Eigentlich würde das hier auch ins Freeride-Forum passen... offenbar ist aber das Mittagstal hier gar nicht so oft beschrieben, wie mir beim durchscrollen aufgefallen ist.
Daher also eine etwas info-lastige Reportage übers frühsommerliche Val Mezdi, inkl. kleiner Eingeh-Tour am Belvedere.
Der Mai ist in den Hochlagen der Dolomiten grundsätzlich ein sehr lohnender Tourenmonat. Was genau eine "Hochlage" ist, kann von Jahr zu Jahr natürlich variieren. Nach schneeärmeren Wintern oder bei sehr warmen Frühjahr kann sich das auf Lagen oberhalb 2500m beziehen (Ausnahme Marmolada). Dagegen sind nach schneereichen Wintern mit kühlem Frühjahr sogar Abfahrten auf südlich exponierten Hängen bis 2000m möglich.
Hierzu ein Beispiel vom Mai 2009:
freeride-f6/convalescenza-in-paradiso-tonale-und-pordoi-20-21--t1838.html#p23174Heuer ist die Situation speziell: Der Winter war im Gegensatz zum gesamten restlichen Alpenraum insbesondere in den südlichen Dolomiten durchaus schneereich, zählte bis März sogar zu den Top 3 der letzten 25 Jahre. Das warme und vergleichsweise niederschlagsarme Frühjahr hat dann hauptsächlich den südlich exponierten Hängen bis 3000m zugesetzt, wogenen auf Nordhängen auch noch in der zweiten Mai-Hälfte eine geschlossene - oder zumindest fahrbare - Schneedecke bis ca. 2000m vorherrscht.
Nun gibt es in den Dolomiten eine ganze Reihe von lohnenden Tourenzielen mit nördlich exponierten Hängen, allen voran natürlich die Marmolada, deren Schneedecke auch vergangenes Wochenende noch bis zum Stausee quasi geschlossen war. Landschaftlich und vom Tourenverlauf interessanter sind jedoch Durchquerungen der großen Gebirgsgruppen wie Langkofel, Sella oder Rosengarten. Hier bieten sich bspw. Cigolade, Langkofelscharte, Val Setus oder eben das Mittagstal an. Für letzteres haben wir uns diesmal entschieden - nicht zuletzt auch, weil man die gesamte Runde ohne zweites Auto oder Übernachtung machen kann. (Außerdem wollten wir dem Giro d'Italia ausweichen, dessen Königsetappe just am Sonntag im Fassatal endete...)
Aufgrund der Wetterprognose (Sonntag bewölkt mit Schauergefahr, Montag sonnig) und meiner neuen Tourausrüstung, haben wir am Sonntag zunächst mit einem
"Girino" durchs Belvedere begonnen:
Hotel Pordoi -> Belvedere -> Rist. Lezuo -> Belvedere -> Hotel Pordoi
Die Abfahrten waren ein Hochgenuss, es herrschte butterweicher, ideal zu befahrender Firn. Eine zweite Skifahrergruppe, die am Col de Cuc unterwegs war (den hatten wir auch als mögliches Ziel ins Auge gefasst), hatte am dortigen Nordhang eine Oberflächenlawine ausgelöst, so dass wir lieber auf Pistengelände blieben...
Nach einer klaren und frischen Nacht ging's am Montag dann also auf den großen
"Giro".
Nicht nur, um Kraft zu schonen, auch des härteren Schnees am Morgen wegen lohnt sich die Auffahrt mit der Pordoi-Bahn. Dann geht's mit einer kurzen steilen Abfahrt in die Scharte und nach einer weiteren Querung zum Anfell-Platz unterhalb der Boe-Spitze. Im Winter ist dort ein ausgetretener Pfad bis zum Felsriegel der Boe. Ohne Pfad, wie jetzt, geht's dagegen mit Fellen viel angenehmer als mit Ski- oder Bergschuhen. Der Aufstieg beträgt nur ca. 150Hm und ist ein Panoramalauf par excellence.
Bei tragfähigem Schnee wie diesmal kann man relativ gefahrlos unterhalb des mächtigen Felsriegels der Boe-Spitze auf ca. 3000m queren. Nach frostfreien Nächten würde ich die etwas mühsamere Variante weit unterhalb des Felsbandes vorziehen... wie klein doch ein Mensch in dieser Welt wirkt!
Die Querung endet an der Boe-Hütte, neben der sofort der kantige Einstieg ins Mittagstal beginnt (2900m). Der steile und schmale obere Teil ist bereits morgens in der Sonne, so dass der Schnee hier schon weich war. Ein bisschen kompatker wäre mir aus Lawinengründen lieber gewesen, nun ja... anschließend an den steilen Einstieg folgte ein etwas unangenehmer Bruchharsch-Abschnitt (ca 2700 - 2600m). Die Nacht war in dieser Höhenlage einfach nicht mehr kalt genug, um eine tragfähige Kruste auszubilden. Schon unterhalb 2600m folgte dann Genuss pur. Die Sonnenhänge der ostseitig exponierten Talhälfte waren wunderbar aufgefirnt, in tieferen Lagen gab's dann auch auf der anderen Talhälfte butterweichen Firnschnee.
Fahren konnte man bis 1950m zum Wasserfall runter - insgesamt also mehr als 1000Hm Abfahrt - und das ohne Gletscher.
An der Waldgrenze war dann Wechsel des Schuhwerks und Aufsatteln der Ski angesagt, schließlich Abstieg auf dem Wanderweg bis Kolfuschg. Dort fährt um 12:40 der einzige (!!!) Bus bis Arabba, von wo wir zu Fuß bis zum Pordoi-Pass wieder aufsteigen mussten.
Chronologie:
9 Uhr Passo Pordoi
9:30 Uhr start am Sass Pordoi
10:30 Uhr Einstieg Mittagstal
11:30 Uhr Abschnallen am Wasserfall
12:20 Uhr Kolfuschg (inkl. Pause)
12:40 Uhr Bus nach Arabba, Mittagspause
14:00 - 15:40 Uhr Aufstieg zum Passo Pordoi
Noch ein paar Tipps:
- Bei gemütlichem Gang braucht man kein Konditionstier zu sein, um diese Runde mit Genuss zu vollenden!
- Am Wochenende sind neben massenweise Halbschuh- und Bustouristen am Sass Pordoi auch weitere Alpinisten unterwegs. Während der Woche ist man u.U. komplett alleine! (Wir waren die einzigen Gäste in der Seilbahn und hatten erstmals in Kolfuschg wieder "Feindkontakt")
- Der Bus um 12:40 Uhr von Kolfuschg (Pension Lujanta) nach Arabba fährt nur werktags, und ist der einzige am Tag!!! (Alternativ bleibt eigentlich nur per Anhalter oder mit Bus und Bahn über Brixen und Bozen bis Canazei - dann zu Fuß zum Pordoi.)
- Zwei Autos zu nutzen ist ätsch, machen nur Weicheier.
Wer nicht laufen möchte: Lieber Fahrräder am Vortag deponieren und mit dem Radl über Campolongo und Pordoi zurück (empfand ich vor Jahren jedoch als antrengender als die Version diesmal).
- Spaß in einmaliger Landschaft haben!
Belvedere:
Bilder vom Sonntag, 22.5.2011
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