3303 hat geschrieben:
Wirklich sehr sehr schön.
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Eine Frage noch bezüglich Schneebrettern.
Ist es so, dass, je länger der letzte Schneefall zurückliegt das Risiko von Nasschneerutschen tendenziell immer weiter zurückgeht, während sich der Schnee mit zunehmendem Alter immer mehr verfestigt, bis es im Frühsommer quasi gleich null ist?
Schneebrettlawinen sind meist trockene Lawinen, wo gebundener Schnee (z.B. durch Wind) aufgrund zu geringer Scherfestigkeit (z.B. die gebundene Neuschneedecke hat auf einer glatten Altschneedecke zu wenig "Halt") als Lawine abgeht. Leicht zu erkennen aufgrund des kantigen, scharf umrandeten Anriss. An sich gibt es auch "nasse" Schneebrettlawinen (z.B. wenn es in eine trockene Schneedecke reinregnet, sich dadurch die Scherfestigkeit verringert und das Zeug dann losgeht), aber die sind deutlich seltener.
Die Gefahr im Frühjahr sind v.a. Nassschneelawinen. Durch die Erwärmung verliert die Schneedeck an Festigkeit, Wasser sickert zu Boden oder zu harten Gleitschichten etc. und es kommt zur Lawinentätigkeit. Durch einen Schmelz-/Tauzyklus kommt es immer wieder über Nach zu einer Verfestigung (Schmelzharschdeckel) und tagsüber (v.a. bei direkter Sonneneinstrahlung) zu einer verstärkten Lawinentätigkeit. Besonders gefährlich sind hier steile Grashänge, das Schmelzwasser sickert also durch die Schneedecke und bildet auf der Grasoberfläche einen "Wasserfilm", worauf die geschwächte Schneedecke zur Gänze als so genannte Grundlawine abgehen kann (im Frühjahr sieht man oft die braunen, schneefreien Lawinenstriche in ansonst noch weissen Steilhängen)
Die Situation bessert sich im Laufe des Frühlings aber immer mehr, und zwar aufgrund verschiedener Ursachen:
* je mehr Lawinen bereits abgegangen sind, desto weniger Masse an potentiellen Schnee gibt's natürlich im Einzugsbereich - viele Nassschneelawinen folgen ja "vordefinierten" Lawinenstrichen und irgendwann ist ja alles herunten
* Auslöser für Nassschneelawinen können vielfach auch Wächten sein. Diese verlieren durch die Erwärmung selbst an Stabilität und brechen ab. Je weiter der Frühling voranschreitet, desto mehr dieser Wächten verschwinden und fallen als Gefahrenquelle aus.
* die Schneedecke wird durch Schmelzen immer weniger bzw. verschwindet. Gefährlich sind im Frühjahr ja oft die steilen Flanken, z.B. von tief eingeschnittenen V-Tälern. Süd/Ostseitige Flanken sind naturgemäss früher aper ... es können also im Skigelände oft noch gute Verhältnisse herrschen, während irgendwelche steilen Lawinenrinnen/-flanken bereits fast völlig aper sind
* die (Winter-)Schneedecke wandelt sich zunehmend aufgrund des Schmelz-/Frostzyklus. Es entsteht der typische körnige Frühjahrsschnee (im Gegensatz zu den kristallförmigen Schnee im Winter). Das ganze verdichtet sich immer weiter und wird "betonartig" (Endpunkt nach mehreren Jahren wäre dann das Gletschereis).
Im Frühsommer gibt's dann ja (unter der Gletscherregion) bald nur noch einzelne Schneezungen, schneegefüllte Mulden und Rinnen etc, die allesamt einen langen Setzungsprozess hinter sich haben. Entsprechend gering ist dann auch die Lawinengefahr.
In der Gletscherregion ist das alles natürlich etwas zeitverschoben bzw. können sich durch Kaltlufteinbrüche schnell wieder tief winterliche Verhältnisse einstellen (dann gibt's hier kurzfristig durchaus mal auch wieder die typisch winterliche Schneebrettgefahr). Meist folgt dann aber wieder rasch warmes Wetter, ein neuer Schmelz-/Frostzyklus setzt ein und stabilisiert die Schneedecke wieder (nachmittags ist man auf Gletschern im Sommer sowieso möglichst nicht unterwegs).
Am extremsten war heuer die Lawinengefahr in diesem Frühjahr sicherlich Anfang bis Mitte April, als sofort nach Ende der Winterverhältnisse eine "extreme" Wärmeperiode einsetzte und so die sehr mächtige Schneedecke auf stark besonnten Hängen rasch bis in die Tiefe destabilisieren konnte. Zu dieser Zeit wurde ja auch laufend von starker Nassschneelawinenaktivität berichtet und viele Strassen/Verkehrswege z.T. aussergewöhnlich hoch von abgehenden Lawinen verschüttet wurde.
Immerhin lässt sich die Nassschneelawinengefahr besser einschätzen als die Schneebrettgefahr. Faustregel: Solange der über Nacht gebildete Schmelzharschdeckel trägt und der Schnee nur oberflächlich aufgefirnt ist, sollte es sicher sein. Ist der Schmelzharschdeckel abgetaut versinkt man oft auch mit Ski fast wie in einem Sumpf - dann herrscht extrem hohe Gefahr und alle steileren Hänge sind absolut tabu. Durch entsprechende Zeitplanung kann man das relativ gut managen - zur Not muss man auf bestimmte gänzlich Expositionen (Ost/Süd) verzichten (wenn man z.B. die Ausgangspunkte nicht früh genug erreichen kann). Uns ist das diesen April vielfach mit Ost- und Südhängen passiert, da hätte man wohl tw. noch im Dunkeln losgehen müssen, da durch die große Wärme fast die ersten Sonnenstrahlen bereits zum Auftauen des Schmelzharschdeckels an diesen Expositionen gereicht haben.