So weit die Esel tragen. Sommerski in den Apenninen - die "Coppa Monte Vettore".
Es ist ein heißer Junitag in Ascoli Piceno, einer Provinzhauptstadt in der mittelitalienischen Region Marken zwischen Adriaküste und Apenninen, in den 1970er Jahren. Der Skiclub Ascoli hat wieder einmal seine Mitglieder zum Saisonabschlussrennen zusammengerufen, und die Teilnehmer treffen sich am Samstagmorgen in einer Trattoria am Rande der Stadt. Dank des guten Wetters ist das Tagesziel der Gruppe schon hinter der Stadt zu erahnen. Die Fahrt geht in in die Apenninen, genauer gesagt in die Monti Sibillini bzw. zu deren höchstem Berg, dem 2476m hohen Monte Vettore.
Knatternd setzt sich die Kolonne von Fiat-Modellen der Sechziger und Siebziger Jahre in Bewegung und fährt die SS4 über die Ortschaften Acquasanta Terme und Arquata del Tronto in die Monti Sibillini. Für die Autos endet die Fahrt am Passo Forca di Presta auf 1536m. Von hier aus müssen die Skifreunde rund zwei Stunden zur Zilioli-Hütte auf 2230m aufsteigen. Eine Materialseilbahn zur Hütte gibt es nicht. Also bedient man sich des traditionellen Transportmittels auf der Apenninenhalbinsel: Slalomstangen, Rennequipment und nicht zuletzt die Skier werden einer Gruppe von Eseln anvertraut. Skitransport per Esel ... Italo-Kult einmal anders.
Von der Zilioli-Hütte geht es zu Fuß noch ein Stück bergauf. Natürlich ist der Monte Vettore Mitte Juni bis zum Gipfel auf 2476m weitgehend abgetaut, aber die Natur hat hier in nordseitig gelegenen Rinnen ("Canaloni") die perfekte Situation für das Überleben von pistenbreiten Schneestreifen mit skitauglichem Gefälle geschaffen. In die Rinnen bläst der Wind den ganzen Winter lang Flugschnee, so dass sich die Schneereste hier trotz der mediterranen Breite noch bis in den Juli halten - beste Voraussetzungen für die "Coppa Monte Vettore", die frühsommerliche Vereinsqualifikation, die nach dem Berg benannt ist. Die Vorbereitungen für den Wettbewerb am Sonntag werden getroffen. Der Abend der Skiclubmitglieder auf der Zilioli-Hütte wird fröhlich und sehr lang ...
Da es in den Apenninen im Frühsommer auch über 2000m keinen Frost mehr gibt, kann die "Coppa Monte Vettore" am Sonntagmorgen im weichen Frühjahrsschnee gestartet werden. Bis zum Mittag ist das Rennen beendet, denn dann begeben sich in der Schneerinne allmählich Schmelzwasser-Sturzbäche zu Tal. Wer will, trägt den Hang noch ein paarmal hinauf und fährt in der Rinne wieder ab - es ist schließlich die letzte Gelegenheit bis zum nächsten Winter. Aber die Mehrzahl der Teilnehmer genießt schon wieder die Sonne auf der Terrasse der Zilioli-Hütte. Gegen Nachmittag begeben sich Mensch, Esel und Material wieder zum Autoparkplatz an der Forca di Cresta hinab. Diese wohl einzigartige Kultveranstaltung wird einmal mehr unvergessen bleiben ...
Der Bericht ist frei erfunden, aber so ähnlich könnte es sich tatsächlich abgespielt haben ... Bis heute ist der Monte Vettore ein beliebtes Ziel von Skitourengehern, und natürlich bleibt der Schnee in der Rinne am Vettore auch heute noch bis in den Sommer liegen.
Die Idee, einen Sommerski-Riesenslalom im mittelitalienischen Apennin auszutragen, entstand bereits 1943 in den Köpfen italienischer Alpini (Gebirgsjäger), die in den Monti Sibillini stationiert waren. Sie wollten die am Monte Vettore vorgefundenen Schneerinnen ihrem Verwendungszweck zuführen. Die "Coppa Monte Vettore" wurde erstmalig jedoch erst 1966 vom Vorsitzenden des Skiclubs Ascoli, Augusto Giammiro, und dem Vorsitzenden des Regionalauschusses Umbrien und Marken, Marcello Formica, ins Leben gerufen und bis zum Jahr 2000 31mal ausgetragen. Für die Jahre 1973, 1980, 1982, 1987, 1990, 1994, 1996-98 trägt der Pokal, die "Coppa", keine Gravur, d.h. das Rennen fiel aus. Es fand üblicherweise in den ersten beiden Juniwochen statt. Anfangs durften nur die Sportler des Skiclubs Ascoli ihr Equipment per Esel transportieren; Gastteilnehmer mussten es selbst tragen. Da dies den lokalen Sportlern konditionelle Vorteile einräumte, wurde die Restriktion später gelockert ... Die Teilnahme an diesem Event muss ein großartiges Erlebnis gewesen sein, doch heute berichtet niemand mehr darüber. Die "Coppa Monte Vettore" war der einizige Sommerskiwettkampf Italiens außerhalb der Alpen. Da die südliche Lage des Veranstaltungsorts den spektakulären Wettbewerb jedes Jahr wieder zweifelhaft erscheinen ließ, erfreute er sich in Italien großer Medienbeliebtheit. -
[EDIT:] 2008 gab es ein Revival der Veranstaltung - siehe unten im Thread!
Orientierungskarten Ascoli Piceno. © Wikipedia.
Details zur Historie der "Coppa Monte Vettore" hier:
La Coppa Monte Vettore (Sci Club Ascoli) ,
Un Powder Alarm fuori stagione (Telemarktribe)
Im
Alpinforum hat der User marcussiena vor kurzem einige Fotos vom Juli 2008 eingestellt, auf denen zu sehen ist, dass der Schnee in den Rinnen des Monte Vettore wieder bis in den Hochsommer liegen geblieben ist.
Hier Impressionen von damals. Zunächst drei Fotos aus den oben verlinkten Detailinfos. © der drei Fotos: Sci Club Ascoli.
Gründer Augusto Giammiro bei der Siegerehrung der 3. Coppa Monte Vettore im Juni 1969.
Strecke im Naturzustand im Frühsommer.
Gesteckte Strecke. Klick für großes Bild.
Weitere Impressionen von Ansichtskarten. Hinter dem Vorschaubild ist wieder mal ein großer Scan verlinkt.
Blick von Montefortino zum Monte Vettore und den Sibillinischen Bergen des Apennin ca. 1970. © Edizioni Marconi, Genua.
Rennequipment auf dem Esel - ich schmeiß' mich weg ...
Coppa Monte Vettore um 1970. © Edizioni Multigraf, Terni.
Coppa Monte Vettore um 1970 - nochmal das mittelitalienische Bergtransportmittel Nr. 1 der damaligen Zeit. Die Zilioli-Hütte und die Parkplätze an der Forca di Presta sind mit abgelichtet. © Edizioni Multigraf, Terni.
Streckeninspektion und Torestecken für die Coppa Monte Vettore um 1970. © Edizioni Fotorapidacolor, Terni.
Coppa Monte Vettore - die Qualifikation um 1970. Wenn das kein Sulz ist ... © Edizioni Fotorapidacolor, Terni.
Haben fertig? Coppa Monte Vettore 1976. © Edizioni Coccia Luigi, Cast. di Norcia