Engelberg, März 1998 und März 2000 - zweischneidiges Schwert
Vier Mal habe ich Engelberg in den Jahren 1998 bis 2001 für jeweils 3-4 Tage besucht. Die Gründe sind vielfältig: Wohnen am Berg, Ruhe genießen, mit einer Gruppe ins Mehrbettzimmer, Schneesischerheit, hochalpine Umgebung, herausragende Höhendifferenz, im gewissem Maße auch "Action", die extrem einfache Anreise. Die Motivationen sind zum Teil sogar widersprüchlich, was damit zusammenhängt, dass Umstände und Ziele der einzelnen Reisen sehr unterschiedlich waren.
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Engelberg zählt - wie Grindelwald auch - zu den traditionsreichen Ferienorten der Schweiz, auch Engelberg ist durch englische Touristen geprägt, allerdings vermutlich nicht so stark wie Zermatt oder Grindelwald. Bereits ab 1913 hat man die Erschließung der Hänge unter dem Titlis mit Seilbahnen vorangetrieben. Mit Grindelwald gibt es weiterhin die Gemeinsamkeit, dass man frühzeitig japanische Gäste als essentielle Kundengruppe akquiriert hat. Dies wiederum hat zur Folge, dass in die Ausflugsbahnen bei weitem mehr investiert wurde als in die Hotellerie im Tal. Es ist beeindruckend, wie es Engelberg gelungen ist, den Titlis weltweit zu vermarkten. Der Titlis ist sicherlich eine imposante Erscheinung - dadurch, dass er fast am Alpenrand steht. In den Zentralalpen würde er aber förmlich "untergehen" und mir fallen jetzt keine objektiven Superlative auf, mit denen der Berg aufwarten kann. Dennoch ist die weltweite Positionierung als Ausflugsziel gelungen und da muss man neidlos anerkennen: Hut ab vor den Managern!
Hier dürfte aber mehr das Skigebiet interessieren. Und dies ist hier in gewisser Weise brisant. Engelberg muss man lieben oder hassen. Noch mehr: Engelberg spaltet die Skiwelt in drei Gruppen: Erstens die Verfechter, die auf Engelberg schwören und nichts auf "ihren" Titlis kommen lassen; zweitens diejenigen, die dem Skigebiet nichts abgewinnen können - sie waren einmal dort und nie wieder; drittens das Mc-Donalds-Bild-Blick-Klientel: Sie schimpfen immer auf Engelberg, fahren aber immer wieder hin.
Wie ist das Skigebiet jetzt wirklich? Zunächst zum Aufbau, der auf den ersten Pistenplan-Blick banal aussieht, dessen Komplexität dennoch im Detail steckt: Eine leistungsfähige Seilbahnkette führt über 2000 Höhenmeter stringent in 4 Sektionen zur Bergstation am Kleintitils. Hier beginnen die Gletscherabfahrten. Auf der dritten Sektion wird diese Linie durch eine Sesselbahnkette sekundiert, welche nahezu die gleichen Pisten erschließt. Der zweite Hauptsektor liegt am Jochpass - von diesem Joch führen drei Sesselbahnen als Dreibein mit nahezu identischen Winkeln in alle Richtungen - zwei Bahnen nach unten und eine nach oben (zur Berichtszeit noch Schlepplift). Beide Gebiete sind durch eine horizontale Zweirichtungs-Sesselbahn (zur Berichtszeit noch Schlepplift) verbunden. Die markierte Talabfahrt ist nur von Jochpass-Gebiet aus möglich. Der reltiv steile Gletscher links der Seilbahn-Bergstation ist durch zwei Liftanlagen erschlossen, die parallel-verwineklt leigen und auch als Liftkette nutzbar sind. Weiters gibt es das Haupt-Übungsgelände auf der Gerschnialp, das mit der Talabfahrt über ebene Schiebestrecken suboptimal verbunden ist, bequem lässt es sich nur von der Seilbahnstation Gerschnialp aus erreichen, aber eben nicht nach dort verlassen. letztlich gibt es den fünften und eher kuriosen Sektor im Bereich Untertrübsee. Ein recht flacher Übungslift an der Talabfahrt beim Gasthaus Untertrübsee bildet quasi die untere Sektion. Die obere Sektion ist vielen Gästen überhaupt nicht bewusst. Die Talstation des Älplerseils Untertrübsee-Obertrübsee - eine 8-Personen-PB - liegt unweit der Schlepplift-Bergstation gut versteckt im Wald. Diese Bahn führt imposant über steile Felsflanken auf eine Alp nahe dem Trübsee, wo die Bahn dann sogar wieder ein paar Höhenmeter bis zur Bergstation verliert. Wichtig ist noch der Hinweis auf die berühmten Freeride-Routen. Das "Laub" beginnt auf dem Laubersgrat - zu erreichen über die gleichnamige 4KSB - auf etwa 2400 m Höhe. Hier führen Freeridehänge mit etwa 45° Neigung breit und gleichmäßig über 1000 Höhenmeter nach unten bis zum extrem langen Übungslift Gerschnialp, wo sie in dessen Piste einmünden. Dem "Laub" sagt man eine sehr hohe Lawinengefahr nach. Der zweite "Paradehang" ist der Steinberg; diese Hänge verlassen unmittelbar nach der Bergstation das Pistengebiet direkt in Talrichtung. Sie führen lang über den immer steiler werdenden Gletscher an Stand vorbei und dann durch die unerschlossene Mulde hinuter nach Trübsee. Auch diese Hänge gelten als extrem gefährlich, da der Gletscher extrem spaltenreich ist. Weiters gibt es am Gegenhang das sonnige Skigebiet Brunni, das aus einer PB, einer 3SB und einem Tellerlift besteht.
Eine Besonderheit des Titlis-Skigebiets ist die Zugehörigkeit zu drei verschiedenen Kantonen/Halbkantonen. Talstation, Gerschnialp und Bergstation liegen in Obwalden (nur diese Bereiche gehören damit zur Gemeinde Engelberg); der Bereich jenseits des Jochpasses liegt im Kanton Bern (Inntertkirchen); der Großteil des Gebietes wiederum liegt im Halbkanton Nidwalden (Wolfenschiessen). Insgesamt verfügt das Gebiet über 1 SSB, 5 PB, 1 EUB, 5 KSB, 3 SB, 5 SL. An den einzelnen Anlagen gibt es meist nur 1-2 gewalzte Pistenvarianten.
Die Argumente gegen das Skigebiet sind einleuchtend: Durch die gute Erreichbarkeit ist das Gebiet oft überfüllt, am Wochenende gibt es einen Preiszuschlag. Die Pisten sind in den oberen Bereichen recht grob in das raue Gelände trassiert. Sie sind überwiegend mittelsteil, aber kaum carvingtauglich. Richtig fordernd sind sie jedoch auch nicht. Es ist schwer zu beschreiben, aber die Pisten sind das genaue Gegenteil von sogenannten "Genusspisten". Die Talabfahrt wechselt zwischen sehr langen, anstrengenden Schussstrecken und schmalen Stücken mittlerer Steilheit. Der rechte Schwing- und Carvspaß will auf den Hauptpisten nicht aufkommen. Letztlich ist das Pistenangebot überschaubar, die offiziell angegebenen 80 km Pisten sind maßlos übertrieben. Die Preisgestaltung orientiert sich jedoch an den ganz großen Skiorten; man hat gewisse Zwänge der Preissystemstringenz in Form der hohen Sommer- ud Fußgängerpreise, die infolge des guten Marketings am Markt durchgesetzt werden konnten. Auch bei den Skifahrern rechtfertigen sich die Preise nachfrageorientiert.
Aber welche Pluspunkte hat Engelberg? Zunächst die gewaltige Höhendifferenz von 2000 Höhenmetern, die lediglich durch eine kurze Lift-Querfahrt unterbrochen ist. Dazu die nahezu optimale Nordhang-Ausrichtung des Titlis-Gebietes, die einem auch nach langen Sonnenperioden und bis weit ins Frühjahr hinein noch Pulverschnee und Schneehöhen beschert, von denen andere Gebiete nur träumen. Auch die Anreise ist ein Thema - kein Gebiet mit annähernd ähnlicher Höhenlage (1000 - 3050 m) ist von Westdeutschland aus auch nur annähernd so gut zu erreichen; ab der Autobahnausfahrt Stans-Süd sind es 20 Minuten auf guter Landstraße. Auch wenn die Pisten weiter unten gewöhnungsbedürftig sind: Oberhalb von Stand sind sie genial! Der Gletscher ist für einen solchen sehr anspruchsvoll und die schwarze, ungewalzte Piste vom Gletscher hinunter nach Stand gehört zu den absoluten Top-Pisten in den Alpen. Von der Rotegg-Talstation quert sie zunächst über eine Gletschertraverse nach links und zieht dann steil hinunter durch die Felsrinne am Rotstöckli, gegen Stand langsam flacher werdend. Zur Zeit meiner Kindkeit hatte diese Piste legendären Ruf, und auch bei einem Sommerurlaub hat mir die schmale, steile, teilvergletscherte Felsrinne bereits imponiert (wenn man drinnen ist, ist sie erstaunlich breit).
Letztlich sind die berühmten Freeriderouten zu erwähnen, die ich mangels Begleitung mit lokalen Detailkenntnissen aber noch nie gefahren bin. Ich persönlich habe noch zwei besondere Vorlieben in diesem Gebiet. Das eine ist mein jeweiliger Wohnort auf dem nach zwei Seiten offenen Jochpass, den ich als hochgradig "cool" empfinde, desweiteren das versteckte und kaum bekannte Älplerseil - meine definitive Lieblingsanlage hier. Es ist beeindruckend, wie die kleine Kabine der hochgradig simplen Anlage die senkrechte Felswand überwindet, wie sie plötzlich "lammfromm" mit geringem Bodenabstand langsam über die unspektakuläre Alm zur Bergstation schwebt. Die Piste ist im oberen Teil eine perfekte Carvingpiste mit einer perfekten Frequentierung von höchstens 8 Personen in 5 Minuten.
. Im weiteren Verlauf wird das attraktivste Stück der Talabfahrt (Kanonenrohr) genutzt, bevor es wieder zur gut versteckten Talstation geht - zur nächsten Wiederholungsfahrt. Oft ist die Talstation verwaist. Jetzt muss man zum Telefon greifen und im Gasthaus anrufen - gleich kommt der Liftler mit dem Schneemobil angebraust und setzt die Kabine in Bewegung. Kult pur! Auch landschaftlich ist diese Gewaltige Felsbastion im Bereich der Voralpen eindrucksvoll.
Pistenplan:
statisch und
interaktiv
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Zu meinem ersten Engelbegraufenthalt bin ich gekommen, weil ich einen ruhigen Ort gesucht habe, um die Examensarbeit meiner Frau Korrektur zu lesen, ohne dazu allzu weit fahren zu müssen. So habe ich mir das Bärghuis Jochpass für einen dreitägigen Aufenthalt unter der Woche ausgesucht. Klamotten und Examsarbeit in den Rucksack und hinauf zur Hütte - mittels EUB, Schlepplift (heute 4SB) und KSB. Perfekt! Ich war der einzige Gast und habe die ersehnte Ruhe. Allerdings bringt dieser Umstand (einziger Gast) für mich auch vie Gesellschaft. Die sieben Bediensteten - überwiegend Portugisen - haben ein Erbarmen mir mir und bitten mich abends zu sich an den Mitarbeitertisch. Es war sehr lustig!
Einen Fotoapparat hatte ich nur bei diesem Aufenthalt dabei und im März 2000, als ich mich für 4 Tage mit meiner Tennismannschaft einquartiert hatte. Bei den beiden anderen Aufenthalten hatte ich keinen Apparat dabei - ich wollte meine Bildersammlung nicht weiter aufblähen. So kommt es, dass ich kein einziges Foto vom Brunni-Gebiet gemacht habe, und auch im Titlis-Gebiet habe ich wesentliche Pistenbereiche und Anlagen nicht dokumentiert.
Was wesentlich ist: Die Schneehöhe am Bärghuis Jochpass hat bei meinen Aufenthalten immer im Bereich zwischen 2 und 4 Meter gelegen. Zweimal konnte ich das Terrassengeländer einfach übersteigen - im Sommer geht es hier 4 Meter hinunter.
Jetzt zu den Bildern - zunächst März 1998:
^^ Ankunft auf dem Parkplatz in Engelberg: Tiefe Wolkendecke
^^ Meine Schlafstätte Berghaus Jochpass. Dieses Mal liegen nur 2 Meter Schnee.
^^ Mein 2er-Lager
^^ Nächster Morgen: Blick von der Terrasse auf die Jochstocklifte (heute 6KSB)
^^ Viel Neuschnee und Trasse Jochstock
^^ Da sieht nach Arbeit aus: Verschneite Schirmbar. Über dem Tal liegt noch eine Nebeldecke
^^ 80PB Stand und 2SB Rindertitlis, rechts oben (1200 Meter höher) die Bergstation am Kleintitlis
^^ 75PB Stand-Kleintitls mit den berühmten Steinberg-Routen - hier der vergletscherte, obere Bereich
^^ 75PB Stand-Kleintitlis von den Gletscherpisten aus - Blick ins Unterland mit Wolkendecke
^^ Blick von Titlis-Bergstation nach Südosten (Grimsel-Gebiet)
^^ Pano nach Nordosten
^^ Gletscherlift Rotegg, hier noch mit der alten, im Fels verankerten Talstation
^^ Im Gletscherlift Rotegg, neben der Trasse ist Powdern möglich
^^ Dies ist der Pisten-Star: Die ungewalzte, schwarze Piste Rotegg-Stand durch die Rotstöckli-Rinne - noch im Morgenschatten. Im sonnebescheinten Bereich ist die 4KSB Laubersgrat zu erkennen.
^^ Die gleiche Piste von unten am Nachmittag. Die Rinne war früher bis in die Hälfte vergletschert, heute ist nur noch oben die Einfahrt vergletschert.
^^ Blick aus der 4KSB Laubersgrat: Auch hier ist Powdern möglich!. Knapp links oberhalb der Bildmitte die Rotstöckli-Rinne und rechts oben der Kleintitlis mit Rotair-Bergstation
^^ Nochmal aus der 4KSB Laubersgrat auf die PB-Stationen Stand und Kleintitlis
^^ Powdern am Laubersgrat - hinten die 80PB Trübsee-Stand
^^ Unter der Wolkendecke: Talabfahrt mit Resataurant Untertrübsee und dem Schlepplift Untertrübsee. Ganz in der Nähe des Standortes befindet sich die Talstation des
Älplerseils.
Jetzt kommt der Ausflug mit der Tennismannschaft im März 2000. Die Fotos hat ein Kumpel gemacht, so dass ich mich hier manchmal selbst sehe. Dies sind mehr Urlaubsbilder als Skigebietsdokumentation.
^^ Ankunft beim Berghaus Jochpass. Man vergleiche bitte die Schneehöhe vor der Terrasse mit den 2 Metern von 1998! Dieses Mal hat es die 4 Meter Schnee!
Vor der Terrasse ist übrigens im Sommer ein kleines Seelein. Dieses wurde ganz früher im Winter von dem Stangenschlepper überquert, der unmittelbar em Terrassengeländer entlanggegangen ist und dann nach 2 Kurven den Jochstock erreciht hat. Grund für die Kurven: Es war ein Nidwaldner Lift und man musste den Kanton Bern umgehen; dies hat man gelöst, indem man mit Kurven der kantonsgrenze gefolgt ist. Als diese grenze ihren Schrecken verloren hatte, hat man einen neuen Lift kerzengerade hinauf gebaut.
^^ Am zweiten Morgen: Die Tennismannschaft rüstet sich zum "Angriff". Hinten die 4KSB Jochpass.
^^ 75PB (Rotair) Stand-Kleintitlis
^^ Die Tennismannschaft beim Pano-Sightseeing.
^^ Oliver und Oliver im Rotegg-Gletscherlift
^^ Vollbremsung
^^ Mittagspause am Stand. Gibt's da Freerider auf der Steinberg zu bestaunen?
^^ Die Stimmung ist gut! Hinten kommt die Abfahrt von der Rotstöckli-Rinne runter
Fazit: Ich hatte immer extrem schöne Aufenthalte in Engelberg, habe aber auch nie richtige Wartezeiten erlebt. Das Gebiet hat seine Highlights, die man findet, wenn man nicht im Forums-Turbo-Entdeckungs-Tempo durchrauscht. Dennoch: Ich teile alle Vorbehalte der Kritiker und kann diese verstehen. Ob Engelberg zu empfehlen ist, hängt stark von Zeitpunkt, Vorlieben und anderen Umständen ab.