6. Januar – Sarn-Heinzenberg – Frühlingssonne
Unser letzter Urlaubstag bricht an. Zum ersten Mal bin ich völlig unschlüssig, wohin es gehen soll. Auf dem Weg nach Hause soll das Gebiet liegen, genügend Schnee bieten und nicht überlaufen sein. Vor allem das Kriterium „genügend Schnee“ scheint nicht so leicht erfüllbar. Zumindest groß muss das Gebiet nicht sein, für einen halben Tag reichen mir auch wenige Lifte.
In die engere Wahl kommen schließlich Chur, Tschiertschen und die zwei Gebiete am Heinzenberg bei Thusis unterhalb der Viamala. Erst in Thusis fällt die Entscheidung für Heinzenberg. Nicht unschuldig daran sind der strahlende Sonnenschein und die bis ins Tal leicht überzuckerte Landschaft, die uns das Gefühl gibt, dass der Schnee auch unterhalb von 2000 Metern schon irgendwie zum rumrutschen reichen wird.
Wirklichen Plan habe ich nicht. In Splügen gab es natürlich nur Prospekte von der Ferienregion Viamala, nicht aber von anderen Skigebieten Graubündens. Im Skiatlas taucht Heinzenberg auch nicht auf und der Winterprospekt von Graubünden liegt daheim im Schrank. Ich weiß nur, dass es zwei nicht verbundene Skigebiete gibt, eines mit Sesselbahn und eines nur mit Schleppliften, eines mit vier Liften und eines mit zwei. In welcher Kombination weiß ich leider nicht mehr.
Als an einer Abzweigung die Entscheidung ansteht, links zu den Schleppliften, rechts zum Sessellift, fällt die Wahl spontan auf den Sessellift. In weiten Serpentinen windet sich die gut ausgebaute Straße die sonnigen Osthänge mit herrlicher Aussicht aufs Domleschg hinauf, vorbei an Weilern in beneidenswerter Lage. Die dünne Schneedecke am Straßenrand wird allerdings mit zunehmender Höhe nur wenig dicker, wenn das kein Reinfall wird.
Der Parkplatz an der Doppelsesselbahn, die ins Skigebiet führt, ist erstaunlich gut belegt; auf der Rodelbahn findet gerade ein Rennen statt. Die letzten Pistenmeter grüßen bereits mit großen braunen und grünen Flecken, die Mittagssonne setzt der dünnen Schneeschicht deutlich zu. Die nächste Ernüchterung folgt beim Blick auf den Pistenplan. Das Skigebiet mit der Sesselbahn war also das mit nur 2 Anlagen. Zumindest soll der Schlepplift, der die zweite Sektion bildet ganze 6 Pistenvarianten erschließen und beide Lifte zusammen über 3 Kilometer lang sein. Wahrscheinlich maßlos übertrieben, aber die Halbtageskarte kostet nur 20 Franken (Angabe ohne Gewähr!) und für ein anderes Ziel ist es sowieso schon zu spät. Dass am Pistenplan mit „steinfreiem Gelände“ geworben wird, hört sich doch auch gut an, also auf zum fröhlichen Grasskifahren!
Das übersichtliche Skigebiet.
Gleich beim Einstieg in den Sessellift die ersten Überraschungen. Die Pappkärtchen (Skipässe) kontrolliert auch hier niemand, mangels Drehkreuz betätigt ein Liftwart bei jedem Einsteiger einen Zählapparat, unterteilt in die Kategorien Skifahrer, Snowboarder und Rodler. Der zweite Angestellte hilft falls nötig beim Einsteigen und schreibt gelegentlich mit Kreide etwas auf eine ominöse Tafel, deren Sinn mir nicht so ganz klar wird. Offensichtlich ist darauf aber der schematisch der Lift abgebildet, ganz unten steht 121 = Chaostag
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Talstation der DSB
Die Auffahrt durch den angezuckerten Winterwald dauert fast 20 Minuten, für Abwechslung sorgt eine Open-Air-Kunstausstellung in der Liftschneise. Über Kunst kann man natürlich geteilter Meinung sein, aber die Idee finde ich interessant, mal etwas ganz anderes.
Im oberen Teil der Auffahrt schweift der Blick über die endlos weiten, sonnigen Hänge. So schlecht sehen die Pistenverhältnisse gar nicht aus, auch wenn an vielen Kanten Erde oder Gras zum Vorschein kommen. Anspruchsvolles Gelände sucht man hier sicherlich vergeblich, reines Genussskifahren ist angesagt.
Bergstation der DSB
Als erste Abfahrt wählen wir die Waldpiste rechts der Sesselbahn zurück ins Tal. Gleich die nächste Überraschung: Selbst jetzt um 12 Uhr sieht die Piste noch völlig frisch präpariert aus, auch die Trassierung der Piste mit vielen Kuppen und schmalen Waldschneisen kann begeistern. Im unteren Teil wird es zwar etwas erdiger und vegetationsreicher, Steine treffen wir aber tatsächlich keinen.
Start zur ersten Abfahrt um 12 Uhr mittags.
Endgültig begeistert bin ich nach den ersten Fahrten mit dem langen Schlepplift oberhalb der Doppelsesselbahn. Schon der Lift ist Kult. Am Einstieg sitzt der Liftwart auf einem alten Bürostuhl mit Rollen im Schnee, die Federn sind so stark, dass es auch Erwachsene gelegentlich leicht anlupft und die Trasse ist teilweise echte Handarbeit.
Der Schlepplift
Optisch sehen zwar manche Pistenabschnitte nicht mehr schön aus, gut zu fahren sind sie mit etwas Vorsicht aber alle. Die angegeben fünf Varianten sind nicht übertrieben, Kombinationsmöglichkeiten gibt es sogar noch mehr. Kuppen, Kurven, Wellen, kurze steile Passagen, Schussstrecken, es ist alles da, was Spaß macht. Bis zum Ende finden wir frische Pistenwalzenspuren, lockeren Pulverschnee ebenso wie frühlingshaften Firn und Sulzschnee. Dazu ein weites Panorama und glitzernder Schnee, einfach herrlich.
Obwohl der Lift teilweise gut ausgelastet ist, verlaufen sich die Skifahren auf den vielen Pistenvarianten sofort. Hier gibt es viel Platz für jeden, auch im Tiefschnee. Der ist mehrere Tage nach dem letzten Schneefall noch immer teilweise unverspurt und erstaunlich gut zu fahren, teilweise sogar noch ganz locker.
Eine lange Traverse mit einigen kleinen Anstiegen führt von der Bergstation hinüber zur Parsiras-Hütte fernab der Lifte, von der man zwischen Waldstücken und Holzhütten wieder zur Talstation der Sesselbahn abfahren kann. Hier unten ist die Schneeauflage zwar alles andere als üppig, gemeine Steine fehlen aber fast völlig.
Abfahrt zur Talstation
Ich könnte ewig schwärmen, mangels unterstützendem Bildmaterial (jaja, die volle Speicherkarte) komme ich aber doch zum Ende. Nach der letzten Auffahrt stapfen wir noch die wenigen Höhenmeter hinauf zum Kamm und genießen die herrliche Nachmittagsstimmung und die Aussicht ins wilde Safiental, hinunter zur Ruin Aulta des Vorderrheins und hinüber nach Flims.
Die letzten Stützen des Schlepplifts an der Bergstation
Blick von der Bergstation des Schlepplifts übers Skigebiet
Blick übers Safiental nach Flims, ganz unten die Vorderrheinschlucht
Die Sackgasse Safiental
Im warmen Nachmittagslicht schwingen wir hinunter ins Tal, gegen Ende erinnert vieles an die letzte Abfahrt im Frühling. Unser winterliches Intermezzo ist vorbei, bei der Heimfahrt sind spätestens in Reichenau an der Mündung von Vorderrhein und Hinterrhein die letzten Schneereste verschwunden. Die Erlebnisse der letzten Tage kann uns aber keiner nehmen.
Ich kann es aber nicht lassen, noch ein abschließendes Statement zum Skigebiet Sarn-Heinzenberg abzugeben. Klar, anspruchsvolles Gelände sucht man hier vergebens. Aber das Gebiet hat einfach Atmosphäre, ist ideal für Familien mit Kindern oder einfach für einen schönen Nachmittag. So sanft die Pisten auch sind, langweilig wird es dennoch nicht. Und die Möglichkeiten für Tiefschneeabstecher sind fast unbegrenzt. Nur bei stumpfen Schnee oder hüfttiefen Powder wird es wohl wirklich zu flach. Skifahren auf sonnigen Naturschneepisten (keinerlei Kunstschnee), dass geht nur bei diesem Untergrund und der geringen Frequentierung.Im Frühjahr apern die Hänge, die von morgens bis abends in der Sonne liegen, zwar sicher sehr schnell aus, viel Schnee braucht es aber gar nicht für ansprechende Pistenverhältnisse.