Es war einmal – und es war einmal schön….
Höhenschigebiet Reißeck - Ein NachrufZwischen 1950 und 1961 wurde im Kärntner Mölltal oberhalb von Kolbnitz ein ausgedehntes Kraftwerkssystem gebaut, das aus dem Jahresspeicherwerk Reißeck, den Tagesspeicherwerken Reißeck und Kreuzeck und einigen kleineren Speicherwerken besteht. Vor allem auf der Reißeck-Seite wurde zum Bau der Kraftwerksinfrastruktur – allein das Jahresspeicherwerk besteht aus 6 Karseen, von denen 4 mit Staumauern erweitert wurden – ein umfangreiches System aus Standseilbahnen und Adhäsionsstollenbahnen geschaffen.
Eine Beschreibung der Kraftwerksgruppe, auch mit Übersichtsplan gibts bei
wikipedia.
Auch wurde der Entschluss gefasst, Teile der entstandenen Infrastruktur zusätzlich touristisch zu nutzen, und so wurden nach Fertigstellung der für die Stromproduktion notwendigen Anlagen sowohl die Kreuzeck- als auch die Reißeck-Standseilbahn für den öffentlichen Betrieb adaptiert. Ein Gebäude im Bereich des Seenplateaus, das "Höhenbahnhaus" (wahrscheinlich während des Kraftwerkbaus Arbeiterquartier) in der Nähe der schon vor dem Kraftwerksbau vorhandenen Reißeckhütte wurde als Beherbergungsbetrieb ausgebaut. Die Tauernkraftwerke errichteten in den späten 60-er oder in den 70-er Jahren ein Berghotel auf über 2200 Metern Seehöhe, das lt. Ski-Atlas 1982 damals das höchstgelegene Hallenschwimmbad der Alpen beherbergte (wann wurde eigentlich das Hallenbad im Hotel Grawand/Schnalstal gebaut?). Um die ganzjährige Nutzung zu ermöglichen entstand quasi als Nebenprodukt auch ein kleines Schigebiet, dessen Erreichbarkeit durch die abenteuerliche Anreise für Österreichische Verhältnisse wenigstens als exotisch beschrieben werden muss:
Das Reißeck-Seenplateau, auf dem sich auch zwei der drei Schilifte befanden, ist nämlich nur nach mehrmaligem Umsteigen zu erreichen. Vom 606 Meter hoch gelegenen Kolbnitz führt neben den Druckleitungen – übrigens die mit dem zweitgrößten Gefälle weltweit nach dem Kraftwerk von Bieurdron im Wallis – eine Standseilbahn in 3 Sektionen über die Zwischenstationen Schütter und Trog zum Schoberboden auf 2237 Metern unterhalb der 2573 Meter hohen Schoberspitze. Im Bereich des Schoberbodens gab es einen Schlepplift.
Am Schoberboden heißt es dann Umsteigen in die Höhenbahn, eine Adhäsionsbahn mit dieselbetriebenen Zugfahrzeugen, die ohne wesentlichen Höhengewinn unter anderem durch einen ca. 2 km langen Tunnel zum Endbahnhof (zumindestens für den öffentlichen Betrieb) beim Berghotel Reisseck führt. Zu einem ca. 40 Meter höher gelegenen Stolleneingang zieht eine sehr kurze weitere Standseilbahn, von dort sind – wieder mittels einer Adhäsionsbahn weitere Kraftwerksseen, namentlich der Radlsee oder Hohe See und der Hochalm- bzw. Stapniksee erreichbar, allerdings sind diese Bahnen nicht öffentlich. Im Alpinforum hat Migi einen detailierten Bericht zu den Bahnen verfasst und dabei auch die Gelegenheit gehabt, den nicht - öffentlichen Teil des Bahnsystems zu besichtigen und zu dokumentieren, den Bericht gibt es
hier.Wahrscheinlich ab 1961 gab es Schibetrieb am Schoberboden, der Chronik der Bergrettung Kolbnitz lässt sich Folgendes (unter 1961 aufgelistet) entnehmen:
Zitat:
Die Pistendienste am Schoberboden wurden an den Wochenenden von zwei Kolbnitzer und zwei Spittaler Bergrettern durchgeführt.
Unweit des Berghotels liefen wahrscheinlich ab 1965 (auch hier Pistendienste lt. Chronik der Bergrettung, erster Dienst am 12.Dezember 1965) in dem abgelegenen Hochtal unterhalb des Großen und des Kleinen Mühldorfer Sees bis Ende der 90-er Jahre zwei Schlepplifte, doch das Gebiet war vor allem für seine langen Tourenabfahrten bekannt, die durch das Bahnsystem mit relativ kurzen Aufstiegen erreichbar waren.
Die Pistendienste am Reißeck wurden von der Bergrettung übrigens sehr ernst genommen, wie die nachfolgende Passage aus der Chronik zeigt:
Zitat:
Die Jahreshauptversammlung 1969 mit Tätigkeitsbericht fand im Stanerbräu statt. Der Kassabericht ergab einen Kontostand von 1.300,35 Schilling. Da kein Geld zu erwarten war, wurde für jeden Anwesenden ein Krügerl Bier a 4.50 Schilling bezahlt.
Es wurde beschlossen wer drei Pistendiensten unentschuldigt fernblieb, wird von der Bergrettung ausgeschlossen.
Dafür war man der neuen Technik bei der Verschüttetensuche durchaus aufgeschlossen:
Zitat:
Bei der Winterübung 1968 wurde die Bergrettung Kolbnitz vom Bergführer Kumnig Hias zu einer Vorführung mit dem ersten Lawinenverschüttetensuchgerät eingeladen. Um die Vorführung realistisch zu gestalten, wurde Oberhuber Hans in einer Schneehöhle vergraben.
An ein Markierung oder Vermessung der Schneehöhle wurde nicht gedacht. Beim Versuch Oberhuber zu finden, versagte die neue Technik. Mit dem Pieps-Gerät fand man den „Verschütteten“ nicht. Nach mehreren vergeblichen Versuchen begab sich ein sichtlich nervöser Kumnig Hias auf die Knie, und suchte kriechend und schreiend den „Verschütteten“. Er wurde schließlich doch gefunden. Oberhuber bekam vom hektischen Treiben an der Oberfläche nichts mit. Nach der Vorführung stieg man zur oberen Mooshütte auf, um die Winterübung durchzuführen. In den Morgenstunden kroch der Lawinenhund eines anderen Bergretters zu Oberhuber ins Schlaflager. Als der Hund merkte dass er nicht beim Herrl lag, wurde Oberhuber auch noch gebissen.
Kein guter Tag für Herrn Oberhuber……
Insgesamt gibt es sehr wenig Quellen, in den mir vorliegenden zeitgenössischen Schibüchern fand ich nur 2 Beschreibungen des Schigebiets am Reißecker Seenplateau:
24 Skisterne - Eine Auswahl der schönsten Wintersportgebiete der Alpen in Wort und Bild vorgestellt (Bergverlag Rudolf Rother, München) wahrscheinlich Mitte der 60-er Jahre (enthält eine Sammlung von Originalartikeln der Zeitschrift "Der Winter")
In diesem Buch ist dem Schigebiet Reisseck ein Kapitel zusammen mit dem Goldeck gewidmet:
Titelbild des Artikels (S204)
Text über Kolbnitz (S208)
Landschaftsbild Seenplateau (S209)
Schilifte und Seilbahnen (S210) - nicht komplett, Ochsenalmlift (im Text später erwähnt) fehlt
Höhenbahnhaus Reißeck-Seenplateau (2300m) (S211)
Reißeckbahn (genauer Höhenbahn) (S211)
Text Schigebiet 1 (S212) Am Kreuzeck kam es übrigens nie zu dem geplanten Schibetrieb
Text Schigebiet 2 (S214)
Skigebiet Reißeck: Kleine Leier und Hochkedl (2580m) vom Höhenbahnhaus aus gesehen (S214)
DSV Skiatlas 1982
S387 Hier ist nur mehr von 2 Schleppliften die Rede, der Lift am Schoberboden (bei der Bergstation der Standseilbahn) war zu diesem Zeitpunkt offenbar nicht mehr in Betrieb.
Edit: auf der zweiten Seite dieses Threads findet sich eine sehr interesssante von harzwinter zur Verfügung gestellte Publikation bezüglich des Gebiets.
Leider habe ich dieses einzigartige Schigebiet während seines Betriebs nie besucht, zwar hatte ich in den 80-er Jahren Kenntnis davon, das Sportinstitut der Universität Wien bot damals sogar Tiefschneekurse im Berghotel bzw. im gemeinsam betriebenen Höhenbahnhaus an, an denen Freunde von mir teilgenommen hatten, doch ich hatte meine Tiefschnee- und Variantenkarriere erst vor mir und war damals mehr an großen Schigebieten wie Zell am See, Gastein oder Ischgl interessiert. Und als ich daran dachte, dieses Juwel zum Schifahren endlich zu besuchen, war der Winterbetrieb bereits eingestellt und das Seenplateau in der kalten Jahreszeit ein einsamer und nur schwer erreichbarer Ort.
So dauerte es bis September 2006, als ich im Anschluss an meine Recherchen bei den Gasteiner Bergbahnen für „Über alle Berge“ und meiner Sommerschi-Premiere am Mölltaler Gletscher gemeinsam mit Forschungs-Gefährten Border-Collie Angus das Reisseck-Höhenplateau erkundete und letzlich auch den 2965 Meter hohen Reißeck-Gipfel bestieg.
Nachdem Angus ja während meines Schi-Vormittags am Wurtenkees brav im Auto gewartet hatte, war er natürlich auch nicht wirklich glücklich, als es nach dem Aussteigen nicht gleich zu einer langen Wanderung kam, sondern das nächste alpine Verkehrsmittel bestiegen werden sollte. (am Vortag durfte er nach der Dokumentationsarbeit im Archiv der Gasteiner Bergbahnen mit Standseilbahn und Pendelbahn zur kleinen Scharte oberhalb von Bad Hofgastein fahren).
Hier die Talstation der Standseilbahn zum Schoberboden. Allerdings blieb der Bahnsteig nicht lange so leer, denn – im Gegensatz zum offenbar nicht mehr rentablen und deshalb eingestellten Winterbetrieb – erfreuen sich die Bahnen im Sommer hoher Beliebtheit.
Hier sieht man die (größtenteils Pensionisten-)Horden an der ersten Zwischenstation Schütter umsteigen.
Blick nach oben auf die Geleise der zweiten Sektion
Und hier steigt man an der Station Trog um in die dritte Teilstrecke
Das letzte Stück der obersten Sektion, von der Bergstation Schoberboden aus gesehen
Oberhalb der Seiltunnel zum Antrieb
Wir stiegen um in die Höhenbahn.
Schon bald verschwand der Zug in einem ca. 2 km langen Tunnel, um schließlich im einsamen Hochtal des Reisseck-Seenplateaus wieder ans Tageslicht zu gelangen.
Die Endstation dieser Teilstrecke befindet sich direkt neben dem Berghotel
Und für viele der Ausflügler war die gleich nebenan liegende Terrasse die Umkehrstation ihres Ausflugs.
Das Berghotel Reisseck im funktionellen Stil der späten 60-er Jahre
Hier erkennt man das letzte Teilstück der Höhenbahn zwischen Tunnel und Endstation. Das Gebäude im Hintergrund dürfte eine Liftstation gewesen sein.
Das Hochtal im Überblick mit Bahnhof und Hotel, das Schigebiet umfasste die Hänge zwischen Hotel und Tunnel
In der Gegenrichtung blickt man auf die Staumauer des Großen Mühldorfer Sees, darunter liegt die Reisseck-Hütte.
Um einen guten Überblick über das Tal zu haben, stiegen wir ein paar Höhenmeter in Richtung Hochkedl über das Niveau des Großen Mühldorfer Sees auf.
Von hier kann man auch die Bahnstrecke zwischen der Station Schoberboden und dem Tunneleingang erkennen.
Hat was von einer Spielzeugbahn…….
Der Große Mühldorfer See, links darunter die Reisseck-Hütte und im Hintergrund die Staumauer des kleinen Mühldorfer Sees
Angus bewundert die Aussicht
Abendlicht
Vom Bahnhof führt eine steile Schienentrasse nach oben, es handelt sich um die vierte Standseilbahn-Sektion
Links davon stiegen wir den Hang hinauf, hier war einst Schigelände.
Unten die ehemalige Schlepplift-Talstation
Und die hier waren sehr interessant für Angus.
Am oberen Ende der kurzen vierten Standseilbahn
Indiana Jones lässt grüßen…..
Beim Blick um 180° nach hinten hätte ich den Eingang zu den weiter führenden Stollen photographieren können, hab ich aber nicht, warum auch immer….
Hinter dem Hotel (von hier aus links) befindet sich das Hallenbad.
Nun ging es an die Inspektion des Hotels, schließlich hatten Angus und ich hier eine Zimmerreservierung abgegeben. Hier das stillgelegte Hallenbad von außen.
Und von innen, es war – soweit beurteilbar – vom übrigen Hotel mittlerweile abgemauert, das Photo entstand durch einen kleinen fensterähnlichen Durchlass.
Das Hotel selbst spiegelte die Philosophie der 60-er Jahre, kleine zweckmäßige Zimmer, nachdem der elektrische Strom ja praktisch in direkter Nachbarschaft geerntet wurde, Heizung und Warmwasser natürlich elektrisch. Nachdem ich ja bisher nicht dazu tendiert habe, meine Mahlzeiten zu Photographieren, weiß ich nicht mehr was es gab, 6 Jahre sind schon eine lange Zeit.
Jedenfalls hatten wir eine ruhige und ereignislose Nacht (ganz im Gegenteil zu unseren 3A-Erfahrungen), und am nächsten Tag stand noch eine Gipfeltour auf dem Programm.
Hier hatten wir schon wieder den Großen Mühldorfer See (2319m) erreicht.
Der Kleine Mühldorfer See (2379m)
Dann ging es über das Riekentörl…
… über den Südwestgrat…..
zum Fast-Dreitausender (2965m) Reißeck-Gipfel.
Nach Norden erstreckt sich der Blick zur Hochalmspitze (3360m), hier war Anfang der 80-er Jahre ein Gletscherschigebiet am Hochalmkees geplant, jedoch kaufte schließlich der Österreichische Alpenverein am 8.8.1988 das Gelände und beendete damit das Erschließungsprojekt.
Für den Abstieg wählten wir eine andere Route und passierten so den Schwarzsee und den Kesselesee….
…um schließlich wieder am Großen Mühldorfer See….
….gemeinsam….
….den Fernblick zu genießen.