PrologAls Ende Januar unser diesjähriger Winterurlaub bevorstand, war der Fokus auf die üblichen Reisebeschwerlichkeiten gerichtet. Da gab es zum Beispiel vereinzelte Meldungen wie die des kurz bevorstehenden, möglicherweise den Flugverkehr lahmlegenden Vulkanausbruches in Island. Auch ein Streik der Flugbegleiter war - so glaube ich mich erinnern zu können - im Bereich des Möglichen. Und natürlich ging es bereits um das Corona-Virus, gerade erst hatten sich einige Mitarbeiter eines Automobilzulieferers bei München infiziert und die USA verhängten ein Einreiseverbot für Reisende aus China. Kein Vergleich zur aktuellen Situation natürlich, aber schon auf eine gewisse Weise beunruhigend. Im internationalen Reiseverkehr waren zu dieser Zeit kaum Schutzmasken zu sehen, auch wenn die Apotheken diesbezüglich bereits ausverkauft waren. Am Flughafen bekamen wir noch die einfachste Variante, die allerdings mehr die Gedanken als die Schleimhäute schützen würde.
Mittlerweile scheinen sich die Menschen an das social distancing und gewisse Verhaltensregeln zu gewöhnen, im Januar wurden die Viren noch mit unbändigen Freude unter den Menschen verteilt. Wir standen an der Passkontrolle in Frankfurt, als ein älterer Herr vor uns mehrfach ungebremst in die Menge nieste. Es sollte nicht das letzte Mal sein. Im Flieger angekommen, versuchten wir uns nicht über das asiatisch aussehende, mit hochwertigem Mundschutz ausgerüstete Paar schräg hinter uns zu wundern (leider kann man sich gegen die schnellen Assoziationen im Gehirn oftmals kaum wehren) und nahmen irgendwann auch die erkälteten Mitreisenden in der lange Schlange vor der Einreisekontrolle nach der Ankunft nicht mehr wahr. Tatsächlich hatten wir uns erneut für einen Skiurlaub in den USA entschieden. Auch wenn es mir nicht mehr liegt, eine von so vielen Unsicherheiten (Wetter, Gesundheit, äußere Umstände) geprägte Reise zum Skifahren auf mich zu nehmen, war das Verlangen nach „the greatest snow on earth“ größer als die Angst, am Ende mit einem grippalen Infekt die Pisten vom Hotelzimmer aus beobachten zu können, durch einen Wintersturm den Rückflug zu verpassen oder wegen eines internationalen Flugverbots irgendwo zu stranden (wie wir nun wissen, wären wir sogar in der aktuellen Lage noch „irgendwie“ nach Hause gekommen). Was heute Realität ist, hätten wir uns vor wenigen Wochen nicht einmal vorstellen können.
Die komplett ausgebuchte 747-400 der Lufthansa brachte uns somit relativ entspannt nach Denver. Die Ski blieben daheim, da das pro Set für Hin- und Rückflug anständige 500 Euro gekostet hätte. So spielte ich mehrere Optionen durch und entschied mich am Ende für Leihski vor Ort. Zwei Wochen in der teuersten Kategorie lagen bei ca. 180 Euro. Leider entspricht in den USA oftmals selbst die teuerste Kategorie einer eher durchschnittlichen Qualität. So war es auch dieses Mal. Ich hätte gerne direkt vor Ort reklamiert, jedoch war der Mitarbeiter im Sportgeschäft ordentlich erkältet und ich hatte keine Lust auf eine erneute virale Druckbetankung. Daher entschied ich mich für einen Skiservice zu einem späteren Zeitpunkt.
Es war relativ warm, als wir aus dem von
Verschwörungstheorien geprägten Flughafengebäude traten und uns auf den Weg zum Shuttlebus machten. Wäre im Bus nicht die Heizung statt der üblichen Hochleistungsklimaanlage gelaufen, wir hätten uns bei der Jahreszeit vermutlich um einige Monate verschätzt. Immerhin gab es einen schönen Sonnenuntergang mit dem hier üblichen Panorama der Berge Colorados zu beobachten. Die Abholung des Wagens verlief schnell und problemlos, unser Standardhotel lag nur wenige Minuten entfernt und auch das Abendessen bei Panera Bread war keine große Überraschung. Verrückt war allerdings, dass im Hotel die Klimaanlagen liefen, da die Zimmertemperatur mitten im Winter bei 23 °C lag. An einen ruhigen Schlaf war also leider nicht denken.
Wie immer waren wir schon gegen 5 Uhr wach und bereits um 6 Uhr beim Frühstück. Eine Gruppe von Geschäftsleuten hatte das Buffet in Beschlag genommen und verteilte, leider schon wieder, mit triefenden Nasen ihre Viren. Wie schon am Vortag im Flughafen, war es irgendwann nicht mehr möglich, sich von jeder Person fernzuhalten. Dennoch hatte ich es so extrem bisher noch nicht erlebt. Es gab also eine schnelle Runde Bagel, Cereals, Joghurt sowie kiloweise Mandarinen, ehe wir uns auf den Weg in die Innenstadt machten, um die Ski abzuholen. In der Nähe des Skiverleihs gab es ein Natural Grocers, wo wir uns wie gewöhnlich mit Lebensmitteln für den Trip eindecken. Für heute waren 22 °C angekündigt. Allgemein war die Schneelage bis zu dem medial durch die massiven Warteschlangen in Vail bekannt gewordenen
Powder-Mittwoch in Colorado eher dürftig. Dagegen waren Teile von Utah geradezu verwöhnt, es zog ein Sturm nach dem anderen über die Wasatchkette hinweg und sorgte für den bekannten Pulverschnee. Noch weiter nördlich - und auch auf unserer Agenda - wurde die Lage etwas schwieriger, aber immer noch besser als in einigen Teilen der Alpen.
Wir ließen Denver hinter uns und begannen die ca. achtstündige Fahrt nach Wyoming, wo wir am frühen Abend in Jackson angekommen wollten. Sollte es sich ausgehen, würden wir tags darauf einen halben Skitag in
Jackson Hole einlegen. Allerdings war die Wettervorhersage tendenziell nicht gut - je nach Sichtweise des Skifahrers natürlich. Von Jackson würden wir noch mind. viereinhalb Stunden im Auto sitzen, um zu unserem eigentlichen Ziel für die erste Woche zu gelangen - Sun Valley, Idaho. Diese Fahrt könnte man aber gut unterbrechen, um in einem kleinen Skigebiet in Idaho einen seltenen Sessel zu besuchen. Aber alles der Reihe nach.
Irgendwo auf dem Weg machten wir, nachdem wir den Großraum Denver hinter uns gelassen hatte und sich die Interstate zusehends leerte, einen kurzen Zwischenstopp bei der grün-weißen Meerjungfrau. Ein kleines Sandwich in der Sonne, es fühlte sich an wie Mai oder Juni. Zwei Mädchen sammelten mir Ihren Eltern Spenden für ein Schülerprojekt, aber mangels Bargeld konnten wir dabei nicht unterstützen. Tatsächlich ist Bargeld fast nicht mehr notwendig, selbst Kleinstbeträge werden problemlos bargeldlos bezahlt. Wir heben schon einige Zeit nur noch in Ausnahmefällen Geld am ATM ab, im letzten Sommer hätten wir es theoretisch ganze vier Woche ohne die labbrigen Scheine ausgehalten.
Einen weiteren Zwischenstopp legten wir etwas später bei einem kleinen Thai-Restaurant in Laramie, WY ein. Wenn man nicht jeden Tag Eier in allen möglichen Zustandsformen essen möchte, sind die asiatischen Restaurants immer eine sichere Bank für vegetarisches Essen - vorausgesetzt man bekommt die Gerichte ohne die weit verbreitete „fish sauce“. Auch gibt es hier mittags, sofern geöffnet, normale Hauptspeisen. In den USA wird sonst eher abends warm gegenssen und mittags bekommt man vielfach nur ein „all day breakfast“ oder ein Sandwich.
Im Anschluss an das Mittagessen stand uns nun der unangenehme Reiseabschnitt bevor. Auf den weiten Ebenen zwischen Laramie und Rock Springs nutzte der Wind jede Gelegenheit, den Schnee auf die I-80 zu befördern. Wir hatten dabei noch Glück, denn die nördlichen Fahrspuren waren nur abschnittsweise und eher geringfügig betroffen. Auf der südlichen Seite sorgte der Schnee allerdings für massives Verkehrschaos. Mehrere Trucks gerieten ins Schlingern und landeten in den überdimensionierten Grünstreifen, die die beiden Fahrspuren voneinander trennen und die sonst nur von der Highway Patrol zur Überwachung genutzt werden. Dennoch war die Fahrt maximal anstrengend und ich mehr als froh, als wir für eine kurze Pause an einer großen, von Truckern geprägten Tankstelle stoppten. Hier kommt man noch nicht auf den Gedanken, für den Toilettenbesuch Geld zu verlangen - zumindest nicht von Kunden. Auch sonst fühlte es sich an wie immer. Ein Trucker erkundigte sich nach Messern zur Selbstverteidigung, die Kinder wühlten sich durch unzählige Regale mit Zuckerbomben und im Hintergrund hämmerte eine alte Klimaanlage vor sich hin. Wer konnte, machte Pay-At-Pump, alle anderen legten ebenjene labbrigen Scheine auf den Tresen, meistens die eher kleinen Nennwerte. Alles irgendwo im Bereich des notwendigen Wahnsinns der Welt auf der anderen Seite der Glasscheibe, wo ein kultiger Ford-Pickup parkte, der auch schon bessere Zeiten gesehen hatte.
Der letzte Teil der Route bis nach Jackson verlief einigermaßen entspannt. Im Ort selbst wurde bereits auf mobilen und stationären Anzeigesystemen vor dem bevorstehenden Sturm gewarnt. Auch die Temperatur hatte sich mittlerweile in einem wintertauglichen Bereich eingefunden. Wir entschieden uns aufgrund des Jetlags und der fortgeschrittenen Zeit für ein schnelles Abendessen im Zimmer, nachdem das Hab und Gut über den komplett vereisten Parkplatz gebracht worden war. Obwohl wir uns für ein „besseres“ Hotel entschieden hatten, war die Zimmerdecke mal wieder so dünn, dass wir jede Bewegung der Gäste über uns verfolgen konnten.
Am nächsten Morgen war der Schalter von Frühling auf Winter umgelegt. Das würde interessant werden, wenn wir mit den Allwetterreifen des Mietwagens die knapp 420 km in Angriff nehmen würden. Beim Blick aus dem Fenster war klar, dass der
Teton Pass für uns ohne Ketten keine Option sein würde und wir einen kleinen Umweg fahren müssten. Auch hingen die Wolken so tief, dass es sich nicht lohnen würde, $170 für zwei Stunden Skifahren in Jackson Hole zu bezahlen. Aber das war eine stark subjektive Entscheidung, andere hätten angesichts des Neuschnees und der eher geringen Frequentierung an einem Montag dafür vielleicht das Doppelte hingelegt. Eine Alternative wäre das kleine Gebiet
Snow King direkt in Jackson gewesen, dass allerdings erst um 10 Uhr öffnen sollte. Wir sind trotzdem noch kurz zum Parkplatz von Jackson Hole gefahren, aber die Pendelbahn verschwand bereits kurz nach der Talstation in den Wolken und auch die Webcams versprachen eher wenig Sicht.
Wir hatten eine weitere, tendenziell eher schlaflose Nacht hinter uns. Der Alltagsstress war noch nicht ganz vergessen, der Jetlag dieses Mal stärker auf den Schlafrhythmus einwirkend und die Meldungen aus China weiterhin beunruhigend. Beim Frühstück war ich froh, nicht direkt vom Stuhl zu rutschen und auf dem Boden einzuschlafen. Ein
cold brew und ein kurzer Abstecher nach draußen brachte mich wieder auf die Beine - der Ort war wie leergefegt, der Schnee kaum geräumt. Auch der Parkplatz war nicht geräumt, aber irgendwie brachte ich den Wagen auf die Straße. Nach dem kurzen Abstecher nach Jackson Hole machten wir uns auf den Weg in Richtung Idaho. Kurz hinter Jackson waren wir alleine unterwegs, die Highways aber auch kaum geräumt. Maximal eine Fahrspur wurde freigemacht, allerdings ganz ohne den Einsatz von Salz. Da die Straßen so breit waren, war es auch vorerst kein Problem. An der Grenze zu Idaho wurde der Belag dann plötzlich matschig-schwarz, hier gab es wohl eine andere Strategie beim Räumen und wir waren froh, auf der gesalzten Fahrbahn besser voranzukommen.
Irgendwo in Wyoming
Das kleine Skigebiet am Ende einer nicht geräumten Straße erreichten wir um 11 Uhr, die Lifte sollten ab 13 Uhr laufen. Leider hatte auch die Lodge noch nicht offen. Zum Glück gab es weiter unten eine kleine Pizzeria, die tatsächlich schon geöffnet war. An einer offenen Feuerstelle ließ es sich bis zum Liftstart aushalten...
FF