Tessin: Regen und Sonne
Entscheidungen auf Skitrips sind eigentlich grundsätzlich schwierig zu treffen. Zumal die Opportunitätskosten so hoch sind. Fahre ich in Gebiet A entgeht mir Gebiet B – und das obwohl dort vielleicht die Bedingungen an diesem Tag besser gewesen wären. Zu allem Übel hat man bloß unvollständige Informationen, die meist über Bruchstücke nicht hinausreichen, wobei das Informationsdefizit für Freerideinteressierte generell noch um Vieles größer ist als für Pistenfahrer. Für die Beschäftigung mit derartigen Problemen – also dem optimalen Entscheidungskalkülen und –verhalten bei unvollständiger Information – haben Leute schon den Nobelpreis für Wirtschaftwissenschaften erhalten!
Nun, vor diesem Problem standen wir während unserer Skireise dauernd – man kann also sagen, wir betrieben quasi angewandte Wissenschaft. Wie gingen wir also am Nachmittag nach unserem San Bernardino Trip mit diesem Problem um? Zunächst einmal kamen wir auf eine sehr nahe liegende Lösung: wir verschoben die Entscheidung einfach. D.h. wir fuhren mal los nach Airolo. Kalkül dahinter war, dass wir dann dort immer noch entscheiden könnten, wie es weitergeht (liegt ja praktisch mitten in der Schweiz) und auch bequem zwischen der Alpensüd- und der –nordseite wechseln könnten.
Als wir dann – bei mittlerweile leichtem Schneefall – Airolo erreichten, entschieden wir uns dann endgültig für Andermatt, v.a. da wir uns dort stärkeren Schneefall und wegen der Höhenlage noch mehr Winterfeeling erwarteten. Es war zwar nicht der erhoffte „tiefste“ Winter, der uns an der Nordrampe des Gotthardtunnels erwartete, dennoch ist die Auffahrt durch die enge und felsige Göschenenschlucht nach Andermatt im Urseren immer wieder ein Erlebnis. Im Hochtal angekommen bezogen wir dann – nach kurzer, etwas irritierender Quartiersuche (es waren zwar alle bzw. die meisten Hotels und Gasthöfe mehr oder weniger leer, aber ebenso war die Bereitschaft neue Gäste einzuquartieren begrenzt ) fanden wir dann im Hotel zur Burg – unterhalb der Turmruine der alten Talvogtburg Hospental – Unterschlupf.
Gegen Abend hin wurde dann der Schneefall stärker, was in uns natürlich große Hoffnungen hervorrief. Umso größer dann am nächsten Morgen die Enttäuschung: Regen und überhaupt alles grau in grau. Hier kommt wieder das oben angesprochene Entscheidungsproblem ins Spiel: was tun? Letztlich fuhren wir mal rüber nach Airolo. Vielleicht hielt der Alpenhauptkamm ja die größten Grauslichkeiten zurück und das Wetter wär dort wenigstens für einen Pistentag gut genug?
Dem war allerdings nicht so. Auch in Airolo das gleiche Bild. Grau in Grau und die Schneefallgrenze lag sichtlich weit oben.
Die nächste Option war dann Cari – noch etwas weiter südlicher gelegen. Aber auch dort noch immer Regen (und später erfuhren wir dann, dass Cari nur noch Wochenendbetrieb gehabt hätte). Nach einigen Kilometern weiterer Autobahnfahrt Richtung Süden dann der erste Lichtblick (im wahrsten Sinne des Wortes): Blauer Himmel zeichnete sich am „Horizont“ südlich von uns ab. Und mit dem Monte Tamaro hatten wir auch schnell ein lohnend erscheinendes Skigebiet da unten ausgemacht. Mit jedem Kilometer südlicher besserte sich nun das Wetter und bald fuhren wir bei strahlendem Sonnenschein Richtung Bellinzona.
Die schöne Umgebung machte die Fahrt sehr kurzweilig und Rivera – der Ausgangspunkt des Skigebietes am Monte Tamaro - war bald erreicht.
Der Anblick der noch immer tief verschneiten Berge oberhalb der grünen und blühenden Täler ließ einen aussichtsreichen Pistentag versprechen.
Aber Hoppala. Damit hätten wir nun nicht gerechnet, was für ein Anfängerfehler. Die Leere des Parkplatzes und das Fehlen von Gondeln am Tragseil deuteten bereits auf das Schlimmste hin. Zufällig war eine Liftangestellte im Büro der Talstation und klärte uns freundlich auf: das Skigebiet Tamaro ist bereits seit fünf Jahren außer Betrieb und die Seilbahn hat nur noch Sommerbetrieb (der in einer Woche einsetzen würde …). Nach kurzen Recherchen der freundlichen Dame wurde dann klar, dass keines der Gebiete im Umkreis mehr Betrieb hatte. Nun hatte wir allerdings erst Recht ein Entscheidungsproblem bis Gerrit dann den Vorschlag eines Ausflugs nach Lugano machte.
Talstation und Trasse
Gondeln im Winterschlaf
Dort angekommen genossen wir dann einen kleinen Fotographierrundgang an der Seepromenade, der mit einem Espresso auf einer Terrasse mit See- und Bergblick würdig abgeschlossen wurde.
Bei der Heimfahrt zum – noch immer regnerischen – Alpenhauptkamm trösteten wir uns mit den inzwischen Hoffnung machenden Wetterprognosen für den morgigen Tag und interessanten Reportagen des Schweizer Rundfunks über die „Lex Koller“ und deren Implikationen für einige laufende Schweizer Tourismusprojekte.