Abisko Nuolja – Ein Stück Freiheit6 Stunden Zugfahrt, 2 Skitage, 1 Lift, 0 präparierte Abfahrten.
Soweit die Voraussetzungen, als wir uns an einem Freitag um sieben Uhr morgens in den Bus setzen, um vollbepackt mit Skiausrüstung und großen Rucksäcken zum Bahnhof zu fahren und in das Wochenende zu starten. So genau weiß niemand, was uns erwarten wird. In den einschlägigen Foren gibt es kaum Berichte, seitens der Betreiber ist es ebenfalls nicht ganz einfach, Informationen im Internet zu bekommen.
Wir machen es uns erst einmal gemütlich in unserem kurzen aber dennoch leeren Zug und richten es uns etwas wohnlich ein, die Fahrt bis nach Abisko dauert von Luleå etwa sechseinhalb Stunden. Das anfängliche Schneetreiben lassen wir auf halber Strecke irgendwo hinter uns, wir überqueren den (wandernden) Polarkreis, die Vegetation wird langsam spärlicher, die Landschaft offener und hügeliger. Wir passieren mehrere kleinere Skigebiete in Gällivare und Kiruna, die uns aber nicht weiter interessieren.
Kiruna ist eine unwirklich wirkende Stadt in der nordischen Prärie, sie liegt mitten in einer der größten Bergbau-Gegenden Europas und wird von selbigem mehr als deutlich geprägt. Der Ort ist hässlich, beherbergt aber mit der LKAB eines der größten Bergbauunternehmen Europas mit ca. 3,5 Mrd. Euro Jahresumsatz alleine durch die Minen in und um Kiruna. Die Bahnstrecke von Kiruna zum norwegischen Hafen Narvik, der aufgrund des Golfstromes ganzjährig eisfrei ist, wurde 1902 fertiggestellt. Damals stellte der Bau aufgrund der schwierigen klimatischen Bedingungen, der praktisch nicht vorhandenen Infrastruktur in einer der abgelegensten Regionen Westeuropas und der Gebirge eine enorme ingenieurtechnische Herausforderung dar. Seitdem werden über die Malmbanan der Großteil der Eisenerze aus Kiruna transportiert. Die dabei zum Einsatz kommenden Züge aus ca. 70 Lorenwägen pro Zug sowie den stärksten Lokomotiven der Welt haben aufgrund ihres Gesamtgewichts von bis zu 8600 t grundsätzlich Vorrang vor dem Personenverkehr.
Doch zurück zum Skifahren: mit 30 Minuten Verspätung erreichen wir am frühen Nachmittag den Bahnhof Abisko turist, der ausschließlich den großen Hostel-/Hotelkomplex des STF (Svenska Turistföreningen, eine Mischung aus Jugendherbergsverband und „Alpen“verein) bedient. Der STF ist auch gleichzeitig Betreiber des Skigebietes am Nuolja.
Unsere Unterkunft ist im Nuolja Ski Hut, einer kleinen Hütte zwischen Hotelkomplex und Skilift, die zwar über kein fließendes Wasser und lediglich ein Plumsklo verfügt, in der wir es uns aber trotzdem gemütlich machen. Den restlichen Nachmittag nutzen wir, um ein wenig mit den Gerätschaften zu üben (denn ohne Übung geht es ja bekanntlich nicht...) und im Hauptgebäude des Hostels etwas zu chillen. Die gemütlichen Sitzecken vor den Panoramafenstern dort laden richtig zum Versacken ein. Nicht umsonst wird die Location häufig als eines der backpacker’s paradise beschrieben.
Am nächsten Morgen laufen wir in ca. 10 Minuten von unserer Unterkunft hinüber zur Talstation der alten Brändle-Sesselbahn, die ca. 2000 m lang ist und 500 m Höhenunterschied überwindet. Eine präparierte Abfahrt gibt es hier nicht, lediglich den unteren Abschnitt der „Hauptabfahrt“ im Wald befährt ab und an mal eine Pistenraupe. Sonst gliedert sich das Areal ist zwei Abschnitte: zum einen den inneren Sektor, der sich etwa 400 m beiderseits der Liftachse erstreckt. Er wird kontrolliert und lawinentechnisch überwacht und beinhaltet auch die einzige lose mit ein paar Stangen ausgesteckte Abfahrt (Nedfarten). Die Grenzen dieses überwachten Sektors sind mit einer Schnur markiert, verlässt man diesen Raum u.a. durch markierte Tore, befindet man sich im äußeren Sektor des Gebietes. Hier erfolgt keine Kontrolle, die Lawinensituation muss selbst eingeschätzt werden und Markierungen sind nicht mehr vorhanden. Lediglich die beiden Wege zurück zum Sessellift sind sporadisch ausgeschildert.
In einem „Pistenplan“ sind die gängigsten Varianten eingezeichnet, er hilft einem ein wenig bei der Orientierung, die speziell im unteren Waldbereich nicht ganz einfach ist. Gerät man in das Dickicht aus Sträuchern und niedrigen Birken hinein, wird aus dem Abfahrtsspaß ganz schnell ein lange dauernder Kampf. Ein dichter Nadelwald in den Alpen ist einfacher zu befahren wie dieses eklige Gestrüpp.
Langweilig wird es hier so schnell nicht, es dauert recht lange, bis man die meisten Varianten durch hat. Es dauert vor allem auch deswegen so lange, weil der Sessellift langsam ist. Nicht langsam, sondern extrem langsam. So langsam, dass man ab und an meint, man steht. Und im oberen Teil erfriert, weil der Wind doch recht empfindlich kalt von vorne weht... Nun gut, so sind wir eben jedes Mal froh, wieder oben zu sein.
Die Schneeverhältnisse sind nicht perfekt heute, durch den vielen Wind ist der Schnee vor allem im oberen Teil doch ordentlich windgepresst. Aber in einer so niederschlagsarmen Gegend wie Abisko muss man ja schließlich auch schon froh sein, überhaupt genügend weißes Gold vorzufinden... Dafür meint es das Wetter gut mit uns und schenkt uns Sonnenschein. Die Landschaft ist grandios, nur schwer zu beschreiben.
Auf mich übt die Landschaft um Abisko und den Torneträsk-See einen ganz speziellen Reiz aus. Im Grunde sind es ja nur Mittelgebirgs-Hügel, die man hier sieht. Dennoch ist dies kein Vergleich zu den (meines Erachtens) langweiligen bewaldeten Hügeln in Mitteldeutschland, sondern eine der grandiosesten Landschaften, die ich kenne. Diese Unendlichkeit des Sees und der dahinterliegenden Berge, eine weiße Wüste der Abgelegenheit, die faktisch unbesiedelt ist. Gleichzeitig wirken die Berge abweisend und unerreichbar, der Mensch darin sehr klein. Eine sich über so weiten Raum erstreckende Unberührtheit der Landschaft (von der geringen Infrastruktur entlang der Bahnstrecke einmal abgesehen) sucht man in unseren Breiten einfach vergeblich. Genau dies macht für mich den Reiz der Landschaft hier aus. Ich finde sie mindestens genau so faszinierend wie ein spektakuläres Panorama in den französischen Hochsavoyen. Bloß auf eine andere Weise.
Wir beginnen im liftnahen Bereich, wo wir ein schönes Couloir finden und arbeiten uns anschließend weiter nach außen vor. Konkurrenz gibt es hier erfreulicher Weise keine, es sind vielleicht insgesamt 10-15 Leute im Skigebiet unterwegs (wir sind alleine schon 6 Leute...). Das größte Problem bleibt, unten im Wald die richtige Schneise zu finden, um nicht im Dickicht stecken zu bleiben. Anfangs kostet uns das einige Male einiges an Zeit und Nerven.
Herr Melin (Couloir)
Alejandro
Julien
Ängarna
Etienne
Wer sucht, der findet den elendig langen Eisenerz-Zug.
Der Wind nimmt gegen Nachmittag deutlich zu, die Liftfahrt wird immer beschwerlicher und nahe der Bergstation entstehen spektakuläre Windstimmungen.
Die Bedingungen sind etwas tricky, der viele Wind hat den Schnee oben verblasen, ihn dann aber in manche Hänge reingeweht, sodass die Lawinengefahr stellenweise doch beträchtlich war. Insbesondere auf der besten Route des Wochenendes, Lavindalen, gilt es eine kleine Schlüsselstelle zu überwinden.
In der Nachmittagssonne glänzt der komplex der STF turist station, die in den 50er Jahren nach einem Großbrand in der heutigen Form errichtet wurde. Aus Brandsicherheitsgründen hat man damals die Holzkonstruktion nicht wieder aufgebaut, sondern durch einen von Backstein geprägten Baustil ersetzt.
Nach dem Skifahren genießen wir den in Schweden üblichen Saunagang und sitzen in gemütlicher Runde in den Gemeinschaftsbereichen des Hotels zusammen. Jeden Tag gibt es dort übrigens die Möglichkeit, sich mit einem Bergführer über Möglichkeiten in der Umgebung sowie aktuelle Verhältnisse zu unterhalten, eine sehe gute Sache!
Nun, was bleibt als kleines Fazit nach dem ersten Tag? Skifahrerisch gibt es sicherlich besseres wie den Nuolja, bei mir punktet das Gebiet jedoch durch sein Flair. Die Paarung aus der Ausrichtung als reines Offpist-Areal und der generellen (nord)schwedischen Einstellung kreiert ein Gebiet, in dem die Selbstverantwortung ständig präsent ist. Klar, ähnliches gilt vermutlich auch für die reinen Freeride-Lifte der Alpen, aber dennoch ist das etwas spezielles hier. Es sind viele Kleinigkeiten, die diesen Reiz ausmachen.
Jegliche technische Ausrüstung wie beispielsweise Drehkreuze sucht man vergeblich, mit den Liftlern kommt man dank kaum vorhandener Gäste sofort ins Gespräch, beim Verlassen der (nicht vorhandenen) Pisten wird man nicht kritisch beäugt, ein Abfahren ist überall möglich und sogar gewünscht (das ganze Gebiet liegt übrigens in einem Nationalpark...). Der Liftler an der Bergstation betreibt in Personalunion übrigens gleichzeitig die kleine Hütte dort. Der Ausstieg des Sessellifts ist wie das ganze Gebiet definitiv nichts für Unerfahrene, da man nämlich nicht geradeaus wegfährt, sondern 90° nach rechts raus muss. Insbesondere für den linken Platz im Sessel nicht einfach. So passt es auch, dass der Skipass noch in die Kategorie back-to-the-roots passt...
In einer Welt der Regulierung und Überwachung ist es ein wenig entschleunigend, auf sich selbst gestellt zu sein. Dazu tut die Umgebung und die Landschaft freilich ihr übriges. Aber genau deswegen und weil die (zusammengewürfelte) Gruppe sehr gut funktioniert, verspüre ich ein Stück Freiheitsgefühl.
Am nächsten Tag meint der Wettergott es nicht mehr ganz so gut mit uns, es ist bewölkt, ab und an fallen ein paar Schneeflocken vom Himmel (jedoch ohne nennenswerte Neuschneemenge). Es ist ein wenig kälter, vor allem jedoch ist der Wind im oberen Teil des Sesselliftes deutlich stärker. Dies macht eine jede Liftfahrt ein bisschen zum Überlebenskampf, eine möglichst komplette Vermummung wird angestrebt. Bei -12° Lufttemperatur und ordentlich Wind geht der Windchill schnell auf die -30° zu, die wenig wärmenden Lattenrostsessel tun ihr Übriges dazu. So gibt es nur wenige Bilder und wir halten uns primär im Couloir und einem anschließenden kleinen Canyon im Wald sowie auf der Lavindalen-Variante mit den besten Schneebedingungen auf.
Alejandro
Julien
Ugo
Julien
Philipp
Der Ausflug neigt sich langsam dem Ende zu, bevor am Montag unser Zug abfährt, machen wir einen kleinen Spaziergang auf den zugefrorenen Torneträsk-See und genießen die unbeschreibliche Landschaft noch einmal bei Sonnenschein.
Björkliden
Abisko Nuolja
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Der Nuolja mag nicht die ganz großen (Freeride)-Möglichkeiten bieten. Dennoch ist er allemal einen Besuch wert, das Flair des Skigebietes, die Lage, die Landschaft, all diese Dinge bleiben in Erinnerung. Zufrieden geht es wieder heim nach Luleå.