3 A - MYTHOS IN EISIGEN HÖHEN
Chronologie einer alpinistischen Grenzüberschreitung
Die Geschichte des Alpinismus ist reich an Träumen und Tragödien. Jede Kultur hat ihre Schicksalsberge, die Briten versuchten sich Jahrzehnte am Mt. Everest, scheiterten 1924 grandios durch George L. Mallory und Sandy Irvine, erst 1953 bezwangen sie den Berg nach vielen Bemühungen durch den (immerhin dem Commonwealth angehörigen) neuseeländischen Bienenzüchter Edmund Hillary und den Sherpa Tensing. Viele Deutsche mussten am Nanga Parbat ihr Leben lassen, bis ebenfalls 1953 der Österreicher Hermann Buhl den Gipfel erreichte. Auch in Europa gab es Berge und Wände, die sich lange Zeit einer Besteigung erwehrten, allen alpinistisch Interessierten wird die Eiger-Nordwand ein Begriff sein, die nach zahlreichen Tragödien erst im Sommer 1938 von Heinrich Harrer, Fritz Kasparek, Anderl Heckmair und Wiggerl Vörg durchstiegen wurde. Generationen von Bergbegeisterten haben in unzähligen Büchern die Erlebnisse dieser Pioniere verschlungen.
Weiße Flecken auf der Landkarte wurden in den Jahrzehnten alpinistischer Expeditionen und Erschließungen immer seltener, und auch die alpinistische Erlebnisliteratur wandelte sich. Einerseits gab und gibt es immer noch die Profis, die bekannte Ziele über immer schwierigere Routen bei immer gefahrvolleren Bedingungen anstreben, andererseits mehren sich Berichte von versierten Laien, die den Versuch, ihre persönlichen Gipfelziele zu erreichen, in Form von teils dramatischen Erlebnisberichten auf den Buchmarkt bringen. Vielen wird noch der Weltbestseller von Jon Krakauer über die Tragödie am Mount Everest im Mai 1996 in Erinnerung sein, in den darauffolgenden Jahren kam fast von jedem, der zu diesem Zeitpunkt auch auf dem Berg gewesen war, ein weiteres Buch zu diesem Thema auf den Markt.
Auch wenn häufig von ?Laien? die Rede ist, die sich einen Achttausender ?gekauft? und damit das Unglück teilweise verschuldet hätten, so darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich hierbei doch um durchtrainierte und versierte Bergsteiger handelte.
Aber auch absolute ?Laien? und Gelegenheitsbergwanderer haben alpinistische Ziele, die über die Jahre für sie Kultstatus erreichen, über die viel geschrieben und gelesen wird, bis sie sich für manche zu mythischen ?heiligen Bergen? entwickeln. Nicht länger sind es Länder oder Nationen, die sich durch die Eroberung eines Berges ein Kapitel in der Chronik des Alpinismus sichern wollen, heute gibt es auch gänzlich anders geartete übernationale Interessensgemeinschaften wie etwa das Alpinforum, die sich Ziele in eisigen Höhen suchen und sich dann mit aller Anstrengung bemühen, diese zu erreichen.
Während einige dieser Gegenden durch die Popularität im Forum auch bald von mehreren ?Expeditionen? erfolgreich besucht wurden, zu nennen wäre etwa die Punta Indren südlich des gletscherbedeckten Monte Rosa, widersetzten sich andere Plätze nachhaltig allen Begehungsbesuchen und bildeten fürderhin gleichzeitig weiße Flecken auf den Landkarten des Forums und Punkte der Sehnsucht für viele Mitglieder.
Vom Versuch der alpinistischen Eroberung eines dieser Plätze handelt der vorliegende Bericht., der sich aus gekürzten Auszügen eines sicherlich bald in den Bestsellerlisten der Bergliteratur zu findenden Buches zusammensetzt.
Geographisches und Historisches
Nördlich vom italienischen Domodossola zweigt von der Simplon-Route bei Preliga das Valle Antigorio ab, das schließlich ins Val Formazza übergeht. Gegen Norden wird dieses Tal durch eine Kette von 3000-ern überragt, zu nennen wären (von West nach Ost) Blinnenhorn (3373m), Rothorn (3289m), Bättelmatthorn (3043m) oder Grieshorn (2969m), die Gipfel dieser Berge stellen auch die Grenze zur Schweiz dar. Saumpfade führen zwischen den Gipfeln ins Wallis (Griespaß) und ins Tessin (Passo San Giacomo), letzterer wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Mussolini zu einem Fahrweg ausgebaut, ein Anschluß auf der Schweizer Seite wurde jedoch niemals auch nur in Angriff genommen.
In den 50-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde das bis dahin ursprüngliche und stille Val Formazza durch einige große Kraftwerksprojekte erschlossen, Staumauern und ?seen entstanden, Versorgungsbahnen wurden errichtet.
Erst in den 70-er Jahren erhielt der Tourismus durch den Bau einiger neuer Schutzhütten in diesem Gebiet einen größeren Stellenwert.
3A im Web
trincerone, Italienexperte in diversen Skiforen, hatte bereits 1999 beim Wandern von einem Refugio namens 3A in knapp 3000 m Höhe am Rand des Siedelgletschers, ital. ghiacciaio dei camosci (nach anderer Bezeichnung auch Gems-Gletscher) erfahren, ebenso von einem zur Hütte gehörigen Gletscherskilift. In einem französischen Skiforum (skipass) postete er zu diesem Thema, die Existenz eines Liftes in der Nähe der Hütte wurde bestätigt, ebenso wurde von Snowboard-Camps berichtet, die dort im Juli stattfinden würden.
Im Dezember 2003 stieß k2k, Moderator eines deutschsprachigen Skiforums, zufällig auf diesen Thread und schrieb darüber im Topic ?Vergessenes Sommerskigebiet an der schweizer.-ital. Grenze?.
Allgemeines Interesse im Forum kam auf, eine Expedition dorthin wurde für den darauffolgenden Sommer geplant.
Am 9. 2.2004 registrierte sich trincerone im gleichen deutschsprachigen Forum und stieg noch am ersten Tag in oben angeführtem Thread ein, indem er Teile der Diskussion von 1999 im französischen Forum übersetzte.
In den darauffolgenden Monaten wurde mehrfach versucht, nähere Informationen durch Kontaktierung des Refugios zu erlangen, jedoch stellte sich kein rechter Erfolg ein und auch die geplante Wanderung dorthin kam nicht zustande. Dafür mehrten sich die Gerüchte, der Lift wäre nicht mehr in Betrieb, es sollte aber eine Ersatzanlage gebaut werden und 2005 in Betrieb gehen. Immer wieder tauchten Bilder aus verschiedenen Quellen auf, jedoch konnte kein sicherer Beweis für oder gegen die Existenz eines neuen Liftes gefunden werden.
G´s Einstieg
Im Dezember 2004 stieß G. durch einen link auf einer anderen Skiliftseite aufs eben dieses Forum und registrierte sich schon nach wenigen Tagen. Ob des umfangreichen Materials dauerte es einige Zeit, bis er auf besagtes Topic stieß, jedoch hatten sich seit dem April des vergangenen Jahres keine neuen Informationen ergeben. Ab Februar 2005 kam wieder Leben in die Sache, doch noch immer wusste niemand, ob nun ein neuer Lift gebaut worden war oder es überhaupt möglich wäre, dort als Gruppe oder Einzelperson Skifahren zu können.
G. verfolgte die Diskussion mit Interesse und Spannung.
starli`s Scheitern
Im Juni 2005 wurde nun der erste ernsthafte Versuch unternommen, das Geheimnis im Rahmen eines Lokalaugenscheins zu lösen. Forenuser Starli, Spitzenreiter im Post-Ranking, Extremskifahrer und überzeugter Alkoholgegner plante eine große Autotour durch die Westalpen, auf der er zahlreichen Gletscherskigebieten einen Besuch abstattete und seinen Ford Fusion über steile und ausgesetzte Paßstraßen quälte. Gleich zu Beginn dieser Reise setzte er seinen Versuch an, das Rifugio 3A zu erreichen, am 23.6.2005 verließ er nach langer Fahrt um 14:30 sein an der Staumauer des Lago di Morasco geparktes Auto in westlicher Richtung. Jedoch die Voraussetzungen waren ungünstig. Erstens war es wohl schon zu spät für den Auf- und Abstieg am gleichen Tag, andererseits machten ihm Kreislauf und Verdauung schon nach 400 Höhenmetern so zu schaffen, daß er schweren Herzens aufgeben mußte. Obwohl er wußte, daß das Ziel für ihn im Rahmen dieser Reise wohl unerreichbar bleiben würde, unternahm er dankenswerter Weise am darauffolgenden Tag noch einen Erkundungsgang von Schweizerischer Seite, vom Nufenenpaß aus marschierte er über den Griespaß und dann weglos auf den Geröllhalden unterhalb des Grieshorns, um wenigstens einen topographischen Eindruck vom Gletscher liefern zu können. Auch auf diesen Bildern konnte zwar ein Lift vermutet, sein Zustand aber nicht näher geklärt werden.
Der Plan
G. verfolgte Starlis Pläne und Unternehmungen mit großem Interesse, und als er traurig von dessen Scheitern lesen musste, reifte in ihm der Wunsch, selbst einen Versuch zu wagen. Nachdem er wie Starli von großen Expeditionen mit vielen Teilnehmern und Trägerkolonnen für feste, flüssige und höherprozentige Verpflegung nichts hielt, würde er keine lange Vorbereitungszeit benötigen. Für ihn kam die Eroberung von 3 A nur als rein alpinistische Unternehmung in Frage, wenig Gepäck, keine Verwendung von am Berg installierten Fixseilen (Anm. der Redaktion: gemeint sind die ohnehin nicht für die Öffentlichkeit benutzbaren Kraftwerksbahnen), letztere sollten bei Gelegenheit lediglich zu Forschungszwecken begutachtet werden, die Versorgung sollte ? zur Förderung der vorhandenen Einrichtungen ? weitgehend aus der Region erfolgten, das heißt. G. wollte versuchen, sich nach Art der dort Einheimischen in den Berghütten zu verpflegen. Langjährige Beobachtungen bezüglich Wetter- und Lawinensituation standen nicht zur Verfügung, so entschied sich G. aufgrund seiner reichen Erfahrung und seines untrügbaren Instinkts, die Anreise am Nachmittag des 16. Augusts 2005 zu beginnen und den Gipfelsturm am 17. August 2005 anzusetzen. (Anm. der Redaktion: möglicherweise war auch entscheidend, dass er diesen und die darauf folgenden Tage ? im Gegensatz zu seiner Frau ? Urlaub hatte). Der Aufstieg sollte vom Nufenenpaß seinen Ausgang nehmen, die Krönung des Unternehmens würde eine Übernachtung in der sagenumwobenen 3A-Hütte sein, am darauffolgenden Tag würde ihn der Weg wieder zurück ins Basislager und von dort zu weiteren Unternehmungen in der Region führen.
Gefährten
Auch wenn Alleingänge alpinistisch besonders reizvoll sind, entschied sich G. , das Wagnis dieser forumsmäßigen Erstbegehung nicht allein auf sich zu nehmen. Mallory und Irvine waren gemeinsam gescheitert, Hillary und Tenzing erlebten zu zweit den Augenblick des Triumphes. G. musste aber feststellen, dass geeignete Expeditionsbergsteiger kurzfristig nicht so leicht verfügbar sind.
Nach einigen Absagen fand er schließlich in A. einen Partner, von dem er sich die ideale Ergänzung für die gefahrvolle Unternehmung erhoffte.
Er kannte A. schon seit dessen Jugend und hatte auch schon einige einfache Touren mit ihm gemacht. G. war sicherlich der alpinistisch Versiertere der beiden, jedoch hatte er den Zenit seines Bergsteigerlebens schon erreicht, wenn nicht sogar überschritten. Seine letzten größeren Unternehmungen lagen Jahre zurück, heuer war er ? abgesehen von einigen Skitouren in den Niederösterreichischen Voralpen und seinen ?normalen? Skiurlauben noch nie in größere Höhen gekommen, auch das für den Sommer geplante regelmäßige Lauftraining hatte nicht immer so stattgefunden, wie er sich das vorgenommen hatte.
A. konnte die seiner Jugend wegen noch geringe Erfahrung durch eine nahezu unerschöpfliche Kondition und eine unerschütterlich gute Laune in allen Lebenslagen wettmachen. So sollte die Begehung des Siedel-Gletschers ihre erste gemeinsame alpinistische Großtat werden.
Der Countdown
Der Sommer 2005 erwies sich jedoch wettermäßig als äußerst instabil. Ein längerwährendes Hochdruckgebiet über den Alpen baute sich nicht auf, immer wieder trafen Kaltfronten ein, die die Schneefallgrenze oft bis unter 2000 m absenkten. Auch für das Wochenende vor der geplanten Unternehmung wurde eine solche Front vorhergesagt, normalerweise hätte sich G. über den zu erwartenden Neuschneezuwachs für die Gletscher gefreut, zu diesem Termin bereitete er ihm doch erhebliche Sorgen.
So richtig bewußt wurde ihm die Probleme, die ihn erwarten konnten, jedoch erst in der Nacht von 14. auf 15.8.05, als er die Sturmböen hörte, die ums Haus tobten und den Regen, der intensiv an die Dachfenster trommelte. Auch die schneebedeckten Berge, die er am nächsten Morgen im Wetterpanorama sehen konnte, stimmten ihn nachdenklich.
Wie üblich waren die letzten Tage vor der geplanten Abreise sehr stressig, auch diesmal ging er erst am letzten Abend ans Packen, die extremen Wetterverhältnisse führten dazu, daß der Haufen an Kleidungsstücken und anderen Gegenständen rasch anwuchs, er würde sich erst vor Ort entscheiden, was wirklich in den Rucksack kam. Gerüstet wäre er jedenfalls für alle Eventualitäten bis hin zum Notbiwak.
Am Abreisetag hatte er noch einige Termine in Wien, immer wieder lauschte er dem Wetterbericht und kaufte sich schließlich zur Sicherheit noch Gamaschen, falls er in höheren Lagen doch auf zu viel Schnee stoßen würde.
Die Anreise
Den Abreisetermin hatte er mit Dienstag, 16 Uhr terminisiert und konnte ihn zu seiner Überraschung auch fast einhalten, um 16 Uhr 10 setzte sich der Wagen mit G. und A sowie einem Berg aus Ausrüstung und Proviant in Bewegung.
A hatte möglicherweise eine schwere Nacht hinter sich gehabt, er zog sich bald in den hinteren Teil des Wagens zurück und verfiel in tiefen Schlaf, sodaß G. ? wie auch von Reisen mit Frau und Tochter gewohnt ? allein die Aufgabe des Fahrens und Navigierens zufiel. Letztere hatte sich durch die freundliche Dame im Armaturenbrett, die meist den richtigen Weg wußte, doch deutlich vereinfacht, was die früher häufig notwendigen akuten Blätteraktionen im Atlas bei diversen Autobahnkreuzen unnötig machte. So konnte er entspannt den mit dem Autoradio verbundenen I-Pod aktivieren, er hörte zunächst ?Sweeney Todd?, ein skurriles Machwerk seines Lieblings-Musical-Komponisten Stephen Sondheim, in dem ein verrückter Barbier sich im London des 19. Jahrhunderts an seinen Feinden rächt, in dem er ihnen beim Rasieren die Kehle durchschneidet, die Leichen dann zusammen mit seiner Zimmervermieterin zu Pasteten verarbeitet und im Pie-Shop verkauft, später kamen dann die klassischen ?Night-Drive? Alben von Tom Waits oder Leonard Cohen dran, wobei A. durch das mehr oder weniger melodische Mitsingen G´s bei Klassikern wie ?Suzanne? oder ?Bird on The Wire? vorübergehend geweckt wurde.
Bis München erwies sich das Fahren als ziemlich anstrengend, nahezu ständiger Regen und zahlreiche Lastwägen erschwerten das Fortkommen, auf der Strecke nach Lindau ließ der Niederschlag jedoch nach und fallweise schimmerte der Mond durch die Wolken, was G. für den kommenden Tag gleich zuversichtlicher werden ließ.
Nach dem Pfändertunnel bei Bregenz gab es praktisch wolkenlosen Himmel, der Mond warf sein milchiges Licht unbehindert auf die Fahrspuren der Autobahn, die sich merklich gelehrt hatte.
Kurz nach 23 Uhr kam der Wagen an die Schweizer Grenze und G. überlegte, ob die Schweiz nun schon dem Schengen-Raum beigetreten wäre, an der Grenzstation war jedenfalls kein Zollbeamter zu sehen.
Die Fahrt ging weiter, vorbei am Walensee und am Ostteil des Zürichsees, G. kannte die Gegend nicht und versuchte, zwischen den Tunnels Blicke auf das im Mondlicht daliegende Panorama zu erhaschen.
Die weitere Fahrt gestaltete sich als problemlos, auch A. hatte mittlerweile seinen Schlaf beendet, als sie um ca. 1 Uhr am Parkplatz der Pilatusbahn am Vierwaldstättersee eintrafen, wo sie den Rest der Nacht verbrachten.
Nach einem vormittäglichen Besuch des Aussichtsbergs und einem Treffen mit einem Freund bestiegen sie am frühen Nachmittag den Wagen und fuhren nach Süden.
Vom Griessee zum Piano dei Camosci
Am Mittwoch, den 17.8.05 näherte sich der Wagen um ca. 14 Uhr der kleinen Ortschaft Andermatt an der Nordseite des Gotthardpasses. Ganz entgegen seinen üblichen Gewohnheiten lenkte G. das Fahrzeug nicht über den Paß, was bei dem strahlenden Wetter sicherlich ein lohnendes Erlebnis dargestellt hätte, sondern wählte den Tunnel nach Airolo, da die vormittägliche Unternehmung länger gedauert hatte als vorgesehen. Viele Unternehmungen scheiterten schon am zu späten Aufbrechen der Teilnehmer, und G. hatte sich 15 Uhr als letzten Termin für den Beginn des Aufstiegs vorgenommen.
Die Auffahrt zum Nufenenpaß war ein Genuß, es waren auch viele Fahrzeuge auf der Paßstraße unterwegs, und auf der Paßhöhe herrschte reger Betrieb. Auch der Parkplatz an der Abzweigung der Straße zum Griessee, 2 Kehren unterhalb an der Westrampe, war gut besucht.
Wie jedes Mal wunderte sich G. über das Gewicht des fertig gepackten Rucksackes, allerdings hatte er in Unkenntnis des Öffnungszustands der Hütte und angesichts der fraglichen Neuschneemengen neben Überjacke- und Hose und Wechselwäsche auch Gamaschen, Biwak- und Schlafsack sowie Isomatte mit dabei.
Der endgültige Aufbruch vom Parkplatz erfolgte um 15 Uhr 10, etwa eine Stunde später als ursprünglich veranschlagt, jedoch G. und A. waren guter Hoffnung, bei den herrschenden guten Verhältnissen ihr Ziel noch heute zu erreichen. Sollte der Aufstieg doch mehr Zeit in Anspruch nehmen, so wären das Rifugio Citta di Busto auf 2482 m und das Rifugio Mores auf 2504m alternative Übernachtungsmöglichkeiten.
Der Aufstieg zum Griessee lag in der Nachmittagssonne, der Asphalt der Werksstraße reflektierte die Hitze, und G. überlegte wie einige Wochen vorher starli, ob nicht die an sich verbotene Auffahrt bis zur Staumauer günstiger gewesen wäre. Ringsum bot sich ein traumhaftes Panorama, aus dem Tal, vom kleinen Ort Ulrichen kommend, schlängelte sich die Nufenenpaßstraße empor, die grünen Matten kontrastierten mit dem blauen Himmel.
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Mittlerweile merkte G., daß es der Regen zu Hause seiner Vorstellungskraft offenbar unmöglich gemacht hatte, sich Sonne und weiten Blick zu imaginieren, jedenfalls hatte er neben seinem Feldstecher auch Sonnenbrille und Sonnenschutz vergessen.
Nach der langen Autofahrt waren die Gefährten begierig auf Bewegung und schlugen ein forsches Tempo an, nach etwa 25 Minuten schon genossen sie den Blick über den Stausee zum Griesgletscher.
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Der Weg schlängelte sich einige Zeit oberhalb des Griessees entlang, unten schimmerte graugrün das Wasser des Stausees, dahinter glänzte der Gletscher.
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Vom Paß her wehte ein leichter Wind, den unsere Wanderer als angenehm erfrischend empfanden. Anfänglich waren aus der Richtung des Nufenenpaßes noch vereinzelt Hubschrauber zu hören, die Mastenelemente für eine neue Hochspannungsleitung antransportierten, doch bald war nur mehr das Rauschen der Gletscherbäche von der gegenüberliegenden Seite des Sees zu hören, nur gelegentlich unterbrach der Alarmpfiff eines Murmeltieres die idyllische Ruhe.
G. empfand es als beruhigend, daß nur mehr vereinzelt Schneereste am Weg zu sehen waren.
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Etwa um 16 Uhr 10 erreichten sie den Griespaß und überschritten damit die Grenze nach Italien, was ? unabhängig von einem möglichen Erfolg auf 3A ? wenigstens den Titel dieses Berichtes rechtfertigte.
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Am Paß mußten sich die Bergsteiger über die weitere Route entscheiden, sie entschlossen sie sich zum Abstieg ins Valle del Gries in Richtung des Lago Morasco, der in der Ferne schon zu sehen war.
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Am Gegenhang waren auch schon die Serpentinen des Gegenaufstiegs zum Piano dei Camosci, einer Hochfläche unterhalb des Siedelgletschers, zu sehen.
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Die andere mögliche Variante wäre eine Querung der Flanke des Bättelmatthorns gewesen, doch dieser Weg war laut Karte und Führer deutlich ausgesetzter, und G. wollte angesichts der fortgeschrittenen Stunde kein Risiko eingehen.
Linker Hand zeigten sich die Geröllhalden an der Südwestflanke des Grieshorns, die starli zur Sichtung des Geländes begangen hatte.
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Etwa 380 Höhenmeter schlängelte sich der Weg zum Almgelände oberhalb des Morasco-Stausees hinab, die Gefährten versuchten, ihr rasches Tempo beizubehalten.
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Um 16 Uhr 45 erreichten sie die tiefste Stelle der Wanderung auf knapp unter 2100 m und machten sich an den Aufstieg in Richtung des Rifugio Citta di Busto. Von der Hochfläche kamen ihnen laufend andere Wanderer entgegen.
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Der Weg schien sich bis in den Himmel zu erstrecken.
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Das Anfangstempo konnte nicht mehr gehalten werden, der Rucksack lastete schwer auf G´s Schultern und er dachte mit Reue an die vielen nicht durchgeführten Laufeinheiten des vergangenen Sommers.
Um ca. 17 Uhr 45 erreichten die Kameraden die Hochfläche Piano dei Camosci knapp unterhalb des Rifugio Citta di Busto, beim Blick Richtung Tal ist links hinter der Hütte auch die Mittelstation der Kraftwerksbahn zu erkennen.
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Von hier bot sich der erste Blick zum Siedelgletscher, und die schon von starli erahnten Liftstützen waren eindeutig vorhanden.
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Einige Minuten Pause am Ufer eines Baches mit reichlicher Flüssigkeitsaufnahme sollten die Kräfte für den Weitermarsch mobilisieren.
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Schon die nächsten Minuten sollten einige Überraschungen bringen. Die Wanderer glaubten ihren Augen nicht trauen zu können, als sie auf der weitläufigen Hochfläche plötzlich ein Volleyballnetz und zwei Fußballtore vorfanden.
Offenbar gab es auf diesem Berg neben dem Skilift noch weitere Sportmöglichkeiten. Auch der anschließende Weg bereitete ihnen Kopfzerbrechen, mindestens 15 m breit und mit Fußspuren übersäht, als ob hier täglich Heerscharen von Volleyball- oder Fußballspielern ihre Runden zogen.
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Aber auch das Panorama war eine Betrachtung wert. Im Südwesten konnte man die Staumauer des Lago del Sabbione erkennen.
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Hinter der Staumauer erhob sich das Ofenhorn mit dem Hohsand-Gletscher (Ghiaccaio del Sabbione)
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Links oberhalb der Staumauer das Rifugio Mores des CAI und einige zum Kraftwerk gehörende Gebäude.
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Schon während der Wanderung über die Hochfläche hatten G. und A. 2 verdächtig aussehende Objekte in der Ferne gesehen, und als sie näher kamen, war es eindeutig:
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Es mußte also etwas dran sein mit dem Skibetrieb.
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Auch gab es eindeutige Hinweise auf den Besitzer der Geräte.
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G. und A. berieten über das weitere Vorgehen. Aus Zeitgründen beschlossen sie eine Änderung des ursprünglichen Aufstiegsplans. Dieser hätte vorgesehen, zum Lago del Sabbione zu queren und über das Rifugio Claudio e Bruno nach 3A aufzusteigen, der Abstieg am nächsten Tag hätte dann über den Gletscher führen sollen. Diese Variante hätte im Aufstieg jedoch mehr Zeit erfordert, auch vermutete G., daß tiefe Temperaturen in der Nacht den morgendlichen Abstieg über den Gletscher schwierig und möglicherweise unmöglich machen könnten. Aus diesem Grund wollten sie nun noch heute Abend über den Gletscher zum Rifugio 3A aufsteigen. Die Sonne versank nun jedoch rasch im Westen, und das steil ansteigende Tal in Richtung des Gletschers lag im tiefen Schatten. Würden sie ihr Ziel wohl noch heute erreichen?
Der Lift
G. und A. machten sich bereit zur letzten Etappe für heute. Sie befanden sich auf etwa 2470 m, das bedeutete, es warteten noch knapp 500 m Aufstieg bis zum Rifugio, der Weg sah von der Ferne eher schwierig aus, G. konnte viel loses Geröll ausmachen, später würde der Pfad dann über den Gletscher führen. Er machte eine Zoom-Aufnahme des weiteren Anstiegs.
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Es war 18 Uhr 15, sollten keine unerwarteten Schwierigkeiten auftreten, so müsste der Aufstieg bis zum Abendessen zu schaffen sein, wobei auch noch Zeit für die Besichtigung der unteren Lift-Teilstrecke erforderlich war. Die Bergstation wollten G. und A. dann als Krönung ihrer Unternehmung am nächsten Morgen anpeilen.
Langsam gewannen sie an Höhe, der Fußweg führte zunächst steil aufwärts und traf dann auf eine Trasse, auf der offenbar auch heuer die unten geparkten Leitner-Fahrzeuge unterwegs gewesen waren, jedenfalls fanden sich am Boden eindeutige Spuren.
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Während der weitere Aufstieg im Schatten lag, konnten G. und A. beim Blick zurück sehen, wie die Abendsonne Stausee und Rifugio Citta di Busto in mildes Licht tauchte.
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Der Höhenmesser zeigte etwa 2590 m an, als sie erstmals eine geschlossene Schneedecke vor sich hatten, auch die Talstation des Liftes war nun nur um Weniges höher vor ihnen zu erkennen.
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Es folgt nun die authentische Beschreibung von G., wie er die Augenblicke erlebte, in dem er mit seinem Partner das erste Ziel ihrer Unternehmung erreichte:
Zitat:
Die Sonne ist längst hinter dem Bergkamm verschwunden, das Schneefeld strahlt mittlerweile eine eisige Kälte aus, außer uns beiden ist niemand mehr zu sehen. Langsam setzen wir einen Schritt vor den anderen, immer unser Ziel, die Abspannvorrichtung der Talstation vor unseren Augen. Vereinzelte Fußspuren im Schnee zeigen, daß gelegentlich auch andere Alpinisten diesen Weg benutzen müssen, auch finden sich hier ebenso wie zuvor im Geröll Reste von den Spuren der Pistengeräte. Allerdings bewegen wir uns offenbar nicht auf einem Gletscher, sondern einem im Schatten am Talgrund verbliebenen Altschneefeld.
Ich verfolge den vor uns im Halbdunkel liegenden Lift mit meinen Augen nach oben und erkenne etwas Interessantes, neben der Umlenkscheibe in direkter Verlängerung der Trasse ist noch eine zweite Umlenkscheibe etwas rechts davon zu sehen. Was hat das wohl zu bedeuten?
Um 18 Uhr 49 mitteleuropäischer Zeit ist es geschafft: die Umlenkrolle und die Abspannvorrichtung der Talstation liegen direkt vor uns, jedoch ist kein Zugseil mehr zu sehen. Der Blick nach oben zeigt, daß der Siedelgletscher offenbar Geschichte ist, lediglich ein schmutziges, nach oben zu breiter werdendes Schneefeld ist es, auf dem der untere Teil des Liftes steht, viele Felsen würden einen Skibetrieb hier wohl unmöglich machen. Die Abspannseile der Stützen scheinen jedoch noch intakt zu sein, aber dieser Lift ist offenbar LSAP und wird nicht mehr in Betrieb gehen. Unser Höhenmesser zeigt ca. 2760 Höhenmeter an.
A und ich fallen uns in die Arme, unser erstes Ziel ist erreicht. Hätten wir eine Flagge des Alpinforums bei uns, so könnten wir sie jetzt an diesem Punkt hissen.
Leider hat A noch immer nicht gelernt, mit seinen Pfoten eine Digitalkamera zu bedienen, deshalb kann ich lediglich ihn zur Dokumentation unseres Erfolgs vor der Talstation ablichten.
Hier ist A. vor der Talstation des 3A-Liftes zu sehen.
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Waren es die Anstrengung, Sauerstoffmangel durch die ungewohnte Höhe oder doch seine eingeschränkten technischen Kenntnisse, aber ? was G. zu diesem Zeitpunkt nicht wußte ? die Bilder von Talstation, Stützen und Abspannungen, die er während des weiteren Aufstiegs machte, zeigten nicht einen Lift am Ende seiner Karriere sondern tatsächlich eine neue Aufstiegshilfe, die lediglich noch nicht ganz fertig gestellt war.
G. hätte erkennen müssen, daß sämtliche Teile praktisch neu waren und keine Gebrauchsspuren aufwiesen, auch die Befestigungsstellen der Abspannvorrichtungen an den Felsen waren mit unverblichener roter Farbe markiert.
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Von einem Gletscher war allerdings wirklich fast nichts mehr zu sehen.
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Der Aufstieg wurde nun zusehends anstrengender, unter dem Schnee am linken Rand des Schneefeldes war noch eine dünne Eisschicht vorhanden, die Wanderer querten nach links, jedoch auch das Geröllfeld mit viel losem Gestein machte das Fortkommen erheblich schwieriger. A. hatte hier durch seinen ?Allradantrieb? jedenfalls deutliche Vorteile.
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Die Bergsteiger plagten sich weiter aufwärts, und schließlich kam die Hütte ins Blickfeld.
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Knapp unterhalb der Hütte erblickten sie noch ein kubusförmiges Ziegelgebäude, an dessen Seite ein altes Pistengerät geparkt war, wegen ihrer allgemeinen Erschöpfung näherten sie sich diesem Bauwerk nicht mehr und machten lediglich ein Dokumentationsbild aus der Ferne. Ohne es zu wissen, hatten sie die Talstation des alten Liftes fotografiert.
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Inzwischen zogen von unten her Wolken auf.
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Nur der Blick nach oben war noch unbehindert, eindeutig waren 2 Bergstationen zu sehen.
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Viel interessanter erschien ihnen zu diesem Zeitpunkt ein Mann, der offenbar Gegenstände von der Materialseilbahn zur Hütte trug, die sich nur mehr wenige Höhenmeter über ihnen befand. Das Rifugio war also geöffnet, und es würde ein warmes Abendessen geben, der Gedanke an eine Nacht in einem kalten Winterraum oder gar im Freien hatte G. angesichts der mittlerweile eisigen Temperaturen nicht wirklich behagt.
Vom Kamm aus hatten sie noch einen freien Blick nach Westen, wo sich der Lago dei Sabbione und das Ofenhorn im Abendlicht präsentierten.
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Das Rifugio
Nun lag die Hütte vor ihnen.
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Sie warfen noch einen Blick ins Tal, wo sich nun schon dichte Wolkenbänke aufgebaut hatten.
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Die Materialseilbahn kam aus einem Nebelmeer.
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Auch die Bergstationen waren nicht mehr zu sehen.
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G. liebte Abendstimmungen in den Bergen und an diesem Tag war die Dämmerung sehr eindrucksvoll, jedoch wurde es empfindlich kalt und unsere Bergsteiger freuten sich schon auf die warme Gaststube und betraten die Terrasse.
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Anna ? Attilio ? Alessandro, das waren die Namenspatrone.
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Das Betreten der Hütte brachte jedoch eine herbe Enttäuschung für A., denn eine für ihn unsinnige Regel (in allen italienischen Hütten oder nur in diesem Rifugio?) verbot Vierbeinern aller Art das Betreten des Gastraums, er mußte also im Vorraum liegend warten, weder Geld noch gute Worte konnten eine Ausnahmegenehmigung erwirken, lediglich die Übernachtung in einem gemeinsamen Schlafraum wurde den Alpinisten gestattet.
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Dieser wies 4 Stockbetten und eine gefährlich aussehende Elektroheizung auf, die sanitären Einrichtungen waren spartanisch, es gab ? stilecht ? nur Kaltwasser.
G., der ja den Gastraum betreten durfte, freute sich über eine ausgiebige Mahlzeit mit Minestrone, einem Nudelgericht mit Linsen und als Abschluß einem gebratenen Apfel mit Schokoladesauce, während A. sich im Vorraum über sein Trockenfutter hermachte.
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Recherchen
Nachdem beide Gefährten ihren Hunger gestillt hatten, wollte nun G., der immer noch der Meinung war, entlang eines alten Skilifts aufgestiegen zu sein, endlich alle Fakten ergründen. Dies erwies sich als technisch nicht so einfach, da der offensichtliche Hüttenwirt kein Deutsch oder Englisch sprach und G.s Italienischkenntnisse bestenfalls zum Eis Kaufen langten. Er fand jedoch eine charmante Übersetzerin.
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Wie sich herausstellte, war der mutmaßliche Hüttenwirt in Wirklichkeit Padre Ambrogio Galbuscra, der die 3A Hütte für die Don-Bosco Organisation seit einigen Jahren bewirtschaftete, das Mädchen war eine der PraktikantInnen, die ? für jeweils ein oder zwei Wochen ? während der Bewirtschaftungszeiten Padre Ambrozio zur Seite standen. Diese Arbeitsleistung war freiwillig und ohne Bezahlung, die durch die Hüttenbewirtschaftung gewonnenen Einkünfte dienten zum Erhalt des Bauwerks, etwaige Überschüsse wurden an die Mutterorganisation zu karitativen Zwecken weitergeleitet.
G. erfuhr, daß Don Bosco ein geistlicher Orden war, der hauptsächlich in Südamerika, vornehmlich in Peru, Brasilien, Ecuador und Bolivien tätig war. Ob Mato Grosso ein Teilbereich von Don Bosco war oder wie die beiden Organisationen in Zusammenhang standen, konnte G. den bemühten Erklärungen seiner Gesprächspartner leider nicht richtig entnehmen. Auch muß wohl gesagt sein, daß ihn die Geschichte des Rifugios und vor allem des Skilifts mehr interessierte.
Leider bekam er während des Gesprächs fallweise widersprüchliche Fakten bzw. Jahreszahlen zu hören, als sicher anzunehmen ist, daß das Rifugio 3A und das, jenseits des Kammes am Weg zum Lago di Sabbione gelegene Rifugios Claudio e Bruno in den 70-er Jahren gebaut worden waren, G. notierte sich das Jahr 1973 für die tiefer gelegene Hütte Claudio e Bruno und 1979 für das Rifugio 3A. Der erste Lift auf dem damals noch vorhandenen Gletscher wäre aber schon 1975 entstanden, was sich G. jedoch nicht so richtig vorstellen konnte, da vom Rifugio Claudio e Bruno bis zum Lift etwa eine Stunde Fußmarsch lagen und auch die elektrische Versorgung (der Lift hatte E-Antrieb gehabt) wohl unwahrscheinlich gewesen wäre.
Eine große Überraschung erlebte G. nun jedoch, als er versuchte, etwas über Planung und Trasse des neuen Liftes herauszufinden, denn Padre Ambrogio machte ihm klar, daß der Lift, den er etwa 2 Stunden zuvor so eifrig fotografiert hatte, bereits der neue Lift war. 2003 war das letzte Betriebsjahr der alten Aufstiegshilfe gewesen, und obwohl der Gletscher mittlerweile fast zur Gänze verschwunden war, hatte man sich entschlossen, auf anderer Trasse von deutlich weiter unten einen neuen Leitner Lift aufstellen zu lassen, auch wenn der Betrieb auch in Zukunft nur für wenige Wochen im Juni und Juli auf Altschneefeldern vorgesehen war. Die Stützen wären bereits fertig aufgebaut, das Zugseil wäre bereits im Bereich der Bergstation gelagert und sollte ev. noch im September montiert werden, lediglich über den Antrieb sei man sich noch nicht einig, sowohl Diesel als auch Strom stünden noch zur Diskussion. Wenn alles klappen würde, so sollte der Lift im kommenden Juni in Betrieb gehen.
G. war zutiefst erstaunt. Während man Frühsommerskilauf ohne Gletscher lediglich auf Schneefeldern sonst überall spätestens in den 80-er Jahren aufgegeben und die dafür vorhandenen Lifte meist abgebaut hatte, baute man hier auf einem sterbenden Gletscher ohne Zufahrt einen neuen Lift genau zu diesem Zweck. Vor seinen inneren Augen zeigte sich nun ein Bild, das die Trasse des alten und des neuen Lifts im richtigen Verhältnis zueinander zeigte. (Blau: alter Lift, Rot: neuer Lift, Grün: Rifugio)
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Bezüglich der Höhenangaben der Stationen und auch der Hütte differierten die Angaben des Padres und die der Karte etwas. G.s Höhenmesser hatte bei der Talstation des neuen Lifts etwa 2780m gezeigt, die Bergstation wäre lt. dem Pater auf etwa 3090 m, was G. am nächsten Tag auch verifizieren konnte, der Lift wies also einen Höhenunterschied von ca. 300m auf.
Die 3A Hütte wäre lt. Padre Ambrogio und der Aufschrift auf der Hütte 2960m hoch gelegen, lt. der Landeskarte der Schweiz, Blatt 265 (Nufenenpaß) jedoch nur auf 2922. Die Talstation des alten Liftes dürfte sich etwa 50m unterhalb der Hütte befinden.
Die Nacht
Gegen 22 Uhr zogen sich G. und A. in ihren Schlafraum zurück, der sich in einem nebenanliegenden Gebäude befand. Ob sie A.´s wegen dorthin verbannt worden waren (es gab auch im Haupthaus Zimmer) oder aus anderen Gründen, war nicht zu ergründen und den beiden letztlich auch egal. Durch die Anstrengungen des Tages fielen beide rasch in Tiefschlaf, doch sollte sich die kommende Nacht noch eher unruhig gestalten.
Etwa um 0 Uhr 30 erwachte G., er hatte geträumt, daß ein buddhistischer Mönch direkt neben seinem Kopf einen großen Gong schlug. Als er vollständig munter war, spürte er Kopfschmerzen und hörte den Gong noch immer, ein nicht allzu lautes dumpfes metallisches Schlagen, das irgendwo an der Außenseite des Gebäudes seinen Ursprung haben mußte. G. versuchte, wieder einzuschlafen, aber es war ihm unmöglich, nicht auf das störende Geräusch zu hören, die Kopfschmerzen wurden auch schlimmer, und so kroch er bald wutentbrannt und hellwach aus seinem Schlafsack und versuchte, die Ursache des Geräusches zu lokalisieren. Er glaubte zunächst, die metallene Eingangstür, die in offenem Zustand mit einem Haken fixiert war, als Störenfried identifiziert zu haben, er verkeilte den Türflügel noch zusätzlich mit Felsbrocken und zog sich wieder in den Schlafsack zurück. Doch kaum lag er wieder im Warmen ging es wieder los. Insgesamt drei Mal rückte G. auf diese Weise aus, kontrollierte sämtliche Fensterläden des Gebäudes, konnte jedoch die Ursache des Geräusches nicht finden. So vergingen insgesamt 2 Stunden, auch A. wurde durch die mehrmaligen Ausflüge seines Partners geweckt und hatte dann offenbar Verdauungsstörungen, ob er zu viel Gletscherwasser getrunken hatte oder nur seine Verbannung aus der Gaststube zum Kotzen fand, teilte er nicht mit.
Schließlich war G. so erschöpft, daß er gegen 3 Uhr wieder in einen unruhigen Schlaf verfiel.
Der Gipfel
Gegen 7 Uhr 15 erwachten die Bergsteiger wieder, A. schien wieder völlig wiederhergestellt, G. fühlte sich noch etwas müde und abgeschlagen. Draußen schien zwar die Sonne, jedoch waren die umliegenden Berge teils durch Wolkenfetzen verborgen und auch über dem Tal lag eine Nebeldecke.
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Das Frühstück weckte auch die Lebensgeister von G. wieder, A. mußte seine Morgenmahlzeit wieder im Hüttenvorraum zu sich nehmen. Auch wenn er sich sonst über die Behandlung nicht beklagen konnte ? alle Vorübergehenden beugten sich zu ihm hinunter, um ihn zu streicheln ? war er doch der Meinung, wenn schon wieder einmal die Übernachtung auf der Hütte einer geistlichen Organisation fällig wäre, dann sollten es wenigstens die Franziskaner sein, dort würde er ja wohl in die Gaststube dürfen.
Nach dem Frühstück sollte nun die Gipfeletappe beginnen. Da der Abstieg ja wieder an der Hütte vorbeiführen würde, ließ G. den schweren Rucksack stehen und trat den Aufstieg nur mit kleiner Ausrüstung ? Kamera und Bergstöcke ? an. Noch direkt an bzw. bei der Hütte fand er weitere Indizien für den Liftneubau.
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Mittlerweile waren die Wolken jedoch näher gekommen und verbargen bald das Ziel, weder die Stützen des Liftes noch die Umlenkrollen der beiden Bergstationen waren mehr zu sehen.
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Ratlos stand A. auf einem Schneefeld, der Lift mußte doch in unmittelbarer Nähe sein, sollte ihnen - so knapp vor dem Ziel ? nun das Wetter einen Streich spielen?
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Plötzlich wurde es wieder heller, und die Umrisse einer Liftstütze tauchten im Nebel auf.
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Nun gab es kein Halten mehr, rasch lenkten die Gefährten ihre Schritte aufwärts.
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Wieder fanden sie Hinweise auf eine Bautätigkeit.
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Begeistert waren sie von der Ästhetik einer Stahlstütze im Nebel.
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Bald erreichten so bald die Bergstation des neuen 3A-Liftes.
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Nun über den Wolken genossen sie den herrlichen Ausblick, fotografierten ausgiebig Panorama und Bergstation.
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Nun stand nur mehr ein Punkt auf dem Programm: die Station des alten Liftes war noch etwas weiter oben, jedoch das Terrain erwies sich als zunehmend schwieriger. G. hatte die Wahl zwischen dem hier doch ziemlich steilen Schneefeld, sicherlich waren hier noch Reste des Gletschers vorhanden, denn unter dem Schnee fand sich blankes Eis, oder einer Schutthalde mit losem und scharfkantigem Geröll.
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Da G. Angst um die Pfoten seines Freundes hatte, beschloß er, den letzten Gipfel alleine anzugehen. A. war der erste Tourist, der am zukünftigen Tragseil hing und bekam den Auftrag, auf die Bergstöcke aufzupassen.
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G. machte sich an den letzten Aufstieg. Die Querung des Gletscherfeldes erwies sich durch die Hangneigung und die geringe Schneeauflage als noch schwieriger als erwartet, doch auch das Ausweichen auf das Geröllfeld gestaltete sich als nicht ungefährlich, da die scharfkantigen Felsplatten bei Belastung sofort ins Rutschen kamen.
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Mehr kriechend als gehend erreichte er jedoch schließlich höchsten Punkt, an dem sich die Umlenkrolle der alten Bergstation befand.
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Er hatte sein Ziel erreicht.
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Zwar hatte er am Vortag vergessen, nach dem Hersteller des alten Liftes zu fragen, aber hier wurde ihm die Antwort nachgeliefert.
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Vorsichtig stieg er wieder ab und blickte zurück auf seine Spuren.
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Zurück zum Nufenenpaß
G. berichtete A. von seinen Eindrücken vom höchsten Punkt, und die beiden lenkten ihre Schritte wieder in Richtung des Rifugios. Auf dem Weg dorthin passierten sie eine Statue, durch die sie sich irgendwie nach Südamerika versetzt fühlten.
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A. bewunderte nochmals den Ausblick auf den Stausee.
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Die beiden Wanderer holten den Rucksack aus der Hütte und setzten ihren Weg ins Tal fort.
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In Richtung des Rifugio Claudio e Bruno machten sie noch eine interessante Entdeckung.
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Doch sie waren mit ihrem Erfolg zufrieden und unterzogen die Steinkreise keiner näheren Untersuchung mehr, sollten auch für andere Forscher noch Geheimnisse zur Lösung warten.
Auch das Rifugio Claudio e Bruno wurde (rechts) liegengelassen, G. dachte jedoch darüber nach, ob es nicht besser gewesen wäre, den hinter dieser Hütte liegenden Teil des Hohsand-Gletschers zu erschließen, allerdings konnte der der Karte entnehmen, daß dieser doch viel flacher war als der vom 3A-Lift erschlossene Hang.
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Vorbei an der Staumauer des Lago del Sabbione wanderten sie weiter.
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Bei den einsam auf der Hochfläche stehenden Leitner-Pistengeräten trafen sie wieder auf die Aufstiegsroute, die sie in ungekehrter Richtung zurück zum Nufenenpaß beschritten. Der Gegenaufstieg zum Griespaß kostete einiges an Substanz, G. nahm sich vor, sollte er 3A nochmals besuchen, den Aufstieg vom Lago di Morasco aus zu beginnen.
Gegen 14 Uhr erreichten die Gefährten müde aber zufrieden ihr Fahrzeug, das sie alsbald zur nächsten Station ihrer Reise, ins italienische Macugnaga führen sollte.
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ENDE
Literaturangaben:
Harrer Heinrich: Die weiße Spinne, 1958, Ullstein-Verlag, Wien
Hunt John: Mount Everest, 1954 Ullstein-Verlag, Wien
Krakauer Jon: In eisige Höhen, 1998 Piper-Verlag, München
Märtin Ralf-Peter: Nanga Parbat, 2002 Berlin-Verlag, Berlin
Messner Reinhold: Mallorys zweiter Tod, 2000 BLV-Verlag, München
Schmid Hans: Ossola-Täler, 2001 Berg-Verlag Rother
Karte:
Landeskarte der Schweiz 1:50000, Blatt 265T ?Nufenenpass?
Sämtliche Bilder wurden mit der Digitalkamera Minolta Dimage 2 aufgenommen.