Der Titel dieses Beitrages ist natürlich anlässlich so mancher Diskussion bewusst gewählt. Es mag paradox klingen: Einsamkeit im September im Sella-Marmolada-Gebiet? Doch, es ist so.Tag 1:Wir, ein Freund aus München und ich sind in Canazei stationiert. Das Wetter soll von Westen unbeständig werden, doch am Morgen zeigt sich der typische Dolomitenhimmel: wolkenlos und klar. Also steht die Sella-Überschreitung von Canazei nach Corvara auf dem Plan.
Da wir mit unseren Autofahrten sowieso der Umwelt genügend antun, versuchen wir unsere Touren nach Möglichkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Bahnen zu planen – auch wenn das mal einen Euro mehr kostet. Es tut dem Gewissen gut…
Da schon Nachsaison ist, fährt der letzte Bus von Corvara zurück zum Passo Pordoi schon um 15:05 Uhr. Das ist eine ziemlich harte Deadline, da die Überschreitung doch eine langwierige Unternehmung ist. Den Bus zu verpassen bedeutet zwischen Not und Elend zu entscheiden (Übernachtung, Taxi-Teilstrecken, Anhalter…).
Wir fahren also mit den zwei Sektionen (EUB + PB) ins Belvedere, laufen zum Passo Pordoi und dann den „Hatscher“ in die Scharte hoch. (Natürlich hätte man dieses Stück mit der PB nehmen können, aber ganz so halbschuhmäßig wollen wir dann doch nicht unterwegs sein
). Einige wenige andere Leute nehmen den Aufstieg auch auf sich. Doch die Mehrheit fährt mit der Bahn – so sind wir fast alleine.
Die Blicke sind umwerfend. Die Herbststimmung mit den intensiven Farben habe ich nun schon abertausendmal gesehen (und photographiert), doch sie wirkt jedes Mal neu… so frisch und rein. Von Westen schiebt sich eine tiefliegende, flache Wolkendecke übers Abtei- und Grödnertal über die Pässe. Doch wir im Süden liegen noch weit darüber.
Nach einem kurzen Stopp in der Scharte geht es weiter – beinahe eben über die mondähnliche Sella-Hochfläche zur Boe-Hütte (Bamberger Hütte) am Einstieg des Mittagstals. Die Boe-Spitze lassen wir aus Zeitgründen lieber aus. Dort wäre von Einsamkeit auch wahrlich nichts zu spüren gewesen.
Es ist Mittag, der letzte Mittag an der Boe-Hütte in diesem Jahr. Man merkt es den Hüttenleuten an, wie froh sie sind, dass jetzt erst mal Schluss ist! Es herrscht eine äußerst fröhliche und legere Atmosphäre. Man trinkt Spumanti und sonstige Überbleibsel der Sommersaison.
So schön die Atmosphäre ist, 12:45 Uhr, für uns wird es höchste Zeit aufzubrechen! Wir haben noch 2h20 min bis zum Bus. Der Wegweiser sagt 2:30 bis Kolfuschg, wobei Corvara ja 2km noch weiter talauswärts liegt… wir springen also ins Mittagstal hinein. Da noch viel Restschnee des Winters liegt, kann man nicht den üblichen Einstieg übers Geröll nehmen, sondern muss sich oberhalb davon an einem provisorischen Klettersteig runterhangeln.
Der weitere Abstieg im Mittagstal bietet die sagenhaften Blicke auf die hochstrebenden Wände und Zacken von Piz da Lec, Piscadu-Spitze und weiteren Größen; tief unten im Tal die grünen Almböden von Kolfuschg und die serpentinenreiche Grödnerjochstraße. Was aber noch erstaunlicher und vielen wohl unbekannt ist: im Sommer ist das Mittagstal – wohl aufgrund von Länge, Höhenunterschied und kleinen Kletterpassagen oben – nur sehr wenig begangen. Auf dem gesamten Rückweg haben wir nur zwei Wanderer getroffen. Und das am Wochenende…
Kurze Photo-Pausen sind immer vom Blick auf die Uhr begleitet. Wir springen die letzten Passagen entlang des Mündungswasserfalls in den Talboden – 14:45 Uhr – und schaffen es gerade noch bis kurz nach 15 Uhr bis Corvara. Dort fallen wir in den Bus, lassen uns mit Umsteigen am Pordoi bis Pecol chauffieren, genießen dort den letzten Öffnungstag des Bellavista mit einem abendlichen Cappuccino und gondeln schließlich mit der EUB ins Tal zurück nach Canazei.
Das GPS sagt 17km Strecke zu Fuß und 1300 Höhenmeter im Aufstieg. Die Knochen bestätigen das uneingeschränkt