Hatte gerade so eine Laune, aus der heraus ich beschlossen habe, die Sache hier zu vervollständigen. @trinc: Wäre trotzdem schön, irgendwann mal noch ne Version von dir vom Kanin zu lesen.
Ich werde diesen Text bis auf weiteres (d.h. bis zur nächsten Laune
) mal nur hier veröffentlichen.
Teil 4: Kanin[...] das ist sozusagen der Modellfall für die Zukunft des alpinen Skilaufes. Denn das Nurpistenfahren wird sich überleben. Die Technik zu nützen und doch die Beschaulichkeit und den Lohn der Aufstiegsmühe nicht zu leugnen, dahin soll, dahin muß es kommen, wenn wir uns nicht alle zu windigen Pistenknechten degradieren wollen...Was Walter Pause vor dem Hintergrund der sich bereits abzeichnenden Erschließungswellen schon in seinem "Ski heil" (3. Auflage, 1958) forderte, schwebte mir persönlich schon seit einiger Zeit als Idealfall vor, wenn auch mit etwas anderen Vorzeichen. Denn während Pause mit seinen immer wiederkehrenden Mahnungen die Alpen noch vor der Erschließung im großen Stil bewahren wollte, hat diese bekanntlich inzwischen längst stattgefunden und bei weitem nicht nur ausschließlich Nachteile gebracht.
Dennoch zeichnet sich in den vergangenen Jahren ein Trend ab, der - gewollt oder nicht - mehr und mehr zu einer Assimilierung der Skigebiete führt. Die vom Klimawandel erzwungene flächendeckende Beschneiung bringt Geländekorrekturen, Verbreiterungen und Entschärfungen mit sich, die den Charakter vieler Abfahrten unvorteilhaft beeinflussen oder ganz zerstören. Wenige komfortable Lifte mit hoher Kapazität ersetzen kapazitätsschwächere alte Anlagen, manches Mal unter Verlust interessanter Varianten. Unrentable weil zu anspruchsvolle oder zu exponierte Lifte werden teilweise ganz stillgelegt. Und viele als Variantenabfahrten verzeichneten Pisten werden inzwischen maschinell präpariert.
Nun liegt mir nichts ferner als den modernen Pistenskilauf zu verteufeln. Wer einmal mit hoher Geschwindigkeit über einen breiten, gleichmäßig perfekt präparierten Pistenteppich gecarvt und die Fliehkräfte spürend im Geschwindigkeitsrausch aufgegangen ist, und wer dieses im Idealfall vielleicht dank schneller, leistungsstarker Lifte mehrmals hintereinander geniessen konnte, der wird sicher an diesem Tag nicht einen Gedanken an solcherlei Dinge verschwendet haben.
Wenn an einem anderen Tag jedoch die Pisten überfüllt oder vereist sind, dazu Wetter und Sicht nicht optimal, oder wenn man einfach einmal keine Lust auf stressige Vollgas-Abfahrten hat und eher die technische Herausforderung oder den Thrill des Steilhangs sucht, dann weicht man als passionierter Skifahrer mit dem entsprechenden Können gerne auf die ausgefahrene, griffige Buckelpiste nebenan, die unpräparierte Variante unter dem Lift oder den exponierten, nur in einer zugig-kalten und langsamen Sesselbahn erreichbaren Gipfelhang des Skigebiets aus - so diese Möglichkeiten denn noch existieren, denn - und genau hier liegt das Problem - oben beschriebene Trends grenzen, verstärkt durch einige andere Faktoren und Auswüchse moderner Skigebiete, Alternativen und Vielfalt in den Skigebieten immer weiter ein. Planierte und präparierte Pisten bieten einfach ab einem gewissen Punkt keine Abwechslung und keine Herausforderung mehr.
Dieser Punkt war bei mir persönlich ca. im Jahr 2000 erreicht, als ich eine Woche lang die Pisten eines großen französischen Skigebiets ausschließlich als Zubringer von Variante zu Variante genutzt habe. Die wohl perfekteste Mischung aus schnellem Pistenfahren und anspruchsvollem Vergnügen abseits und wahrscheinlich der Grund, warum ich bis heute großer Fan des Skigebiets von La Plagne bin.
Auch wenn ich in den Folgejahren in den Trois Vallees auch dank verbesserter Carving-Technik noch einmal die Vorzüge des reinen Pistenkilometer-Fressens erleben durfte, ein Grundgedanke und Wunsch blieb seit dieser Zeit erhalten, und an dieser Stelle kommt erneut das Zitat von Walter Pause ins Spiel.
Denn warum nicht an der Bergstation die Felle unterschnallen, ein paar Meter aufsteigen und nur wenige Minuten entfernt noch viel öfter genau die Ruhe und die Herausforderungen finden, die man innerhalb der Skigebietsgrenzen nur noch im allerbesten Glücksfall vorfinden kann? Offenbar eine große Erweiterung des skifahrerischen Spektrums, wenn man einschlägigen Berichten und Bildern von Tourengehern und Freeridern glauben darf.
Klingt einfach, ist es aber nicht. Die passende Ausrüstung kann man zwar kaufen, allerdings sollte man auch einige Dinge wissen, z.B. über alpine Gefahren, und einige Techniken beherrschen, z.B. die Verschüttetensuche mit einem LVS. Kurz gesagt: Um einen Einstieg in die Kunst des Skitourengehens zu finden - egal ob nun im klassischen Sinn als eigenständigen Sport oder in Kombination und Ergänzung zur Piste - benötigt man entweder einen teuren Kurs oder aber gute Kontakte, optimaler Weise natürlich beides zusammen. Wenn man aber weder entsprechende Connections noch das nötige Kleingeld hat wird's problematisch - aber um so größer ist dann die Freude, wenn man endlich nach langer Zeit doch eine entsprechende Möglichkeit erhält. Und damit sind wir beim Thema.
Die Skigebiete beiderseits des Kanin-Massivs per Skitour zu verbinden drängt sich förmlich auf, sollen beide doch schon seit Jahren per Lift verbunden werden. Nachdem die Slowenen im vergangenen Sommer ihren Teil in Form der 4SB Prevala realisieren konnten, verkürzte sich der nötige Aufstieg von Sella Nevea her auf rund die Hälfte des ursprünglichen Höhenunterschieds, den es früher zu bewältigen galt wenn die Route zur Mittelstation der slowenischen Kanin-Seilbahn nicht offen war, auf rund 250 Höhenmeter. Eine Strecke die prädestiniert ist für derlei Aktionen - fordert sie doch nur ca. eine Stunde Aufstiegszeit.
Und so starteten wir kurz nach acht Uhr am Morgen dieses Januar-Samstages vom Rifugio Gilberti auf meine erste einigermaßen ernsthafte Skitour, bei noch leichter Hochbewölkung, zunächst mit einer kurzen Abfahrt durch das noch menschenleere Skigebiet in die Hochebene des Piano del Prevala zur Talstation der DSB. Dort zogen wir die Felle auf und stiegen auf zunächst mäßig ansteigender Route ans Ende des Tales, weiter über eine kurze Steilstufe und schließlich wieder flacher bis zur Sella Prevala, dem Übergang nach Slowenien.
Morgens kurz nach Acht: Die Scharte im Hintergrund ist unser Ziel
Noch läuft kein Lift und keine Seilbahn, das Skigebiet ist still und menschenleer
Aufstieg mit Tourenskiern. trincerone, davor gerrit (verdeckt)
Nicht in den Dolomiten, aber ähnlich imposant
Blick zurück: Sessellift, Hütte (links davon), Bergstation der Pendelbahn über dem ersten Mast
Anruf von Miki aus Slowenien (500 m entfernt)
gerrit legt die Spur
Fast oben: Die letzten Meter flaches Hochtal vor dem Schlußanstieg zur Scharte namens Sella Prevala
Erneut der Blick zurück. Der Zeitbedarf für den Aufstieg liegt bei ca. einer Stunde.
Hinter der Scharte zeichnet sich schon der neue Sessellift ab, der auf slowenischer Seite die zukünftige Verbindung der beiden Skigebiete herstellen soll
Zur Orientierung ein kurzer Vorgriff: Panoramakarte des Skigebiets am Kanin. Wir kommen von der Scharte oben rechts, von der inzwischen eine Sesselbahn (Tal-Berg-Tal mit Mittelausstieg) den Anschluß an das übrige Skigebiet herstellt.
Dort angekommen wartete auch schon Miki auf uns, der den weiten Weg von Maribor her nicht gescheut hatte um sich mit uns am Kanin zu treffen. Ein schneller Gipfelschnaps, die Felle abgezogen und weiter zu viert, nun per Lift, in Richtung Zentrum des einzigen echten Hochgebirgsskigebiets Sloweniens. Auch das Wetter schien sich zu machen, die Hochbewölkung löste sich zunehmend auf, es blieb jedoch eine Nebelschicht, die den ganzen Tag zwischen geschätzten 2000 und 2200 m - also genau auf Höhe des Skigebiets - hin und her oszillierte.
Zunächst war es nun an der Zeit, sich nach Liftkarten umzusehen, was sich als nicht ganz so einfach herausstellte - interessanterweise ist der Verkauf von Karten im Gebiet nicht vorgesehen. Vermutlich kommt auch kaum ein Einheimischer, der diesen Übergang auf sich nimmt, auf die Idee sich auch noch eine Liftkarte zu kaufen. Möglicherweise setzt man auch von Seiten der Betreiber darauf, daß Wechsler zumindest auf einer Seite bezahlen und nicht allzu viele Tourengeher auf einer der Alpenvereinshütten übernachten, um dann die Lifte umsonst zu benutzen.
Jedenfalls wollten wir natürlich brav und ordentlich bezahlen, auch um das Gebiet bewusst mit unseren Touristen-Euros ein wenig zu supporten. Es wurde eine mittlere Staatsaktion daraus, der Chef musste erst die Kasse im Tal verständigen, die Karten sollten dann per Seilbahn(?) zur Bergstation geschickt werden. Und dies schien auch in irgendeiner Form zu funktionieren, während wir im Restaurant unseren Flüssigkeitshaushalt nach dem Aufstieg wieder ins Gleichgewicht brachten. Jedenfalls bekamen wir anschließend Liftkarten ausgehändigt, zum mehr als fairen Preis von 19 Euro. Mit der Provision für Miki für seine fleissige Übersetzung wurde es aber leider nichts.
Es folgte eine denkwürdige erste Abfahrt zur unteren der beiden Mittelstationen, die laut unserem Verkäufer geöffnet sein sollte. Wir tauchten also zunächst in die Nebeldecke ein, die zu diesem Zeitpunkt bis knapp oberhalb der oberen Mittelstation namens Skripi reichte. Darunter war wieder freie Sicht, insbesondere auf das was nun folgte: Kurz hinter der Station wurde aus der Piste eine schmale Raupenspur - eine unpräparierte Kettenspur, um genau zu sein, teilweise durchsetzt von Steinen und Dreck, und immer wieder steil. Geschicklichkeit war Trumpf, mehr noch als Fahrtechnik, aber dank der Leihski wurden meine Nerven dann doch nicht allzu sehr strapaziert. Trotzdem erwies es sich zwischendurch als Glücksfall, daß ich nach dem Aufstieg noch meine Bindung auf den korrekten Auslösewert eingestellt hatte. Vom Verleih war das nicht für notwendig erachtet worden, aber nun gut, dafür hat man ja ein wenig Hintergrundwissen. Und doch: Beinahe hätte die Faulheit gesiegt, wenn gerrit mich nicht noch daran erinnert hätte. So blieb der einzig ernste Sturz dann doch folgenlos - Glück gehabt, denn mit dem voreingestellten Z-Wert von 9 wäre die Bindung wahrscheinlich nicht aufgegangen, ziemlich sicher zu Lasten meiner Bänder und Knochen.
Nach einiger Zeit war die untere Mittelstation erreicht, und wir zwängten uns mitsamt unseren Rucksäcken in eine der Viererkabinen, die meist leer vom Tal herauf kamen. Während der Bergfahrt war dann für kurze Zeit der Blick frei bis zur Adria - weit mehr als nur schemenhaft zu erkennen, unter der untersten Wolkendecke hindurch. Leider tauchten wir schon nach Sekunden wieder in den Nebel ein, zu schnell um den Anblick fotografisch festzuhalten.
Die neue Bahn: 4SB von Poma
Bergstation der Zubringerbahn von Bovec und Zentrum des Skigebiets
Panoramablick
Wieder einmal über den Wolken
Gipfel, dessen Namen ich noch nachsehen muss
Vergesst "Herr der Ringe"...
Die Seilbahn (Poma-4EUB) fährt direkt vor den Fenstern des Restaurants vorbei
Stationstechnik aus Frankreich
Noch mehr Poma: 3SB Podi mit Zwischenstation
Abspannung der 4EUB vor der oberen der beiden Mittelstationen (Skripi)
Talblick. So viel Schnee soll selten sein in der Gegend - kaum verwunderlich bei einer Talhöhe von ca. 450 m.
Noch einmal diese Konstruktion. In Frankreich noch gelegentlich zu finden, sonst selten geworden.
Die "Abfahrt" zur ersten Mittelstation besteht aus einem steilen Weg, den die Pistenraupen bevorzugt ohne Schild und Fräse benutzen. Vorne Miki, dahinter gerrit, ganz hinten trincerone.
trincerone sucht sich einen Weg abseits der Piste die keine ist
Viel später als es die Bilder suggerieren erreichen wir die Mittelstation Cela auf 980 m
Oben angekommen, starteten wir einen ersten Versuch im Restaurant zu Mittag zu essen - leider zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt, denn es war unmöglich einen Platz zu ergattern, so daß wir nach einiger Zeit unsere Pläne begruben und noch eine Runde skifahren gingen - bei zunehmend genialer Stimmung über den Wolken, die Bilder sprechen wohl für sich.
Gegen 14 Uhr war das Restaurant erwartungsgemäß wieder leer und wir holten unsere verdiente Stärkung nach, ohne Übertreibung mit dem wahrlich besten Burger den ich jemals hatte. Whopper, Big Mac sowieso, aber auch alles was es sonst noch so gibt kann man getrost in die Tonne treten gegen den Kanin Burger, der dort oben serviert wird. Und auch das slowenische Bier ist durchaus nicht zu verachten.
Schließlich reichte es noch für einige weitere Abfahrten, bevor Miki sich gezwungenermaßen verabschiedete, um die Bahn ins Tal noch zu erwischen, während wir oben am höchsten Punkt des Gebiets noch einmal die Stimmung auf uns wirken ließen, bis der Lift abgestellt wurde und wir wieder einmal fast ganz alleine waren.
Die Abfahrt zurück nach Sella Nevea gestaltete sich etwas schwieriger als erwartet, da auf italienischer Seite bereits der Nebel Einzug gehalten hatte und kaum die Hand vor Augen erkennen ließ. Doch auch diese Hürde war schneller gemeistert als zunächst gedacht, und da der Sessellift bei der Bergstation längst abgestellt war endete der Tag mit einem kurzen Gegenaufstieg zum Rifugio, diesmal auf präparierter Piste was die Sache doch deutlich vereinfachte.
Trotzdem, das sei als Fazit angemerkt, steht für mich nach diesem Tag fest: Ich werde meine Skitourenpläne in jedem Fall weiter verfolgen, mindestens als Ergänzung zum Pistenfahren, wahrscheinlich aber auch einmal mit der einen oder anderen "echten" Skitour.
Nach erfolgter Bergfahrt tauchen wir wieder ein ins Nebelmeer
Bergstation (genauer: Mittelstation) der neuen 4SB
Magische Stimmung zwischen Himmel und Erde
Das muss natürlich festgehalten werden, von links: Miki, gerrit, trincerone
An der Grenze der Wolkendecke
Dolomiti Style Skiing
Captain Retro ist zu recht fasziniert
Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein
DSB Veliki Graben vor dem Wolkenmeer
Mittelerde existiert, man kann dort sogar Skifahren. Leider sind die Lifte alle von Poma aus den 60er-Jahren.
...and she's buying a ropeway to heaven
Bergstation Veliki Graben. Lift war leider außer Betrieb.
Abfahrt zurück nach Sella Nevea: trincerone gräbt sich aus