Es ist die kalte, klamme Stunde vor der Morgendämmerung. Die Luft riecht nach dem Tau in den Wiesen, als ich das Haus verlasse und zum Wagen gehe. Um mich herum und hinter mir ist noch tiefe Nacht, über und vor mir aber zeichnet der Himmel in einem tiefdunklen Orientblau einen ersten Wegweiser dem nahenden Tag. Ich hole tief Luft - ich liebe diese Stunde der Dämmerung, für mich ist es die schönste Zeit des Tages. Noch ist alles offen, noch weiß niemand, was der Tag bringen wird, die Welt um mich herum liegt noch im schemenhaften Grau der Schatten einer vergangenen Nacht während der Himmel über mir ein überwältigendes Spiel der Farben einleitet, schweigend und beinahe ungesehen. Eine seltsame Euphorie breitet sich in mir aus - sie ist einerseits Teil der Stimmung des anbrechenden Tages und andererseits wohl Resultat der Unmengen Kaffee, den ich eben getrunken habe. Zwei Stunden Schlaf - das ist selbst für meine Verhältnisse nicht sehr viel.
Das kleine oberschwäbische Dorf, das ich durchfahre, schläft noch. Wenige Meter weiter halte ich wieder an: bei der Querung der Eisenbahnbrücke bietet sich mir ein so überwältigendes Bild, dass ich dieses nicht unbeachtet vorbeiziehen lassen will. Ich stelle den Wagen ab und laufe, die Kamera in der Hand, zurück zur Bahnbrücke. Die Gleise reflektieren das Licht des Morgens, der Dampf aus den Kesseln der Papierfabrik, formt bizzare Schemen gegen den immer klarer werdenden Morgen.
Minutelang photographiere und betrachte ich dieses Schauspiel. Erst als die ersten Hähne beginnen zu krähen, besinne ich mich auf mein eigentliches Anliegen an diesem Tag und gehe zurück zum Fahrzeug. Ein bisschen gespenstisch ist es, durch die einsamen Wälder und Wiesen - in Niederungen und an Bachläufen oft durch den Frühnebel kaschiert - zu gleiten. Wenn der Nebel nur wenige Zentimeter des Bodens bedeckt und das Licht der mittlerweile strahlenden Dämmerung reflektiert, ist es fast schon wie fliegen... Oxygen von Kju: - wie oft hat mich dieser Song in solchen Momenten begleitet. Dies ist der Morgen des 29. Mai 2004.
Ich fahre Richtung Leutkirch zur A7. Die Strecke über Lindau und den Arlberg ist nicht schneller, kostet dafür aber eine Menge Gebühren. Gerade ins Pitztal kann man von Oberschwaben aus sehr gut über den Fernpass fahren. Die Autobahn über Memmingen ist zwar ein mords Umweg, aber die direkte Strecke durchs Allgäu dauert Ewigkeiten. Ärgerlich ist nur, dass das letzte Stück Autobahn zwischen Mittelberg und Füssen immer noch nicht fertig gestellt ist - die letzten Kilometer auf deutschem Grund kosten viel Zeit. Dennoch: nur eine Stunde und fünfzehn Minuten nachdem ich losgefahren bin, quere ich die österreichische Grenze - es ist viertel nach sechs. Aber es ist auch Pfingstsamstag und die Strecke über den Fernpass ist wohl eine der Hauptreiserouten aller süd-westdeutschen Camper Richtung Italien und Gardasee. Schon jetzt ist die Straße voll von ihnen, so voll, dass man sich das überholen sparen kann. Die gesamte Strecke über den Pass wird Kolonne gefahren - was soll's, ich liege dennoch gut in der Zeit. Ärgerlich nur, dass die junge Dame an der Tankstelle hinter dem Pass mich falsch informiert. Ich bin mir nämlich nicht mehr sicher, ob man sich hier rechts oder links halten muss, um ins Pitztal zu kommen. Die eine Straße führt Richtung Innsbruck, die andere Richtung Landeck. Aber wo sie genau rauskommen und welche dichter am Pitztal mündet, kann ich nicht mehr mit hundertprozentiger Sicherheit sagen. Nachdem ich dem falschen Tip folgend die ersten zwei Kilometer Richtung Innsbruck gefahren bin, erinnere ich mich wieder: es ist die Straße Richtung Landeck, die man fahren muss. Keine zwanzig Minuten später passiere ich die hohe Innbrücke und bin im Pitztal. Um diese Uhrzeit lässt sich die Straße zur Gletscherbahn noch gut fahren - kaum Leute sind unterwegs. Man muss nur auf landwirtschaftliche Fahrzeuge achten, es ist die Stunde langsamer Traktoren mit ihren schweren Hängern, die oft unvermutet hinter Kurven aus engen Feldwegen herauskommen. Da ich zwar zügig fahre, aber nie so schnell, dass ich nicht innerhalb des Teils der Straße, den ich sehe, sofort anhalten könnte, stellen sie kein Problem dar. Jedoch bin ich mal wieder überrascht wie lang die Straße ist. Wenn ich an diesem Tag einige Vorzüge, die ich dem Kaunertaler Gletscherschigebiet gegenüber dem des Pitztales eingeräumt hatte revidieren muss - der oft beschworene Nachteil der langen Anfahrt ins Kaunertal ist nichtig. Allein die Fahrt bis nach Mittelberg dauert fast so lange wie die Fahrt zur Ochsenalmbahn II im Kaunertal - und zwar ohne Skipasskauf, ohne die Wartezeit auf den Pitzexpress und ohne die Auffahrt zum Gletscher gerechnet. Was mich aber derzeit vielmehr beunruhigt ist das Wetter. Während in Deutschland gestern schon gutes Wetter war, zeigte die Webcam des Pitztaler Gletschers Nebel und Schneefall. Der klare Morgen im Allgäu ist einer milchigen Suppe in den Voralpen gewichen. Je mehr ich mich dem Alpenhauptkamm nähere, desto dichter und dunkler wird die Wolkendecke. Dies widerspricht sowohl den Vorraussagen als auch der Großwetterlage, so dass ich die Hoffnung noch nicht aufgebe, dass eventuell später oder noch dichter am Alpenhauptkamm das Wetter besser ist. Wenige Kilometer vor Mittelberg reißt die Wolkendecke plötzlich auf und gibt den Blick frei, auf die gleißenden Schneefelder des Taschach- und des Mittelbergtales.
Bereich der künftigen Talabfahrt.
Nach etwas über drei Stunden Fahrzeit bin ich kurz nach acht an der Talstation des Gletscherschigebiets. Es sind schon erstaunlich viele Leute da, allerdings bestätigt sich meine Sorge, dass dies repräsentativ für die Auslastung des gesamten Tags sein könnte, in keinster Weise. Im Gegenteil scheint es mir, als seien fast alle Skiläufer bereits zur ersten Fahrt des Pitzexpresses um 8.30 Uhr erschienen - das Gletschschigebiet jedenfalls ist den gesamten Tag über total leer. Toll, das trotzdem alle Lifte geöffnet waren.
Ich mache noch ein Bild meiner neuen Schi, deren Premiere heute ist. Fullplast in Sandwichbauweise - so gehört sich das! J Eine kleine Enttäuschung erlebe ich an der Kasse. In dem Raum mit etwa fünf Schaltern sitzt etwas weiter hinten nur ein einzelner Angestellter. Er sieht kurz auf und beachtet mich erst mal nicht weiter. Ich stehe aber auch noch nicht direkt vor der Scheibe, sondern einen halben Meter davor und frage mich, ob die Kasse denn nun offen ist oder nicht. Ich schaue mich daraufhin um, und sehe ein Papierschild wie abgefallen auf dem Tresen liegen: "Kasse geschlossen - bitte obere Kasse benutzen." Da aber zumindest ein Schalter in der Mitte geöffnet aussieht und ich keine Lust hab, den Weg zweimal zu laufen, frage ich vorsichtshalber doch noch mal den Angestellten. "Wieso, ist doch klar oder? Wenn diese Kasse hier nicht geöffnet wäre, hätte ich das Schild jawohl kaum abgenommen, ist doch logisch oder?". Das ist mir denn doch eine Spur zu überheblich, so dass ich mich sachlich und knapp, aber in einem ziemlich scharfen Tonfall zu einer kleinen Unterweisung bezüglich der Logik hinreißen lasse. Im übrigen stand ich ja nun schon bestimmt eineinhalb Minuten mit fragendem Blick vor der Kasse rum, ein kurzes Nicken seitens des Angestellten hätte genügt, um Klarheit zu schaffen. Erstaunlicherweise ist dieser aber anschließend sehr nett und freundlich - vielleicht hatte er auch nur schlecht geschlafen. Im übrigen muss ich sagen, dass mir alle Angestellten der Pitztaler Gletscherbahn ansonsten extremst zuvorkommend, sehr nett und sehr höflich begegnet sind, so dass ich ehrlich sagen muss, dass ich mich dort als Gast und nicht als zahlender Kunde eines Massentransportunternehmens gefühlt hab, wie das in anderen Gletscherschigebieten der Fall ist.
Es ist jetzt zwanzig nach acht, in zehn Minuten startet der erste Pitzexpress. Die verbleibende Zeit nutze ich, um ein paar Bilder zu machen. Die Fahrt im Pitzexpress ist wie immer sehr eng und aufgrund der Stufen auch etwas unangenehm, etwas weiter oben gibt's auch gleich Streit, weil jemand meint, jemand anderes sei nicht weit genug durchgegangen um Platz zu machen. Es steigert sich, bis ein Dritter, ein breiter Typ mit gebräuntem Gesicht und leicht wettergegerbter Haut, sich zu dem ersten umdreht und im herrlichsten tirolerisch sowas sagt wie: "No spielt di net so auf, Du Depp!". Eine Sekunde halten alle die Luft an, dann hört man hier und da kichern - jedenfalls ist jetzt Ruhe da oben. Ich höre aber eh nur mit einem halben Ohr hin. Ich bereite die Kamera mit Testaufnahmen für das Photographieren während der Auffahrt vor, was aufgrund der schlechten Lichtverhältnisse und der Reflexionen ein schwieriges Unterfangen ist.
Oben schlägt mir ein kühler Hauch Morgenluft aus dem strahlend blauen Himmel entgegen. Die Gipfel erstrahlen orange gegen das Dunkelblau des Firmaments, die Schatten sind noch lang. Das ist ein Vorteil der Stollenbahn: man wird mitten hineingeschossen in diese paradiesische Bergwelt - und umso größer ist das Staunen, wenn man in diesem abgelegenen Hochtal wieder ans Tageslicht tritt. Und da man von hier nicht einmal zurück ins Tal blicken kann, wird das Gefühl eine andere Welt betreten zu haben noch intensiviert - ein Effekt den sich der Pitztaler Gletscher vorbehält und der mich immer wieder aufs Neue überwältigt.
Schon auf den ersten Metern, die ich gleite, ist sie wieder da: die Euphorie. So richtig nehme ich meine Umwelt gerade gar nicht wahr: ich bin gebannt von der Kulisse und überwältigt von dem genialen Gefühl, wieder auf Skiern dahinzugleiten - das letzte Mal liegt mittlerweile schon wieder drei Monate zurück. Erst sachte, dann immer zügiger gleiten die frisch gewachsten Schi dahin. Die Talstation der Pitzpanoramabahn, deren Pforten noch geschlossen sind, lasse ich links liegen, begebe mich in den Hang hinab zum Gletschersee, den Blick immer noch fest auf die Kulisse der Dreitausender gerichtet, die mich vom Ötztal trennen. Der frische Schnee der letzten Tage gibt den Graten und Gipfeln etwas vom Zauber des Hochwinters zurück, der klare blaue Himmel und die kühle, aber nicht eisige Luft jedoch sagen mir aber, dass es Frühsommer ist: heute ist ein Tag, an dem der Sommerschi seine Perfektion erleben wird - selten habe ich solche Bedingungen gesehen. Der Schnee ist jetzt schon weich, aber trocken und staubt. Das Rauschen der Luft in meinen Ohren wird lauter, das Gefühl von Freiheit überflutet meine Sinne. Keine 30 Sekunden später werde ich mit Nachdruck in die Realität zurückgerissen: im unteren Teil des Hanges ist der Schnee härter und meine Ski verkanten hinten während eines etwas übertriebenen Tiefschwunges, zu dem mich diese Schier aus den frühen 70ern verleitet haben. Ich korrigiere und entziehe mich so dem drohenden Sturz. Mir ist aber auch in dieser Sekunde klar, dass derjenige, der sich rausnimmt, in Jeans und Poloshirt skizufahren, eben nicht über die Stränge schlagen darf - ein nasses Hemd um diese Uhrzeit wäre unangenehm gewesen.
Die Schi sind ein Traum - das ist das Fahrgefühl, das ich gesucht hab. Eigentlich hab ich sie nur der Nostalgie wegen fahren wollen, aber zu meiner großen Überraschung sind es auch mit die besten Schi, die ich je gefahren bin (das sollte sich auch eine Woche später am Passo Tonale bestätigen). Sie sind brett hart und dennoch sehr wendig - mit 1,80 sind es auch eigentlich Kurzschi für mich, aber ihre Drehfreudigkeit mach einfach nur Spaß. Bis auf eine Kleinigkeit: die Kanten hinten sind nicht richtig gebrochen. Wenn ich allzu sehr der guten alten Tiefschwungtechnik verfalle und der Schnee nicht gerade sehr weich ist, dann haken sie - so eben auf dieser Piste geschehen. Jetzt wo es mir bewusst ist, kann ich mich aber einfach die nächsten paar Abfahrten vorsehen, bis der Schnee überall weich ist.
Schon nachdem ich die erste Kante überquert hab, sehe ich, dass auch die DSB Gletschersee noch nicht läuft. Macht aber nichts, gerade am morgen und bei dem Licht, freue ich mich auf die Piste vom Mittelbergjoch. Ich fahre also mit dem Schlepplift hoch zum Joch und staune wieder mal, dass dieser zweieinhalb Kilometer lange Lift mich erstaunlich schnell ans Joch bringt. Gleichzeitig bin ich fasziniert von der mit jedem Höhenmeter berauschender werdenden Kulisse: das Pitztal bleibt das schönste Gletscherschigebiet Tirols!
Der Mittelbergjochlift II läuft ebenfalls noch nicht, aber auch das stört nicht, weil die Besonderheit dieses kurzen Ergänzungsliftes ja vor allem im Zugang zum Schweizer Weg liegt und für den ist es mir jetzt eh noch zu früh. Stattdessen fahre ich - jetzt auch in der Sonne - die eher flache, aber herrlich breite und perfekt präparierte Piste (danke liebe PGB, ihr habt einen tollen Service gemacht trotz der wenigen Gäste an diesem Tag), die talwärts rechts des Schleppliftes verläuft und derzeit die Außengrenze des Schigebietes unter dem hinteren Brunnenkogel darstellt. Der Schnee ist so genial, dass ich alles andere vergesse. Erst ein paar hundert Meter weiter unten halte ich an, um einen Blick in die Runde zu werfen: er gleitet hinüber zur Bergstation des Pitzexpresses von der ich eben kam und schwenkt dann hinüber zur Braunschweiger Hütte und zum Rettenbachjoch.
Braunschweiger Hütte und Rettenbachjoch.
Am Fuße der Abfahrt folgt ein langes Schussstück zurück zur Talstation des Mittelbergjoch I Schleppliftes. Da die DSB Gletschersee immer noch steht, überlege ich mir, ob ich nochmal zum Mittelbergjoch hochfahren soll. Meine Neugier erweckt hat aber etwas anderes. Eine Pistenraupe spurt zwei Wege über den Mittelbergferner jenseits der bestehenden Grenzen des Schigebiets: einen hinauf durch das Tal an der Südflanke des linken Fernerkogels bis auf den Sattel unterhalb des Tiefenbachjochs und einen weiteren, der hinter dem rechten Fernerkogel ins hintere Becken des Mittelbergferners führt. Abgesehen davon, dass sich von diesem zweiten Weg einmalige Perspektiven auf den zu erschließenden linken Fernkogel bieten müssen, habe ich auch Lust auf eine kleine Gletscherwanderung. Ich mache mir kurz Sorgen, ob ich wohl Ärger mit dem Pistenpersonal bekomme, wenn ich den Weg hochlaufe, allerdings winkt mir der Raupenfahrer, der mir nach den ersten 100m entgegenkommt nur freundlich zu, ich entgegne den Gruß erfreut.
Hier nochmal der Blick hinüber zum östlichen Mittelbergferner, die erste Spur - die, die ich aufgestiegen bin - ist bereits präpariert. Die zweite hinauf zum Tiefenbachjoch liegt noch unter Neuschnee begraben und wird erst ein halbe Stunde später durch eine Pistenraupe erneut gespurt werden.
Langsam ändern sich die Perspektiven und neue Blickwinkel ergeben sich. Allerdings ist es mühsam. Der Schnee ist durch die Pistenraupe zwar verdichtet und trägt, aber man sinkt dennoch bei jedem Schritt zehn bis zwanzig Zentimeter ein. Während das erste Stück lange ziemlich flach ist, wird die Spur nun zunehmend steiler. Auch die großen Schneebrocken in der Spur machen das Gehen nicht leichter, beim Tragen erweisen sich die alten Schi aus den 70ern denn doch auch als gewisser Nachteil: die Arme werden länger.
Linker Fernkogel mit Spur zum Sattel.
Blicke zurück zum Gletscherschigebiet.
Braunschweiger Hütte und Tourengeher auf der anderen Spur.
Dennoch wird hier im steileren Teil der Blick von Minute zu Minute interessanter. Vorbei an Eisanbrüchen und Gletscherspalten zieht sich der Weg immer weiter ins hintere Becken des Mittelbergferners hinein und den einsamen und unberührt strahlenden Firnfeldern des Gletschers entgegen.
Pistenraupe mit Personal der PGB auf dem Weg zum linken Fernerkogel.
Langsam macht mir ein Gegner zu schaffen, der mir in einer solchen Situation so gar nicht vertraut ist: die Sonne. Anders als im Winter hat sie Ende Mai ein Kraft, die in dieser Höhe am späten Vormittag eine schwer zu ertragende Intensität erreicht. Unter meiner Mütze ist es mir zu heiß, ohne jedoch brennt mir die Sonne höllisch auf den Schädel herab. Die dünne Luft jenseits der 3000 Metermarke tut ein übriges. Auf der Anhöhe vor einem flachen Gletscherfeld entschließe ich mich, die Schi und meine Tasche zurückzulassen, um noch mal die nächste Anhöhe zu erklimmen, die Flanke des rechen Fernerkogels.
Jetzt läuft es sich wesentlich zügiger und leichter. Und langsam setzt der Höhenrausch wieder ein. Die gleißenden Firnfelder um mich herum, die Stille (das Gletscherschigebiet ist aus dem Sichtfeld geraten und wird nun vom rechten Fernkogel verdeckt), die Weite und Schönheit dieser Landschaft sind einfach nur berauschend. Von wegen Tiefenrausch: es ist die Höhe, die einen emotional in eine andere Ebene katapultiert.
Das hintere Becken des Mittelbergferners mit dem weißen Kogel von der Flanke des rechten Fernerkogels ausgesehen.
Vis-à-vis des Weißen Kogels erreicht die Spur ein Maximum an Höhe auf geschätzten 3100m auf einer Flanke des rechten Fernerkogels, um anschließend wieder leicht abzufallen in das hintere Becken des Mittelbergferners und dann erneut in Richtung Schluchtkogel / Hohe Wände / Mittelbergjoch anzusteigen. Für mich der geeignete Ort zur Umkehr. Ich bin jetzt eineinhalb Stunden aufgestiegen und möchte erstens noch skifahren und glaube zweitens auch nicht, dass mir der weitere Anstieg in näherer Zukunft noch neue Perspektiven eröffnet. Der Abstieg geht schnell. Keine zehn Minuten brauche ich zurück zu der Stelle, wo ich meine Ausrüstung zurückgelassen habe. Auf halber Strecke kommt mir wieder das Pistenfahrzeug entgegen - es ist mit drei oder vier Mann der PGB besetzt und verschwindet hinter der Flanke im Gletscherbecken des Mittelbergferners.
Jetzt beginnt der Spaß. Die Skier angeschnallt und hinab von der Flanke in den Gletscherhang. Ich fahre zügig, da ich weiß, dass ich spaltenreiches Terrain passiere. Ich habe mir allerdings beim Aufstieg schon meine Abfahrtsroute genau angesehen, so dass ich auch jetzt weiß, wo die großen Spalten und Eisabbrüche liegen. Es ist ein kurzer, aber sehr intensiver Rausch. Der Wind pfeift ins Gesicht, der Schnee staubt. Nach wenigen Metern heben sich die Schispitzen aus dem Tiefschnee gleiten an der Oberfläche: jetzt ist es wirklich wie fliegen! Nach einer Minute ist der Spaß vorbei, ich hole tief Luft während ich die Skier auf den letzten paar hundert Metern ausgleiten lassen. Von hier muss ich noch fünfhundert Meter die Skier zurück zur DSB Gletschersee tragen. Das war mir der Ausflug aber auch wert.
Meine Spur.
Rettenbachjoch mit der EUB Schwarze Schneid und der Stütze, für die die Ötztaler den Gletscher beheizen müssen... Geniale Konstruktion, Glückwunsch! Wirklich!
Vor der Mittagspause steht aber dann auch endlich der hintere Brunnenkogel an. Hier beeindruckt mich die Konstruktion der Pitz-Panoramabahn: zum einen kommen alle drei Stationen mit extrem wenig Platz aus, was ich schon mal sehr gelungen finde - auch und gerade aus ästhetischer Sicht. Dann find ich es faszinierend, dass die GUB trotz wirklich weniger geeigneter Stellen im Gletscherterrain eine Mittelstation hat, was ja bedeutet, dass beide Teilstrecken exakt gleichlang sein müssen. Zu guter Letzt stellt man auch positiv fest, dass aufgrund des Pulsbetriebes der Großteil der Strecke die meiste Zeit leer ist, so dass diese extrem exponierte Bahn im Landschaftsbild erstaunlich wenig auffällt, ganz anders als vergleichbare Bahnen in solchem Terrain. Eine durchweg gelungene Konstruktion also, die sich sehen lassen kann. Die sonst leider etwas geringe Kapazität wurde an diesem Tag übrigens nicht einmal voll ausgeschöpft.
Oben folgt natürlich erst einmal eine Pause, die der Bergwelt, insbesondere der zum Greifen nahen Wildspitze gewidmet ist.
Im Vordergrund Mittelbergjoch mit den beiden Schleppliften. Dahinter folgen auf dem rechten Grat die Hohen Wände mit dem Schluchtkogel und, wenn man dem linken Grat parallel zum Mittelbergjochlift I folgt, am Bildrand der recht Fernerkogel. Dahinter erahnt man das hintere Becken des Mittelbergferners, wo man auch die jenseitige Flanke des rechten Fernerkogels sieht, oberhalb deren Fuß ich kehrt gemacht hab (die Stelle ist im Bild sichtbar). Begrenzt wird das Becken durch den weißen Kogel, der auch auf den Bildern meiner Gletscherwanderung zu sehen ist.
Ach ja und hier der Typ...
....der genug Meinung'n vertritt, die nach Belegbarkeit brüllen
um mit den kontroversen Statements selbst ein Forum zu füllen,
und sich dann selbst widerspricht, mit Phrasen, die sich nichts schenken,
bis er dann zugibt, seinen Standpunkt nochmal neu zu bedenken,
der auch für zwei Mann im Laden, ohne Gage und Bier,
rockt bis morgens der Club schließt, letzter Mann vor der Tür!
der sich als Kind des Forschritts glaubt, und doch die Welt nostalgisch sieht,
der melancholisches, kaputtes mag und doch am meisten liebt,
mit seinen Kumpels zu lachen - wo und wann, wie auch immer,
der nachts stets in der Stadt ist und am Tage im Zimmer,
der an manchen Tagen nicht einmal für kurz das Haus verlässt
und sich an anderen dann vierundzwanzig Stunden lang stresst!
der sich für nichts zu gut ist - und auch niemals zu schade,
außer für?s Wegsehen und für's Leugnen und die Alltagsscharade,
der zu dem steht, was er sagt, auch wenn's manchmal verletzt,
nur um am Ende zu sehen: wieder mal selbst überschätzt!
na ja, mein ja nur... kleine ironische Abhandlung... aber dass ihr auch mal ein Gesicht zu dem Namen trincerone habt...
Die Abfahrt vom hinteren Brunnenkogel ist genial: fünfhundert Höhenmeter durch Firn- und Pulverschnee. Die Piste ist bestens präpariert, im oberen Teil bieten sich mehrere sehr interessante Tiefschneevarianten an, die bei diesen Schneeverhältnissen echt Spaß machen. Wieder auf der Piste geht's rasant weiter - auf dieser exponierten Flanke des Berges hat man das Gefühl, in einem großen Sprung zurück zur Talstation der Pitz-Panoramabahn zu gelangen.
Ich gönne mir jetzt in der Schneebar erstmal ein paar Getränke und das Schokoriegelmenü. Auch hier: netter Service und gequatscht ham'mer au guat - das macht Spaß. Und strahlende Mittagssonne gibt's gratis dazu. A propos: zivile Preise! Da ist ja bei uns jede Cola im Kino teurer: auch hier ein Plus für die PGB. Und das schönste: ich frage, ob es o.k. ist, wenn ich das Snickers mit einem 50-Euro Schein zahle. Mein Gegenüber lacht: " Solang du mit 50-Euro Scheinen zahlst, kannst bei mir soviel zahlen wie Du magst!". So muss das sein! Nicht dieses: "Ohhhh, ein Fünfziger?? Ham' se's denn nich' auch kleiner?!?"-Gejammer.
Da es jetzt schon gegen eins ist, mache ich mich auf den Weg Richtung Schweizer Weg, den ich aufgrund der Sonneneinstrahlung nicht zu spät am Tag fahren will. An der Bergstation des Mittelbergjochlifts II wird einem wie ich finde gut verdeutlicht, dass kleine Lifte mit wenig Höhenunterschied trotzdem ein echter Zugewinn sein können und dass deshalb ihr Abbau in bestimmten Gletscherschigebieten einen weit größeren Verlust darstellt, als man manchmal so denkt. Von unten sieht das kleine Hochtal, in das der Lift hineinführt und wo er nur hundert Höhenmeter überwindet, sehr unscheinbar aus. Ist man aber erstmal oben, wirkt das ganz anders. Zum einen bietet das enge Tal, das an drei Seiten von Felsen umschlossen wird, dadurch eine besondere, stille Atmosphäre. Dazu kommt, dass der Blick über die Felsen hinweg zur Wildspitze fasziniert und diesem Ort etwas Besonderes gibt, das man von der Bergstation des unteren Schleppliftes nicht hat. Schließlich erschließt der Lift dann auch noch die tolle Tiefschneepiste am Schweizer Weg - eine Piste, die man diesem Lift von unten gar nicht zu getraut hätte.
So sieht das Tal nicht gerade besonders aus spektakulär aus.
Doch weit gefehlt: wäre es nicht erschlossen, so würde einem - abgesehen vom Schweizer Weg - auch dieses Panorama entgehen. Ein Umstand, den man vielleicht übersehen würde in einer Diskussion um einen (glücklicherweise nicht geplanten) Abriss des Mittelbergjochliftes. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass auch Liftanlagen, die in Sachen Höhenunterschied oder nach dem Eindruck, den man von unten bekommt, eher unspektakulär sein können, durchaus eine Verlust darstellen bei Abriss. Ein ähnliches Beispiel wäre der Lift Bouquetin in Val Thorens, der auch nur wenige Höhenmeter oberhalb des heutigen 3 Vallées 2 Lift ankommt, jedoch genau diese Höhendifferenz einen kleinen aber feinen Unterschied bewirkt.
Ein kleiner Anstieg an der Bergstation in den nördlich liegenden Grat, und man erreicht den Einstieg in den Schweizer Weg. Das Panorama und die Ruhe abseits des Hauptschigebietes lädt zu einer erneuten Rast ein. Danach wird's ernst: der Einstieg ist extrem schmal und auch nicht gerade flach - er erinnert an die Direttissima in der Paradisoscharte. Leider um diese Uhrzeit schonziemlich zerwühlt, aber gleichzeitig u.A. aufgrund von Lawinen ziemlich gepresst ist der Schnee nicht optimal. Da ich immer noch wenig Lust hab, mich mit samt T-Shirt in den Schnee zu packen, halt ich mich mit todesmutigen Schwüngen hinab in die Tiefe bedeckt, auch wenn das Gelände, das sich ständig aufweitet einen dazu einlädt. Jedoch wird der Schnee erst jenseits des Stauchwalls des abgegangenen Brettes weich genug für ein kontrolliertes Schwingen. Und so todesmutig, dass ich nun unbedingt den nicht abgegangenen Teil des Hanges rechts von mir befahren müsste, bin ich denn auch nicht - die Abrisskante ist mir mit etwa 20 - 30 cm eine Spur zu hoch für solche Experimente.
Im flachen Stück ist er Schnee wieder firniger, hier macht es Spaß. Ich treffe dann unten auf die schwarze Piste vom Mittelbergjoch und - welch tolle Überraschung - auch sie ist ungespurt, aber gesteckt. Hier ist der Schnee zwar leider auch zerwühlt, aber er ist um einiges leichter als im Steilhang oben. Meine Gletscherwanderung hat meine Beinmuskeln strapaziert - im Tiefschnee muss ich immer wieder pausen machen. Die Abfahrt ist toll - doch reicht sie mir für den heutigen Tag. Ich gleite das letzte Stück Richtung DSB Gletschersee und fahre mit dieser zurück zur Talstation der Brunnenkogelbahn.
Ich fahre nochmal zum hinteren Brunnenkogel hoch und freue mich über die herrliche Abfahrt. Unten besinne ich mich auf einen obligatorischen Besuch beim Brunnenkogelschlepplift. Dessen Piste mag ich auch ganz gern mal zwischen durch - heute bin ich allerdings zu spät dran - die Sonne hat den Schnee, der durch die Skifahrer aufgewühlt ist, schwer gemacht.
Auf der halben Strecke wundere ich mich dann irgendwann, warum ich eigentlich schon die ganze Zeit das Gefühl hab, dass ich etwas mehr Bewegungsfreiheit beim Fahren hab als noch vor einer halben Stunde. Dann der Schock: ich hab meine Tasche in der Pitz-Panoramabahn vergessen! Jeder, der sie findet und aufmacht, findet sofort erstmal eine 512 Mb Compact Flashkarte (mit den Photos vom Fernerkogel und der Gletscherwanderung!!), einer weitere CF-Karte mit 128 Mb, ein Fernglas, einen Eschenbach(!)-Höhenmesser, mein Mobiltelephon und diversen Kleinkram wie Schraubenzieher u.ä. Leider ist bei den Wertsachen (alles in allem ein paar hundert Euro) für jeden was dabei, so dass ich die Sorge habe, dass ein Finder eventuell geneigt sein könnte, die Sachen zu behalten. Ich frage sofort in der Talstation nach - zum Glück wusste ich noch die Nr. der Gondel, mit der ich gefahren war - manchmal ist auch nicht schlecht, wenn man sich für Seilbahnen interessiert. Ein kurzes Telephonat später weiß ich, dass noch in der Bergstation der Bedienstete der PGB die Sachen entkommen hat. Sehr vorbildlich! Einweiteres mal an diesem Tag bin ich der PGB sehr dankbar! Ich habe Glück - die nächste Fahrt ist die letzte Bergfahrt - da hätte ich sonst ganz schön warten können. Oben kann ich froh meine Tasche wieder in Empfang nehmen. Es steht eine letzte herrliche Abfahrt vom hinteren Brunnenkogel an - ich lasse mich noch einmal zu ein paar off-piste Varianten hinreißen. Im unteren Bereich lass ich die Brette nochmal so richtig laufen versuche ein bisschen mit seventies Jet-Schwüngen anzugeben und - BATZ!!!! - auf den letzen Metern hauts mich dann doch noch mal voll in den Schnee. Ich rutsche sechs sieben Meter die Piste entlang und binnen Sekunden habe ich kiloweise Sulzschnee im Ausschnitt, in der Hose, in den Haaren..... bäh igitt. Na ja, mein Wagen hat eine Heizung, was soll's. Und im Prinzip ist's ja warm. Es ist eh 16 Uhr - ich fahre mit dem Pitzexpress ins Tal zurück.