Der Monte Viso, lokal auch als „Re di Pietra“ (König aus Stein) bezeichnet, überragt als höchster Berg der Cottischen Alpen mit seinen 3841 Metern seine Nachbarn um etwa 500 Meter und ist der südlichste Alpenberg über 3500 Meter. Somit ist er als Landmarke weithin sichtbar, sei es aus der Po-Ebene, von der Punta Indren im Monte Rosa Gebiet, aus dem Schigelände von Abries, in dem ich vor Jahren wunderschöne Tage erlebte und auch von den vielen Tourenbergen des Valle Maira, in das uns unsere heurige Schi-Reise geführt hat.
Die unwegsamen Täler der Cottischen Alpen wurden zwar bereits vor 4000 Jahren besiedelt (wegen der schluchtartigen Zugänge teilweise über den Alpenhauptkamm hinweg aus Frankreich), gelten aber heute wegen massiver Abwanderungen im 19. und vor allem 20. Jahrhundert zu den am dünnsten besiedelten Regionen Europas mit einer Einwohnerdichte von ca 2 Personen pro Quadratkilometer. Die in kleinen Weilern bis weit hinauf in die Almregionen errichteten Steinhäuser verfielen und erst in den letzten Jahrzehnten kam es durch sanften Tourismus zu einer leichten Trendumkehr. Im Sommer kommen Wanderer und Mountain –Biker, letztere freuen sich über Single-Trails und über zahlreiche unter Mussolini angelegte ehemalige Militärstraßen bis in höchste Bergregionen, im Winter sind es Tourengeher, dies seit einigen Jahren zu einer fast ganzjährigen Auslastung der steigenden Zahl kleiner Albergos in liebevoll renovierten Steinhäuser geführt haben. Im gesamten Tal gibt es (mit Ausnahme eines schon seit längerem nicht mehr in Betrieb befindlichen ca. 400m langen Schleppers) keine Aufstiegshilfen, dafür unzählige Möglichkeiten für leichte, schwierige und extreme Schitouren, von denen Bruno Rosano in seinem reichlich bebilderten Tourenbuch viele vorzüglich beschrieben hat. In Pratorotondo, einem kleinen, nur mehr im Sommer besiedelten Weiler geboren, kennt er das Tal und die umgebende Gebirgslandschaft wie kein anderer.
Ich selbst habe vor ca. 3 Jahren in einer Bergzeitschrift über Schitouren im Valle Maira gelesen und war von der Kombination aus Natur, alter Kulturlandschaft, idealem Tourengebiet und piemontesischer Kulinarik gleich begeistert, schon im vergangenen Winter war eigentlich die Reise dorthin geplant, doch der 2016 praktisch völlig fehlende Schnee hatte zu einer Verschiebung auf Februar 2017 geführt. Auch heuer waren wir uns lange noch nicht sicher bezüglich des Zieles unserer Reise, doch neuerliche Schneefälle Mitte Februar veranlassten uns schließlich zur Buchung zweier Zimmer in der Locanda al Brieis in einem ca. 1400 Meter hoch gelegenen Weiler in der Gemeinde Marmora. Wir, das sind das schon in einigen Reisen bewährte Team, bestehend aus meiner Frau Sabine, Helmut „Gletscherfloh“ und meiner Wenigkeit als Chronist und Photograph.
Und so dient wie schon zwei Mal in früheren Jahren (Chamonix, Monterosa) das Haus von Freunden in Vicenza als Übernachtungsstützpunkt (herzlichen Dank!), und am 17. Februar erblicken wir von einer der Autobahnen in der Po-Ebene erstmals seit 2 Jahren wieder den Monte Viso in gleißendem Sonnenlicht. Zwar liegt der letzte Neuschnee schon eine knappe Woche zurück, aber für die nächsten Tage ist ein stabiles Hoch vorausgesagt und wir hoffen durch die Weitläufigkeit des Gebiets noch auf ein paar gute Pulverhänge, jedenfalls aber auf tolle landschaftliche Eindrücke und auf gutes italienisches Essen.
Dronero ist ein lokales Zentrum zwischen Talausgang und Po-Ebene, von hier aus geht es dann auf einer schmalen und kurvenreichen Straße hinein ins Valle Maira. Während die Talstraße ja noch zweispurig und relativ gut befahrbar ist, winden sich die Zufahrten in die Nebentäler (und damit zu den Ausgangspunkten der Schitouren) oft spektakulär über steile Hänge und durch Schluchten, sind über lange Abschnitte nur einspurig befahrbar, Tunnel und Galerien erhöhen den ästhetischen Reiz und die sichtbaren Folgen von häufigem Steinschlag den Nervenkitzel.
In einem der kleinen Talorte verlassen wir die Hauptstraße, da wir ein Hinweisschild auf einen Lebensmittelladen erblicken und noch ein paar Kleinigkeiten einkaufen wollen. Der Laden findet sich dann auf einem typischen verschlafenen Hauptplatz mit Kirche neben einer kleinen Bar. Wir kaufen ein und setzen uns dann noch in die Sonne auf die bereitstehenden Plastikstühle und der Greißler wechselt die Rolle und kommt nun aus der Bar und bringt uns die bestellten Getränke und Panini. Richtig gemütlich ist es, so soll ein Schiurlaub in Italien beginnen!
Bei Ponte Marmora verlassenen wir das Haupttal und eine vergleichsweise kurze Schluchtpassage und dann eine Galerie bringt uns zu einer Straßengabelung, rechts ginge es über Canosio in das Hochtal von Preit, wir halten uns aber links, passieren den Weiler von Caeglio (mit der empfehlenswerten gleichnamigen Pension und der ebenfalls sehr netten Locanda La Marmu) und zweigen dann von der „Hauptstraße“ nach links ab, um gegen 15 Uhr bei strahlendem Sonnenschein in Brieis anzukommen, einem kleinen Ensemble aus Steinhäusern, manche verfallen, einige wurden aber mit viel Detailliebe renoviert und bieten als „Locanda al Brieis“ ca. 12 gemütliche Zimmer (jedes mit eigenem offenen Kamin) für Besucher des Valle Maira an.
Im zentral gelegenen Gebäude findet sich ein kleines Restaurant, in dem wir in den nächsten Tagen wirklich hervorragend bekocht werden sollten, auch gibt es eine holzbefeuerte Sauna in einem großen Fass, ein ebenfalls holzbefeuertes Whirlpool und eine Salzgrotte.
Wir beziehen unsere vorläufig bis Mittwoch gebuchten Zimmer (jedes nach einem Berg benannt, unseres nach dem vom Fenster aus gut sichtbaren „Monviso“), im Kamin prasselt bereits ein nettes Feuer.
Dann setzen wir uns aber noch ein Stündchen in die Sonne, genießen den Ausblick in die umliegenden Berge und besprechen die Tourenpläne der nächsten Tage.
Insgesamt werden es sieben Touren-Tage sein, die wir erleben werden, zumindestens zwei von uns, denn für mich sind es letztlich nur sechs Touren geworden. Alle von der Charakteristik ziemlich unterschiedlich, gemeinsam aber waren landschaftlich überwältigende Eindrücke, die mich auch zu entsprechend vielen Bildern motiviert haben.
18.2.17
Monte Bodoira 2746m
Für den ersten Tag entscheiden wir uns für einen Berg in der Nähe, den Monte Bodoira, 2746m hoch und – wie sich im Laufe des Tages herausstellt, nicht nur 1200 Meter oberhalb, sondern auch ziemlich in der Horizontalen vom Ausgangsort entfernt. Nur ca. 15 Minuten dauert die Fahrt, zunächst hinunter nach Caeglio, dann durch das ebenfalls ganzjährig bewohnten Dorf Canosio hinauf ins Hochtal von Preit di Canioso, 1541m, wo sich einer der typischen Startpunkte für Schitouren im Valle Maira findet. Vielleicht 30 PKW haben Platz auf einem Parkplatz wie diesem:
Wie bei den meisten Touren im Valle Maira passiert man zunächst eine Kulturlandschaft mit Almwiesen und niedrigen Laubbäumen. Noch ist es leicht bewölkt, aber es klart zusehends auf.
Immer wieder geht es vorbei an alten Steingebäuden in unterschiedlichen Erhaltungsstadien.
Wir verlassen den Talgrund und halten uns am linksseitigen Hang, bald kommen wir in den für die Region typischen schütteren Lärchenwald.
Bei den 3 fast gleich hohen Gipfeln in der linken Bildhälfte handelt es sich um eines der Wahrzeichen des Tals von Preit, um Le tre Punte.
Immer wieder Zeugen früherer und fallweise noch aktueller Bewirtschaftung.
Langsam gewannen wir an Höhe.
Langsam kommt das erste Zwischenziel des heutigen Tages in Sicht, der Passagio del Preit.
„Sind wir auch wirklich richtig?“
„Ja!“
Der Passagio del Preit stellt den Übergang zur Gardetta-Hochebene dar und vermittelt uns einen absoluten „WOW-Effekt“: hier wandelt sich das Landschaftsbild schlagartig, man hat plötzlich das Gefühl, sich im Hochgebirge einer wahrlich weltabgeschiedenen Gegend zu befinden
Am Rande dieser Hochebene befinden sich auch die „Dolomiten“ des Valle Maira.
Der Kamm, in dem sich unser Gipfel befindet, hüllt sich noch in Wolken.
Zeit für eine Trinkpause
Langsam durchschreiten wir eine Märchenlandschaft.
Blick zurück
konteplatives Voranschreiten bringt den Horizont langsam näher, die letzten Wolken verschwinden, rechts ist unser heutiges Ziel zu sehen, der Monte Bodoira.
Hinter uns kommt auch der Monte Viso ins Bild.
Noch mit „Schal“, wie Sabine meint.
Auch wenn die Sonne scheint, der Schnee glänzt und die Landschaft toll ist, schön langsam zieht es sich.
Dafür legt auch der Monte Viso seinen Schal ab.
Und wir erreichen endlich den Gipfelaufbau. Hier müssen wir für ein paar Schritte die Schi abschnallen.
Der breite Gipfelkamm verbindet Süd- und Nordgipfel.
On Top of the World….
Leider ist es zu kalt und zu windig für eine Pause, daher tragen wir unsere Jause wieder hinunter. Dafür entschädigt der Schnee, in Nordlage alter aber trockener Pulverschnee, teilweise etwas vom Wind gepresst, aber gut zu fahren. Für die Abfahrt wählen wir nicht die Aufstiegsroute, die flacher ist und einen Gegenanstieg zum Passagio del Preit nötig gemacht hätte, sondern die westlich gelegene Normalroute.
Bei der Abfahrt haben wir den Monte Viso im Blick.
Rückblick
Der Spätnachmittag macht einfach schönes Licht.
Der Schnee wird zunehmend harschiger, je weiter wir nach unten kommen.
Den steilen Hang unterhalb der Tre Punti können wir auf einer Straße überwinden, der unterhalb gelegene Südost-Hang aber bringt Bruchharsch der übelsten Sorte und ist für uns praktisch unfahrbar. Mit „gotischen Schwüngen“ (Spitzkehren) quälen wir uns nach dieser doch sehr langen Tour mühsam hinunter zum Talboden, um dann endlich wieder halbwegs entspannt flach hinaus nach Preit zu gleiten. Alles in allem ein landschaftlich tolles Erlebnis mit im oberen Bereich durchaus guten Schneebedingungen, aber nach Ende der Tour gegen halb fünf waren wir alle drei „rechtschaffen müde“ und freuten uns schon sehr auf Dusche, Abendessen und Bett.
wird fortgesetzt