Wildspitze Nordwand: Der längste Tag
Wieder fuhren wir am Samstag mit der ersten Bahn hoch um so rasch wie möglich rüber zum Mittelbergjoch um unseren Anstieg zur Wildspitze Nordwand zu beginnen. Nachdem wir voriges Jahr auf der Oberwalder Hütte (
Klick) aufgrund der Verhältnisse nur kleinere Dinge gehen konnten, wird die Tour unsere erste „echte“ Nordwand sein. Aufgrund unserer Aktivitäten im winterlichen Wasserfallklettern befürchten wir zwar keine besonderen klettertechnischen Schwierigkeiten, aber es ist trotzdem eine Reise ins Unbekannte für uns.
Trotz des deutlich schwereren Rucksacks verläuft der Aufstieg viel kurzweiliger als gestern am Normalweg …
Das Hochwandern in dieser beinah arktisch anmutenden Gletscherlandschaft sorgt immer wieder für schöne Eindrücke …
Nach knapp zwei Stunden Aufstieg kommen wir in die Nähe des Einstiegs …
Mittlerweile hat uns während des Aufstiegs eine konditionsstarke Dreiergruppe überholt …
Und ist bald darauf bereits in der Nordwand unterwegs …
Wir warten ein wenig und steigen dann etwas links von Dreiergruppe ein. Der teilweise offene Bergschrund ist zum Glück noch problemlos zu überwinden und im anfänglichen harten Firn geht es zügig voran. Als ich die ersten Blankeisstellen erreiche setze ich für alle Fälle eine Eisschraube als Zwischensicherung, da von der Gruppe vor uns, doch einige Eisbrocken in meine Richtung abgehen und ich einmal von einem kleinen Stück am Finger getroffen werde. Ein paar Meter oberhalb der Zwischensicherung merke ich, dass das Steigen mit der Zeit doch recht anstrengend wird und ich mache Stand.
Vom Stand kann ich dann noch kurz rechts oberhalb von mir die Dreiergruppe beobachten bevor sie hinter der konvex gewölbten Wand verschwinden.
Offensichtlich hielten sie sich dann – entgegen unseren Erwartungen – wieder nach links, denn als Gerhard nachstieg kam ein regelrechter Eisbröckchenhagel die Wand herunter. Aufgrund der konvexen Form der Wand war ich an meinem Standplatz recht sicher, die Eisbrocken zischten – nachdem sie weiter oben Schwung geholte hatten – etwa 2-3 m über/hinter mir vorbei. Das zischende Geräusch, das sich jedes Mal einige Sekunden im Vorhinein ankündigte zehrte jedoch gehörig an meine Nerven.
Der arme Gerhard hingegen musste direkt durch den Hagel durch. Zum Glück wurde er nur einmal ohne Folgen am Helm getroffen.
Am sicheren Standplatz warteten wir dann eine Weile bis die Gruppe durch die Wand durch war und der Hagel aufhörte. Nun war Gerhard an der Reihe …
Das Blankeis war ziemlich hart und war interessant anzusehen: Durchsichtiges Wassereis mit styroporkugelähnlichen Schneeeinschlüssen (?). Auf alle Fälle war es anstrengender als erwartet. Die Wand ist zwar vergleichsweise flach (50 Grad laut Führerangaben) und man kann jederzeit nur auf den Steigeisen stehend rasten, aber allein das Einschlagen der Geräte im manchmal auch spröden Eis kostete enorm Kraft und Ausdauer.
Hier sieht man schön das „spiegelglatte“ Eis
Schon ziemlich ausgelaugt stieg ich dann die dritte Seillänge vor. Zwar hatte ich mir eine lange Seillänge vorgenommen, aber noch weit vor dem Ende der 60m Halbseile war Schluss mit Lustig. Selbst der Standplatzbau kostete einiges an Energie, das Eis war so hart, dass die Eisschrauben nur mit Kraft reingekurbelt werden konnten. Zu allem Überfluss hatte ich dann beim Seileinholen eine gefühlte Ewigkeit mit dem Seilsalat der Halbseile zu kämpfen. Schon bereuten wir, dass wir nicht bloß ein Einfachseil genommen hatten.
In der Wand selbst beschleicht einen doch sehr bald ein eigenartiges Gefühl des „Ausgeliefert Seins“. Gar nicht mal so weit unten sieht man unser Skidepot, an einem benachbarten Grat kann man Bergsteiger erkennen … und doch fühlt man sich irgendwie weit weg. Es gibt keinen einfachen bzw. bequemen Ausgang …
Mittlerweile war die Zeit schon weit fortgeschritten und wir beschlossen, dass Gerhard mit der vierten Seillänge an den rechten Rand des Blankeisfeldes rauf steigt und wir von dort dann über Firn in die rasch flacher werdende Wand Richtung Nordwestgrat „flüchten“.
Mit der querenden „Fluchtseillänge“ war dann ich wieder dran zum Vorstieg. Im Firnteil stieg es sich gleich um Welten gemütlicher, ein wenig Obacht war jedoch aufgrund der anfangs nur dünnen Firnauflage auf Blankeis dennoch angebracht. Der flache Bereich des Nordwestgrats war dann bald erreicht und wie bestellt fand sich auch ein brauchbarer Felsköpfl zum Nachsichern.
Gerhard bereits wieder im flachen Bereich bei der „Rechtsquerung“ – Nun können wir wieder lachen
Unverzüglich begannen wir mit dem einfachen Abstieg – die Zeit für die letzte Bahn ins Pitztal war schon knapp und die direkte Talabfahrt über den Taschachferner und das Taschachtal war wieder aufgrund der hohen nachmittäglichen Lawinengefahr tabu.
Abstieg über den Nordwesgrat
Der weitere Abstieg zum Skidepot unter der Nordwand ging recht zügig vor sich – abgesehen davon, dass ich mir die Spitze der Haue eines Eisgeräts ein wenig in die rechte Brust rammte…
Skidepot unter der Nordwand
Trotz der Eile war nun die Uhrzeit bedrohlich voran geschritten. Dennoch – und trotz der schweren Rucksäcke – konnten wir die idealen Skihänge unterhalb der Nordwand einigermaßen genießen. Ganz oben fand sich sogar noch so was Ähnliches wie alter, gesetzter Pulver …
Gerhard bei der Abfahrt in den Hängen unterhalb der Nordwand
Diese Variante (man könnte direkt vom Nordgipfel über den Nordwestgrat mit Ski abfahren) ist deutlich lohnender als die Normalabfahrt. Traumhafte Gletscherhänge und –mulden reihen sich aneinander. Allerdings ist auch die Spaltengefahr hier deutlich höher.
Noch vor dem Gegenanstieg zum Mittelbergjoch wurde uns klar, dass wir keine Chance auf die Talabfahrt mit der mehr Standseilbahn hatten. Das hatte immerhin den Vorteil, dass wir uns beim Gegenanstieg nicht mehr beeilen mussten. Oben gab’s dann die letzten Flüssigkeitsreserven aus dem Rucksack – mehr in Tropfenform, denn in den gewünschten großen Schlücken … und konnten dabei noch einmal auf die Nordwand zurück blicken.
Unsere – etwas unfertige – Nordwandroute
Als Alternative blieb also nur der Notweg. Immerhin macht er nun seinen Namen fast die Ehre. Zwar war hier auch mit Lawinengefahr zu rechnen, aber die gefährlichen Stellen könnten wir hier viel zügiger durchfahren als im flachen Taschachtal und weiter unten im Tal waren die Hänge bereits bis ganz hinauf weitgehend aper und die großen Frühjahrslawinen schon abgegangen.
Über die Piste (wir waren sogar so nett und haben den noch nicht frisch präparierten Bereich genutzt …) ging es runter zur Gletscherzunge des Mittelbergferners und weiter zum Beginn des eigentlichen Notweges.
So rasch wie möglich durchquerten wir die potentiellen Lawinenstriche … Prompt konnten wir einen Nasschneeabgang beobachten, allerdings waren wir da schon durch und auch die Ausläufer dieses Abgangs hätten unsere Spur weit verfehlt.
Lawinenabgang von den Felshängen des Grabkogels oberhalb des Notwegs (zu sehen sind nur die kümmerlichen Reste. Es hatte etwa gedauert bis ich den Fotoapparat bei der Hand hatte)
Mittlerweile wurden wir aber nervös, denn da wir die Telefonnummer unseres Quartiers vergessen hatten, konnten wir unsere verspätete Heimkehr nicht mitteilen …
Glücklicherweise lag selbst noch im Talgrund genug Schnee, so dass wir sehr weit abfahren konnten.
Allerdings hatten wir uns zu früh gefreut. Denn direkt vor der Strassenabzweigung hatte eine riesige Lawine die Strasse an die 300m breit verlegt …
Während Gerhard über das Chaos des Lawinenkegels rüberkletterte, durchquerte ich den Bach (mit dem angenehmen Effekt der Skischuhreinigung) und „genoss“ auf der anderen Seite noch ein paar hundert Meter Skiabfahrt auf den letzten Schneeresten, während links und rechts von mir bereits die Krokosse blühten.
Abfahrtsende direkt an den Häusern von Mittelberg. Links die den Weg versperrenden Lawinenreste
Als wir dann - nach etwas mehr als zehn Stunden seit Losmarsch vom Mittelbergjoch – am Parkplatz ankamen, fielen uns bereits die Helikopter auf. Endlich im Quartier angekommen erfuhren wir dann von dem tragischen Lawinenunglück im Taschachtal …