(Ich möchte Eure Aufmerksamkeit durch eine etwas ungewohnte Form auf sechs interessante Aspekte und Gedanken lenken, die mir in Whistler bewusst geworden sind, die sich teilweise an konkreten Begebenheiten und geographischen Orten orientieren oder allgemeiner Natur sind und die ebenfalls partiell an gewissen Strömungen und Argumentationssträngen andocken, denen ich in den diversen Foren in der letzten Zeit gewahr geworden bin)(I) Crowding and visitor management in North American ski resortsKeine Angst, ich werde hier nicht anfangen auf Englisch zu schreiben, so gut kann ich das außerdem gar nicht um die hier geforderte sprachliche Qualität zu erreichen. Ich möchte aber die Gelegenheit nutzen, um Euch einige Erkenntnisse und Konzepte der outdoor recreation research näher zu bringen, die für unsere Diskussionen im Forum sich als fruchtbar erweisen könnten.
VASKE und DONNELLY (2002) definieren „crowding“ als „subjective negative evaluation that the number of people observed or number of encounters with other people, groups or activities (i.e., reported encounters) is too many”. Tritt crowding auf, ist die “social carrying capacity“ eines Gebietes oder eines Abschnittes für die befragten Individuen überschritten. Jedes Individuum oder jede halbwegs homogene Nutzergruppe (bspw. Freerider) hat ihre eigene „social norm curve“ oder „impact acceptability curve“, wobei „norms“ definiert werdem als „standards that individuals use for evaluating activities, environments, or management strategies as good or bad, better or worse” (SHELBY et al. 1996). Diese Kurve gibt z.B. an ab welchem Nutzerlevel für uns individuell Überfüllung auftritt. Das kann man auf folgende Weise feststellen: die Forscher zeigen den Probanden einige Photos oder –montagen des selben Wanderweges oder der gleichen Skipiste mit unterschiedlicher Dichte an anderen Wanderern oder Skifahrern und die Probanden bewerten diese Szenarien gemäß ihrer Akzeptanz, nach dem Motto „also ab Bild 5 würde ich nicht mehr fahren wollen“. Damit ist dann für dieses Individuum die social carrying capacity (soziale Tragfähigkeit) überschritten. “Social carrying capacity is generally defined as the level of use beyond which unacceptable impacts such as crowding occur to visitor experiences” (SHELBY/HEBERLEIN 1986).
Crowding beschreibt also denselben Zustand, den wir umgangssprachlich mit Überfüllung von Pisten (oder Wanderwegen) bezeichnen und der v.a. in den letzten Jahren verstärkt von den Foristen in der Hauptsaison, in stark frequentierten Skigebieten und v.a. in deren Kernbereichen berichtet wurde und der womöglich in starkem Zusammenhang mit der gestiegenen Förderleistung der Liftanlagen steht. Natürlich beeinflussen nicht nur die Fläche, auf der sich Menschen konzentrieren und die Anzahl dieser Menschen die Wahrnehmung von crowding, denn zahlreiche Studien haben ergeben, dass es keineswegs einen vielleicht intuitiv vermuteten linearen Zusammenhang zwischen dem Nutzungsgrad (also wie viele Besucher unterwegs sind) und der crowding-Wahrnehmung gibt. Mögliche Gründe dafür sind uns auch intuitiv bekannt (vgl. hierzu NEEDHAM/ROLLINS 2008: 144ff.):
• Stichprobenfehler: Besucher, die Überfüllung befürchten entscheiden sich weniger frequentierte Gebiete aufzusuchen oder in der Nebensaison zu kommen und/oder werden durch Menschen ersetzt, die einer höheren Besucherdichte toleranter gegenüberstehen.
• Product shift: Wenn ein Besucher an einem Ort mehr Leute antrifft als erwartet, könnte er einfach die Erfahrung dort umdefinieren. Aus einem Wildnis-Gebiet wird ein teilweise wildes Gebiet, aus einer abgelegenen Nebenabfahrt eine normale Hauptpiste.
• Kognitive Dissonanz: Freizeitverhalten ist freiwillig und selbstgewählt, die Besucher haben Zeit, Geld und Energie investiert um Aktivitäten nachzugehen. Das letzte, was Besucher deshalb sich selbst oder einem Forscher gegenüber eingestehen würden ist, dass sie sich „crowded“ fühlen oder unzufrieden mit ihren Erlebnissen sind.
• Nutzungsgrad: in manchen Studien ist er einfach nicht hoch genug um einen größeren Einfluss auf die Besuchserfahrung auszuüben
Bedauerlicherweise ist mir bisher keine Studie zum „crowding“ auf Skipisten bekannt, die hier genannten Erkenntnisse beziehen sich fast ausschließlich auf Nationalparke oder naturnahe Tourismusformen in den USA oder Kanada. Die große Frage wäre nun, ob und wenn ja inwieweit sich die Ergebnisse aus Skigebieten davon unterscheiden würden.
Aus meiner Perspektive entsteht crowding in Skigebieten durch ein zu geringes Verhältnis von verfügbarer Pistenfläche zur Beförderungskapazität der Liftanlagen und dem Fahrverhalten der Skifahrer, hierzu einige Gedanken:
- Die 6-KSB mit 2400 p/h Stundenkapazität, die nur eine Piste entlang ihrer Trasse bedient wird auf dieser voraussichtlich eher Überfüllung verursachen, als wenn sich die gleiche Kapazität bei der gleichen Frequentierung auf zwei oder drei vergleichbare Abfahrten verteilt – crowding sensible Gäste können dann auf die zumeist weniger stark befahrenen Parallelrouten ausweichen, da bekanntlich die breite Masse in Nähe des Liftes bleibt (immer ceteris paribus, also alle anderen Parameter gleich).
- Verfügbare Pistenfläche meint, dass nicht theoretisch auf dem Pistenplan viel Fläche zur Verfügung steht, sondern diese auch für die große Mehrheit der Gäste zugänglich und befahrbar ist: wenn in Val Thorens an der 4-KSB Portette nur zwei von vier Abfahrten frisch gewalzt sind, wird es auf den beiden gewalzten Abfahrten viel eher zu crowding kommen, als wenn alle vier zur Verfügung stünden.
- Fahrverhalten weist darauf hin, dass bspw. in expliziten Free ride-Gebieten sich fast alle Gäste sowie außerhalb der präparierten Pistenfläche in unzähligen Variantenhängen aufhalten und eine verhältnismäßig kleine gewalzte Pistenfläche deshalb keine crowding Effekte zeitigt; oder wir haben eine geringe Gesamtfrequentierung, aber hauptsächlich Skikurse, die sehr weite Bögen kreuz und quer über die gesamte Piste fahren oder hauptsächlich ungeübte Fahrer, die keinen flüssigen Rhythmus fahren und abrupte Richtungs- und Tempowechsel vornehmen; oder vornehmlich gute Fahrer, die mit geringen Radien, schnell und flüssig einen Abschnitt durchfahren (bspw. engen Ziehweg).
Man könnte diese Erklärung der verschiedenen Parameter noch sicherlich sehr viel länger fortsetzen, ich denke es ist einleuchtend für jeden.
Der große Vorzug von eigentlich allen bisher von mir besuchten nordamerikanischen Skigebieten (teilweise aber auch in Frankreich auftretend), ist das hier deutlich höhere und wahrscheinlich gesündere Verhältnis von Liftkapazität zur Pistenfläche, das sich aus folgenden Gründen hier ergibt:
- Die erschlossenen Gebiete sind sehr konsequent und bis ins letzte erschlossen: nicht eine oder vielleicht zwei Abfahrtsschneisen an einer Liftanlagen, sondern vier oder mehr. Jeder Quadratmeter der theoretischen Pistenfläche wird auch von irgendjemandem befahren und wenn es Tiefschnee-, Varianten-, Buckel- oder Tree skiing-Fans sind.
- Durch das Erschließungskonzept (Essay D) wird darauf geachtet, mit jeder Liftanlage ein Maximum an Pisten- oder Skigebietsfläche zugänglich zu machen. An Tal- und Bergstationen herrscht schon auch großer Andrang, nur gleich danach oder bis kurz davor ist man häufig fast alleine unterwegs.
- Skifahren ist ein deutlich teureres und exklusiveres Vergnügen in Nordamerika als in Europa, deshalb sind die Gesamtbesucherzahlen wahrscheinlich niedriger, es wird aber pro Person aufgrund der höheren Preise (und der kürzeren Urlaubszeiten) mehr Umsatz gemacht.
- In Nordamerika wird aktive Raumplanung innerhalb von Skigebieten betrieben, d.h. verschiedene Nutzer- und Zielgruppen bekommen speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Bereiche zugeteilt, bspw. Snowboarder riesige Funpark-Areale, die teilweise zwei parallele Abfahrtsschneisen an einem Lift einnehmen können. Für Anfänger, Familien und gemütliche Fahrer sind die sog. „slow zones“ gedacht, die sich auch auf alle (leichten) Haupt- und Talabfahrten erstrecken. Ein Konzept, dass mir 2005 in Colorado noch überhaupt nicht zugesagt hatte und von mir kritisiert wurde, das ich aber im Kontext der „Althaus-Debatte“ und der crowding-Debatte immer sinnvoller finde, es leuchtet mir immer besser ein. In den „slow zones“ ist schnelles Skifahren (auch kontrollierter Art) verboten, was auch kontrolliert wird. V.a. am Nachmittag stehen alle 250 Meter an den Talabfahrten Kontrolleure, die zu schnell fahrende Zeitgenossen ermahnen und gegebenenfalls die Liftkarte abnehmen. An den Talstationen in Whistler hängen gut sichtbar Statistiken, wie viele Pässe an diesem Tag, in dieser Woche, im Monat und er gesamten Saison abgenommen wurden. Da kommt einiges zusammen. Nicht umsonst heißt es ja: „ride too fast – lose your pass“. Der Erfolg gibt diesen drakonischen Maßnahmen offenbar recht: es fährt sich extrem angenehm, allein die Präsenz der Kontrolleure sorgt dafür, dass egtl jeder gemessen und kontrolliert fährt und selbst höher frequentierte Talabfahrten mit nachmittäglich schlechten Verhältnissen sind mit Genuss zu befahren und arten nicht in ein Survival-Training zwischen querstellenden Anfängern und querschießenden Rowdys aus. Und da die Zonen ja im Pistenplan deutlich gekennzeichnet sind (in Whistler steht gelb nicht für technische Beschneiung sondern für slow zones) kann man sich als Speedcarver gut danach richten und hat dann auf den nicht beschränkten und steileren Abfahrten freie Bahn, da die slow zones viele schlechtere Fahrer bereits absorbieren und binden. Die Frage, die ich mir nun abschließend stelle: warum versucht man solche Maßnahmen nicht auch an chronischen crowding-Gebieten wie der Ischgler Idalp, dem Söldener Giggijoch oder der Kaltenbacher Talabfahrt einzuführen? Wäre es nicht zu Wohle des Skigenusses aller ein paar Versuche wert?
(II) „Peak to Creek“ - 1500 Höhenmeter Buckelpiste: Skifahren wie früher, ohne „Banalisierung“? In der letzten Zeit hat bei einigen Forumusern und in der generellen Meinungslage der Foristen ein bemerkenswerter Wertungswandel stattgefunden, der insbesondere dann frappiert, wenn man wie der Autor bereits seit sechseinhalb Jahren die Diskussionen regelmäßig verfolgt (und dabei auch die eigenen Ansichten mehrfach und teilweise diametral geändert hat). So wird nun häufig kritisch auf die vermeintliche, so genannte „Banalisierung“ von Skipisten durch Remodellierung hingewiesen, die meistens im Zuge einer treffend als Investitionsspirale bezeichneten Baumaßnahmenkette in Form von kapazitätsstarken Expressliften, gleichzeitiger Installation von Beschneiungsanlagen und umfangreicher Absicherungsmaßnahmen (Stichwort: rote Netze) stattfindet. Während der klassische Alpinforums-User solche Maßnahmen zumeist begrüßt, da sie weniger Wartezeiten, eine gesicherte Schneeunterlage, bessere Präparierung und damit reibungsloseren Carving-Genuss versprechen, wenden sich die besagten kritischen Geister mit Grausen ab: die sportliche Herausforderung des Skifahrens werde verringert oder gar beseitigt, die Unverwechselbarkeit und Identität individueller Abfahrten gehe verloren, die alpinen Risiken des Hochgebirges dem technisch nicht versierten Gelegenheitsskifahrer und Banausen alpiner Tourismushistorie zugänglich gemacht, wodurch angestammtes Expertenterrain plötzlich der breiten Masse anheimfällt.
Wie passen die Beobachtungen auf der „Peak to Creek“ nun in diesen Diskurskontext? Zunächst einige objektivierbare Fakten: die „Peak to Creek“ startet auf 2182 m Höhe auf dem Gipfel des Whistler Mountains und ist bequem durch die 4-KSB Peak Express zugänglich (wie wohl an deren Talstation „Expert only“ geschrieben steht). Sie ist blau („intermediate“) ausgewiesen und führt ohne jeden Kontakt mit weiteren Aufstiegshilfen, Hütten oder sonstiger baulicher Infrastruktur zunächst den Westhang hinunter und dreht dann nach einem Viertel der Strecke auf Nord. Diese Ausrichtung wird bis zum Tal in Creekside auf 650 m beibehalten, so dass insgesamt 1530 Höhenmeter zurückgelegt werden. Angelegt wurde die Waldschneise der „Lower Peak to Creek“ erst im Jahr 2004, zusammen mit einigen weiteren Rodungen in diesem Bereich und hat laut mehreren Quellen einige Millionen kanadische Dollar gekostet. Damit würde sie eigentlich direkt in den oben dargelegten Trend fallen, zumal bei einer, wie sich an anderen Stellen hier erweisen wird, stark ökonomisch fokussierten Betreibergesellschaft wie in Whistler.
(Re-)Modelliert ja oder nein? Natürlich ja. Denn per se ist natürlich jede Skipiste ein Eingriff in den Naturhaushalt. In unserem Fall gab es im oberen Abschnitt wohl in den späten 1980er Jahren nach Erschließung des Gipfels Gesteinsverschiebungen (erkennbar bei Google Earth). Im unteren Abschnitt wurde der Wald gerodet, die Baumstümpfe entfernt und die Pistenfläche begrünt. Eine klassische Erschließung also, ohne die man nicht guten Gewissens eine Skipiste im kommerziellen Betrieb freigeben kann. Nur ist sie damit gleichzeitig „banalisiert“, „zu Tode modelliert“? Meiner Ansicht nach nicht: die Waldschneise ist nirgends riesig breit, das natürliche Gefälle wurde an den wenigsten Stellen verändert, zumal das Quergefälle, weshalb die Abfahrt etliche Wellen und hängende Passagen aufweist, die nicht zu den Hauptkennzeichen der „Banalisierung“ zu zählen sein sollten.
Die Anlage der Abfahrt ist das eine, die Pflege das andere Kriterium, das über die Befahrbarkeit und Schwierigkeit oder wegen mir „Banalität“ der Piste entscheidet. An unserem Besuchstag ist die „Peak to Creek“ von von oben bis unten unpräpariert (am Gipfel „Warntafel“: experts only, very difficult conditions), eine reine Buckelpiste (es ist 15 Uhr nachmittags), aber fast durchgehend tolle Verhältnisse: oben pulvrig, immer griffig, unten Idealfirn und bremsender Sulz, ganz unten große apere Stellen, das sollte für den Bronzenen Starli am Band reichen, offenbar ist kein Abschnitt der Abfahrt beschneit. So stelle ich mir das Skifahren anno dazumal vor: sehr anstrengend, aber auch sehr anregend und herausfordernd, 1550 Hm Buckelpiste, wir haben sehr guten Rhythmus gefunden und sind langsam aber kontinuierlich nach unten geschwungen und waren dabei so gut wie alleine. Eine der Höhepunkte dieser Skisaison und der Beleg, dass auch Massenskigebiete wie Whistler durchaus Platz für solche Herausforderungen haben und das Erlebnis „echten“ Skifahrens nicht nur in ebenso vermeintlich kultigen, geheimtippartigen Inseln der Seligen möglich ist. Und an die Speed-Carving Fraktion gerichtet: was sind die 300 Hm Kunstschneeeiskanal an der Mayrhofener „Harakiri“ gegen so eine große Abfahrt?
Mein Fazit aus dieser Fahrt: ob eine Abfahrt sich „banal“ gestaltet, hängt sowohl vom Ausbauzustand, als auch fast entscheidender von der (Nicht-)Präparierung ab. Und vielleicht ist gerade für diejenigen Foristen unter uns, die auf mehr ursprüngliches Skifahren setzen und aber trotzdem nicht auf Liftfahrten verzichten möchten Nordamerika eine gute Wahl: viel Pistenfläche im Verhältnis zur Liftkapazität, oftmals nicht gewalzte Abfahrten, freies Bowl-Gelände (teilweise mit kurzem Aufstieg), nicht vollständig ausgeschlägerte Waldabfahrten (Glades). Und schrottig-unbequeme, pardon „kultige“ Liftanlagen gibt es mit Yan- und Riblet-Anlagen zu Hauf. Nur eben als Doppel- und Dreiersessellift, nicht als Einersessellifte.
(III) Blackcomb Glacier run: 10,5 km Abfahrt ohne einen Lift zu sehenDie „Peak to Creek“ hat eine Art Vorbild am Nachbarberg Blackcomb Mountain, wo das Prinzip des auf Naturfaktoren beruhenden und ursprünglichen Alpinskifahrens noch sehr viel konsequenter gelebt wird (denn die „Peak to Creek“ wird zur Normalsaison sehr wohl beizeiten gewalzt).
Als Kompromiss zwischen Naturschutz und touristischer Inwertsetzung hat man sich offenbar in den 1980er Jahren darauf verständigt, den kleinen Kargletscher des Horstman Glacier als Lift- und pistenerschlossenes Gletscherskigebiet aufzuschließen und den deutlich größeren und vielleicht nochmals geeigneteren Blackcomb Glacier im Garibaldi Provincial Park nicht direkt mit Liften auszustatten (welches „Opfer“ das ist, merkt man nach Befahrung des ersten, ungelogen 300 m breiten Idealhangs, auf dem man à la Schmiedinger Kees gut und gerne zwei oder gar drei schöne Doppelschleppliftanlagen platzieren hätte können).
Trotzdem ist dieser Idealhang und die nicht minder schöne Hangfolge per Lift zugänglich. Mit dem SL Showcase, dem kürzeren und südlicheren der beiden SLte am Horstman Glacier gelangt man zum sog. Blackcomb Glacier Gate in einem Joch (große Infotafel über Lawinengefahr abseits präparierter Pisten und Übersicht der verschiedenen Routen). Dorthin muss man ca. 10 Meter vom SL aufsteigen und auf einer fahrwegbreiten Schneetraverse ca. 50 m hinüber aufs Eis des Blackcomb Glaciers schieben. Verwegene können fast direkt am Gate in die natürliche Half pipe des „Blow hole“ starten – den typischen Abschmelzrand des Eisfeldes am von südexponierter Sonne gewärmten Fels des Horstman Peaks. Hier am Einstieg sieht man sich nun am nördlichen Rand der riesigen Gletscherschüssel, Skispuren in frischem Neuschnee, soweit das Auge reicht und trotzdem noch unverspurte Bereiche dazwischen. Obwohl am Gate ziemlich viele Interessierte den Aufstieg wagen, fällt der Einzelne bei dieser enormen Fläche nicht mehr ins Gewicht und nirgends kommt das Gefühl von Pistenfahren auf, es ist wie auf einer häufig begangenen Skitour. Im hinteren Bereich sieht man tatsächlich die charakteristischen Spitzkehren der Tourengeher im noch kaum zerfahrenen Gelände. Gleich hier am Einstieg sieht man auch vom Skigebiet nur mehr eine: die hoch oben am Gipfelgrat platzierte Umlenkstation des SL Showcase, dahinter fällt eine Felswand praktisch senkrecht ab. Trois mille trois cents Assoziationen wabern herauf – bin ich jetzt tief unten auf dem Glacier de Gebroulaz? Die Frankreich-Analogien hören noch nicht auf, denn von unten sieht die Felswand des Horstman Peak mit granitenen Türmen und Gendarmen ein wenig aus wie die berühmten Aiguilles de Chamonix. Und diesmal wäre man im Vallée Blanche… Im Mittelteil der Abfahrt wiederum fühlt man sich in andere bekannte „Hintenherum“-Abfahrten versetzt: das Velill-Tal im häufig arg dämonisierten Ischgl drängt sich auf, oder das Pierre Lory-Tal oberhalb des Plan Bouchet in Val Thorens, der Bereich La Fée in Les Deux Alpes oder der obere Teil der Sarenne-Schlucht in Alpe d´Huez. Nur ist hier nur eine Präparierungsspur im ganzen Tal zu erkennen: nach dem Neuschnee ist einmal eine Walze den gut 5 km langen, gut laufenden Ziehweg hin und zurückgefahren, ein vertretbarer Service wie ich finde, der den Charakter dieser landschaftlich wie skifahrerisch grandiosen großen Abfahrt nicht beeinträchtigt.
Auf alle Fälle ist dieses lifterschlossene, hochalpine, naturbelassene Variantengebiet Blackcomb Glacier eine bedeutende Attraktivitätssteigerung des Skigebietes. Das Konzept funktioniert hier, dank der regelmäßigen und umfangreichen Schneefälle. Ob man in den inneralpinen Trockeninseln Sölden oder Serfaus das so umsetzen könnte, bezweifle ich ein bisschen. Manchen kommt die Natur dann eben mehr entgegen als anderen – in den genannten Orten scheint dafür wohl öfters die Sonne und man kann besser schönen technischen Schnee herstellen.
(IV) One bowl, one lift: Erschließungskonzept nicht nur in WhistlerWährend in Mayrhofen die Zauberformel „eine Abfahrt, eine 6-KSB“ lautet, sind die Skiberge Whistler größtenteils so erschlossen, dass mit einem Minimum an Liften ein Maximum an Pistenfläche erreichbar ist. So bräuchte es am Blackcomb Mountain theoretisch nur vier Liftanlagen und am Whistler nur fünf Bahnen um sämtliche Abfahrten zugänglich zu machen. In der Praxis funktioniert das dann dadurch, dass eine Aufstiegshilfe nicht, wie oben im zugegebenermaßen polemisch zugespitzten Beispiel suggeriert, genau eine Abfahrt bedient, sondern deren Viele und zwar jeglicher Couleur: Ziehwege oder leichte, weit ausholende „grüne Abfahrten“, direktere, breite blaue „intermediates“ und direkte Steilvarianten, die den Tiefschnee- und Buckelenthusiasten überlassen werden. Jeder befahrbare Quadratmeter des Skigeländes wird auch als solches genutzt, fast jede Variantenmöglichkeit ist mit Pistenplan als one or double diamond Abfahrt verzeichnet. Damit verteilt sich die Kapazität der Hochleistungsanlagen auf eine vergleichsweise sehr große Pistenfläche. Optisch entsteht nicht der Eindruck in einem urbanisierten Verkehrsverbund (à la Idalp, Les Menuires Croisette früher…) zu fahren, sondern in weitgehend naturnahen Bereichen, denn man fährt nicht ständig entlang von Liftmasten. Zudem sind die meisten Lifte sehr lang und höhenmeterintensiv (man fährt bspw. die 1500 Hm von Whistler Village auf den Whistler Peak mit nur einmal Umsteigen und einer kurzen Zwischenabfahrt).
Die Nachteile dieses Erschließungskonzeptes seien jedoch auch nicht verschwiegen: teilweise muss man gewisse Zubringerpassagen sehr häufig fahren, da sie erst den Zugang zu den zahlreichen übrigen Abfahrten gewähren, das Musterbeispiel ist sicherlich der gemütliche „Upper Whisky Jack“ am Whistler Mtn. Teilweise fährt man auch sehr viel Ziehweg, wie am „Burnt Stew Trail“ von der Symphony zurück in die Harmony Bowl, oder zu und vom 7th Heaven Express (der Rückbringer „Sunset Blvd“ bringt es auf gemessene 4 km Länge! (Google Earth Messung). Oder bei geschlossenem Crystal Chair fährt man gute 1,5 km „Crystal Traverse“ vom Glacier Express und unten nochmals 1,8 km Ziehweg zum Excelerator. Deshalb extra lange Leihskier nehmen (meine maßen stolze 184 cm und waren die gefühlt längsten im ganzen Gebiet…) oder gut wachsen und bei Abzweigungen niemals auf die Gruppe warten, denn man muss ja mit Schmackes in den Ziehweg brettern – sofern kein „slow zone“ Schild die Gefahr von „ride fast, lose pass“ kommuniziert.
(V) Offensives Destinationsmarketing, gesteigerte Erwartungen und Kundenzufriedenheit: Whistler-Blackcomb ist ein hervorragendes Skigebiet und eine schöne Urlaubsdestination, die zweifellos mit den besten Skigebieten Nordamerikas (Vail Resorts, Aspen…) mithalten kann, wenn es nicht sogar die Einzelgebiete in Colorado jeweils deutlich übertrifft. Problematisch allerdings ist, dass das sehr offensive Marketing der Destination glaubt, die eigene Attraktivität durch eine superlativistische Sprache nochmals zu steigern, in dem an jeder Ecke und in jeder Broschüre und jedem Plan die Groß- und Einzigartigkeit von Whistler betont wird, die einzelnen tatsächlichen und vermeintlichen Rekorde penibel aufgelistet sind und alles ständig wiederholt wird, so dass es einem als Gast nach einer Woche gehörig auf die Nerven geht. Zumal diese Art von typisch nordamerikanischem Marketing dazu führt, dass die eigenen Erwartungen ins unerfüllbare steigen und man geneigt ist, die großen Sprüche auch mal anhand der eigenen Beobachtungen zu überprüfen. Und hier genau liegt das Problem.
In der social science theory wird visitor satisfaction definiert als “the difference between desired and achieved goals, or the congruence between expectations (i.e., motivations) and outcomes” (NEEDHAM/ROLLINS 2008: 142). Wenn das Marketing – und das geschieht in Whistler zweifelsohne – die Erwartungen derart in die Höhe schraubt, kann das Resort im Ganzen nur an Kundenzufriedenheit einbüßen, denn selbst am wirklich guten Angebot finden sich eben, wie überall, kleinere Schwachstellen oder kritikwürdige Punkte und die bewertet man erst dann streng, wenn einem überall suggeriert wird, man befände sich im besten und tollsten und größten Skigebiet schlechthin. Da finde ich gesundes Understatement besser, wo man sagt „gut, wir bemühen uns so gut wir können, aber aus dem und dem Grund klappt noch nicht alles perfekt“, dann sind die Erwartungen niedriger und man wird fast immer positiv überrascht. In Whistler eher negativ. Zur Untermauerung ein paar nicht unerhebliche Kritikpunkte:
- Das Liftsystem ist teilweise unkomfortabel und nicht ideal abgestimmt. Bis auf die im Tal startenden Bahnen Wizard- und Fitzsimmons-Express hat keine Anlage Bubbles. Nun bin ich ja immer als Komfortkritiker unterwegs, aber gerade Whistler mit den häufigen Niederschlägen und Schlechtwettertagen hätte zur Abwechslung einmal Bedarf an Bubbles, die in der Waldzone egtl keine großen Windprobleme machen sollten. Die Bubbles am Wizard-Express sind im übrigen so stumpf, dass man kaum hindurchsehen kann. Einstiegsförderbänder wären bei der sehr dichten Sesselfolge kein übertriebener Luxus. Anlagen wie die Excelerator-KSB sind nicht ideal platziert, sie sollte entweder am Glacier Creek oder an der Rendezvous-Lodge enden.
- Obwohl ich Tiefschnee- und Buckelabfahrten mag, könnte in Whistler teilweise mehr und etwas besser präpariert werden. Am Blackcomb wurde in der Osterwoche egtl nur eine-zwei von drei-vier Talabfahrten gewalzt und das nicht immer optimal. Obwohl es bekannt ist, dass es bei weichem Frühjahrsschnee nicht so leicht geht, fragt man sich ob so tiefe Löcher/Rillen sein müssen und ob man nicht mehr als zwei-drei Spuren breit walzen könnte. Auf der „Lower Peak to Creek“ und „Lower Gearjammer“ würde auch im April der Schnee nicht ausgehen, wenn diese Bereiche beschneien würde… Im Gegensatz zu den Vail Resorts bietet Whistler auch keine Grooming-Maps zum Mitnehmen, auf denen detailliert nachzuschauen ist, welche Abfahrt an diesem Tag frisch gewalzt wurde. Das ist zwar im Internet und an den Hauptstationen in endlosen Listen eingetragen, aber wenn man in der Unterkunft kein Internet hat und sich nicht alle Namen merken kann oder will, ist man etwas aufgeschmissen. Auf den Infotafeln der Lifte wird von den lustigen Lifties ja immer gerne und viel (sinnloses z.T.) gemalt und geschrieben, nur fand ich selten Hinweise an den Bahnen auf gewalzte Abfahrten. Ungut finde ich die Angewohnheit Abfahrten zur Hälfte zu walzen (Upper Franz, aber Lower nicht, das gleiche bei Peak to Creek etc.). Für die Funpark Präparierung am Blackcomb wird großer Aufwand aufbetrieben, für relativ wenige Besucher, aber die Parallelabfahrt „Ross’s Gold“ zur „Springboard“ habe ich in unserer Woche nicht gewalzt erleben dürfen. Das typische „Stade de Slalom“-Syndrom offenbar…
- Dichtmachen der Beschäftigungsanlagen und Restaurants: ich habe gewisses Verständnis, wenn mangels Andrang das Angebot etwas zurückgefahren wird, aber dass es ab Ostermontag am Blackcomb Mtn nur mehr genau eine offene Toilette gibt, weil das große Glacier Creek Restaurant und die Crystal Hut geschlossen werden, finde ich übertrieben. Da wird in vielen kleineren Gebieten, die nicht so renommiert sind und die günstigere Skipässe anbieten bis zum Schluss versucht, alles soweit möglich aufrechtzuerhalten. Warum ist z.B. nicht einer der SLte T-Bars am Whistler Peak geöffnet? Und warum ist nicht zumindest eine der Abfahrten in der großen Höhenlage mit guten Schneebedingungen gewalzt und geöffnet oder gar markiert? Dieser Hang ist nun mal wirklich nicht gut durch andere, geöffnete Lifte erreichbar. Schneemangel kann der Grund sicherlich nicht sein und die Betriebskosten eines Schleppliftes sollte sich eine Gesellschaft vom Rang und Namen Whistler-Blackcombs ja wohl noch leisten können. Oder muss da etwa eine 3-S-Bahna abbezahlt werden?
- Die frühen Schließungszeiten besonders in den Hochlagen sind extrem ärgerlich, weil dadurch der Skitag im Vergleich zu europäischen Destinationen deutlich verkürzt wird. Zumal im Frühjahr, wenn es schon sehr lange hell ist, kann man nicht verstehen, warum der Symphony Express um 14.30 Uhr geschlossen wird (er macht auch vor 10 Uhr nicht auf) oder 7th Heaven und Glacier Express um 15 Uhr. D.h. wenn es unten unfahrbar weich wird, kann man nachmittags nur noch dort fahren. Und möglichen Erklärungen wie „es ist so weit dort hinauf, die Liftler müssen erstmal hin und wieder zurückkommen“ oder „wenn dort so spät noch gefahren wird, gehen Leute verloren“ halte ich für abwegig. Es gibt deutlich ausgedehntere Skigebiete als das recht kompakte Whistler, in denen auch täglich jeder Lift 8 Stunden in Betrieb ist, unabhängig von Lage oder Höhe. Dafür sind die Lifttickets in Whistler viel zu teuer.
Die meisten Punkte sind tolerierbar, aber nicht zu den geforderten Preisen und dem werbemäßig so voll genommenem Mund…
(VI) Peak to Peak: wie eine relative Innovation perfekt vermarktet wird:Nachdem ich ja, wie manche von euch wissen, einen relativ persönlichen Bezug zum Thema „Innovation und Tourismus“ habe, war die Fahrt mit der neuen 3-S „Peak to Peak“ natürlich besonders spannend. Fast mehr als die Technik der Bahn hat mich allerdings die konsequente Vermarktung der Bahn beeindruckt: in jeder Broschüre ist sie zu finden (für die Sommer-Werbephotos hat man sie eigens hineinretouchiert), überall erwähnt, das Logo und Photos werden auf Pullovern, T-Shirts, Schnapsgläsern, Kugelschreibern, Buttons, Aufklebern angepriesen, die beiden Glasboden-Gondeln sind silbern und nicht rot wie die übrigen.
Das Konzept der Bahn ist eins zu eins aus Kitzbühel kopiert, trotzdem vermarktet man sich als große Innovatoren, was ja, wenn man Innovationen relativ betrachtet, auch irgendwie gerechtfertigt ist. Aber was die Vermarktung und Publicity angeht, sind sie den Tirolern um einiges überlegen, gar nicht erst zu reden von Paradiski in Frankreich, die 2002/03 mit dem Vanoise Express die erste dieser talüberspannenden Verbinungsbahnen gebaut haben, das im Marketing aber meines Erachtens nie richtig ausgenutzt haben. Wofür die Peak-to-Peak dem Skifahrer aber gut sein soll, erschließt sich offenbar ihren Machern selbst nicht komplett, sie sind offenbar auch unsicher, was die Bahn dem Skifahrer bringt, was etwas abgefahrene Routenbeispiele aus der Gästebroschüre belegen.
Laut ISR hat man bis März ca. 550.000 Fahrten auf der Bahn gezählt. Ab und an ist die Bahn auch wirklich sinnvoll, bspw. als wir für 12 Uhr an der Roundhouse Lodge verabredet waren, davor aber noch am Blackcomb und 7th Heaven den frischen Powder genießen wollten. Man spart sich in solchen Fällen die unten entweder eisig harten oder zu weichen Talpisten und ca. 20 min Auffahrt auf beiden Seiten. Als Seilbahn finde ich die Peak-to-Peak und 3-S-Bahnen insgesamt (ich bin 1993 bereits mit der Bahn in Saas-Fee gefahren, ohne natürlich diese Innovation wirklich schätzen zu können) wirklich genial, mit den dortigen Kabinen sind es die komfortabelsten und beeindruckendsten Umlaufbahnen, noch vor Funitels. Die Laufruhe und die vielen Sitzplätze in den Kabinen, das lautlose Schweben über dem 436 m tiefen Tal und die netten Glasböden machen die Fahrt wirklich zu etwas Besonderem, die sich sicherlich besonders als Attraktion für Sommertourismus erweisen wird. Ich hoffe auch, dass die Poma 10-EUB Whistler Village Gondola in ihrer nächsten Generation auch eine 3-S sein wird, denn bei 5 km Länge und 41 Stützen könnte wohl einiges mit den gewaltigen, möglichen Spannfeldern an Stützen eingespart, die Fahrtzeit verringert und der Komfort erhöht werden.
Zum Nach-/Weiterlesen:MANNING, R.E. (2007): Parks and Carrying capacity. Commons without tragedy. Washington D.C.
NEEDHAM, M.D., ROLLINS, R. (2008): Social Science, Conservation and Protected Areas Theory. In: Dearden, P., Rollins, R. (eds.): Parks and Protected Areas in Canada. Planning and Management. 3rd edition. Don Mills, pp. 135-168. (auf Wunsch als "Sicherungskopie" vom Autor des Berichtes erhältlich => PN)
SHELBY, B., HEBERLEIN, T.A. (1986): Carrying capacity in Recreation Settings. Corvallis.
SHELBY, B., VASKE, J.J., DONNELLY, M.P. (1996): Norms, standards, and natural resources. In: Leisure Sciences 18, pp. 108-123.
VASKE, J.J., DONNELLY, M.P. (2002): Generalizing the encounter-norm-crowding relationship. In: Leisure Sciences 24, pp. 255-270.
Den vollständigen Bericht samt Photos kann man unter folgendem Link bei Interesse ansehen (dort sind auch die "Fakten" enthalten):
http://www.alpinforum.com/forum/viewtopic.php?f=55&t=31246&start=0Ich freue mich auf eine lebhafte Diskussion der (teilweise bewusst provokanten) Thesen auf dem hier üblichen hohen Niveau!