C'èra una volta il sud!
für Ines.
Tag 4 - Passo Tonale, 31.12.2004.
Zurück zu [Tag: 3] Marielleva & Madonna di Campiglio.
Zurück zur Übersicht
Pistenplan für separates Fenster:
http://www.adamelloski.com/totale.html
Penso che un sogno così non ritorni mai più
Mi dipingevo le mani e la faccia di blu
Poi d'improvviso venivo dal vento rapito
E incominciavo a volare nel cielo infinito
[...]
E volavo, volavo felice più in alto del sole ed ancora più su
Mentre il mondo pian piano spariva lontano laggiù
Una musica dolce suonava soltanto per me...
Modugno. Domenico Modugno. Ein bisschen kitschig vielleicht? Aber die flirrenden Geigen, das leise Piano, diese Stimme... was für ein wunderbares Stück. Nicht etwa die Kopie der selbst ernannten Gipsy Kings, keines der unzähligen Plagiate.. nein, es ist das Original, das hier aus den alten hölzernen Lautsprechern erklingt. Rein und unverfälscht, in erhabener Würde fünfzig vergangener Jahre und doch in seiner Leichtigkeit erfrischend zeitlos und unschuldig heiter und froh, wie es sich Musik heute vielleicht nicht mehr erlauben kann zu sein, ohne Gefahr zu laufen, ins Banale abzudriften.
Die Sonne scheint durch die Fenster seitlich in den kleinen Frühstücksraum. Es duftet nach Café (Espresso), ich genieße mein geliebtes italienisches Frühstück. Das kleine Albergo hat mit seinem unbeschreiblichen Ambiente schon lange mein Herz erobert. Die engen und gerade deswegen gemütlichen Dachzimmer mit ihren alten dunklen Holzbalken und den Balkons mit schmiedeeisernen geschwungenen Geländern, die elegante ältere Dame, die hier alles souverän managt; ihr Gatte, der meist im Kreise seiner Freunde auf der falschen Seite der Bar sitzt; die kleinen Details wie die Telefonkabine mit Wählscheibentelefon aus den sechziger Jahren und das gute alte 'Tabacchi'-Schild, das vor dem Eingang auf der Terrasse hängt. Dolce fa niente. Oh ja... ich brauche kein Wellnesshotel der fünf Sterne Kategorie (von denen mir das ein oder andere sehr wohl von innen bekannt ist) um Ruhe zu finden, dafür aber diesen Stil und dieses Familiäre eines liebevoll geführten kleinen Familienbetriebes in einem abgelegenen Seitental: dem Inbegriff des kleinen alten Albergo.
Es ist ein herrlicher Wintermorgen, der letzte des Jahres 2004. Der Schnee glitzert in der Sonne, der weißen Gipfel glänzen wundervoll im warmen Morgenlicht. Ich lausche der Musik und trinke in Ruhe einen weiteren Schluck meines geliebten Cafés. Die ersten Lifte am wenige Kilometer entfernten Passo Tonale laufen bereits, die ersten Unermüdlichen gleiten sicherlich schon die herrlichen, makellos weißen weiten Hänge tausend Höhenmeter oberhalb hinab. Und dennoch kann nichts diese meine wunderbare Ruhe bei meinem morgendlichen Espresso stören... Was ist bloß geschehen?
Ist
das der Junge, der wenige Jahre zuvor noch mit achtzehn es sich zum Ziel machte, sämtliche Anlagen der Trois Vallées in nur fünf Tagen abzufahren? Der dafür nächtelang mit seinem ähnlich skifanatischen Schuldfreund Pläne und Routen ausarbeitete, um die perfekte Liftkombination für dieses Unterfangen zu finden? Was ist aus dem Zwölftklässler geworden, der den zweiten Weihnachtsfeiertag 1998 in Zügen und die halbe Nacht, Stunde um Stunde auf Bahnhöfen in Süddeutschland und Frankreich verbrachte, nur bereits um sechs Uhr morgens in Moutiers und um neun Uhr am ersten Lift zu sein? Und der bei der Abreise eine ähnliche Tortur schlafloser Odyssey über namenlosen Bahnhöfe in Kauf nahm, nur um am letzten Tag noch bis Liftschluss in Val Thorens bleiben zu können?
Und heute, sechs Jahre später? Ich sitze hier, eine halbe Stunde nach Öffnung des Schigebiets, das ich ohnehin mühelos an einem Tag abfahren könnte, ohne auch nur einen Gedanken an all die Abfahrten zu verschwenden, die ich bereits verpasst haben könnte. Das Leben ist schön! Was hat aus dem Schüler, der in langweiligen Schulstunden den Pistenplan der 3 Vallées vollständig mit Namen aller Anlagen aus dem Gedächtnis in seine Hefte zeichnen konnte, den vierundzwanzigjährigen Studenten gemacht, der für einen stilvollen und gemütlichen Skitag in dem Land seiner Vorfahren an der Seite der Liebsten alle Abfahrtskilometer der Welt vergisst?
Ein weiterer Schluck Café. Liegt die Antwort denn nicht auf der Hand? Was tut man denn,
nachdem man die 3 Vallées in fünf Tagen komplett abgefahren ist? Wohin hinaus will man denn noch, wenn man am Klein Matterhorn, der Aig. du Midi und dem Dome de la Lauze war? Letzendlich läuft es doch auf zwei Dinge hinaus: Das eine ist die Entdeckung und Erkundung der großen weiten Welt jenseits der Limitierungen durch Lifte und Pisten und perfekt gesicherten Skiraum. Das andere ist - und die Kombination aus beidem liegt mir am meisten -, einfach die Ruhe zu genießen, das wundebare Wissen, all diese Superlative nicht mehr suchen zu müssen, weil man bereits und durchaus mit etwas Stolz darauf zurückblicken kann. Und plötzlich bleibt einem wieder die Ruhe und Zeit, einen so wundervollen Café wie diesen zu trinken, die morgendlich glänzenden Gipfel zu bestaunen und sich darüber zu freuen, dass man keine Angst mehr zu haben braucht, etwas zu verpassen. Das Leben ist schön - versteht ihr mich?
Wir folgen wenig später der gewundenen Passstraße von Ponte di Legno hinauf zum Passo Tonale. Anfangs verläuft sie in Kehren durch den steilen waldigen Westhang, hier und da werden Blicke frei auf das gigantische und beeindruckende Adamellomassiv; das Tal, durch das einst der Pisganagletscher erschlossen werden sollte. Nach einigen Kilometern weicht das steile Waldgelände einer locker bewaldeten Almlandschaft. Gelegentlich stehen hübsche kleine Hotels in den Kehren der Passtraße am Wegesrand, auf den Wiesenhängen lassen sich die Reste früherer Schlepplifte erkennen, die hier einst hinab führten. Als Liebhaber solcher gemütlichen abseitig gelegenen Almhänge bedaure ich ihre Stillegung, mit der neuen Umlaufbahn von Ponte di Legno aus allerdings, werden diese Hänge auch wieder Teil des Schigebietes werden - hoffentlich nicht allzu sehr remodelliert?
Auf den letzten beiden Kilometern vor der Passhöhe kommt der Verkehr wie immer ins Stocken. Die Scheitelhöhe wird duch ein etwa einen Kilometer langes Hochtal gebildet, in dem sich links und rechts der Straße mal vereinzelt mal dichter die Hotels aneinander reihen. Daneben finden sich dort unzählige Parkplätze, Liftstationen, Bars und Restaurants. Die Busse, das Rangieren, das kleine Chaos dort oben in Verbindung mit dem Durchgangsverkehr: all dies bringt den Verkehr auf den letzten Kilometern vor der dem Pass stets zum Erliegen. Aber irgendwie gehört es auch dazu, ich habe mich daran gewöhnt, lasse mich davon nicht aus der Ruhe bringen. Auch das ist eben ein bisschen Teil des guten alten Italostyles, viel Gehupe, fahren nach den eigenen soeben frei erfundenen Verkehrsregeln - warum denn nicht!
Einige Kehren unterhalb der Passhöhe findet sich bereits ein kleiner unbefestigter und immerzu völlig chaotisch zugeparkter Parkplatz in einer Senke. Hier liegt die Talstation des derzeit niedrigsten Liftes des Gebietes und der ersten Anlage, die man die Westrampe erklimmend erreicht: der Poma 4SB Nigritella. Schon aus Tradition muss das unser Einstieg in das Schgebiet sein.
Die 4SB klettert steil einen kurzen mit etwas Gestrüpp bewachsenen Lawinenhang hinauf, um auf einem kleinen Hochplateau zu enden. Während die Bahn den Schatten verlässt und ich erstmals die Morgensonne warm auf meinem Gesicht spüre, wird mit dem Verlassen der Senke der Blick frei auf ein im höchsten Maße vielschichtiges und bemerkenswertes Schigebiet, trotz seiner relativ geringen Größe meines Erachtens eine der Top-Destinationen der Alpen, was Abwechslung und Vielseitigkeit angeht, wenn es auch in den letzten Jahren etwas eintöniger geworden ist.
Sein Herz ist die weite Passhöhe, der Passo Tonale. Ein weites Hochtal zwischen den Felsmauern der Presena, dem vorgelagerten Bollwerk des über 3500m hohen Adamellomassivs, dessen weite weiße Gletscherfelder sich stolz als letzte Bastion der Alpen in den südlichen tiefblauen Morgenhimmel erstrecken, und den weiten Almwiesen unterhalb der Cima Cadi, die weiß blendend ohne einen Makel das Morgenlicht in den Himmel zurück strahlen. Dazwischen liegt der Pass, das Hoteldorf, das seit den fünfziger Jahren hieroben im Winter den Schibetrieb ermöglicht. Teils vereinzelt, teils in kleinen Gruppen reihen sich die Häuser die Straße entlang: der Passo Tonale ist
das klassische Passschigebiet der italienischen Alpen. Der Ort ist, abgesehen von drei abseits im Talgrund und stets im Schatten gelegenen mittelgroßen Hochhäusern durchaus recht ansehnlich und gepflegt. Die anders lautende Beschreibung im Skiatlas lässt fast vermuten, dass der Autor das Gebiet nie besucht hat - jedenfalls stammt das als Beleg gewählte Bild sicherlich nicht vom Passo Tonale!
Blick aus der 4SB Nigritella auf die Tonalepasshöhe, die Talstation der neuen 2S-Bahn und die Straße hinauf zu alten Pendelbahn.
4 KSB Bleis.
Gleißend erwartet uns das versteckt und abseits gelegene weiße Hochtal, das durch die 4KSB Bleis erschlossen wird. Eine der vielen Traumpisten am Passo Tonale führt von der entlegenen Bergstation dieser Bahn außen zurück ins Tal. Der Wind streicht leicht von den einsamen Höhen herab, die im warmen Morgenlicht erstrahlen als wir mit der Bahn uns der 2500m Marke nähern. Das ist eine der wundervollen Eigenschaften dieses Schigebietes: durch seine Ausrichtung hat man stets beeindruckende Licht- und Schattenspiele, die absolut baumfreien Hänge im Bereich der Cima Cadi blenden in der Sonne, die gewaltigen Mauern am Passo Paradiso hingegen werfen tiefe Schatten - was für eine Tiefe vermittelt dieses Licht- und Schattenspiel! Ich bin wie stets überwältigend von der Weite dieser Welt, als ich oben neben der Bergstation der Bleis stehe: Dreitausender hinter Dreitausender, endlose Gletscherfelder mir gegenüber, Täler, tiefe unscharfe Schatten unter mir, und dazwischen, gleißend in der Sonne, eine der schönsten Pisten, die man sich nur vorstellen kann! Völlig abgelegen hinter dem Felsen hinab gleitet sie elegant zwischen dieser Welt aus Licht und Schatten, die Größe und die Tiefe, sie ziehen einen hinab, und doch gleitet man auf einer Welle des Lichts in der Sonne, was für ein Gegenüber der Kontraste! Wie französisch ist diese wuchtige und gewaltige Szenerie, wie italienisch und südländisch hingegen ihr Licht und ihre Stimmung!
Bergstation der Bleis, im Hintergrund der Presanellagletscher und der gleichnamige Gipfel.
Passo Paradiso, die Pforte zum Presenagletscherschigebiet mit der PB Bergstation und der schwarzen Talabfahrt.
Einsam in der weiten Landschaft: die 4KSB Bleis.
Bleis, Presanellamassiv und Variantenmöglichkeit an der Anlage.
Paradisoscharte mit Pendelbahn und Piste.
5 km fernab jeglicher Liftanlage mit gigantischem Panoram auf das Adamellomassiv führt am äußersten Rand des Schigebietes die Alpino zurück zur Passstraße.
Gletscher und Dreieinhalbtausender, Höhenunterschiede in die Täler von über 2500m - mehr als westalpine Szenerie!
Licht und Schatten - die Alpino mit der Paradisoscharte und Presanella vis-à-vis.
Nach diesem ersten weißen Rausch, des eigenen Atems beraubt, stehe ich wenige Minuten später wieder in der schattigen kleinen Senke, zurück an der 4SB Nigritella. Während der erneuten Auffahrt, bleibt Zeit, zu den Ereignissen, die meine Liebe für diese Berge begründeten, zurückzukehren. Es ist kalt, bitter kalt, die Welt hüllt sich in graue Schatten als ich die Promenade am Bodensee entlang spaziere, meine Freundin im Arm, in einem neuen, schwarzen Pelzmantel. Der Atem kondensiert in der kalten Luft, das Licht der weihnachtlichen Stände und Buden, bricht sich darin. Ich spüre eine tiefe Sehnsucht in die Berge zu fahren, die Berge die jenseits dieses Sees liegen, ich sehne mich nach den weiten Hängen, die hinab zu gleiten so ein wichtiger Bestandteil meines Lebens geworden ist. Ich war kurz davor, den ersten Winter seit meiner Kindheit ohne Skisaison zu erleben. Es war der Dezember 2002. Ich war wie immer nach Weihnachten zu meiner Freundin nach Süddeutschland gefahren. Aufgrund des berufsbedingten Stresses damals hatte sie jedoch absolut überhaupt keine Ambitionen, einen sportlich geprägten Skiurlaub anzutreten, sondern wollte lieber einige ruhige Tage bei ihrer Familie verbringen. Ich hingegen konnte es kaum ertragen, meine wenigen freien Tage so dicht an den Alpen zu verbringen, ohne auf Brettern zu stehen. Die Tage gingen ins Land, der Sylvesterabend näherte sich, meine Stimmung war an einem Tiefpunkt. Die Schneelage in den Nordalpen war geradezu desaströs, ich hätte sowieso nicht gewusst, wohin ich hätte fahren wollen. Kein Schnne, kahle apere Hänge und überhaupt - was sollte die französischen Schigebiete, die ich hinter mir gelassen hatte, denn noch toppen?
So flanierten wir also am Vorabend des Sylvestertages 2002 beide die beleuchtete Promenade am Bodenseeufer in Friedrichshafen entlang. Die Kälte brannte auf den Gesichtern, der heiße Eierpunsch und Glühwein in der Kehle, das Licht glitzerte sanft in den Wellen des Sees. Und dahinter, am anderen Ufer, die Lichter von Romanshorn, die Lichter der Schweiz. Irgendwo dort, verborgen in der eisigen Nacht, musste der Gipfel des Säntis mit seinen Schneefeldern thronen. Irgendwie ist es auch romantisch, so Arm in Arm durch Kälte zu spazieren, immer wieder die Wärme der Glühweinbuden zu suchen, das Ambiete des Winters zu genießen! Ich dachte plötzlich an Winterurlaub, Winterurlaub der nicht einfach nur "Schiurlaub" wäre. Winterurlaub, so wie früher, oder so wie ich mir das in einer verklärte Idylle vorstellte: abends durch das Dorf zu spazieren, bei dem alten Mann mit den roten Wangen an dem Holzkohlestand Maronen zu kaufen, die verschneiten Gassen eines kleinen Bergortes zu erkunden, dort zu sein, wo es noch Eisbahnen unter freiem Himmel und Eisstockschießen gab. Ich glaube das Bild, das ich da vor meinem geisten Auge verklärte, entnahm ich wohl primär den Aufnahmen aus "Im Geheimdienst ihrer Majestät" - einem meiner absoluten Lieblingsfilme - und kombinierte es dann ein wenig mit Photos aus alten Skibüchern, die mir vage in Erinnerung waren. Aber irgendwie ging es mir nicht aus dem Sinn. Ein Bild, das völlig konträr zu meiner bisherigen Art, Skiurlaub zu machen - bei dem es stets um die höchsten Liftstationen, die größten Schigebiete und die meisten Abfahrtskilometer ging -, stand.
Und noch etwas tauchte aus den Tiefen meines Gedächtnisses auf: dieser schwarze Pelzmantel, den meine Freundin trug, er erinnerte mich an ein italienisches Werbephoto aus einem mir unbekannten Skiort, das ich vor einer Ewigkeit mal irgendwo gesehen haben musste. Irgendwie ließ mich dieses Bild nicht los und es verband sich - wohl eher zufällig - mit dieser fiktiven Winterurlaubsidylle, die mir zuvor durch den Kopf gegangen war. War das die Antwort? Stil und Ambiente, statt hunderter Pistenkilometer, Espresso auf der Terrasse, statt des Run auf den letzten Lift? Wie wäre es wohl, auf der Alpensüdseite in Italien schizufahren? Ich habe in der Salzburgersportwelt Amadé schifahren gelernt, war in den Jahren danach in Schigebieten wie Sölden, dem Stubaital oder Dolomiti Superski gewesen, später dann Jahr für Jahr in den gigantischen Schigebieten der Frankreichs. Aber außerhalb von Dolomiti Superski war ich im Winter nie in Italien gewesen, und auch dort fast nur im südtiroler Teil, das "eigentliche" Italien kannte ich nicht, 'trincerone' war kein Name, den ich damals getragen hätte. In meinem Bekannten- und Familienkreis hieß es stets, die Hotels entsprächen nicht unseren Standards, seien teils verwahrlost, die Orte kaum gepflegt und manche heruntergekommen, vor allem nicht so lieblich und ordentlich, wie in Tirol und Südtirol. Häuser, bei denen der Putz bröckele, klapprige, teils rostige Lifte, hässliche Betonstationen, kaum moderne Liftanlagen. Sollte ich da wirklich hinfahren? Auf einigen ersten Sommerreisen hatte ich die Lombardei und das Piemont etwas erkundet, mein Eindruck war zwiegespalten. Aber in jedem Fall fühlte ich dort so eine für mich damals noch nicht näher definierbare besondere Stimmung, die mich unglaublich faszinierte. Die einsamen weiten Höhenzüge im warmen Licht der Südalpen, das italienische Dolce Vita, das besondere Flair... Könnte das die Antwort auf meine Frage "Wohin?" sein, die sich mir nach der Enttäuschung 2001/2002 in Val Thorens stellte? Und wäre es nicht an der Zeit, dies durch einen Kurztrip herauszufinden? Und wann, wenn nicht jetzt, wären die Bedingungen besser gewesen? Völlig apere Nordalpen, Schneehöhen jenseits der vier Meter südlich des Alpenhauptkammes. Und meine Freundin, die ohnehin keine Lust auf Urlaubstress hatte, vielleicht hätte sie Lust, die südlichen Promenaden in eben jenem Pelzmantel mit mir entlang zu schlendern, auf der Suche nach der hübschesten Trattoria im Ort?
Und ich dann fühlte etwas rebellisches in mir, dass mich heute, da ich diese Zeilen schreibe, zum Grinsen bringt: je mehr ich diese fiktive Zufallsbild von der italienischen Winterurlaubidylle, von der ich gar nicht wusste, ob es sie wirklich gab, beim Entlangschlendern der Promenade in meinem Kopf aufbaute, desto sympathischer wurde mir dieses Land, das ich noch kaum kannte, und desto mehr verspürte ich den Wunsch mir selbst zu beweisen, dass meine Eltern sich getäuscht hatten, als sie den 5-Sterne Wellnesskomfort der tiroler Pseudo-Bauernhäuser den Alberghi der Südalpen vorzogen! Ich verspürte den brennenden Wunsch zu belegen, dass die wahren Idyllen dort verborgen waren, das wirklich erlebnisreiche Reisen nur in diesen Gefilden möglich war. Und ich entsann mich des Berichtes meines Onkels, der einst von einem Skiort erzählt hatte, den er bei einer zufälligen Durchfahrt so schrecklich fand, dass er nie in eine solche Gegend fahren würde wollen: Passo Tonale!
... Eine kurze Nacht und wenige Stunden später saßen wir, reichlich Koffein in den Adern, in meinem guten alten Audi quattro und wühlten uns mit vier angetriebenen Rädern durch den tiefen Schnee, links und rechts die meterhoch ausgefrästen Schneemauern auf dem Berninapass, die mich an Erzählungen meines Vaters aus Wintern, die ich selbst nicht mehr erleben durfte, erinnerten. Eigentlich hatten wir nicht mal ein konkretes Ziel! Es war Sylvester und wir hatten kein Hotel, aber diese winterliche Südalpenlandschaft faszinierte uns. Die lieblichen Talgründe mit ihren bezuckerten Obstbäumen, die weiten weißen einsamen Felsbastionen des Adamellos und der Ausläufer des Ortlermassivs. Und dazwischen diese wunderbaren kleinen Alberghi links und rechts der Straße. Der Abend im tiefverschneiten und wunderschönen Péjo, die blauen und roten Liftmasten in Marilleva, die alte Pendelbahn am Passo Tonale. Und was für Schneemengen, ich erinnere mich noch wie ich voller Staunen auf dem Stützenjoch der völlig eingeschneiten Alveo Presena Platz nahm! Mehr oder minder per Zufall entsprach all das verhältnismäßig gut meiner fiktiven kleinen Winteridylle. Ich entdeckte plötzlich Kleinode und Details am Wegesrand jenseits dessen, was früher für mich ausschlaggebend gewesen war und mich immer wieder nach Val Thorens gezogen hatte. Um es kurz zu machen: dieser Kurztrip übetraf meine Erwartungen bei Weitem! Die Schigebiete und Pisten gaben mir genau das, was mir in Frankreich am Ende gefehlt hatte und die Zeit, die plötzlich wieder für Panorama, Ambiente und Espresso da war, sie gab mir das Gefühl vom Winter- und Bergurlaub zurück, dass ich zuletzt für ein dem morgendlichen Großstadtpendlerverkehr im öffentlichen Nahverkehr ähnliches Gefühl eingetauscht hatte. Das mir der Beweis, den ich für mich selbst antreten wollte, gelungen war, brauche ich wohl kaum mitzuteilen. Diese spontane Zufallsidee, die eigentlich nur aus der Not eines völlig verloren geglaubten Winter geboren worden war und die mir anfangs eher als eine Art Verzweifelungstat erschien, stellte sich letztendlich Glückstreffer heraus. Diese drei Tage im tiefstverschneiten Val di Sole damals waren die Geburtstunde meiner Liebe zu Italien, seinem besonderen Style und seinen vielen Kleinigkeiten, die so anders und doch so reizvoll sind. Die Idee, spontan an Sylvester 2002 zum Passo Tonale zu fahren, war eine von zwei Entscheidungen, die meine Vorstellung von Winter- und Bergurlaub völlig revolutionieren sollten. Die andere derartige Entscheidung traf ich übrigens genau einen Winter und einen Tag später auf einem einsamen Pass auf den Südhängen des Monte Rosa: dies war die Entscheidung, über ein kleines rotes Absperrband zu steigen, dass die Grenze des durch Gressoney gesicherten Skiraumes markierte. Das aber ist eine andere Geschichte!
Nun, noch zwei Jahre später, bin ich zurück, diesmal mit mehr Zeit als nur drei Tagen. Was für ein geniales Schigebiet ist das! Wir gleiten die simplen weiten, aber irgendwie auch herrlich schlichten Autobahnen mitten in das Herz des nördlichen Tonale Schigebiets hinab. Auf diesen grandiosen Sonnenhängen tummelt sich ein Gewusel aus Bambini und Anfängern, aber hier ist genügend Platz für alle und auf diesen leichten Autobahnen ist es auch kein Problem, seinen eigenen Weg hindurch zu finden. Einst standen auf diesen Hängen Dutzende paralleler Schlepplifte, einige nur wenige Meter lang, andere bis an die oberen Grate der Cima Cadi. Es war weiß Gott der Inbegriff des italienischen Passschigebiets! Mehr Schlepplifte als Hotels, wie es schien, mehr Liftgesellschaften auf einem Hang als in der ganzen Tarentaise zusammen.
Heute sieht es etwas simpler aus: ganz außen führen jeweils die KSBs in die hinteren Täler zu den einsamen langen Pisten, die diesen wunderbaren Blick auf das Adamellomassiv bieten. Links des Hauptschigebietes um die Cima Cadi ist dies die Bleis KSB, die unseren Einstieg markierte, rechts außen wiederum sind es die Anlagen Valbiolo, Tonale Occidentale und Contrabbandieri. Zwischen diesen beiden Zweigen in das Hinterland des Passo Tonale liegen die großen weiten Almhänge unterhalb der Cima Cadi.
Auch wenn es heute nicht mehr zwei Dutzend Schlepplifte sind, die diese Hänge erschließen, so ist es dennoch ein herrliches Durcheinander paraller Anlagen - und das geht, wer es nicht glaubt, fahre an den Passo Tonale! Die interessantesten Anlagen hier sind ganz links die KSB Serodine, von der man zum Bleis Sektor hinüber wechseln kann, und ganz rechts die KSB Alpe Alta, die den Korblift ersetzte und von der aus man ins Valbiolo startet. Dazwischen liegen bis heute dem Gefühl nach mehr Anlagen als Pisten, wenn es auch nicht mehr ganz so viele sind, wie noch vor zwanzig Jahren. Die große Anzahl schneller KSBs perfektioniert das Schifahren hier, stets ist man schnell wieder oben und die Umgebung ist geradezu perfekt für KSBs, die mit vier Sitzplätzen genau die richtige Größenordnung haben. Lediglich zwei kleine Wehmutstropfen gibt es: erstens wurde mit dem Ersatz der SL durch diese KSBs vielerorts auf die letzten Höhenmeter, die skifahrerisch an diesem konkarven Hang am interessantesten sind, verzichtet, was deutlich fehlt! Zweitens ist aufgrund dieser Tatsache und der Lage der Anlagen die Verbindung vom Bereich Bleis ins Valbiolo sehr langatmig, weil man niemals hoch genug hinauf kommt, um diese gesamte weite Südflanke der Cima Cadi in einem Stück zu queren, so dass man diverse Male zwischenliften muss. Ansonsten sind diese sonnige Hänge aber ein wahrer Genuss, sehr leichtes Schigelände wohl gemerkt, aber perfekt ergänzt durch die weiten mittelschweren Pisten der Seitenäste Valbiolo und Bleis - und die grandiose Paradiso vis-à-vis - doch dazu später. Diese Kombinantion aus allem: blaue Autobahnen mit KSBs an Sonnenhängen, lange abgelegene westalpine Pisten in den Seitenästen der Hochtäler versteckt, und die dolomitenhafte steile Paradisoscharte mit dem bis auf dreitausend Meter reichenden Gletscher, klapprigen Gletscherliften und einer kühn betonierten PB im besten Italo-Style: das alles
zusammen in
einem Schigebiet - noch dazu etwa von der Größe Warth-Schröckens - macht dieses Schigebiet zu einer der absoluten Top-Destinationen der Alpen in meinen Augen. Der Italo-Style hat natürlich mit der Renovierung des Paradisosektor deutlich an Gewicht verloren - leider!
Die KSB Serodine. Dies ist eine der beiden langen, äußeren KSBs, die die Almwiesen an der Cima Cadi flankieren. Links hinten kommt man zur Bleis, rechts des Bildrandes kommen die Dutzend parallel Lifte.
Passo Tonale, Serodini KSB und Paradisoscharte im Hintergrund.
Anlagen Serodine und Cady.
Anlagen Sciatollo und im Hintergrund KSB Alpe Alta, die andere der beiden flankierenden langen KSBs auf der Trasse des ehem. Korbliftes. Dazu diverse weitere Anlagen im Hintergrund.
In der KSB Serodine.
Passo Tonale und Presanellamassiv.
Bergstation der KSB Serodine.
Serodine und Paradisoscharte.
Weite baumfreie Almwiesen, ein Genuss! Im Hintergrund Passo Tonale und Paradisoscharte mit einem Teil des Presenagletschers.
Der eigentliche Schiort Passo Tonale. Wer sieht die "bösen" drei Hochhäuser?
Nochmals der Tonale - schönes Licht- und Schattenspiel aufgrund der exakten Ost-/Westausrichtung des Hochtales. Jetzt erkennt man eines der Hochhäuser. Ansonsten ein tpyisch italienisches und durchaus gepflegtes Hoteldorf.
SL Presanella und andere, rechts die KSB Alpe Alta. Der frühere Korblift ging bis auf den Grat hinauf. Rechts dahinter befindet sich das Valbiolo.
Cima Cady mit Alpe Alta KSB.
Das Valbiolo ist der Inbegriff des versteckten Hochtales, das den Reiz eines interessant erschlossenen Schigebietes ausmacht. Zunächst führt die relativ flach verlaufende KSB Valbiolo hinein, die an ihrem Ende ein Zwischenplateau auf etwa 2250m am Boden eines großen Talkessels erreicht. Rechts hinauf schließt seit etwa zehn Jahren die KSB Contrabbandieri an, deren Bergstation mit knapp 2600m den höchsten Punkt diesseits der Passhöhe markiert. Leider hat man darauf verzichtet, die letzten Höhenmeter bis zum Sattel mit zu erschließen, doch auch hier ist bereits das Panorama auf die Gletscherfelder der wunderschönen Presanella überwältigend. Eine mittelschwere Autobahnpiste führt entlang der Anlage zurück ins Tal, aber auch einige sehr reizvolle Varianten bieten sich in diesem sehr platzsparend erschlossenen Hochtal an, die ich mir natürlich nicht entgehen lasse.
Mit der KSB Valbiolo gelangt man in das zweite der rückwärtig gelegenen Seitentäler um die Cima Cady.
KSB Contrabbandieri mit den Gletschern der Presanella im Hintergrund.
Großartige Piste zurück zur Bergstation der Valbiolo KSB.
Zurück an der Mittelstation folgen wir nun dem zweiten Ast hinauf, der Nascivera DSB Tonale Occidentale, die vor vielen Jahren bereits den alten Schlepplift ersetzte, der hier seit Jahrzehnten stand und die mittlerweile selbst durch einen 4KSB ersetzt wurde. Auch diese Anlage vermittelt eine herrliche Stimmung, abseits der Piste gleitet sich durch die sanft weichen Geländeformen auf den Grat, hinter dem die Bleis KSB endet, zu. Auch hier ist das letzte Stück bis auf die Kante ausgespart worden, angesichts des sehr steilen obersten Hangteiles aber diesmal eine nachvollziehbare Entscheidung. Während ich erneut von traumhaften Pulverschneehängen in diesem Tal links und rechts der DSB profitieren kann, treffe ich meine Freundin, die die Piste bervorzugt, an der Mittelstation wieder. Wir folgen der schattigen, relativ flachen Talabfahrt, die einlädt, die Bretter einfach laufen zu lassen, durch das Valbiolo zurück. Im untersten Stück schließlich kommen wir aus dem Tal heraus und queren über die weiten Almen zurück an den Passo Tonale.
Die Nascivera DSB Tonale Occidentale.
Talstation der Tonale Occidentale, KSB Valbiolo und Presanellamassiv.
DSB Tonale Occidentale.
Was für ein herrlicher Anblick, die tiefstehende Nachmittagssonne setzt die Passhöhe in ein goldenes Streiflicht, grandios wird jede Kontur, jedes Relief hervorgehoben, die Schatten werden länger und tiefer. Es ist Zeit jetzt für den absoluten Höhepunkt dieses so vielseitigen Schigebietes, einen Ort, der seinen Namen verdient, wie kein zweiter: den Passo Paradiso!
Einst erschloss diese steile und berüchtigte Scharte bloß die alte Ceretti e Tanfani Pendelbahn, eine wunderschöne Anlage aus dem Jahre 1963. Sie führt über eine einzige Stütze in die steile und im oberen Bereich extrem enge Paradisoscharte auf 2500m, deren Pisteneinstieg damals berüchtigt war für seine unerreichte Steilheit und der nur durch einen in die Felsen gehauenen Stollen umgangen werden konnte. Seit Ende der sechziger Jahre schlossen sich an diese Bahn ein Grafferkorblift bis an den Gletscherrand auf 2750m mit dem Rifugio Capanna Presena und hieran mehrere Graffergletscherschlepplifte (diejenigen mit den Pyramidenstützen) bis oberhalb 3000m an. Ergänzend kam in den 70er Jahren die Graffer DSB Alveo Presena hinzu, die vom Passo Paradiso links in ein Seitental hinabführte und dadurch grandiose Abfahrten vom Gletscher dort hinab ermöglichte.
Seitdem hat sich einiges verändert. Die DSB Alveo Presena wurde wenige Jahre später bereits wieder stillgelegt, existiert aber in voller Ausstattung bis heute. Über den Grund ist viel spekuliert worden. Eine verbreitete und durchaus glaubhafte Theorie besagt, dass es sich um einen Schwarzbau handele, der in den Naturpark hinein rage (letzteres ist jedenfalls wohl zutreffend). Alternativ heißt es, die Bahn habe ein Lawinenproblem, auch das kann ich zumindest nicht ausschließen.
Die ursprünglichen Graffergletscherlifte mussten nach und nach weichen, seit ca. 1983 besteht am Gletscher eine Hauptanlage, ein Doppelschlepplift von DM Lana. Ebenfalls Anfang der 80er dürfte der alte Grafferkorblift der aktuellen DSB von DM Lana gewichen sein, die bis heute in das zugige Hochtal hinauffährt. Daneben existierten bis zum Sommer 2004 gestaffelt zwei weitere SL, diesmal der Marke Leitner, nämlich die Anlagen Campo Scuola und Passo Marrocarro, beide auf dem Gletscher. Insbesondere der Verlust des letzteren ist unangenehm, da das Gletscherschigebiet dadurch v.a. im Sommer einiges an Vielfalt verloren hat. Der Gletscher ist - mittlerweile - berühmt für seine nicht zu verachtende Steilheit, die anders als in den meisten Gletscherschigebieten ein sportliches Fahren auch im Sommer ermöglicht. Betrachtet man alte Bilder aus den sechziger Jahren wird deutlich, dass dies ein Ergebnis des konkarven Abtauens der Eismassen in den vergangenen Jahren ist. Nichtsdestotrotz ist das aus sportlicher Sicht durchaus begrüßenswert, auch wenn natürlich der Gletscher sehr darunter gelitten hat.
Die gravierendsten Änderungen sind jedoch nach 2002 eingetreten und zwar im Bereich der Paradisoscharte. War diese anfangs nur als extreme Diretissima oder mit Hilfe des Stollens zu befahren, so wurde bald schon eine Schleife unterhalb der Bergstation der Seilbahn angelegt, die mit einer kühnen Brückenkonstruktion das steilste Stück der Scharte passierte. Diese Trassierung existierte noch bei meinem ersten Besuch im Jahre 2002 und stellte einen schwierigen und famosen Einstieg in diese zu den Klassikern der Alpen gerhörende Piste dar. Insbesondere im Bereich der Seilbahntrasse hatte man stets Sorge, eine der vorbeifahrenden Kabinen zu streifen, auch wenn diese Gefahr natürlich in Wahrheit nicht bestand. Im Anschluss an diese ersten fünfzig Meter folgte eine kilometerlange perfekt schwarze Piste, die aufgrund des berüchtigten Einstiegs stets nur von Skifahrern genutzt wurde, die die nötige Technik für eine solche Piste besaßen. So konnte man in vollen Zügen und mit hoher Geschwindigkeit von dieser Traumabfahrt profitieren.
Wohl im Sommer 2003 wurde dann der gesamte Einstieg der Piste mit gewaltigen Baueingriffen remodelliert - mit dem Erfolg, dass die Scharte oben gehörig verschandelt wurde, eine der spannendsten Stelle der Piste verloren ging und die alte Diretissima aus den ersten Jahren nicht mehr möglich ist. Dazu ist die Scharte heute übervölkert mit weniger guten Schifahrern, die die Piste auf voller Breite kreuzen und somit diesen 700m Höhenmeter langen Skirenntraum endgültig begraben haben. Im Sommer 2004 folgte dazu außerdem der Bau einer Leitner 2S Bahn, die die alte PB ersetzt hat. Die Talstation der Anlage wurde deutlich nach unten an die Straße verlegt, was an für sich den Vorteil hat, dass man nicht mehr den halben Kilometer zur Pendelbahn hinauf laufen muss. Allerdings brachte das zumindest bei unserem Besuch den kleinen aber feinen Nachteil mit sich, dass man stattdessem nun aus der Paradisoscharte nicht mehr zur der Bahn abfahren konnte! Na wenn das mal keine grandiose Verbesserung der Situation ist! Allerdings weiß ich nicht, ob es mittlerweile eine Piste gibt, wenn mir auch nicht klar ist, wo diese in dem ansteigenden Gelände entlang führen sollte. Ein weiterer Nachteil der neuen Position der Talstation ist, dass der fünfminütige Fußmarsch zur Pendelbahn früher stets ein hervorragendes Filter für Flachlandtiroler war, so dass das Gebiet am Paradisopass niemals überlaufen und vorwiegend von Experten, die seinen besonderen Reiz kannten und schätzen, frequentiert wurde.
So stehen wir also nun vor dem Stationsgebäude der neuen 2S-Bahn. Dies allerdings ist durchaus stylish geraten - meinen Respekt, elegant, elegant! Doch, oh ha, die Skidata-Automaten lehnen an der Wand, der Eingang ist versperrt? Aber die Bahn fährt doch? Wir suchen einen Mitarbeiter. "Die Bahn hat technische Probleme, es ist nur Probebetrieb möglich. Sie müssen die Funivia nehmen." . Oh Gott! Also eigentlich müsste ich jetzt ja einen Luftsprung machen, andererseits ärgert mich das gerade schon auch ziemlich, weil es nämlich keinen Hinweis gab. Von
hier aus allerdings ist es so
richtig weit zurück zur Pendelbahn zu laufen. Aber nun gut, das lässt sich jetzt wohl kaum ändern.
Stylische und relativ kleine Talstation der neuen 2S-Bahn.
Heute leider nur für Stammgäste...
Die alte Straße hinauf zum Parkplatz der Funivia. Die Skibrücke ist neu, ebenso wurden die Freileitungsmasten erhöht, um die Unterfahrt der 2S-Bahn zu ermöglichen.
Die Paradisoscharte mit PB und 2S-Bahn, oben erkennt man die großen Stützmauern der remodellierten Piste.
Eine grobe Vision, wie in etwa es noch 2002 hier aussah.
Die 2S-Bahn im Bereich der Funiviatalstation. Ich mag das Design nicht so sehr, allerdings habe ich mit Interesse festgestellt, dass das alte Ovoviadesign bei den Gondeln wohl durchaus mit Pate gestanden haben dürfte.
Klassiker!
Die Fahrt mit der PB in die Paradisoscharte ist jedesmal wieder ein Erlebnis. So elegant das Fahrgefühl und die Trasse, so wahnsinnig schnell diese vierzig Jahre alte Bahn. In dreineinhalb Minuten erreichen wir die Bergstation 700m weiter oberhalb! Die neue Anlage benötigt hierfür doppelt so lange, nämlich sieben Minuten. Außerdem ist das Gefühl mit so einer Funivia in eine solche Scharte zu schweben wohl durch nichts zu ersetzen! Eine unschöne Überraschung ist auch die Bergstation der neuen 2S-Bahn: ein wildes Gewirr von Stützen, das dort in Scharte ragt, und ein doch sehr durchschnittliches Stations-"gebäude" aus der Massenproduktion. Wieder ist ein Stück des alten Stils verloren gegangen...
Blick aus der Funivia. Links unten die Talstation, rechts die 2S-Bahn. Dahinter die Straße, die vom Pass herüber führt und zu laufen ist. Rechts am Gegenhang erkennt man gut die KSB Serodine. Links des Tragseils sieht man das Plateau, auf dem die 4SB Nigritella endet und dahinter das Tal, das durch die KSB Bleis erschlossen wird.
Bergstation der 2S-Bahn. Hat diese Schiene technische Gründe oder ist sie Vorraussetzung für eine Verlängerung zur Capanna Presena als Ersatz der DSB?
Bauseilbahn und Stützencluster der 2S-Bahn.
Alt und neu - entscheide jeder selbst.
Ein historisches Bild, PB und 2S-Bahn....
Die Landschaft ist hier oben so großartig wie stets. Man überblickt das gesamte nördliche Schigebiet des Tonale, dahinter reiht sich Gipfel an Gipfel des Ortlermassivs. Da ich den Sonnenuntergang am Gletscher genießen will, ziehe ich zunächst eine Abfahrt auf der wunderbaren schwarzen Paradisopiste vor, meine Freundin wird an der Capanna Presena warten. So ergeben sich noch bei Tageslicht einige interessante und seltene Perspektiven der beiden Anlagen nebeneinander, die in dieser Form wohl bald nicht mehr zu sehen sein werden. Nur wenige Minuten später stehe wir erneut in der Scharte.
Ich verlasse das alte verwitterte Betongebäude der Funivia. Kalt wie stets drückt die Luft vom Gletscher her in den schmalen Durchlass zwischen den Felsen, ein leichter Wind umstreicht die alten Mauern der Funivia. Langsam gleite ich in der DSB zum Höhepunkt des heutigen Schitages. Tief blau liegen die weiten Gletscherfelder des Presenagletschers vor mir, hinter mir jedoch beginnen bereits die Gipfel in einem magischen Rot zu leuchten, wie es wundervoller nicht sein könnte. Höher und höher schwebe ich das Tal hinauf, das in seiner Stille eine gewaltige Faszination auf mich ausstrahlt. Es vermittelt eine Ruhe und einen Frieden, der so gar nicht zu einem Schigebiet in der Hochsaison passen mag, und mit seinen alten Anlagen mitten in der endlosen Weite, erinnert es mich manchmal an wundervolle Momente in Alagna. Auch hier stammt alles aus einer vergangenen Zeit, auch hier stehen Monumente einer Ära, als der Tourismus noch stärker blühte. Und trotzdem hat gerade die Zeit aus diesem Tal den besonderen Ort gemacht, der er heute ist.
Als einer der letzten Menschen hieroben erreiche ich den alten klapprigen Gletscherlift, Zeuge eines verblassenden Sommerschitraumes und doch heute in der tiefblauen Weite der Schlüssel zu einer Traumabfahrt, die wundervoller nicht sein könnte. Immer weiter in Richtung der Dreitausend-Meter-Marke werde ich einsam in dem alten Lift das steile Eisfeld hinauf gezogen, bis ich schließlich den höchsten Punkt des Schigebietes des Passo Tonale erreiche. Ich drehe mich um - und bin überwältigt. Ein unglaubliches Gefühl von Freiheit überkommt mich, eine Intensität der Weite, der Grenzenlosigkeit, das Gefühl hieroben ganz allein und irgendwie der irdischen Welt entrückt zu sein.
Reihe um Reihe, Grat um Grat, Gipfel um Gipfel reihen sich die namenlosen Berge rotstrahlend im Abendlicht vor mir auf. Tief unten gibt es bloß noch blaue Schatten einer verblassenden Welt, der ich nun ferner bin denn je. Aber hier oben ist das Licht, hieroben ist die Freiheit, hier oben bin ich den Himmel näher als der Erde. Und als ich die erste Schwünge durch den staubende Pulverschnee ziehe, allein und verloren auf dem riesigen Gletscherhang, denke ich nur noch "I am the king of the world!"! Eine unbeschreibliche Euphorie fließt wie warmes Blut durch meine Adern, die Geschwindigkeit, die Weite und Tiefe, es ist ein unbeschreiblicher Rausch! Langsam gleiten die Schi zurück zum Passo Paradiso, dann ein letztes Mal die steile Scharte hinab, tausendzweihundert Höhenmeter bin ich schlussendlich hinab gefahren, von einer Welt in eine andere zurück. Sind es nicht diese Erlebnisse, die wir stets in unseren Herzen tief in uns tragen? Die uns begleiten, mal mehr mal weniger präsent, und uns als Erinnerungen die Freiheit wieder fühlen lassen, die wir hier oben einst verspürten? Was habe ich alles erlebt, wie sehr habe ich mich verändert mit den Jahren ... und doch begleiten mich stets solche Erinnerungen, zeitlos und unberührbar. Wie dankbar bin ich, dass ich dies alles, diese Ruhe, diese Freiheit, für mich entdeckt habe, dass ich diesen Tag heute so erleben durfte, diese wundervolle märchenhafte Abfahrt, wie in einem Traum, einen Mythos genießen konnte... es war einmal der Süden... C'èra una volta il Sud!
Zurück zur Übersicht der Tour.