::: Grand Tourmalet, 03.01.2012 Der Morgen dämmert kalt, behaglich ist das abgelegene kleine französische Berghäuschen irgendwo im Nichts, das uns heut nacht wohlige Wärme spendiert hat. Wir frühstücken kurz, aber gemütlich, der Motor läuft warm während wir die letzten Gepäckstücke wieder im Wagen verstauen, kaum noch hat das Tageslicht den Talgrund erreicht. Auf morgendlich leeren, engen französischen Bergstraßen alten Stils fahren wir durch die seichte Landschaft am Rande der Pyrenäen, die als strahlend weiße Wand über den lieblichen Talauen thronen.
Das gestrige Grau und die letzte Nacht haben beachtliche Neuschneemenge gebracht! Die Straße nähert sich den Gipfeln, die Täler werden enger, die Straße steiler. Langsam nimmt trotz der frühen Stunde (die Sonne steht noch nicht am Himmel) der Verkehr zu: wir sind nicht die einzigen, die wissen, das heute ein Traumtag zu warten verspricht; vielleicht der beste der bisherigen Saison.
Auf der Ostrampe des Tourmalet ist bereits einiges los, in den schattigen kalten Talgründen erreichen wir plötzlich die Schneegrenze; ein Chaos, querstehende Autos, hastig Ketten montierend; das ist einer dieser Momente, in denen ich lächle, wenn der Motor hochdreht und kraftvoll an allen anderen vorbei sich die vier Reifen durch den Schnee wühlen, dass es spritzt. Aus den Kurven heraus an den Steigungen die Kolonnen überholend – mein Herz schlägt schneller!
Grand Tourmalet – welch geniales Schigebiet. Eine Zeitreise irgendwo, gefühlt. Ein Schigebiet der alten Garde; auch wenn es einige ersatzlose Abbauten von Liften und mäßig erfreuliche Neuerungen in den letzten Jahren gab, ist das immer noch ein absolut geniales Schigebiet, dass einhundert Prozent Frankreich ist. So sehr Frankreich, wie man das in den Alpen heute selten findet! Ein Großskigebiete, dass Täler hinter Tälern erreicht, in einer wilden unberührten Landschaft, die in den südlichen Anden sein könnte. Und überall dem thront ein König unter Gipfeln, Freeride-Berg der Extraklasse, gekrönt von Sendemast und Observatorium, erschlossen von zwei Sektionen Pendelbahn – ganz ähnlich seiner fast namens gleichen Schwester in den Alpen: der Pic du Midi!
Quelle: n-py.comQuelle: tourisme-hautes-pyrenees.comDas Schigebiet am Col du Tourmalet zieht sich von Ost nach West, vielfach beidseitig entlang der Passstraße. Auf der Ostrampe liegt La Mongie, im unteren Teil ein klassischer französischer Wintersport der zweiten Generation, der an Val d’Isère, Chamrouse oder Alpe d’Huez erinnert.
Oberhalb liegt der Monolith – eine gigantische „Station Integrée“, die der ersten Hälfte der 70er Jahre entstammen dürfte und absolut „front neige“ ist. Rund herum das klassische Ensemble an unzählige Stangenschleppliften, im Ortskern die Pendelbahn zum Pic du Midi, dann Liftketten hinauf zur Passhöhe, manche, ältere Anlagen, führen in abgelegene Seitentäler. Einige interessante Anlagen wurden leider ersetzt, so etwa die POMA Gondelbahn télécabine Pourteilh; oder die alten Schleppliftketten mit den weißen Stützen, die einst zum Pass hinauf führten. Partiell wären die Schlepper schöne Alternativanlagen zu den teils fixgeklemmten und damit wenig komfortablen Sesselliften. Teilweise wiederum kann aufgrund der Südausrichtung auch verstehen, dass die Schlepplifte in den Klimabedingungen des 21. Jahrhunderts nicht mehr Aufstiegsmitter erster Wahl bleiben konnten. Die Neubauten haben einige Modellationen der Pisten gebracht, nichts davon allerdings wäre absolut tragisch.
Das einzige, was die Freue an diesem Schigebiet etwas trüben könnte, ist die Stilllegung eines Teils der äußersten Sektors. Auf der West-Rampe dient Barrège als Talort, nur wenige Kilometer von Luz-St.-Sauveur, wo wir die letzten Tage verbracht haben, entfernt. Der Satellit mit dem Namen „Super-Barrège“ existiert nur auf dem Papier – in Wirklichkeit findet sich dort kaum mehr als ein Restaurant und ein großer Parkplatz; so wie einige sehr nette Almweiler mit Gastronomie in unmittelbarer Umgebungen.
Barrège selbst wiederum ist ein Skiort mit Tradition, der doch etwas den Anschein macht, als seien die letzten Jahre nicht mehr ganz so rosig gewesen. Vor allem hat der Ort seinen Liftanschluss ins Schigebiet verloren. Da wäre zum einen ein Sessellift gewesen, der von Barrège in etwa entlang der immer noch eingezeichnete blauen Piste Richtung La Lienz geführt hätte (die Schneise ist auf dem Plan links davon auch noch zu sehen). Vor allem aber war die uralte Standseilbahn – ebenfalls als Schneise oberhalb von Barrège zu sehen – deren Ruinen noch heute im Wald stehen.
Quelle: loucrup65.frDie Autoschlange weit hinter und folgen wir der kurvigen Straße durch den Wald, höher und höher in die Berge. Der Wald wird lichter, dann wird der Blick auf die gewaltige Flanke des Pic du Midi frei.
Der Wald bleibt zurück, die Straße tritt auf das eisige Hochplateau, die Landschaft wirk arktisch – oder wie aus der südlichen Hemisphäre. Als sei man gerade von Santiago in die Anden hoch gefahren…
Direkt südlich der Station finden sich die ältesten Anlagen, eine Ansammlung von Schleppliften, die eine wilde Landschaft oberhalb des Talgrundes führen. Mit Blick auf den alten Teil von La Mongie warten Hänge mit knietiefen Pulver… (allerdings bei tückischer Unterlage!).
Dann machen wir uns auf in Richtung des Monolythen der „Station Intégrée“ – wie in einem Science Fiction thront der Koloss im Herzen der eisigen Wüste. Das hat schon sehr viel vom stylishen Flair der 70er Jahre; so kommen wir auch nicht umhin, ein „Sandwich Américain“ (Baguette mit Steak Haché und Soße, sehr cool!) an der Front Neige zu essen. Wenig später hat uns das Schigebiet wieder, im Bereich télésiège SUD scheint bereits die Sonne. Die Anschlussanlage zur Mittelstation der téléphérique du Pic du Midi wurde leider abgebaut.
Wilde Kulisse am Col de Tourmalet.
Télésiège Sud, im Hintergrund die einsamen Schlepplifte jenseits von la Mongie. Wir lassen den unmittelbaren Bereich der Skistation hinter uns, es gilt hier ein langes Platt zu überwinden. Jenseits der Monolythen-Station befindet sich das Talstation der ehemaligen télécabine Pourteilh, die in ein sehr schönes Seitental führte, sowie der Sessellifte, die heute zur Passhöhe tragen. Die alte Kabinenbahn wurde kürzlich leider durch einen TSD6 ersetzt, was allerdings bei dem herrlichen Wetter den Vorteil eines Transportes an der frischen Luft bietet. Die Anlage endet, wie schon ihr Vorgänger, in einem grandiosen Hochtal, wo sich im Anschluss, fast etwas versteckt, eine alte Zweiersesselbahn in den abgelegenen hintersten Talschluss hinauf tastet.
Blick zurück auf die monolytische Station, mit ihrem 70er-typsichen Zubringersessellift. Ebenfalls zu erkennen: die Talstation der ehemaligen Kabinenbahn.
Talstation des télésiège 4 Thermes, einer langen einsamen Anlage in einem wunschönen Hochtal wie aus dem Bilderbuch, die eine grandiose Piste erschließt.
Minimalistische einsame Bergstation.
Die Piste am 4 Thèrmes ist so genial, dass wir sie wiederholen. Dann wird es Zeit, die Westrampe des Passes kennenzulernen. Steile, weiße, weiten; glattpräpariert oder im tiefen Pulver.
Super-Barrèges – mehr ein Name als alles andere.
Téléski Toue aus dem französischem 70erJahre-Bilderbuch; leider im oberen Teil erheblich verkürzt!
Eine der vielen Routen vom Pic du Midi findet hier ihren Weg in die Zivilisation zurück.
Tiefenwirkung am téléski Toue. Sowohl die Abfahrten von der Passhöhe hinab nach Super-Barrège sind grandios, als auch die Pisten an dem sonnengefluteten Schlepplift Toue. Das grandiose, vielfach unberrührte Landschaftsbild tut ein übriges.
Nach einigen Abfahren hier folgen wir dem Talgrund direkt neben dem Fluss hinab, bis wir die Talstation des Tournaloup-Sessellift erreichen, der weiter talauswärts den letzten (heute) erreichbaren Berg erschließt. Unterwegs passieren wir einen Schlepplift, der heute leider außer Betrieb ist, aber grandiose rote Pisten erschließt.
Das Schigebiet im Bereich Laquette ist ein typisches, klassisch-gemütliches Schigebiet. Geruhsame Schlepplifte in lichten Wäldern, der Blick auf die – nunmehr schon entfernten – hohen Berge, einladende Gastronomie: hier lässt es sich großartig den Mittag verbringen. Das jenseitige Schigebiet in Richtung Barrège ist heute geschlossen, teilweise auch stillgelegt, wobei angeblich eine Reaktivierung angestrebt wird.
Geruhsame Schlepplifte.
Das Skigebiet von Barrèges: hier wurde einiges stillgelegt und auch die verbleibenden Anlagen sind heute nicht in Betrieb.
Die französische Skischule muss auch schon bessere Zeiten erlebt haben. Wir machen uns auf den Rückweg zum Pass. Auch auf dieser Seite ist die Kulisse in unmittelbarer Nähe des Passes ziemlich spektakulär. Dazu kommt, dass die wenig modellierten Abfahrten bei diesen Schneeverhältnissen perfekte Traumpisten sind. Gern würde ich hier noch ein paar Wiederholungen einlegen, aber wir wollen den Spätnachmittag und Sonnenuntergang auf dem Pic du Midi sehen (für den man übrigens einen Aufpreis im Skipass bezahlen muss).
Von der Passhöhe führt auf die Südhänge ein neuer Sessellift, der zwei Schlepplifte ersetzt, die stets unter Schneemangel litten. Von dessen Bergstation ergeben sich nicht nur tolle Blicke, sondern auch eine abgelegene Abfahrt fern der Infrastruktur zurück nach la Mongie!Nach einer langen letzten Abfahrt erreichen wir den unteren, ältteren Teil von la Mongie und machen uns auf zur Seilbahn auf den Pic du Midi. Am Eingang jedoch werden wir abgewiesen: Fahrplanänderung! Das ist einigermaßen ärgerlich, weil ich die letzte Bergfahrt – soetwas ahnend – explizit beim Schipasskauf angefragt hatte. Es stellt sich heraus, dass die junge Verkäuferin wohl mit den Fahrplanwechseln unerfahren war; nun denn, wenigstens bekommen wir den Aufpreis für den Pic du Midi erstattet.
Wir fahren noch einige letzte Runden an den Schleppliften und dem abgelegenen Sessellift, bevor im Zwielicht den Parkplatz erreichen und die Ski verladen.
Wir fahren nach Bagnes-de-Brigorre, einem alten Thermenort. Wir verbringen ein paar Stunden in einer der klassischen Thermen, die wider Erwarten ein Publikum weitestgehend in unserem Alter aufweist. Ein anschließender Restaurantbesuch, dann hat uns das Dunkel der Straße wieder. Wir queren einen einsamen Pass nach Süden, folgendem dem großen Tal nach St. Lary und darüber hinaus. Das Tal wird wieder enger, die Landschaft einsamer, wilder. Die Straße windet sich empor, folgt dann einem verschneiten leeren einsamen Hochtal, jenseits der Baumgrenze. An dessen Ende, inmitten des weißen Nichts, ein Stolleneingang. Die Röhre aus dem Jahr 1976 ist nur einspurig zu befahren, es ist schon beinahe gespenstisch im Nichts des nächtlichen Hochtales zu warten, bis die Ampel auf Grün springt.
Ein paar Kilometer durch das Herz der Pyrenäen, dann verlassen wir das Südportal.
Espagna!