Sonntag, 13. April 2008, 7 Uhr. Mit etwas Herzklopfen stehe ich auf und schaue aus dem Fenster. Hat der Wetterbericht recht gehabt und werde ich blauen Himmel erblicken oder verbirgt wie gestern eine dichte Wolkendecke den Ausblick auf die Berge um den Talschluß des Pitztals. Freitag Abend hat es zu schneien begonnen und gestern den ganzen Tag weitergemacht, ideal war der Pulverschnee am Schweizer Weg, auch wenn wir ihn wegen des dichten Nebels meist nur gefühlt haben und nicht gesehen. Heute soll es aufreißen, aber noch ausreichend kalt bleiben, also ein idealer Tag für den geplanten Höhepunkt des verlängerten Wochenendes, den Aufstieg zum Linken Fernerkogel mit anschließender Abfahrt über die Nordflanke, vorbei an der Braunschweiger Hütte hinunter nach Mittelberg.
Nachdem die Schneesituation nicht leicht einzuschätzen ist und wir das teilweise vergletscherte Gelände nicht kennen, haben wir gestern noch einen Bergführer gebucht.
Ich bin zufrieden, noch ist der Himmel nicht ganz blau, aber die Spitze des Mittagskogels hebt sich gut von einer dünnen Wolkenschicht ab, einer erfolgreichen Unternehmung steht also nichts im Wege.
Nach dem im Tieflehnerhof bekannt guten und reichlichen Frühstück stehen wir um 8 Uhr 30 in der Standseilbahn, schon so früh ist der obere Parkplatz voll und die Gletscherbahnen werden heute wohl ein gutes Geschäft machen.
Andi heißt unser Guide und ein Freund von ihm, der gerade eine Ausbildung zum Bergretter macht, wird uns auch begleiten.
Kennenlernen, Anlegen und Überprüfen der Ausrüstung dauert ein paar Minuten, dann geht es die blaue Piste unter der 6KSB hinunter, etwas oberhalb der Talstation der Mittelbergbahn verlassen wir den gesicherten und organisierten Schiraum und legen die Felle an. Noch immer kämpft die Sonne mit einer dünnen Wolkenschicht. In der linken Bildhälfte unser Ziel, der linke Fernerkogel, mit 3277 Metern erklärtes Ziel einer Pitztaler Neuerschließung, die auch den Zusammenschluß mit dem Gletschergebiet von Sölden näher bringen soll. Eignet sich dieser Berg wirklich als Schiberg? Wie wird wohl die Abfahrt hinunter ins Tal aussehen? Heute Abend werden wir mehr wissen.
Ein Blick zurück ins Schigebiet, hier ist heute wirklich der Bär los. An der Mittelbergabfahrt gibt es ein Schirennen, im Zielbereich wurden Zelte aufgestellt und entsetzliche Alpinschnulzen - mit hoher Wattzahl in die Bergluft geschickt – begleiten uns noch einige Zeit auf unserem Aufstieg.
Der untere Bereich ist sehr flach, dann geht es in einer langen Serpentine nach rechts und wieder nach links in Richtung eines kleinen Übergangs zwischen Schwarzer Schneid und Linkem Fernerkogel
Hier sieht man schon auf den Sattel zwischen den beiden Bergen. Die Abfahrtsspuren müssen wohl von gestern Nachmittag stammen, heute war sicher noch niemand ganz oben und sie sind schon etwas eingeweht, machen aber schon großen Appetit auf die Abfahrt. Ganz klein erkennt man schon den Aussichtssteg auf der Schwarzen Schneid.
Blick zurück ins Schigebiet
Und zum östlichen Arm des Mittelbergferners, etwas links der Bildmitte die Wildspitze, der höchste Berg Nordtirols. In den Urzeiten des Gletscherschigebiets war eine DSB vom Mittelbergjoch zum Brochkogel geplant und hätte eine lange, aber zu flache Abfahrt erschlossen.
Da müssen wir heute noch rauf.
Gletscherspalten am Mittelbergferner
Wie man sieht, hat es aufgerissen und die Bergwelt präsentiert sich unter fast wolkenlosem Himmel.
Langsam steuern wir auf den Übergang zu.
So nah und doch so weit weg, die steile Flanke erlaubt weder einen gefahrlosen Aufstieg noch eine für Normalverbraucher geeignete Abfahrt.
Wir sind nicht die Einzigen, doch der Andrang hält sich in Grenzen. Andi vermutet aber einen Massenauftrieb auf die Wildspitze.
Nach einer kurzen Pause und einer minimalen Zwischenabfahrt auf Fellen nehmen wir die letzte Etappe in Angriff.
Blick zurück zum Sattel und zum Aussichtssteg
Immer weiter geht es hinauf, die Dreitausendermarke haben wir bereits überschritten.
Und endlich ist der Gipfel in Sicht.
Es eröffnet sich ein Blick ins Söldener Schigebiet.
Viel schöner jedoch die Aussicht nach Süden über unberührte Gletscher.
Sabine mit unseren beiden Begleitern am Gipfel (3277m)
Auf der anderen Seite geht es ordentlich hinunter, inzwischen wurde die Gletscherloipe gespurt, man erkennt auch unsere Aufstiegsspur
Der mittlere Teil der Aufstiegsroute
Eine kleine Gruppe hat sich hier am Gipfel eingefunden, drei Tourengeher sind schon abgefahren und ihre Spuren lassen Euphorie aufkommen.
Auch mein Gipfelsieg wird dokomentiert.
Aber dann beginnt ein einzigartiger Traum. Die ersten 600 Höhenmeter der Abfahrt bis zu einem Plateau unterhalb der Braunschweiger Hütte bieten ideale nordseitige Schihänge, die heute mit einer etwa 15 bis 20 cm dicken Neuschneeauflage versehen sind. Hier ist Sabine am Werken.
Und hier meine Wenigkeit.
Unberührter Pulver, so weit das Auge reicht.
Erst nach uns verbreitert die andere Gruppe die Verzierungen des Hanges.
Steilstufen wechseln mit kurzen flacheren Stellen
Aus dieser Perspektive waren wohl hier noch wenige Bilder der Schwarzen Schneid Bahn zu sehen.
Weiter unten öffnet sich wieder der Blick zum Brunnkogel.
Und zum Gletscherteil des „berühmten“ Notwegs
Ein kurzer Zwischenaufstieg führt uns in eine von der Braunschweiger Hütte nach Westen ziehende Rinne, hier ändert sich jedoch schlagartig die Schneekonsistenz, die Unterlage ist nur sehr schwer und mit zahlreichen Knollen versehen.
Im Bereich der Engstelle treffen wir von oben auf den Notweg, hier kommt es in steilem Gelände zu spontanen Schneerutschen und auch unter unseren Schiern fahren manchmal ganze Schichten ab. Wie man deutlich erkennt, ist der Notweg im Moment nicht gegen alpine Gefahren gesichert.
Nur eine kurze Strecke befahren wir den „Weg des Anstoßes“
Dann führt uns Andi nach rechts in eine gefährlich eng aussehende Rinne.
Die Schneebeschaffenheit ist weiterhin unangenehm, schwerer und feuchter Neuschnee zwischen harten und stellenweise stark vereisten großen Knollen.
Wir geraten jedenfalls ordentlich ins Schwitzen, sowohl wegen der Temperatur als auch wegen der Aufgabe, hier halbwegs elegant hinunter zu kurven.
Die Engstelle ist gemeistert, aber der Schnee wird deshalb nicht besser fahrbar.
Und wieder ein spontaner Schneerutsch, wir sind jedenfalls sehr froh, schon so früh aufgebrochen zu sein, jede Minute länger in diesem Bereich erhöht die Gefahr.
Nochmal die Schlüsselstelle:
Über den sanft geneigten Talboden geht es nun hinaus nach Mittelberg.
Hier sieht man das Objekt unserer Unternehmung in der Totalen: ganz oben der Gipfelhang, die schönen Passagen dann nicht im Bild hinter dem Felsgrat, etwa in der Bildmitte sieht man die steilen Passagen unterhalb der Braunschweiger Hütte und darunter die Rinne.
Gipfelbereich im Zoom
Mittelteil
und Schlüsselstelle
Ziemlich geschafft, aber hochzufrieden mit dem Erlebten erreichen wir den Parkplatz der Gletscherbahn. Ein würdiger Abschluß einer abwechslungsreichen Schisaison.
Eignet sich der Linke Fernerkogel jetzt aber für eine Erschließung? Bedingt! Der obere Bereich vom Gipfel bis knapp unterhalb der Braunschweiger Hütte bietet ideales steileres Schigelände, die Abfahrt in Richtung Mittelbergferner ist im ersten Teil mittelschwer, im zweiten Teil sehr flach. Eine Abfahrt ins Tal ist (für Normalverbraucher) sicher nur über den Notweg möglich, der allerdings von seiner Kapazität her stark limitiert ist. Eine Abfahrt vom Söldener Gebiet ins Pitztal wäre nur mit massiven Eingriffen in die Tektonik möglich, da die Gletscherveränderungen einen gefahrlosen Übergang inzwischen verhindern. Alternative wäre sicher eine reine Verbindungsbahn ohne Abfahrt.
Eine Erschließung des Fernerkogels würde also eine ausgezeichnete und eine nette Abfahrt von jeweils ca. 600 Höhenmetern bringen, zerstört dabei allerdings einen höchst lohnenden Tourenberg, der mit eben diesen 600 Höhenmetern Aufstieg 1500 Höhenmeter abwechslungsreiche Geländeabfahrt bietet.
Ein abendlicher Blick aus unserem Zimmerfenster beschließt diesen eindrucksvollen Saisonabschluß 2007/2008.