Die Vele sind übrigens ursprünglich quasi Stararchitektur (was man auch sieht), es kam halt das Erdbeben von 1980 mit der anschließenden Wohnungsnot dazwischen (zusammen mit diversen anderen Dingen, angefangen vom "System" bis hin zu diversen infastrukturellen Fehlplanungen hinsichtlich der gesamten Scampia (fast 20 Jahre lang keine Einkaufsmöglichkeit, keine Polizeiwache, kaum öffentlicher Nahverkehr)).
Der Film wurde völlig ohne Polizeischutz gedreht. Stattdessen in enger Kooperation mit den Leuten vorort. Heißt zum einen, mit Organisationen, die dort sozial arbeiten, heißt zum anderen, mit Organisationen, die dort weniger sozial arbeiten...
. Ein bisschen scheint da die typische Neapolitanische Mentalität zu Tage zu treten, nämlich das was ich (uA) daran so mag, ein gewisser Hang zur Selbstdarstellung.
Generell kann dort nämlich wohl so ohne weiteres gar nicht rumlaufen, weil das ganze Areal ziemlich gut gesichert wird durch diejenigen, die nicht so gerne wollen, dass dort allzu viele Leute rumlaufen. Heißt Wachen, Sperren und ähnliches. Für den Film haben sie angeblich Ausweise ausgestellt, die das Betreten "ihres" Areals erlaubten und Berechtigte gekennzeichnet haben (das würde sehr typisch ins Bild passen). Insbesondere hat das ganze Projekt ziemlich schnell das Interesse der dort tätigen Organisationen geweckt.
Nicht umsonst hat sich ja Schiavone damals die Villa aus Scarface nachbauen lassen. So wie Neapel die Mafiafilme prägt, so prägen die Mafiafilme Neapel - so absurd das klingt. Es ist auch mE etwas blauäugig die hierzulande verbreitete Ansicht zu äußern, Napoli leide unter den dortige Strukturen. Ein Stück weit mag das zwar stimmen, aber generell würde ich eher sagen: Napoli IST diese Struktur. Deren Jahresumsatz wird auf 16 Mill. Euro geschätzt.
Nimmt man einmal an, dass Umsatz hier fast gleich Gewinn ist, dann liegen sie damit in der Größenordnung der größten weltweit überhaupt tätigen Unternehm (der umsatzstärkste Konzern der Welt - Royal Dutch Shell - hat Gewinne in der gleichen Größenordnung, allerdings Umsätze im Bereich von mehreren hundert Milliarden Euro). Selbst wenn man eine solche Annahme nicht träfe, so generieren allein die Neapolitaner Clans immer noch Umsätze, die sie locker in den Bereich der größten Unternehmen der Welt bringen. Die italienischen Organisationen insgesamt sollen laut stern.de über 90 Mill. € Umsatz jährlich generieren, damit wären sie doppelt so groß wie RWE oder die BMW Group oder Microsoft. Nimmt man einmal an, dass auch nur ein Drittel davon Gewinn ist (die Kosten sind ja nicht sehr hoch, Steuern, Produktion etc. gibts ja im wesentlich nicht), dann wären sie damit immer noch im Bereich von Shell und Exxon und damit wohl der "Konzern" mit den zweithöchsten Gewinnen weltweit überhaupt (es sei denn es gibt irgendwo eine noch größere Oganisation, die wäre dann natürlich in den offziellen Liste nicht geführt).
Nun sind das alles nur Zahlen und wer weiß das eigentlich schon genau. Letztlich kommt es auf die genaue Größe wohl auch nicht so an, aber eines zeigt es sicher: die volkswirtschaftliche Bedeutung dieser Organisationen ist immens. Und so vermutet man in Neapel mindestens jeden zweiten Arbeitsplatz als systembedingt. Daraus resultiert letztlich, dass die Clans Neapel wohl weniger beherrschen, als dass vielmehr Neapel einfach ist was es ist. Das ist auch etwas, was man von Einheimischen durchaus oft hört, auch wenn die Jugend immer mal wieder chique gegen die Strukturen demonstiert und der einzelne Händler auf dem Wochenmarkt sich wohl kaum über die extra Standgebührt freut.
Aber unterm Strick ist Neapel eben Neapel, und das spürt man auch ganz deutlich. In der Mode, in der Sprache, in allem. Das muss man vielleicht mal gesehen haben, aber allein die Art zu reden: wenn Du in Neapel am Hafen rumhängst und den Leuten zuhörst, dann ist das wie live innem Mafia Film. Und die sehen auch genauso aus. Und das ist eben das was ich meine: seit Tarantino schießen alle nur noch mit schräg gehaltenen Waffen (was total bescheuert ist, wie jeder, der das mal gelernt hat, weißt, macht aber bei Genickschüssen natürlichen keinen Unterschied). Das ist kein Witz, das erzählen die auch genauso. Auch bei den Killern gibt es offenbar Moden.
Und ansonsten ist Neapel eben ohnehin sehr modisch, es kommt ja sowieso ungefähr alle Mode von dort (und eben nicht aus Mailand), Selbstdarstellung wie gesagt. Und da kommen wir zurück zur Scampia. Garrone hat erzählt, dass er seinen Film nicht nur mit dem Segen der örtlichen Clans gedreht, die Jungs waren auch dabei. Am Anfang wohl eher um ein bisschen aufzupassen und aus Neugier, ziemlich schnell haben die dann aber wohl auch angefangen, beratende Funktionen (!) einzunehmen und am Ende selber mitzuspielen (!!). Das muss man sich mal vorstellen, mittlerweile sind drei der "Schauspieler" verhaftet wurden, u.a. die zwei Mafia-Bosse aus dem Film, weil sie nämlich echt waren! Das haben die Kollegen im Gefängnis dann im Film gesehen und na ja - Ehre ist wohl auch nicht mehr das, was sie mal war...
Also so viel dazu, wie man in der Scampia - richtig heißt das natürlich Cint'sissantasett' (167)
- einen Film dreht. Das war wohl schon immer der Unterschied zwischen Neapel und Sizilien. Auf letzterer Insel haben manche Paten jahrzehntelang unerkannt in einfachen Einzimmerappartements gelebt - in Neapel kaum vorstellbar. Dafür kann man da eben auch Filme drehen, in denen die echten Bosse gleich selber mitspielen.
P.S. Auch in Sizilien gibt es aber durchaus interessante Persönlichkeiten auf der Straße, wie die drei Bilder oben von mir vielleicht zeigen mögen (auf die ich übrigens ziemlich stolz bin!). Ein bisschen zeigt das auch das, was ich meinte: es hat eben auch alles etwas von einer Kulisse - so oder so.
