Primo capitoloNun denn, so ist er endlich geworden, der kleine Ausflug auf das Stilfser Joch. Nebenbei sollte es das erste Mal werden, dass ich dorthin zum Skifahren gelange.
Etwas Trickreich dabei war, dass die Aktion in ihrer Natur nicht wirklich genau planbar ist (ist auch nicht so mein Naturell), weil es bei derartigem doch ab und an anders kommt als gedacht. Das im Hinterkopf erwartend war zunächst eine Summe an Fragezeichen wen ich denn fragen könne um das Ding zusammen zu machen. Weil das a.tens mehr Spaß macht und b.tens solche Runden doch nicht alleine zu machen sind.
Also gilt es zusammenzubringen jene Geeks, die einerseits gerne die Ästhetik des Gegensätzlichen decodieren (was ja letztendlich die Substanz da oben ausmacht) und schätzen, aber anderseits auch die Alpine Power hinlegen wenn dies nötig wird (was dann auch so kam).
Wie es so oft ist bei derartigen Ideen, wer kennt das nicht, ist es also nicht so einfach die ideale Gruppe zu erzaubern.
So telefonierte ich etwas lustlos meine Bergkameraden an, "Geisterspitze und Dokumentation Stilfser Joch". Die dann passable Begründungen hatten, wieso das nicht gehe. Das war Donnerstag gegen 21 Uhr. Bis der Klaus aus Klausen sagte ja doch machen wir, Dreiviertelsechs Ski an den Füssen geht s los, Geisterspitze und Joch. Oh. Prima. Ich packe mein Zeugs, fahre nach Trafoi, bin gegen Mitternacht dort um festzustellen, dass man nicht auf 1900m weg kommt, sondern auf 1500irgendwas. 3460m Geisterspitze minus 1500irgenwas...macht...hm, die Müdigkeit verhinderte sinnvollerweise das Zustandekommen eines Rechenergebnisses.
So klopfte um Halb Sechs jemand an die Fensterscheiben meines Automobils in dem ich auf einer Luftmatratze recht angenehm nachtruhte. Ah los gehts. In 10 Minuten hatte ich das Gelump und mich parat, schob etwas essbares in den Mund und zwängte die Füße in die Skistiefel. Alles irgendwie.
Schön warm ist es bereits. Aber wo ist der Schnee? Dort wo er nebeneinander liegt, sind im Hang hohe Felseabsätze, dort wo es sich gehen lässt bereitet sich die Vegetation großflächig und gut sichtbar auf die Sommersaison vor. Damit ging es mit uns drei -der dritte kommt aus Brixen- erst mal durch Grasgemüse nicht unsteil und zumeist weglos im südseitigen Wald hinauf. Ski am Rucksack tragen sich gut, aber verheddern sich ab und an hartnäckig im niedrigen Geäst. Und das so früh am Morgen. Es ging so dahin etwa 350Hohehmeter, ab dann wurde es zum Glück flacher und der Wald lichter womit auch der Schnee seinen Teppich für uns durchgängig ausgelegt präsentieren konnte. Damit war auch das Schläfrige weg. Dem schmalen Talgrund entkommen öffnete sich die bekannte Ortler-Landschaft, der Blick in die hohen Berge drumherum richtet einen doch munter auf so unchristlich früh am morgen.
So ging es entlang der Moränen unterhalb vom Madatschgletscher hinauf bis selbiger begann und irgendwann auch die Sonne uns beglückte. Auf etwa 3000m zeigte sich der Livriokomplex von seiner weniger bekannten Seite, jene die man von der Piste so nicht sieht. Unser Ziel ist der zunächst noch nicht, sondern erst zieht es uns weiter in Richtung Geisterspitze. Im Zick-Zack geht es die Flanke hinauf, wobei selbige nach oben hin mit abnehmender Luft erst recht steiler wurde. Aber der Blick, ja das Blick. Macht man so eine freudige Plackerei wegen der Ausblicke? Sicherlich nicht nur, aber auch. Offenbar nimmt Mensch gerne Entbehrungen auf sich, um das was virtuell zu leicht erreichbar scheint wohl deshalb in Natura verspüren zu können. So gesehen ist Mensch ein freudiges Dummvieh.
Wie dem auch sei, den Gipfel erreichen wir nicht. Hinter uns wird der Ortler dennoch recht klein, lediglich knappe 500m höher als wir. Ein schönes Gefühl: Wir wären jetzt bereits auf dem langen Ortlerplateau. Da muss man jedes Jahr einmal hinauf übrigens, auf das große zahme Plateau bis zum Gipfel auf 3900m. Es könnte dort ein Leitnerlift mit 2km Länge stehen mit links und rechts einer blauen Abfahrt. Der letzte Lift dort oben am großen zahmen Ortler Plateau, der surrte vor 96 Jahren.
Und der Blick auf das Sommerskigebiet. Die vertrauten drei Etagen Stilfser Joch: Das EG (2750m) mit seiner eingeschneiten Passstraße, der Trinceronekomplex als 1.OG (3050m) und das Livrio Raumschuff im 2.ten OG (3174m). Jetzt sozusagen vom 3.OG betrachtet, aus etwa 3400m. Der Geisterlift zeigt sich in seiner ganzen Länge. Irgendwann wird sich der Ebenferner wohl auftrennen entlang der Liftachse, von uns gesehen nach rechts läuft das Eis zum Madatschferner, nach links läuft es hinab zum Trincerone. Der Geisterlift wird dann wohl auf einem flachen Bergrücken laufen. Oder auch nicht falls sich dieser als zu ungünstig abschüssig erweisen sollte. Gletscher finde ich immer sehr spannend, und irgendwie insbesondere auch wenn sie sich zurückziehen weil dann des Menschens Plunder der Moderne doch ein wenig ins schleudern kommt. Wo passiert derartiges sonst noch? Hat also seinen Reiz.
Von mittlerweile zwei Dutzend Wintersaisons gezeichnet stemmten sich auch heuer die Geschwister Geisterlifte durch die kalte Jahreszeit. Die Herbststürme erwiesen sich diesmal stärker als die gespannten Leit- und Liftseile und warfen zwei Stützen um, jene am Zwischeneinstieg. Nicht nur der Lift taumelte und krachte, auch Teile der Gebäude am Trincerone.
Ab hier zwei Steinwürfe vom Gipfel entfernt wird der Grat schmal, abschüssiger und der Schneeaufbau ungünstig: 15cm fluffiger Pulver liegen auf einem festen Altschneepanzer. So ganz der Spaziergang war das also doch nicht, mit Steigeisen wäre es gut zu machen gewesen. Oder einfachen vom Westgrat aus statt unseres Ostgrates. Macht nichts. Obwohl, das besondere Highligt hätte die Abfahrt vom Gipfel der Geisterspitze werden sollen, über seine Nordflanke direkt hinunter. Wo auf mich nahezu in Falllinie die Bergstation vom Geisterlift gewartet hätte.
Das Skigebiet erstreckt sich übrigens offiziell (SIFAS) von 2758m bis auf 3450m. Irgendetwas passt da nicht ganz zusammen, denn wir stehen etwa 50m unterhalb des etwa 3460m hohen Gipfels und gut oberhalb der Bergstation des Geisterliftes. DM gibt die Bergstation mit 3390,5m an, abgebügelt wird wohl 15m darunter. Nundenn, Tourismus halt.
Es weht ein doch eisiger Wind, der so eisig nicht wäre wenn er innehalten könnte. Damit ist die Jause schnell verzehrt. Das gestern Nacht an der Tankstelle besonders teuer gekaufte magere Semmerl mit diversen schwer identifizierbaren Belegungen mundet jetzt außergewöhnlich grandios.
Der Pulver im Steilhang ist ausgezeichnet, das macht bei der Abfahrt Freude. Für mich nicht all zu lang, ruft doch die Querung hinüber zur Geisterliftstation. Der Klaus und Andreas nutzen die Falllinie und fahren. Sie fahren tatsächlich auch weiter ab, obwohl sie zunächst nicht glauben wollten, dass der Gletscher abschüssig ist weiter unten entlang der Geisterlifte, Sie lachten und fuhren.
Um zur Geisterstation zu gelangen stapfte ich die halbe Querung entlang der Geisterflanke bergan. Das dauerte. Die zwei wollte ich nicht über Gebühr warten lassen, anderseits wollte ich gerne das Ding inspizieren. So musste es schnell gehen heute, und dennoch hatten die zwei einiges zu warten auf mich. Deren Geduld sei gedankt, ich beeile mich. Als Fotoknipser dient mir ein neues Gerät mit dem ich Schnee noch nie geknipst habe. Ein Ding mit Objektiv zum dranklinken, 24-80/f2.8, also mit Gewicht. Irgendetwas einstellen ist ob der Eile, des schnaufenden Atems, der Handschuhe und der Sonnenbrille definitiv nicht möglich, so bin ich doch mal dankbar auf die sonst verschmähte iAuto-Funktion. Es muss heute alles perfekt funktionieren, kein falsches Setup, kein versehentlich aktiviertes Menu. Und tatsächlich, das Desaster welches mich bei Fotoaktionen gerne (zuhause) heimsucht blieb aus und die Fotoausbeute sollte perfekt werden. Auch wenn der feine Blick fürs subtile trotz Muße nicht wirklich Zeit hatte sich zu finden am fordernden Berg. Draufhalten und am großen Knopf drücken. Im Hochgebirge bleibt nie wirklich Zeit die Dinge durchatmend zu genießen oder wie hier genauer zu inspizieren. Irgendwie muss man immer weiter. Der Aufstieg bisher dauerte doch viereinhalb Stunden.
Die Doppelmayrstation sieht gut durchdacht robust aus, und im Ggs. zu anderen Liftbauten ist sie auch kaum zerknüllt. Ich klettere kurz auf die Umlenkscheibe des rechten Liftes. Aussichtsplattformen sind ja aktuell in den Alpen der Hit. Aber da ist nichts, also geht es hinüber zum Payerlift. Der wurde erneuert vor einigen Jahren (1999), so sind die Bergstation und die Masten darunter aus verzinktem texturlosem Stahl erbaut, trägt also keine Schichten mehr an abblätternden und sich somit organisch ergänzenden Lackschichten wie es in Italien eigentlich für alles was Eisen war bis in die 1980er Jahre üblich war.
Ich meinte nach gefühlten 5 Minuten sollte ich mich auch auf den weißen Weg hinab machen, um die zwei Sidtiroler nicht so lange warten zu lassen. Der Biss des Gewissens war schon rechtens, denn die EXIF Daten der Bilder zeigten dann, dass die blitzigen 5 Minuten tatsächlich derer 25 waren. Diese inkludierten aber dann auch die Attraktion jedes einzelnen Geistermastens, denn von nahezu sämtlichen war das Seil entgleist und schabte auch mal kräftig um die Vierkantrohre der Masten. Die Abfahrt entlang der Geistelifte ist schon eine sehr gemütlich. Daher schaltete ich die Videofunktion ein, und fuhr in großen Bögen durch die Lifttrasse. Es fühlte sich sehr dreidimensional an so nah mit dem Kopf unter den Liftseilen durchzurauschen, immer vorher überlegend ob es sich noch ausgehen würde. Und zu schnell war sie erreicht, die Umfallstelle der zwei Masten am Zwischeneinsteig. Das Lifthäuschen ist nicht zu sehen, ob sie es im Herbst verräumt haben die von der SIFAS? Oder wurde es den Madatschferner hinuntergeweht? Im Idealfall ist es nur eingeschneit.
Dieses Eisengerippe wirkt skurril, so kampflos wie es da liegt. Den Kampf wird es beginnen, wenn im Mai die Liftangestellten wie jedes Jahr anrücken, um den Skeletten wieder ein weiteres saisonales Leben einzuhauchen. Eine Plackerei. Es benötigt wohl viel Erfahrung, Ausdauer, Kraft und wohl auch Idealismus um am Gletscher zu arbeiten. Am Cristallolift werden einzelne Masten um die doppelte Wegdistanz zum Cristallorücken versetzt, die der von der Seite zufließende Gletscher am Ende der Saison wieder zurückgeschoben haben wird. Die in einem gewissen Rahmen horizontal verschiebbaren pendelnden Rollenbatterien erweisen sich hier als wohl sehr hilfreich.
An Cristallo- und Payerlift wird das jeweilige Seil für die Wintersaison abgelegt da einige Liftmasten für gewöhnlich bis über die Seillinie einschneien und sich die Seile damit im kompakten Frühjahrsschnee eingeklammert und mietfließend die Mastkonstruktionen wie Zahnstocher knicken würden. Am Geisterlift bleibt das Seil (theoretisch) auf den Rollen, denn dieser schneit kaum bis oben ein. Dennoch wird der Geisterlift heuer viel Arbeit bereiten, die Mittelstation gilt es neu aufzubauen, die Streckenelektrik wird neu zu machen sein, das Seil selbst müsste laut Gesetz auf Bruchstellen untersucht werden.
Nundenn. Zum Livrioklomplex 3174m stapfe ich nicht hinauf, auch wenn das irgendwie verirrte schräge Blechmonster vom Schnee ganz besonders umgarnt wurde. So quere ich den Ferner zur Naglerflanke und suche hoch oben die Betonklötze der vergangenen Liftgenerationen. Die Naglerlifte waren auch damals am Ausstieg steil. Die ehemals rassigen Liftspuren stammen aus einer Zeit, als am Stilfser Joch bis Anfang 1990er Jahre rassige "Maestri di Sci" den Zepter des wahren Sportes führten. Skisport war Ernst, wurde intensiv strukturiert gelernt, immer eingebettet in die Vita Italiana mit viel sozialem Leben bei Karaoke oder im Livrio Schwimmbad. Bis das damals ehrgeizige Ganze aus Organisation und Infrastruktur aufgrund der faktischen Kräfteverhältnisse nicht mehr zu halten war und in einen Zerfallsprozess übertrat...
</erster Teil>