::: 'The Great Southern Trendkill'-Tour 2008 :::
::: "Grenzgänger" ::: Super-St.-Bernhard & Crevacol, 14.2.2008
::: Chasseral, k2k, Gerrit, [trincerone] – Bildbearbeitung: [trincerone] :::
::: Winterabend :::
::: [trincerone] ::: Die Sonne ist schon lange hinter den winterlichen Graten im Westen verschwunden, ein fahler Glanz ziert noch die Silhouetten der verlassenen Gipfel, während im Osten bereits die Nacht über dem stillen Tal herein bricht. Klare, eisige Winterluft auf meiner Haut, in meinen Lungen: ich fühle, ich atme... ruhig ist es hier, trotz der Straße, einem der wesentlichen winterfesten Alpenübergänge, ich stehe auf dem Parkplatz, schaue in den Winterabend. Die stille kalte Luft lässt die Gedanken klarer werden, die Schmerzen klingen ab, es bleibt ein dumpfes, immer noch sehr unangenehmes Gefühl in meinem toten Arm, der nutzlos vor meinem Bauch fixiert ist. Zwischenzeitlich war ich auf der Fahrt hierher halb weggetreten, Geist und Körper reagieren auf ihre Weise auf derartige Extremsituationen, meine Erinnerung ist bruchstückhaft fragmentiert. Mit den Medikamenten nun ist es erträglicher geworden, nicht angenehm, stechender Schmerz bei jeder falschen Bewegung, aber keine schier unerträgliche dauernde Störung meiner physischen Empfindung mehr. Wackelig bin ich immer noch auf den Beinen – und ziemlich hilflos! Ohne die anderen kann ich nicht mal meine Jacke öffnen oder mich sonst umziehen, auch die meisten anderen ansonsten so alltäglichen Bewegungen bleiben mir verwehrt. Doch ich stehe hier, ich atme...
Ich zünde eine weitere Zigarette an, während ich den Abendhimmel bestaune, der nun zusehends zur Nacht wird. Wie schön er mir heute erscheint, einzigartig, so intensiv habe ich ihn schon seit langem nicht mehr wahrgenommen. Viele Fragen. Ich werde noch lange darüber nachdenken... aber nicht heute abend, nicht heut. Langsam erwachen die Lebensgeister, ich beginne wieder zu mir selbst zu finden. Ich spüre nicht einmal Enttäuschung, ein leichtes Bedauern vielleicht, dass ich all diese Orte, nach denen ich mich so lang schon sehne, nicht sehen werde, dass ich das, was ich so gerne meinen Gefährten nahe bringen wollte, nun nicht mit ihnen werde teilen können. Und dennoch: zu viel ist heute geschehen als dass dies Raum in meinen Gedanken hätte. Und vieles andere ist noch offen: die Heimkehr, der Rücktransport, die Versorgung der Veletzung, ja überhaupt eine richtige Diagnose. Wird all das Folgen haben? Nicht einmal hiervor verspüre ich Angst, es ist wie es ist und ich habe schon riskantere Dinge in meinem Leben getan und bin dichter an die letzte aller Grenzen, die nicht zu überschreiten ist, gelangt: das ist der Preis dafür, ich wusste es immer; dass ich eines Tages erkennen würde, dieses eine mal zu hoch gespielt zu haben. Es war mir stets bewusst, mehr vielleicht als anderen, und so ist es für mich nun bloß konsequent, diese Verletzung mit mir zu tragen, die Schmerzen, die Ungewissheit, die Folgen... Was mich viel mehr beschäftigt, sind die Bilder, die ich vor meinem geistigen Auge sehe: all dies, die Risiken wie die außergewöhnlichen Momente, die ich erlebe, waren immer ein so wesentlicher Teil von mir, immer geprägt von der Vorstellung, es läge in meiner Verantwortung, und so war ich ohne Angst. Jetzt denke ich das erste mal an jene welche bleiben...
Noch einmal atme ich tief ein, dann wende ich dem ersterbenden Abendlicht den Rücken zu, suche vorsichtig meinen Weg über den gefrorenen Asphalt zurück in unser Hotel. Abendessen. Eine schöne Unterkunft ist dies, schlicht, sehr günstig, aber nett und optimal gelegen – ich stieß eher zufällig bei der Planung dieser Tour darauf. Auch mit dem Essen bin ich durchaus zufrieden – und es wurde auch Zeit, endlich zu essen. So langsam hebt sich die Stimmung aller uns dreien, wir beginnen zu lachen und mehr und mehr herum zu albern. Zu meinem großen Erstaunen berichtet mir Chasseral, dass er tatsächlich Filmaufnahmen von meinem Sturz gemacht hat! Den krassen unteren Teil hat er dann zwar allein aus ethischen Gründen abgebrochen, mich aber fasziniert es geradezu sehen zu können, was sich dort oben im ewigen Eis des Mont Fort heute abspielte.
So sitzen wir bald schon mit dem Laptop in der Lounge. Immer und immer wieder läuft das Video, es beginnt uns zu beeindrucken. Auf den ersten Blick schaut es gar nicht so krass aus, was an der Perspektive des Teleobjektivs, die die Geschwindigkeit geringer wirken, der Distanz, die die Abflüge bei weitem nicht so krass aussehen lässt und dem generellen Phänomen, dass man beim nach unten Filmen ohne Bezugspunkt keine Relation zum Gefälle bekommt. Je häufiger wir das Video aber anschauen, desto mehr dieser Details fallen uns auf: wenn man den Abstand der Buckel bedenkt und in der Zeitlupe die Abflüge betrachtet, so weit einem schnell klar, dass ich dort gegen Ende doch ein, zwei Meter – und vielleicht nach Ende des Videos mehr – durch die Luft geschleudert wurde. Auch die Distanz, die ich zurück lege relativ zur kurzen Laufzeit des Videos sagt uns, dass dort Geschwindigkeiten oberhalb 70 – 80 km/h in der Spitze aufgetreten sein müssen. Nicht ohne... Als Chasseral dann noch spontan eine WLAN-Verbindung bekommt, beschließen wir, das Video einfach zunächst unkommentiert ins Forum zu stellen...
So haben wir an diesem Abend doch noch viel gelacht, ein bisschen rumgealbert, und gehen dann nicht allzu spät ins Bett. Früh morgens schon werden wir Gerrit an der Talstation der EUB in Super-St.Bernard treffen, eine unruhige, für mich aufgrund der Schmerzen und der Immobilität fast schlaflose Nacht bricht an...
::: Gerrit ::: Mit ziemlich gemischten Gefühlen sitze ich im Wagen auf dem Weg zum großen St. Bernhard, wo wir einander morgen treffen wollen. So haben wir uns alle auf die Tour gefreut und nun ist uns schon am ersten Tag unser "Organisator und Reiseleiter" abhanden gekommen und das auch noch im Rahmen einer ernsten Verletzung. Sicher - es hätte auch wesentlich schlimmer kommen können, ich mag mir gar nicht ausmalen, was alles hätte passieren können, wenn am Mt. Fort auch noch Felsen eingestreut wären in die Bubenpiste...
Die Fahrt zieht sich, vor allem die unangenehme und uninteressante Strecke in der Po-Ebene, viel Verkehr, einige Staus, und so ist es schließlich 21.00 Uhr, als ich im kleinen Ort südlich des großen St. Bernhards am Parkplatz des kleinen Hotels anhalte, in dem [trincerone] mir dankenswerter Weise ein Zimmer vorbestellt hat.
Viel ist nicht los hier, 3 Gäste sind wir im Restaurant, ich bin reichlich müde, zumal ich letzte Nacht im Dienst war, also ziehe ich mich nach der Pasta rasch ins Zimmer zurück.
::: Super-St.-Berhard :::
::: k2k ::: Der Große St. Bernhard-Pass gilt als einer der klassischen Alpenpässe schlechthin. Schon zur Bronzezeit bekannt, stellte er bereits zu Römerzeiten einen der wichtigsten Übergänge dar. Weltbekannt sind heute das aus dem Hochmittelalter stammende Hospiz auf der Passhöhe und die dort gezüchtete Hunderasse der Bernhardiner. Auch Napoleon überquerte hier die Alpen auf seinem Zug nach Italien, nach ihm ist unser Nachtquartier benannt: Le Bivouac Napoléon, gelegen in Bourg-St-Pierre an der Nordrampe des Passes.
Mit 2469 m zählt der Große St. Bernhard zu den höheren Alpenübergängen, was dazu führt, dass er wie viele andere im Winter gesperrt werden muss. Im Jahre 1964 wurde dieser Umstand jedoch durch die Eröffnung eines knapp 6 km langen Tunnels behoben und der Pass vor allem an der italienischen Südrampe zu einer komfortablen Schnellstrasse ausgebaut.
Ungefähr zur selben Zeit wurde am schweizerischen Nordportal damit begonnen, eine Seilbahn zum 2761 m hohen Col Nord de Menouve zu errichten, dazu einen Schlepplift zur Erschliessung eines sanften, aber dennoch recht langen Übungshanges bei der Talstation. "Super-St. Bernhard" nannte man die Station, und offenbar sollte sie nur der Anfang sein für ein Großskigebiet, das wohl über den Pass bis weit nach Italien hätte reichen sollen. Walter Pause, der das Gebiet in seinem Führer von 1969 beschreibt, argwöhnt bereits: "Schon wollen die Schweizer im Val d'Entremont beginnen, neue Betten zu bauen, große Bettenzahlen zu erreichen, natürlich mit allem Drum und Dran..."
Doch dazu kam es nicht! Im Gegenteil, die Skistation, die diesen Namen kaum verdient, steht heute noch genau so da wie damals: Ein großer Parkplatz am Nordportal des Straßentunnels, eine lange Seilbahn, flankiert von einem klassischen Poma-Schlepplift, und dazu ein kleines Restaurant in der Talstation. Natürlich ist die Seilbahn nicht mehr ganz im Originalzustand, die Kabinen wurden ausgetauscht, und die alte Seilbahntechnik von Giovanola teilweise modernisiert. Der Grundcharakter des Gebiets hat sich jedoch nicht verändert, denn nach wie vor gibt es nicht mehr als zwei gesicherte Abfahrten von der Bergstation ins Tal.
Die eine folgt der Seilbahntrasse zunächst durch ein steiles Kar, das nicht präpariert werden kann und deshalb meist zur Buckelpiste ausgefahren ist, um unten in einen breiten Boulevard zu münden, der zum Carven einlädt, bevor es ins finale Steilstück geht, das wahlweise durch eine steile Rinne versüsst werden kann. Für die andere Abfahrt dagegen waren früher zunächst bergsteigerische Qualitäten gefragt, galt es hier doch zunächst einen schmalen Grat zu überwinden, um die nächste Geländekammer zur Passhöhe hin zu erreichen. Dieser Drahtseilakt wurde später durch den Bau eines Tunnels obsolet, durch den man heute – Öffnung vorausgesetzt – komfortabel durch den Felsgrat auf die andere Seite gleiten kann. Auch dort wartet aber zunächst ein steiler Buckelhang, gefolgt von einem flacheren, gewalzten Abschnitt, bevor die Piste nach einer weiteren Steilflanke, diesmal gewalzt, in ein flaches Hochtal mündet, durch das man, der Passstrasse folgend, zurück zur Talstation gelangt.
Immerhin 831 Höhenmeter bieten die beiden Pisten, und wem das nicht genug ist, für den bleibt noch eine dritte Option: Die Abfahrt südwärts über die Grenze nach Italien, "Piste Italienne" genannt, über 10 km und fast 1500 Höhenmeter hinunter nach Etroubles (Rückkehr von dort nur mit dem Bus, versteht sich). Oder man bedient sich des Ratschlags von Walter Pause, und steigt mit Fellen zur Passhöhe auf.
Trotz des auf den ersten Blick eher eingeschränkten Angebots bietet Super-St. Bernhard also wesentlich mehr, als auf dem Pistenplan zunächst zu erahnen ist - wie auch wir bei unserem Besuch vor Ort feststellen konnten.
::: Rebels' Reunion :::
::: Gerrit ::: Um 8:36 geht der Bus, also sitze ich um Dreiviertel Acht beim Frühstück, immerhin gibt es hier sogar Müsli, ob trinc das bei der Buchung gewußt hat?
Kalt ist es noch auf der Straße und ich bin der einzige, der bei der Bushaltestelle wartet. Und das auch noch länger als vorgesehen, denn erst mit etwa zehn Minuten Verspätung biegt der Bus um die Ecke.
Ich steige ein und versuche, eine Karte bis Super St. Bernard zu kaufen, auf Italienisch, Französisch (welche ich beide zugegebenermaßen nur peripher beherrsche) und auf Englisch (was der Busfahrer sicher überhaupt nicht beherrschte). Jedenfalls einigen wir uns nach beträchtlicher Diskussion schließlich darauf, dass ich durch den Tunnel in die Schweiz fahren will. Ich denke, damit ist wohl die schwierigste Hürde überwunden. Dann zieht der Busfahrer jedoch eine umfangreiche Tabelle hervor und verwendet mindestens zwei weitere Minuten darauf, den Fahrpreis zu ermitteln. Offenbar sind Fahrgäste meiner Art eher selten. Das nächste Problem erkennt er, als er mir die Fahrkarte ausstellen will. Der Fahrkartenblock ist aufgebraucht. So sucht er mindestens zwei weitere Minuten in einem versteckten Fach nach Ersatz und findet diesen dann sogar. Nun müssen noch gezählte sechs Löcher an genau vorgesehene Stellen auf dem Billet geknipst werden. Nachdem er mir dann auch nicht herausgeben kann, verliert er offenbar den Spaß an seinen Aktionen und rundet den Betrag einfach ab, (er hätte ja auch irgendwo zum Wechseln stehenbleiben können), so kann ich mich endlich mit samt meiner Ausrüstung in der zweiten Reihe verstauen. Ich wundere mich nun nicht mehr über die Verspätung, im Gegenteil, ich bin froh, dass insgesamt nur 4 Personen im Bus sitzen, eine amerikanische Familie mit viel Gepäck. Man stelle sich vor, irgendwo wären 20 Personen eingestiegen und hätten Fahrkarten gekauft, ich wäre wahrscheinlich eine Stunde an der Haltestelle gestanden.
Nun kann es aber los gehen. Blauer Himmel, die Berge schon im Sonnenlicht. Gemächlich bewegt sich der Bus die Südrampe zum Tunnel unter dem im Winter gesperrten großen St. Bernhard-Pass hinauf.
Im Vorbeifahren erblicke ich die untere Sektion des lokalen Schigebiets Crevacol, ich habe im Hotel eine Karte gefunden, besonders groß scheint es nicht zu sein, zudem Südlage, auch habe ich vorher noch nie davon gehört.
Wir erreichen das Tunnelportal, an dem sich auch die Grenzstation befindet. Immerhin verlasse ich ja die EU, natürlich habe ich meinen Pass in der Tasche.
Der Bus hält vor einem in der Spurmitte aufgestellten Kunststoffkegel, der Busfahrer reicht eine Zeitung aus dem Fenster und ein italienischer Grenzbeamter steigt kurz ein, wirft einen desinteressierten Blick ins Businnere und verläßt das Fahrzeug. Der Kegel wird zur Seite gestellt und die Fahrt geht weiter. Auch bei der nächsten Baracke wird eine Zeitung zugestellt, dann halten wir wieder vor einem Kunststoffkegel. Die letzte Zeitung wird ausgegeben, dann betritt ein Schweizer Grenzbeamter den Bus. Ausgibig studiert er meinen Pass, mustert mich streng und (ich stecke in meinem Schigewand und schleppe neben Rucksack und Phototasche natürlich meine Schi und Stöcke) fragt mich mit ernstem Gesicht, zu welchem Zweck ich denn in die Schweiz wolle. Kurz muss ich mich ernsthaft zurückhalten, ihm NICHT von einem vorgesehenen Tauchgang im Genfer See zu berichten, aber der Mann sieht irgendwie nicht so aus, als ob er Spaß versteht. Dafür erfahre ich dann noch, dass die amerikanische Familie die letzte Woche in Cervinia verbracht hat und nun per Bus und Zug nach Chamonix wechselt.
Endlich wird auch der letzte Begrenzungskegel weggeräumt und der Tunnel nimmt uns auf.
::: Klein-Alagna :::
::: k2k ::: Nach einem kurzen, aber ausreichenden Frühstück ist es Zeit zum Aufbruch. Die nächste Etappe steht an, unsere erste Unterkunft dieser Tour lassen wir hinter uns zurück.
Zusammen mit dem verletzten [trincerone] fahren wir zum Parkplatz am Nordportal des Tunnels. Während Chasseral und ich unsere Skiausrüstung für den Tag zusammensuchen, kommt auch schon der Bus über den noch leeren Parkplatz gefahren, mit Gerrit, der auf der Südseite Quartier bezogen hat.
Wir kaufen die Liftpässe, ich freue mich über Studentenermässigung, und starten zu dritt mit der alten EUB in den Skitag. Trinc lassen wir am Parkplatz zurück, er will unterdessen versuchen von dort seine Rückreise nach Deutschland zu organisieren. Da sämtliche Abfahrten ohnehin zu dieser Talstation zurück führen, können wir uns dort jederzeit treffen und das weitere Vorgehen abstimmen, falls sich Neuigkeiten ergeben.
Der Einstieg in die alten Gondeln ist gar nicht so einfach, die alten Skiköcher sind nicht auf moderne, breite, auch hinten aufgebogene Bretter ausgelegt. Ehe ich's mich versehe nähert sich die Kabine der Stationsausfahrt, und ich habe keine Zeit mehr, zu Gerrit und Chasseral in die Kabine zu steigen. Ich nehme die nächste, und die Ski kurzerhand mit in die Kabine, was bei der engen Konstruktion aber auch nicht einfach ist. Erst bei der nächsten Fahrt lerne ich, wie man es richtig macht: Einfach die Ski einzeln in die Skiköcher stellen, dann funktioniert es.
Durch das noch schattige Kar erreichen wir bald die Bergstation, die mich von ihrem ganzen Stil her sofort an eine wohl bekannte Seilbahnstation auf der Südseite des Monte Rosa erinnert. Obwohl der Bau wesentlich kleiner ist, und man eine EUB-Station auch nicht unbedingt mit einer Pendelbahnstation vergleichen kann. Dennoch erinnert mich die ganze Szenerie inklusive der Wetter- und Schneebedingungen sehr an eine Tour damals im Januar 2005, und so benenne ich Super-St. Bernhard kurzerhand um in "Klein-Alagna".
::: Chasseral ::: Wir betreten das ehemalige Restaurant in der Bergstation und erleben eine gespenstige Szenerie. Neben einigen Tischen, Barhockern und sonstigen Resten früherer Restauration liegen dort enige Pistenmarkierungsschilder, Warntafeln und sonstige Utensilien des Pistenbetriebs. Wir sehen uns hinter der Theke um - plötzlich ein Schreck: In der Ecke liegt ein respektabler Hund. Dieser lässt sind durch uns jedoch nicht stören, jedoch auch nicht beeindrucken. Der undefinierbare Nutzungszustand des Gebäudes lässt uns vorsichtig agieren, der morbide Charme ist irgendwie unwirklich.
Auf den Abfahrten liegt beträchlich weniger Schnee als im Vorjahr. Die erste Steilhang der Hauptabfahrt ist wie bei Starlis Besuch mit schweren Schneenagzäunen durchsetzt. So konnte vermutlich ein Mimimum an Schneeauflage gehalten und von dem Abblasen geschützt werden. Die ersten Meter Piste sollten sich von der Schneeauflage her grenzwertig erweisen, während es talwärts immer besser würde. Im letzten März war diese Abfahrt in voller Breite ohne Hindernisse befahrbar.
::: k2k ::: Dann wird es Zeit für die erste Skiabfahrt. Wir entscheiden uns für den Tunnel, da dieser bei Chasserals Besuch im Vorjahr geschlossen war. Die ersten Schwünge gestalten sich recht hakelig, weil wir die Ski am Vorabend gewachst haben, ohne das überschüssige Wachs anschliessend abzuziehen. Dazu ist der Einstieg in die Buckelpiste etwas steinig, steil, und natürlich sind auch die Ereignisse des Vortages noch nicht ganz vergessen. Doch nach zwei Kurven ist bereits der Tunneleingang erreicht.
Auf der anderen Seite erreichen wir das einsame Hochtal, durch dessen Talboden im Sommer die Passstrasse führt. Auch die Passhöhe selbst kann man vom Ende des Skitunnels aus erkennen. Ich quere vorsichtig über die stark ausgefahrenen Buckel über den Einstieg zur Abfahrt hinweg, um auf der gegenüberliegenden Seite abseits der eigentlichen Piste auf griffigem, aber stark windverpresstem Schnee die ersten richtigen Schwünge dieses Tages zu ziehen. Die anderen folgen, und bald haben wir die Passstrasse erreicht, die als recht langer Ziehweg zurück zur Talstation führt. Erste Tourengeher und Spaziergänger kommen uns entgegen, die diesen präparierten Weg nutzen, um zur Passhöhe aufzusteigen.
Bei der Talstation angekommen, gibt es noch keine Neuigkeiten bezüglich [trinc]s Heimreise. Wir beschliessen, unsere Rucksäcke bei ihm im Restaurant zu lassen. Der Schnee im Skigebiet ist derart abgeblasen, dass keine Lawinenausrüstung erforderlich ist, und so sparen wir uns dieses Gepäck für die kommenden Abfahrten. Als nächstes geht es auf meinen Wunsch hin für eine Fahrt zum Schlepplift, um bei einigen schnellen Carving-Turns das letzte, überflüssige Wachs von den Brettern zu fahren. Anschliessend nehmen wir wieder die Gondel hinauf zum Col.
Mehrfach fahren wir in der Folgezeit die Tunnelpiste und die Hauptabfahrt, meist mit verschiedenen Variationen links und rechts der offiziellen Route. Zwischendurch erklettern wir die Dachterasse der Bergstation und werfen einen ersten Blick in Richtung Aostatal.
::: Chasseral ::: Wir beschließen, den kleinen Gipfel neben dem Menouve-Pass zu erklimmen, auf den ein schmaler und teilweise gesicherter Steig führt. Mehr oder weniger unüberlegt nehme ich meine Skistöcke mit, was sich als großer Vorteil erweisen sollte. Auf der pulvrig bis eisigen Unterlage bieten die Skischuhe nur geringen Halt; mit den Skistöcken kann ich mich sehr gut stabilisierern; meine beiden Begleiter sind jedoch sehr schnell zur Umkehr gezwungen. Weiter oben wird der Grat ausgesetzt, Halt bietet nur ein wenig vertrauenserweckendes Stahlseil und selbst mit Skistöcken wird der Aufstieg grenzwertig. Ein Ausrutschen ist hier unbedingt zu vermeiden, da lebensgefährlich. Die letzten paar Meter geht es über eine verfallene Stiege. Einige Stufen fehlen, andere wiederum sind durchgebrochen oder haben große Löcher.
Das Schigebiet von Pila bei Aosta, dahinter die Gletscher des hintersten Cognetals im Gran Paradiso Nationalpark.
Oben dann ein großartiger Ausblick auf die Aosta-Region, wobei sich die Schneesituation krass anders darstelle als bei meinem Besuch im März des letzten Jahres. Letztes Jahr waren die Gipelregionen dank 3 Meter Schneeauflage blütenweiß, während unten im Tal der Frühling Einzug gehalten hatte. Dieses Mal war es umgekehrt: Die oberen Regionen waren verblasen und aper, während die Hänge unten schön weiß waren und das bis hinunter auf mindestens 1200 Meter Seehöhe. Verkehrte Welt!
Impressionen unterwegs:
Das letzte Stück der Tunnelpiste auf der Passstraße entlang. Vis-à-vis die großen Anlagen des St.-Bernard-Tunnels, dahinter der Parkplatz des Schigebietes, die Talstation der EUB und der durch den Stangenschlepplift erschlossene Hang.
::: Der Pass :::
::: k2k ::: Dann ist Mittag, Zeit für eine erneute Lagebesprechung mit [trinc]. Am Parkplatz treffen wir ausserdem ATV, der am Morgen das Skigebiet von Liddes-Vichères besucht hat.
ATV im Stangenschlepper auf dem Seitenhang.
Wir beschliessen, uns aufzuteilen: ATV will die EUB dokumentieren, Chasseral geht davon aus, [trinc] am Nachmittag irgendwann nach Martigny bringen zu müssen und will auf dem Rückweg direkt durch den Tunnel fahren, um auf der Südseite noch schnell das Skigebiet von Crevacol mitzunehmen. Gerrit und ich haben die Felle dabei und wollen zur Passhöhe aufsteigen, eine gute Gelegenheit für mich, endlich die neue Tourenausrüstung einzuweihen. Am Ende des Tages wollen wir über die Piste Italienne nach Etroubles abfahren und uns dort wieder treffen.
::: Gerrit ::: Einige Abfahrten haben wir schon gemacht und Standardabfahrt, Tunnelpiste und Übungshang beim Schlepplift erkundet. Auf dem Stück der Paßstraße, über die man von der Tunnelpiste wieder zurück zur Talstation gelangt, kommen uns immer wieder Tourengeher und Schneeschuhwanderer (wobei Schneeschuhe bei der heutigen Schneelage m.E. eher als optisches Accessoire denn als notwendiges Ausrüstungsstück scheinen) entgegen, die zweifellos zur St. Bernhard-Paßhöhe aufsteigen. Ich erinnere mich an die abschließende Passage aus Walter Pauses Gebietsbeschreibung von Super St. Bernard ("Skiheil"):
Zitat:
Oder einmal ganz anders: hinüber zum eingeschneiten und verlassenen Col du Grand Bernard skiwandern, dessen Verkehrsgeschichte bin in die Bronzezeit reicht, den Augustus erstmals ausbauen ließ, über den Napoleon I. samt 300.000-Mann-Heer und Artillerie zog – entweiht heute durch die Benzindüfte des "Fortschritts".
die mich ja schon dazu bewogen hat, die Felle in den Rucksack zu tun, und auch Steffen ist sofort bereit, schon vor dem Mittagessen einige Kalorien beim Aufstieg zu verbrauchen. So zweigen wir auf der Tunnelpiste bald nach links ab und queren ohne viel Höhenverlust über weite Hänge in ein trogförmiges Hochtal, durch das die Haupt-Tourenroute zur Paßhöhe verläuft, während die Straße etwas nördlich über einige Serpentinen zu der schon von weitem sichtbaren Häusergruppe am Übergang zieht.
Wir ziehen die Felle auf und marschieren los. Ich spüre noch die Folgen einer Verkühlung, ebenso die – am ersten Tag noch ungewohnte Höhe – und komme trotz der eigentlich unschwierigen Trasse und geringen Hangneigung bald in leichtes Keuchen und bin froh, als wir nach einer guten halben Stunde die Paßhöhe erreichen.
::: k2k ::: Eine anstrengende halbe Stunde später stehen wir vor dem Hospiz an der Passhöhe. Dort bieten die Mönche auch im Winter Tee und Suppe für die zahlreichen Tourengeher an, die berühmte Hundezucht ist jedoch um diese Jahreszeit nach Martigny ausgelagert. Wir stärken uns zunächst und sehen uns anschließend ein bisschen um.
Der gefronene winterliche See an der Passhöhe.
::: Gerrit ::: Im Gegensatz zum Selbstbedienungsrestaurant an der Talstation hat das Gasthaus im alten Hospizgebäude wesentlich mehr Charakter, zudem bekommt man hier um wenig Geld eine riesige Portion Suppe (zugegebenermaßen eher dünn, aber heiß und wohlschmeckend), eine Kanne Tee ist sogar umsonst.
Herrlich ist der Ausblick, einige Tourenziele in der Umgebung locken bzw. sind mit Aufstiegs- und Abfahrtsspuren verziert. Trotzdem bin ich sogar zu müde, um Steffen auf seiner Excursion zu gut erhaltenen Talstation eines schon lange abgebauten Sessellifts knapp oberhalb der Paßhöhe zu begleiten und ziehe es vor, diese Unternehmung von unten zu dokumentieren.
Anschließend bin ich wieder ein bißchen frustriert, wie schnell die vorhin als so anstrengend empfundene Aufstiegsstrecke auf den schnell talwärts laufenden Brettern an mir vorbeischießt. Dann geht es weiter entlang der nahezu unsichtbaren Paßstraße zurück zur Seilbahn.
Reste des ehemaligen Sesselliftes dort oben... [/i]
::: Chasseral ::: Ich fahre von der EUB mit ATV, der die Seilbahn intensiv begutachtet, nach unten und wähle nach dem für Carving perfekten, gewalzten Mittelteil unten ein der herrlichen Rinnen zur Talstation. Früher waren diese in den Pistenplänen eingezeichnet, heute ist es freies Gelände. Herrlich schwingt man in der leicht eingefahreren Rinne wie in einer Bobbahn. Die respektable Steilheit fällt vor allem dann auf, wenn man sich bewusst macht, in was für einem Winkel man auf das Dach des Talstationsgebäudes und des Tunnelportals schaut.
Nachdem klar ist, dass Trinc erst am nächsten Tag abgeholt würde, geht es mit ATV zu einer letzen Fahrt am Schlepplift, wo ich die zweite blaue Piste wähle, die weiter außen rum geht und an einer schnuckeligen, bewirtschafteten Hütte vorbeiführt. Mit Trinc bin ich mir schnell einig, dass es jetzt nochmal auf die Südseite, zum Gebiet St. Rhémy – Crevacol gehen würde – während unsere beiden Begleiter mit Fellen zur St.-Bernard-Passhöhe aufsteigen würden.
::: k2k ::: Über die ausgefahrene Abfahrtsroute ist die Talstation der Seilbahn schnell wieder erreicht. Wir treffen uns ein weiteres mal mit ATV und fahren hinauf zur Bergstation. Oben am Col geniessen wir noch ein bisschen die Abendsonne.