Was hat mich schon als Jugendlichen an französischen Schigebieten fasziniert? Was war es, das mich all die Jahre, dort - und nur dort! - hinzog? Nun, neben der Vielfalt und der grandiosen, gigantischen westalpinen Szenerie, war es ein kleiner, aber alles entscheidender Unterschied: es gab jene faszinierenden erschlossenen Hochpunkte an absolut extremen Orten, dort, wo man überall sonst einig gewesen wäre, dass man an einer solchen Stelle niemals einen Lift bauen oder betreiben könnte... in Frankreich, der Grande Nation, hat man es einfach getan. So enstanden technisch wie optisch faszinierende Anlagen in extremen Umgebungen, die einem dem absoluten Hochgebirge so nahe brachten wie sonst nirgends. Eine dieser Anlagen ist der Traverséelift am Bellecôtegletscher, ein anderer war der 3300 in Val Thorens. Ein Mythos, der Prototyp des extremen und ausgesetzten Liftes, hinauf auf eine um die 45° steile Felskante, einen Grat, der an seiner sptize so schmal war, dass die Bergstation des Liftes freitragend auf beiden Seiten überhing! Ein Lift im völlig vergletscherten Gelände, der nur mit extremen Überfahrtshöhen und langen Spannfeldern überhaupt in diesem Gelände gebaut werden konnte.
1968: der Schibetrieb im Bellevilletal ist mit der Lancierung von Les Menuires vor einigen Jahren gemächlich angelaufen, nachdem es einige Startschwierigkeiten gab. In diesem Jahr geht die erste größe Anlage in Betrieb: die Kabinenbahn zur La Masse. Im kommenden Jahr wird der Mont de la Chambre erschlossen werden mit einer Poma ""oeufs" 4er Kabinenbahn, Les Menuires beginnt ein attraktives Schigebiet zu werden. Doch es gibt mehr als das, Hänge, die von dieser Station aus niemals richtig erschlossen werden können: im hintersten Talschluss des Bellevilletal wartet ein riesiges glaziales Amphietheater unberüht, umringt von Gletschern und überschattet von der über 3500m hohen Aig. de Péclet, eines der spektakulärsten und optisch beeindruckendsten Berge französischen Nordalpen.
Unterhalb dieses Gipfels, auf einer sonnigen Terrasse von 2400m Höhe, ist Platz für eine weitere Station - die extremst gelegene Schistation, die jemals gebaut werden sollte: Val Thorens. Zunächst findet Joseph Fontanet, promoteur von Les Menuires, niemanden, der mit ihm diese neue Projekt angehen wird - zu extrem erscheint diese Location, als zu schwierig hatte sich bereits der Bau von Les Menuires erwiesen. Dann trifft er auf Pierre Schnebelen, den jungen Visionär und Ökonom, der das Projekt "Tignes" vom Reisbrett in die Alpenwelt brachte und so zum Millionär wurde. Mit dieser Partnerschaft ist der Weg für das Projekt frei, die Gelder fließen, man hat große Pläne. Die Schistation der Elite soll es werden, Schifahren an 365 Tagen im Jahr, gleich zwei Sommerschigebiete auf drei Gletschern sollen erschlossen werden.
Der Ort, an dem heute Val Thorens steht, im Sommer 1968. Im Hintergrund die ewigen Firne des Péclet.
Wenige Monate im Jahr kann man hier oben bauen, die gesamte Infrastruktur muss neu errichtet werden. Bis 1971 dauert es, bis die Straße hier herauf fertig ist, weitere 8 km und 500 Höhenmeter waren ab Les Menuires zu überwinden. In diesem Jahr entstehen die ersten Gebäude und einige erste Schlepplifte, der Schibetrieb beginnt. Doch dies alles ist nichts in Bezug auf das, was in diesem Moment noch in Plänen verborgenen schlummert. So beginnen sofort im Anschluss die Arbeiten für die Erschließung des ersten Gletschers: des Glacier de Péclet, eines ausgesetzten Gletscherfeldes zwischen 2700m und 3300m Höhe an der steilen Westflanke jenes faszinierenden Berges, ein ausgesetzter Balkon über der Station.
Val Thorens von der Bergstation des TSF2 Lac Noir an der Pointe de la Masse gesehen. 30 Jahre nach der Eröffnung des Schigebietes ist einer der berühmtesten Schiorte aus diesem Projekt geworden. Die extreme Lage wird auf dem Bild deutlich: Überragt von der 3500m hohen Aig. de Péclet liegt der Ort auf einer 2200 - 2400m hohen Sonnenterrasse. Direkt in der Verlängerung oberhalb liegt der Pécletgletscher, auf dessen augesetzte schattige Flanke der TSF 3300 bis oben auf den Grat führte.
Mit dem Sommer 1972 besteht die erste Achse hinauf in das ewige Eis: von der Station aus führt eine seinerzeit höchst moderne 4er Kabinenbahn "Télécabine du Glacier" (PHB) bis auf knapp 2900m an den Rand des Gletscherfeldes auf eine Felsnase. Im gleichen Sommer beginnen die Arbeiten für den Ausbau des Gletschers für den Sommerschilauf. Dreh- und Angelpunkt ist eine mittig im Gletscher gelegene Felsinsel, die als Außenposten für die Stations- und Stützengründungen von Liften im Eisfeld dienen wird.
Vom untersten Gletscherrand in einer schattigen Schneeschüssel läuft der Schlepplift TK Croissant von etwa 2700m hinauf bis auf diese Felsinsel auf ca. 3100m Höhe. Etwa parallel, aber weiter vorne zwischen der Felsinsel und der Bergstation der neuen Kabinenbahn ensteht der Schlepplift TK de la Face, der weiter hinauf bis an die Felsabbrüche des Pécletgipfels führt. Am anderen Ende des Gletschers entsteht ein weiterer Schlepplift, der TK de la Pointe, dessen Trasse mit einer Kurve dem Verlauf des dortigen Felsgrates folgt.
Krönung dieser Erschließung wird aber ein Sessellift sein: Montaz-Mautino baut den "Télésiege des 3300", der Zeit seines Bestehens wesentlicher Teil des Mythos Val Thorens sein wird. In dieser extremen Umwelt ist es kaum möglich, überhaupt einen Sessellift zu bauen, über all ist steiles Eis, in dem keine Stützen oder gar Stationen verankert werden können. Es gibt überhaupt nur einige einzige Möglichkeit, eine Anlage bis auf jenen ausgesetzten steilen Grat zu führen, dessen Höhe der Lift seinen Namen verdankt: der Lift muss mit extremen Spannfeldern die riesigen Eisfelder überwinden und unter Ausnutzung der wenigen Felsinseln sich bis zum Grat herauftasten.
So entsteht eine wahrlich spektakuläre Konstruktion. Zunächst, direkt an der Talstation neben der Bergstation der "Télécabine du Glacier" und noch auf Fels, durchlaufen die Sessel drei unmittelbar hintereinander liegende Niederhalter, so dass sie einem Fahrstuhl gleich nach oben laufen. Sodann passiert der Lift eine hohe Stütze, die ein sehr großen Spannfeld über die erste Gletscherpassage ermöglicht. Dabei erreicht der Lift Überfahrtshöhen jenseits der 40m Marke, etwas, das allenfalls der Balmalift vorweisen konnte. Erst auf jener zentralen Felsinsel ist wiederum Raum für Stützen, zwei Stück werden dort plaziert (ein Hochhalter und ein folgender Niederhalter) und fangen den Lift ab und geben ihm neue Höhe für die Überwindung des zweiten großen Eisfeldes. Unter Passierung nur einer einzigen weiteren Stütze auf einer kleinen Felsnase erreicht der Lift schließlich den über 400m höheren Grat, der keinen Platz für eine Station bietet. Aus diesem Grund hängt diese freitragend auf beiden Seiten über den Grat hinaus, die gesamte Ausstiegsplattform besteht aus einer großen Holzkonstruktion, die zur Seite schwenkt und nach einigen Metern die Einfahrt auf den Gletscher ermöglicht.
Oben bietet sich ein gigantischer Blick: winzig liegen die eben noch hoch und ausgesetzt geglaubten Stationen der anderen Gletscherlifte unter einem, im schattigen Tal verschwunden die so extrem situierte Skistation Val Thorens. Dahinter nur endlose weite, Gipfel hinter Gipfel, Kette hinter Kette, bis irgendwann das Flachland beginnt. Beinahe noch faszinierender ist aber der Blick auf die andere Seite: dort warten die riesigen Gletscherfelder des Polsetmassivs und dahinter die unberührten Landschaften des Vanoise Nationalparks, die von keinem anderen Punkt des Schigebietes zu sehen sind. 3300... ein Ort, ein Mythos, der vermutlich beeindruckendste Fleck Erde, der jemals durch einen Lift erschlossen wurde, "l'endroit où le ciel touche la terre... " .
Zurück in das Jahr 1998. Längst ist Val Thorens eine renommierte Skistation, der Traum vom Sommerschi ist bereits fast zu Ende geträumt. Val Chavière hat es nie gegeben, das Sommerschigebiet an den Gletschern Thorens und Chavière ist nur noch im Winter in Betrieb und nur hinsichtlich des Teils, der auf der Nordseite des Grates liegt, die Anlagen am Chavière ruhen seit über zehn Jahren mittlerweile. Auch am Péclet wird im kommenden Sommer das letzte Mal ein wirklicher Sommerschibetrieb stattfinden, die meisten Schlepplifte der ersten Generation sind beinahe völlig verschwunden, in Betrieb ist keiner mehr. Stattdessen gibt es aber seit den frühen 80er Jahren einen zweiten Sessellift am Gletscher, den TSF "Glacier", der auf eben jener ausgesetzten Felsinsel endet, die dem TK Croissant seinerzeit als Bergstation diente und die Vorraussetzung für Überwindung der Eisfelder für den TSF 3300 ist. Aus Platzmangel teilen die beiden Lifte Glacier und 3300 hier sogar eine Stütze. Auch der Glaciersessellift hat eine absolut beeindruckende Überfahrtshöhe und eine gigantische Stütze am Rande des Eisfeldes (beides wurde mittlerweile geändert), an den Mythos des 3300 kommt er aber nicht heran. Ein Grund mag sein, dass der 3300 niemals im Winter läuft, nie. Immer steht er und erweckt Träume von jenem magischen Ort, zu dem er führt, dem höchsten Punkt der Trois Vallées, der dem Sommerschilauf allein vorbehalten ist.
Es ist wieder einer dieser Abende. Gestern haben wir gerade noch den TSD Cascades erwischt und etwas oberhalb der Station den Abend genossen, bevor wir zu unserem Appartement zurück gelaufen sind. Ich habe dies das erste mal erlebt, wie beeindruckend die Stimmung im Hochgebirge wird, wenn das Licht verblasst, die Berge und ihr Eis rot glühen, die Lifte stehen und niemand sonst mehr dort ist. Dieser Moment hat mich extrem fasziniert, nie hatte vorher die Chance, so lange hier oben zu bleiben, war ich doch immer mit meiner Familie als Jugendlicher unterwegs und daher daran gebunden und zudem stets im Frühjahr, wo es derartige Stimmungen und Abende nicht gibt.
Jetzt, mit 18 Jahren bin ich frei, frei zu tun und zu lassen was ich will. Und so haben wir uns also am Abend darauf mit einer der letzten Funitelgondeln hinauf zum Péclet begeben, und zugesehen, dass uns die Pistenwacht nicht entdeckt. Die Momente, die dann folgten, waren gewaltig! Prägend und bezeichnend, noch heute klar wie damals und Grundstein für so vieles, was mich mit dem Gebirge verbindet. Und hier nun endlich die Bilder....
Die Talstation des 3300: man erahnt die Batterie aus Niederhaltern, die das Seil extrem in die Höhe umlenkt, um sodann über die erste Stütze die Reise über das Gletscherfeld anzutreten. Der ultimative Rösselsprung, wenn man so will.
In großer Höhe über das Gletscherfeld. In der Mitte die Felsinsel, die dem auch dem hier sichtbaren TSF Glacier als Zuflucht für seine Station dient.
Von der Bergstation der ehem. Télécabine du Glacier, des heutigen Funitels, hinüber zum TSF Glacier gesehen, dessen damalige extrem hohe Stütze hier ins Auge fällt (man beachte die Größe der Sessel im Vergleich!).
Blick den Pécletgletscher hinab entlang des TSF Glacier. Links erkennt man die Reste einer Stütze des früheren Schleppliftes Croissant.
Funitelbergstation und Blick nach Westen...
Blick entlang des TSF Glacier auf die Felsinsel mit den Stützen dieses Lifte, seiner Bergstation und den Stützen des 3300. Früher endete dort ebenfalls der TK Croissant.
Talstation des Glacierliftes, Talstation und Stütze des ehem. Croissantliftes... und traumhafte Stimmung...
Meine Wenigkeit mit 18, im Hintergrund die ausgesetzte Bergstation des 3300.
3300..."Trois Milles Trois Cents"...
Nochmal die Talstation des Glaicerliftes und des ehem. Croissantliftes mit Stütze. Am linken Bildrand erkennt man zudem die ehemalige, mittlerweile längst abgerissen Bergstation, eines weiteren Sommerschiliftes, der ohne Gletscher in den Übergangsjahreszeiten betrieben wurde: der TK Lac Blanc. Dieser erschloss noch eine weitere Mulde unterhalb, die wohl vor allem für den Frühjahrsschilauf interessant war. Gebaut Mitte der 80er Jahre, vielleicht auch, um das Sommerschigebiet attraktiver erscheinen zu lassen, war dieser Lift schon relativ bald in den 90er Jahren wieder stillgelegt worden.
Langzeitbelichtung, nachdem die Sonne nun endgültig verschwunden ist. Rechts der TSF Glacier, in der Mitte die Bergstation des 3300 und links der ehemalige Gletscherlift TK de la Pointe, der auch aus den ersten Tagen des Sommerschilaufs in Val Thorens noch stammte.
Die Abfahrt weiter hinab gen Val Thorens, hier trifft man wieder auf die Trasse des Funitels, den man bei der Abfahrt über den Gletscher zunächst weit südlich lässt. Genau diese Mulde und diesen Hang erschloss auch der TK Lac Blanc, das Rohr einer Stütze schaut wohl auch noch aus dem Schnee (knapp links der Bildmitte sichtbar).
Das letzte Licht schwindet hinter dem Nebeln umhauchten Caron, dessen Seilbahnbergstation sich noch als Silhouette abzeichnet.
Nächtlicher Blick vom Balkon mit langer Belichtungszeit: die Präparation der Pisten hat begonnen.
[Ende der Träumereien von vergangenen Zeiten für dieses mal....
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