein recht steiler Forstweg durch den Wald zurück nach Alagna. Wie wir später erfahren, diente er früher auch als Talabfahrt. Auf alten Postkarten, die in der Bar nahe der ehemaligen Talstation der Belvederebahn hängen, erkennt man deutlich den genialen Blick auf den Monterosa, dem dieser Berg seinen Namen (Belvedere = Schöne Aussicht) verdankt. Jetz verstehe ich auch, wieso der Berg überhaupt erschlossen wurde, da er sich ja schitechnisch eigentlich bei weitem nicht so anbietet, wie die Hänge um die Bochetta delle Pisse. Die Nähe zum Ort einerseits, und das in den 40ern wohl überwiegende Interesse eine Sommerfrische zu schaffen, standen wohl im Vordergrund, so dass dieser Ort mit seinem Panorama, das auf diese Weise jedem zugänglich gemacht wurde, für eine Erschließung geradezu prädestiniert war. Der Schisport kam erst später. Mit ihm kam erst der Sessellift am Belvedere in den frühen 50er Jahren und keine zehn Jahre später dann eine der großartigsten Seilbahnen der Alpen: die Funivia Monterosa - die Bahn zur Punta Indren.
Den Abend verbrachten wir bei einem hervorragenden Essen und einer Menge durchaus interessanter Unterhaltungen. Nett auch, dass wir nicht die einzigen Liftbegeisterten vor Ort sind....
Werk des kleinen Jungen unserer Wirtin...
An klarer Spätsommermorgen erwartet uns. Nach einem netten Frühstück in unserer Pension, stehen erstmal verschiedene Lokaltermine an. Besuch bei MonterosaSKI, der Liftgesellschaft, Besichtigung des privaten Archivs einer Mitarbeiterin von Lyskamm Viaggi, das viele Liftbilder aus den 50er und 60er Jahren enthält. Schließlich die Besichtigung der Talstation der Belvederebahn, die wir am Abend zuvor vereinbart hatten.
Anschließend geht es daran, zur letzten verbliebenen Sektion der Punta Indrenseilbahn aufzusteigen. Der Weg führt uns durch die malerischen Weiler eines bis heute kaum veränderten Alagnas. Auch hier treffen wir unerwartet einen weiteren Bergbahninteressierten, der uns spontan an Petz denken lässt...
Eine beachtliche Konstruktion und der einzige mir bekannte Modell-Funifor.
Oberhalb des Dorfes passiert man üppig grüne Laubwälder, einer wahre Sommeridylle. Bei der Querung der Seilbahntrasse der 8er EUB, die die erste Sektion der Indrenseilbahn ersetzt hat, finde ich ein altes Fundament, das noch von der Bauseilbahn mit Hilfe derer in den frühen 60ern die Indrenbahn gebaut wurde stammt.
Die 8er EUB von Agamatic ersetzt seit 2000 der erste Sektion der alten Seilbahn. Mag sie zwar in ihrer Kapazität überlegen sein, so ist sie doch deutlich langsamer als die alte Seilbahn, abgesehen von einem gewissen Flair, was die Indrenbahn ausstrahlte. Leider wurde die Bergstation dieser Bahn um 300m von 1850m auf 2150m nach oben verlegt, welche jetzt oft an Piste fehlen, da die Talabfahrt nach Alagna bis auf 1100m hinabführt und nur im Hochwinter befahrbar ist. Hinter der EUB Station deutlich erkennbar der Talstationskomplex der alten Seilbahn
Vergleichsbild Januar 2004.
Nach etwa zweihundert Höhenmetern erreicht man ein flaches und weites Wiesenplateau auf dem einige hübsche Almweiler stehen und das man im Winter auf der Piste überquert.
An den Weilern oberhalb von Alagna. Im Sommer ist die Schipiste unsichtbar - nichts als Almwiesen bleiben.
Oberhalb der Alm folgen wir der Forstraße durch den Mischwald, die im Winter teilweise als Piste genutzt wird. Wenig später zweigt dann die Piste nach links ab. Wie folgen ihr, um Zeit zu sparen.
Ein schönes Beispiel wie eine Piste im Sommer aussehen kann. Keine Autobahn, die im Sommer im Golfplatz-Look gehalten wird, keine Gräben oder Kanonen. Im Winter ist sie von einer Talabfahrt im tiroler Stil kaum zu unterscheiden, einzig, dass die etwas schmaler ist. Leider habe ich nut das nachfolgende Bild, das das Gesagte nicht so zur Geltung bringen kann, da die Sicht an diesem Tag nicht gut war, so dass man die Piste selbst schlecht erkennt. Dennoch sollte klar sein, dass es sich hier um eine gewöhnliche Piste im Westalpenstil handelt (vergleich mit vielen Abfahrten in Frankreich), die dennoch im Sommer ein akzeptables Bild abgibt und insbesondere durch den hohen Bewuchs im Landschaftsbild deutlich harmonischer wirkt, als die Schotterpisten anderer westalpiner Schiorte oder der englische tiroler Rasen.
Es sind die kleinen Laubbäume, die z.T. neben der Piste, z.T. auch mal auf der Piste stehen, es sind die kleinen urtümlichen Almweiler, hier und da, die mich schon im Winter an dieser Piste faszinierten, die über tausend Höhenmeter so ganz beiläufig durch eine wunderschöne Alpenidylle verläuft.
Landschaftsidylle, die mich sommers wie winters fasziniert hat.
Im Bereich oberhalb 2000m wird die Landschaft karger und kahler. Gleichzeitig verschlechtert sich das Wetter. Was im Winter weiße weite, schier endlose Hänge sind, wirkt im Sommer etwas trostlos.
Die Hänge unterhalb der Bochetta delle Pisse, der früheren 2. Mittelstation der Indrenbahn, die heute als Talstation der dritten Sektion noch existiert und auf dem Bild zu erahnen ist. Die zweite Sektion der Seilbahn wurde ebenfalls 2000 ersetzt - durch einen Doppelsessellift.
Nebel nahe Pianalunga auf 2100m Höhe. Auf den Felsen eine Stütze des neuen Funifors zum Passo Salati. [/i]
Eine böse Überraschung wartet in Pianalunga, der Bergstation der 8erEUB. Was im Winter unter Schnee verborgen war tritt im Sommer umso deutlicher zu Tage: die Spuren einer gewaltigen Baustelle!
Hier wird deutlich, dass die Art derartige Projekte zu realisieren, sich grundlegend gewandelt hat. Wurden die Station früher einzeln in Landschaft gesetzt, ohne dass größere Erdbewegungen im Umfeld durchgeführt wurden, so wird heute ersteinmal großflächig das Terrain nivelliert. Im Anschluss werden auf die entsprechenden Terrassierungen, die Stationen gesetzt. Alles ist weitläufiger und großzügiger angelegt, man könnte fast sagen, gewissermaßen in einem amerikanischen Stil. Die weichen und ästhetischen Landschaftsformen, mit der die Natur aufwartet, werden hierbei jedoch weggewischt. Stattdessen werden separat Hallen für den Betrieb angelegt und alles mit neuen Zäunen und Stützmauern versehen. Die Stationen selbst mögen kleiner geworden sein und durchaus geschmackvoller verkleidet. Dennoch wirken sie fremder in ihren Umgebung. Mir ist hier das erstmal klargeworden, woran das liegt. Es sind eben jene weitläufigen Geländertrassierungen, die das Bild des künstlichen vom Menschen geschaffene in den Vordergrund denken. Selbst bei solchen Riesenstationen, wie der an der Bochetta delle Pisse beispielsweise, ist außerhalb der Station keine Spur von Erdbewegungen zu sehen. Im Gegenteil, der Hang folgt an den Mauern der Station, seinem natürlichen Verlauf, so dass die Station teil "unterirdisch" liegt. Dadurch aber fügt sie sich aber deutlich besser in diese von der Natur vorgegebene Landschaftsform ein. Es sind klaren geometrischen Formen und Kanten rund um die neuen Stationen, die das Bild des künstlichen erzeugen.
Der neue Funifor bei einer Testfahrt.
Mehr zu denken gibt mir allerdings noch etwas anderes: ein langes graues Schuttbahn, das sich seit diesem Sommer vom Passo Salati durch Olental herabzeiht und eine einen EU-Subventionsbetrag weit jenseits der Millionen Grenze verschlungen hat. Wenn man wenige Monate zuvor dieses Tal in unberührtem Zustand hinab gefahren ist, kann einem das schon wehtun. Ich verstehe durchaus das Bedürfnis, Alagna besser an das Schigebiet von Gressoney anzubinden, auch wenn ich den Anstieg der Besucher, der hieraus folgt, persönlich bedaure. Dennoch denke ich, dass der Bau des Funifors an sich, genügt hätte. Die Abfahrt vom Passo Salati war letzten Winter mit der Wilde Grubn am Stubaier Gletscher vergleichbar. Durch die Schifahrer war diese Hauptroute im Allgemeinen meist so gut ausgefahren, dass die von jedem durchschnittlichen Fahrer ohne große Schwierigkeiten bewältigt werden konnte. Eine Markierung der Route und Überwachung durch den Pistendienst, hätte in meinen Augen eine guten Kompromiss zwischen dem, was der Alagna selbst als Freeride Paradise vermarktet und dem Bedürfnis das Klientel in Richtung weniger alpinistisch ambitionierter Schifahrer zu erweitern, dargestellt. Wenn man die zukünftigen Pläne des Schiorts allerdings kennt, wundert man sich etwas, dass auf die neuen Funiforgondeln überhaupt noch "Freeride Paradise" geschrieben wurde, da in den nächsten Jahren die Mehrzahl der heutigen Routen zu "richtigen" Pisten ausgebaut werden soll - inklusive Beschneiungsanlagen und kuppelbaren Sesselliften.
Die letzten beiden Bildern sind von oberhalb aufgenommen, auf dem vorletzten Bild im Vordergrund die Talstation des alten MEB Einersessellifts "Mullero".
Von Pianalunga aus folgen wir der Piste Mullero in Richtung Bochetta delle Pisse. Nach wenigen Metern erreicht man die frühere Beschäftigungsanlage "Mullero", ein Einersessellift von MEB, der noch aus den Gründerjahren Alagnas stammt.
Einen letzten Zweck erfüllt der Lift...
Mullerolift mit gleichnamiger Piste. Ein weiteres Beispiel dafür, dass eine Piste nicht als krasser Eingriff in die Landschaft auffallen muss. Die Piste ist zwar planiert, aber nicht plattgewalzt eine Briefmarke. Die Ränder folgen den natürlichen Landschaftsformen und farblich ist die Grasnarbe vom Umland nicht zu unterschieden (keine grünes Band). Im Winter ist sie der Urtyp einer leichten Autobahnpiste - dass sie nicht trassiert und remodelliert ist - jedenfalls nicht im heute üblichen Stil - fällt im Winter nicht auf.
Hier das Wintervergleichsbild. Auch hier hätte ein Bild bei besserem Licht wohl noch besser das Gesagte belegen können.
Es folgt der Aufstieg zur Bochetta delle Pisse in gut 2400m Höhe. Ich folge dem Verlauf der Piste, Kris steigt querfeldein auf. Nachdem ich aber immer noch Probleme mit meinen Beinmuskeln habe und auch schon wieder tausend Höhenmeter zurück gelegt hab, ziehe ich den Bogen der Piste vor. Dabei stoße ich noch auf Überreste einer ehemaligen Stütze der Bauseilbahn, mit deren Hilfe die Indrenseilbahn entstand.
Wuchtig, gewaltig und urplötzlich taucht der Koloss der Seilbahnstation hinter der letzen Anhöhe unvermittelt wie jedesmal auf. Ein Fels in der Brandung der Zeiten, ein Bollwerk, ein Relikt aus einer andern Epoche. Die Betonbauweise mag verstören, für mich hat sie aber dennoch auch wieder eine gewisse eigene Ästhetik. Man beachte im folgenden die konträre Wirkung der schwarz-weiß Bilder und den am Ende folgen Farbaufnahmen, um sich einen Eindruck von meinem Bezug zu dieser Ästhetik zu machen.
Bollwerk einer anderen Epoche: die Seilbahnstation Bochetta delle Pisse. Was man auch immer von der massiven Betonbauweise halten mag - die geschwungenen Formen des Hanges, die man am Rand der Station beließ, lässt sie integrierter wirken, als manche auf ein künstlich terrassiertes Plateau platzierte Station heutiger Bauart. Darüber zeugt der wuchtige Bau auch von einem anderen Verhältnisses des Menschen zum Berg: er konnte ihm zwar seine Technik entgegensetzen, fürchtete ihn jedoch mehr als heute. Die riesigen Betonbauten des Balmalifts zum Schutz gegen Lawinen wie auch dieses Bauwerk zeugen davon. Schließlich sei festgehalten, dass in meinen Augen der ausgesetzte und verwitterte Beton durch die Zeit eine natürlichen, fast felsähnlichen Look gewonnen hat, die ihn mir gegenüber den vielen futuristisch-modernen Stahl- und Glasbauten der jüngeren Generation, authentischer macht.
Impressionen...
Das Wetter hätte mir kaum mehr entgegen kommen können. Schlagartig hatte sich der Nebel gesenkt, und uns und die Station in ein dunkles bedrohliches Licht getaucht. Fetzen zogen um das düstere und verlassene Betongebäude, leiser Wind, sonst Stille. Übermächtig ragen die gewaltigen Mauern dieses Monuments über uns auf, fast als wollten sie einen erdrücken. Kalt und abweisend die weiten Fensterfronten, wie tote Augen die dunklen Schlitze der Einfahrt der stillgelegten ehemaligen zweiten Sektion. Eine dunkle Vision einer nicht greifbaren Bedrohung...
Das Faszinierendste an diesem Ort, ist aber die andere Seite des Gebäudes, einer der beeindruckendesten Plätze, die ich kenne. Nirgendwo spürt man die Zeit als solche stärker als hier, nirgendwo scheint sie gleichermaßen ferner denn auf diesem einsamen Plateau vis-à-vis der gigantischen, stillen Mauern des Monte Rosa. Es sind zum einen die mächtigen alten Anlagen, gnadenlos der Witterung und dem Verfall preisgegeben, die einem Zeit verdeutlichen. Der Rost, der verwitterte Beton, alles wirkt so unendlich alt, fast so, als seien sie schon immer da gewesen. Und dennoch: Gleichzeitig zeigen sie in undankbarer Härte die Vergänglichkeit des Gebild von Menschen Hand. Denn wenn der Nebel aufreißt und im Abendlicht den Blick auf die Türme und eisgekrönten Felszinnen des viereinhalbtausend Meter hohen Monte Rosa freigibt, wird einem deutlich, was Zeitlosigkeit in Wahrheit bedeutet. Diese Wände aus Fels und Eis: sie waren schon da, lange bevor die ersten Menschen auf der Erde wandelten; sie werden noch dort sein, wenn die letzten Menschen längst das Angesicht dieser Welt verlassen haben werden. Diese Mauern, diese gewaltige Südflanke des Monte Rosa, dieser Berg: er ist jenseits der Zeit. Die Anlagen hier sind nur kurzes Beiwerk des Zwischenspiels der Menschen auf der Erde, der Berg selbst hingegen überdauert all dies. Die riesigen Felswände und weiten Gletscher, sie alle teilen einem dies schweigsam mit - seit Ewigkeiten.
Denn am Fuße der großen Gletscher, eingegraben in den Fels seit tausenden von Jahren, liegen die endlosen Cascaden des riesigen Wasserfalles. Sein Rauschen halt ruhig und gleichmäßig durch die weiten Täler, unabänderlich und ohne Unterbrechung seit Jahrtausenden, es lässt die Zeit hier stillstehen. Es ist ein Ort der extremen Kontraste, der Vergänglichkeit gleichermaßen wie der Zeitlosigkeit. Trüb und bedrohlich wirkt er in dem düsteren Nebel, magisch und überührbar hingegen, wenn der Nebel aufreißt, und Station und Landschaft in ein unwirkliches Licht getaucht werden. Das Dunkel weicht, die Bedrohung schwindet, der eben noch düstere Ort strahlt eine magische und kaum greifbare Schönheit aus, verwandelt durch einen Zauber, der jenseits dessen liegt, was unsere Sprache fähig ist zu beschreiben. Nur wenige Augenblicke gewährt uns die Natur diese faszinierende Erkenntnis, dann ist der Zauber erloschen, der Ort wieder zu seinem normalen Selbst verblasst. Nur der gigantische Wasserfall rauscht gleichmäßig und unverändert in der Ferne, hallt durch die weiten verlassenen Täler wie seit Urzeiten... das tosende Rauschen der entfernten Wassermassen, es prägt diesen Ort!; und es wird ihn noch prägen, wenn ich es nicht mehr hören kann, wenn es niemanden mehr gibt, der es noch hören könnte - so wie es ihn einst schon prägte, als die Welt jung war und es noch ungehört verhallte. ... jenseits von Zeit...
Es folgt ein Abstieg im warmen Abendlicht...
... bis schließlich die Nacht hereinbricht.