Saas-Fee August 2002 – oder die Teleologie einer BergsteigerkarriereWeiter geht mit meinen damals nicht geschriebenen Berichten. Gut eine Woche nach unserer Eingeh-Tour aufs Zuckerhütl (
http://www.sommerschi.com/forum/reportagen-f8/zuckerhuetl-wilder-pfaff-%E2%80%93-august-2002-t4362.html) versprach die Wettervorhersage das passende Schönwetter-Hoch und wir packten die Sachen und fuhren erstmalig für sommerliche Hochtouren in die Westalpen, und zwar nach Saas-Fee.
Mischabel-Gruppe von Saas-Fee aus gesehen: Täschhorn, Dom und LenzspitzeFür die Vorgeschichte muss ich ein wenig ausholen und auch erklären, was ich mit „Teleologie einer Bergsteigerkarriere“ meine (Teleologie = Auffassung, nach der Ereignisse oder Entwicklungen durch bestimmte Zwecke oder ideale Endzustände im Voraus bestimmt sind und sich darauf zubewegen). Ich war eigentlich immer gerne in den Bergen und vor allem beim Skifahren, aber eine regelrechte Faszination wurde erst im Lauf des Sommers 1996 daraus (von „Sucht“ will ich nicht sprechen) und ab da, haben wir das auch etwas systematischer betrieben. Natürlich war ich schon zuvor auf Gipfeln über 2000 m, aber den ersten bewusst angepeilten 2000er habe ich 1997 mit dem Guffert (2196 m) bestiegen, dem erklärten Lieblingsberg meines Vaters, der natürlich bei all diesen Unternehmungen mit dabei war. 1998 waren wir dann fünf Tage im Karwendel unterwegs mit Birkkarspitze, Bettelwurf, Vomper Loch (von der Eng bis in die Eng), teilweise bei Gluthitze und in anspruchsvolleren und gesichertem Gelände. 1999 haben wir beim DAV an Pfingsten einen Grundkurs Bergsteigen im Höllental unterhalb der Zugspitze belegt und Ende Juli einen Klettersteigkurs am Elfer im Stubaital. Beides sehr hilf- und lehrreich, obwohl wir natürlich keine Anfänger mehr waren. Noch in diesem Sommer begingen wir dann Alpspitze und Zugspitze über das Höllental in einer dreitägigen Tour und Anfang September im Rahmen einer DAV-Veranstaltung als geführte Tour den Großvenediger, als meinen ersten 3000er und erste richtige Gletschertour (nach dem Höllentalferner). Nachdem die Bayerischen Voralpen und die Nördlichen Kalkalpen quasi „abgehakt“ waren, lockte nun das ewige Eis der Zentralalpen und im Jahr 2000 verbrachten wir fast eine Woche bei einem Grundkurs „Eis“ auf der Braunschweiger Hütte im Pitztal und bestiegen den berühmten-berüchtigten Linken Fernerkogel sowie die Innere Schwarze Schneid. Im Herbst diesen Jahres wagten wir uns dann selbstständig an einen großen Gipfel und bestiegen an einem traumhaften Wochenende die Wildspitze, 3774 m über die Breslauer Hütte von Vent aus. Dies zeigte uns, dass wir große Berge ohne größere anspruchsvolle Kletterpassagen und mit vertretbarer Spaltengefahr auf den Normalwegen schaffen konnten und das nächste logische Ziel waren damit die Westalpen und die magische 4000-Meter-Grenze. Im Jahr darauf, 2001, kam da nichts zu Stande, aber 2002 sollte es dann soweit sein. Wir testeten uns und Ausrüstung am Zuckerhütl, schmiedeten Pläne und fuhren frühmorgens los.
Aber warum jetzt Teleologie? Auf einem Gipfel angekommen, blickt man ja bekanntlich um sich. Vom Alpenvorland, in dem ich aufgewachsen bin, sieht man bei guter Witterung die Bayerischen Voralpen, allen voran den Wendelstein, den Hirschberg. Mir fiel es früher nie auf, aber man sieht natürlich auch die höhere, zweite Reihe, bei uns vor allem das Karwendel, mit dem oft auch im August noch weiß blinkenden Firnfeld unterhalb von Birkkar- und Ödkarspitzen (die wir im September 1999 in einer Gewalt-Tour mit City-Bikes (!) von Scharnitz aus an einem Tag begingen). Von den Voralpen-Gipfeln sieht man diese Kalkkolosse des Kaisers, Karwendels und Wettersteins natürlich umso näher und verlockender, aber der Charakter dieser Touren ist meist erheblich strenger, im Sinne von technischen und konditionellen Anforderungen. Wenn in den Voralpen 800 Höhenmeter meist leicht reichen für einen Gipfel, sind es hier dann schon 1200 oder mehr, in höherer Lage, schwierigerem Terrain etc. Und steht man auf der Birkkarspitze oder dem Großen Bettelwurf so blinken die firngekrönten, ruhigeren Gipfelformen der Zentralalpen in einen strahlend blauen Hochsommerhimmel und bieten sich als nächste, höhere Ziele geradezu an, die aber wiederum volle Eisausrüstung verlangen, Hüttenübernachtungen und/oder noch bessere Marschleistungen in größerer Höhe. Dass Berge rufe können, ist also keineswegs nur eine zu häufig gebrauchte Redensart. Dazu kommt begleitende Lektüre, etwa von Pauses „Münchner Hausbergern“ oder „100 schönsten Bergtouren“ oder „KlassischeAlpengipfel“, Messners heroische Grenzgänge, Bergklassiker wie Harrer (wie viele Alptraum-Nächte hat mir die Eiger-Nordwand beschert! Das war klar, so etwas in der Art werde ich nie versuchen, genauso wenig wie die hoch riskanten Expeditionen zu den 8000ern – so viel Realismus hatte ich mir immer bewahrt). Der Reiz war (und ist) immer der Gipfel, nicht die Kletterei als solche, die ich immer nur als Mittel zum Zweck betrachte, eben um den Gipfel zu erreichen. Bezeichnenderweise hat mich nur einmal bisher eine Kletterhalle von innen gesehen, denn das Natur-/Landschaftserlebnis draußen ist es offenbar, dass ich suche. Auf dieser quasi-geographisch vorgegebenen Leiter des „immer weiter, immer höher“ was die alpinistischen Zielsetzungen anbelangt, waren also leichte 4000er in westalpiner Umgebung mit das höchste, was realistisch selbstorganisiert zu erreichen war. Nur sechs Jahre nach dem Aufflackern und folgendem Hochlodern der Bergleidenschaft sollte dieses Ziel von uns erreicht werden.
Wir hatten gesehen: wenn man regelmäßig Touren geht (und wir hatten immer auch mal wieder „Double Feature“-Wochenenden eingelegt, also mit Touren an Samstag und Sonntag), ab und an einen Kurs belegt und nicht ganz „auf der Brennsuppn daher gschwommen ist“, wie man bei uns in Bayern sagt, dann kann man sich innerhalb weniger Jahre sehr stark steigern und verbessern, was Technik, Kondition, Erfahrung und damit Selbstvertrauen in alpiner aber auch außer-alpiner Hinsicht anbelangt – ich war ja in meinen späten Teenager-Jahren wo man ohnehin über Energie und Kraft ohne Ende ohne besonderes Training verfügt.
Wir kannten Saas-Fee vom österlichen Ski-Urlaub 1993 der durch häufigen Neuschnee und entsprechend notwendige Lawinensprengungen und vorhergehende Sperrungen geprägt war. Diesmal fuhren wir nicht übers Schweizer Mittelland und den Autoverlad ins Wallis, sondern ab Bodensee über die N3 nach Graubünden, das Vorderrheintal bis ans Ende, über den Oberalppass nach Andermatt, dann weiter über den Furkapass (mit Blick zum Finsteraarhorn? Auf jeden Fall sieht man von dort gewaltige Urgesteinsriesen) ins Goms, voller beschaulicher, augenscheinlich wenig vom Tourismus veränderter Ortschaften mit sonnenverbrannten Holzhäusern und teilweise sogar noch Getreideanbau.