::: Stürmische Höhen, Schatten - Muntele Mic Am nächsten Morgen treibt der stürmische Westwind tiefhängende dunkle Wolken über die kahlen Gipfel. Wir frühstücken, es gibt sehr guten Cappuccino, Zorins Zeit in Italien scheint ihre Spuren hinterlassen zu haben. „Caffè, Cappuccino, was ihr wollt! Es ist alles da!“.
Wenig später dann steigen wir die wenigen Meter zum Lift hinauf. Noch steht die Anlage, Zorin ist schon vor Ort und leitet die Leute an. „In wenigen Minuten geht es los. Wir hatten noch ein paar Probleme an der Bergstation, die wir gestern nacht im Sturm nicht mehr in den Griff bekommen haben.“ – „Gibt es sowas wie einen Skipass?“. – „Nächstes Jahr werden wir ein SkiData-System einführen, die Geräte sind schon da. Aber im Moment erstmal nicht. Fahrt einfach, und dann sagt ihr am Ende, wie oft ihr gefahren seid. Ok?“.
Ein kurzer Ruck, dann läuft der Lift als hätte einfach jemand den Strom angeklemmt, von Null auf 3,5 m/s, volle Fahrt, ohne Übergang. Die Auffahrt ist nicht gerade einfach, die Trasse ist nach dem Stillstand weder gespurt noch gewalzt und auch nicht überall liegt Schnee. Zudem quert man Hänge, die schräg zur Fahrtrichtung verlaufen – Rumänien ist ein Land, das die Sinne fordert. Man muss denken beim Handeln, geschickt sein, über Fertigkeiten verfügen. Das alles nimmt einem niemand ab – umso intensiver ist das Erlebnis.
Der Einstieg am linken Lift, frisch nach der Reparatur ist Kris der erste Skifahrer, der diesen Lift benutzt. Keine Trasse, nichts! „No Country for young men!“
Liftfahrt im weißen Nichts. Seltsames Gefühl, frei irgendwie - und großartig!
Bergstation des neuen Liftes, die Schneelage ist wahrlich nicht grandios, aber darauf kommt es heute auch nicht an. Die erste Abfahrt erfolgt entlang der Lifttrasse, dort ist der Schnee noch am besten. Insgesamt liegt wirklich sehr wenig Schnee, vor allem wenn man an die Bilder aus dem Netz denkt, die tiefhängenden Wolken erzeugen eine faszinierende, extrem düstere Stimmung – auch wenn diese hier eigentlich gar nicht hergehört.
Wir sind immer noch die einzigen in diesem Teil des Schigebietes, der Wind pfeift kräftig über die kargen Höhen, wir suchen unseren Weg hinüber in den anderen Schigebietsteil, zu dem alten rumänischen Skilift aus den 70er Jahren. Dessen leuchtende Farben in der Düsternis faszinieren mich…
Das alte Betonhäuschen, das einst den Schleppliftwärter beherbergte.
Stürmische Carpartenhöhen…
Blick in die Tiefebene, dafür der weite Rücken, den der “Telescaun Muntele Mic” in langer Fahrt quert. Ebenfalls zu sehen, die Straße, die von links herauf kommt, in Verlängerung der Zufahrt zu Talstation. Wir fahren die einzige markierte Piste hinab. Trotz des Regens und der schlechten Sicht, trotz Anfahrt im längsten Sessellift Europas nach Ewigkeiten auf einer Schlaglochpiste – trotzalldem ist das Schigebiet erstaunlich gut besucht. Bei gutem Schnee bietet es auch sportlich interessantere Abfahrten am Sessellift und auch die Tiefschneemöglichkeiten dort könnten vielversprechend sein, auch wenn es sich insgesamt natürlich ein eher gemütliches Schigebiet handelt, das nicht an alpinen Maßstäben zu messen ist. Für das Gefühl, hier schizufahren, macht das allerdings keinen Unterschied!
Die Pisten an den Schleppliften sind eher leicht, interessanter wird es vielleicht mit den neuen Anlagen auf der Rückseite. Genial ist jedenfalls der Blick in die Tiefebene, bei besserem Wetter wären zudem die höheren Zweitausender der Carparten zu sehen. All das bleibt uns heute verborgen – leider! Wir lassen uns davon aber nicht beirren – und haben genauso viel Spaß wie all die Rumänen hier oben.
Wir trinken etwas, schauen dem bunten Treiben zu, dann beschließen wir aufzubrechen. Die Distanzen in Rumänien wachsen mit den maroden Straßen ins Gigantische, auch lassen sich diese Straßen teils nur schwer um Dunkeln fahren. Mittlerweile ist es viertel vor eins, die Lifte würden zwar noch bis nach Sechs (sic!) laufen, wir aber streben die Talabfahrt an.
Wir suchen Zorin auf, der Abschied ist herzlich. „Vielleicht kommt ihr eines Tages wieder einmal vorbei…“. – „Sehr gern. Sag mal, wie sieht es mit der Talbabfahrt aus?“. –„Hm… der Schnee ist nicht sehr gut …“, er schüttelt den Kopf nachdenklich. „Also ihr müsst der Straßen folgen, hier und da kann man abkürzen. Es sind ungefähr 14km.“.
„Vierzehn Kilometer, wow…!“, denke ich. Ein letztes mal fahren wir mir dem neueren der Lifte hinauf, queren an der Bergstation des alten rumänischen Liftes vorbei und fahren dann in den Hang nach Süden. Sonne und Wind haben der Schneelage nicht gut getan, wir hoffen, dass es im Wald etwas besser wird. Wir stoßen bald auf die Straße, die sich nach Südosten in die Carparten hinein windet, weit weg von den Häusern und Anlagen, in der Ferne vis-à-vis sehen wir die Stützen des „Telescaun“, des alten Sesselliftes.
Die Straße ist nicht sehr steil, man kommt kaum ohne Schieben voran, wir haben die Hoffnung, dass es im unteren Teil besser werden wird. Nach etwa einem Kilometer tangiert die Straßen eine weite Passhöhe, dort finden wir die Reste einer EUB – die Anlage aus Ischgl, die hier neu aufgebaut werden soll. Ich hatte am vorigen abend schon gemutmaßt, dass es sich hierbei um die Fimbabahn handeln müsse– und hier finden wir den Beweis. Wir schauen ein wenig, dann brechen wir auf, weiter auf dem Weg gen Tal.
Die Straße führt weiter und weiter in die Wildnis, die letzten Reste der Zivilisation und Blicke auf das Schigebiet sind längst verschwunden. Da ihr geringes Gefälle beinahe die ganze Zeit Schieben erfordert, entschließen wir uns, älteren Spuren in eine der Abkürzungen zwischen den Kehren zu folgen. Tatsächlich liegt aber auch hier im Wald nur mehr sehr wenig Schnee – was Zorin, Kris und ich bei unserer Einschätzung der Talabfahrt alle nicht bedacht hatten: hier unten es hat die ganze Nacht warm geregnet! Die heutige Schneelage ist mir der gestrigen nicht mehr vergleichbar.
So ist das Abfahrtsstück im Wald mittlerweile kaum mehr fahrbar, zu viele Steine, Äste, Wurzeln sind im Weg. Bei der nächsten Gelegenheit wechsele ich zurück auf die Straße, was mir viele Kehren noch weiter hinein in die Carpartenwälder einbringt, während Kris hingegen direkt querfeldein fährt, am Ende dann schließlich durch den Wald absteigt. Gerade erst ein Viertel der Gesamtstrecke haben wir geschafft, als wir einander wieder treffen.
Von nun an folgen wir beide Straße, ich halte Abstand, weil der Schnee kaum mehr ausreicht, um beide Schier parallel zu führen, nicht selten muss man einen Schi anheben, oftmals im letzten Moment auf ein anderes Schneeband springen. Je weniger der Schnee wird, desto schwieriger und gefährlicher wird die Fahrt, denn es ist kaum mehr möglich zu bremsen und auf den Asphalt zu fallen ist wohl – neben den Folgen für die Schi – so ziemlich die schlimmste Art zu stürzen , die ich mir vorstellen kann.
Irgendwann kommt schließlich der Punkt, den niemals zu erreichen ich bis zuletzt gehofft hatte: das Ende des Schneebandes! Es regnet in Strömen, ich bin irgendwo mitten in den Carparten und habe noch mehrere Kilometer Asphaltstraße in Schischuhen zu laufen vor mir. Na toll!
So wandere ich hinab, Kehre um Kehre durch die dunklen Nadelwälder, hier und da findet sich noch einmal ein Schneeband, aber weit reichen diese nicht mehr. Im Nachhinein betrachtet wäre der Sessellift, dessen Talfahrt wir ohnehin bezahlt hatten, möglicherweise die bessere Option gewesen. So ganz verstehe ich die desaströse Schneelage auch immer noch nicht. Ich hatte das Ende der Piste gestern noch aus dem Lift gesehen: dort fand sich eine geschlossene Schneedecke, die sehr gut eingefahren war, so dass sie trotz des Regens hätte bis heute halten sollen.
So grübele ich während ich durch den Regen das Tal hinab laufe. Die Straße windet sich weiter in Kehren, langsam verliere ich an Höhe, sogar der Schnee wir wieder mehr. „Natürlich!“, fährt es mir durch Kopf. „Der Talgrund! Hier unten ist es kühler und schattiger gewesen, auch vor dem Regen schon.“. Das ist auch der Grund, warum ich mich so über den Zustand der Piste geirrt habe. Ich habe nicht bedacht, dass der Schnee nach oben erstmal schlechter werden würde.
Ich schnalle wieder an. Die Schi laufen, die Schneelage verbessert sich deutlich bis fast wieder eine geschlossene Schneedecke vorhanden ist. Die Straße folgt auf den letzten Kilometern dem Bach am Grunde des Tales, einige wenige Minuten, dann kommt der Schlagbaum in Sicht, hinter der nächsten Kurve der Sessellift.
Faszinierend in das Bachbett integrierte Station. Über zwei Stunden haben wir benötigt… zwei Stunden! Und wir hatten noch Glück, dass der Schnee so weit hinab gereicht hat. Einen Tag später und wir wären wohl deutlich weiter oben gestrandet. Das Erlebnis der Abfahrt und Wanderung in den einsamen Wäldern aber war faszinierend. „Hier gibt es tausende von Bären“, hatte uns Zorin schon erzählt. „Es sind so viele, dass es nicht mal eine Abschussquote gibt. Manchmal kommen sie abends an die Häuser“. Es ist eine seltsames Gefühl, durch diese Wälder zu gleiten, so anders als bei uns. Ich denke an Canada, damals, dort war es auch dieses Wissen, dass jenseits der Straße auf viele Meilen nur noch Wald folgen würde, dass, wenn man sie hier verließe, man tagelang durch das Nichts wanderte, bevor man irgendwann, sehr viel später, vielleicht mal wieder Spuren menschlicher Zivilisation träfe.
Es ist eine seltsame Mischung aus Regen und Licht, unter der wir die Schlaglochpiste zurück aus den Bergen rumpeln, vorbei an den einfachen Dörfern, teils ärmlichen Lagern der Sinti, viele Eindrücke mischen sich in diesem Land, dessen Antlitz noch so neu für uns ist. In einer Sekunde lassen einen Weite und Schönheit der Landschaft den Atem anhalten, dann wieder passiert man wundervoll rauschende Bäche im Unterholz, deren Ufer versinken im Plastikmüll. Pferdefuhrwerke passieren wir, manchmal auch Gruppen von Einheimischen, die uns weniger freundliche Blicken senden, Orte, die zur Vorsicht mahnen, die Kontraste werden greller hier, und wir sind das eine Extrem.
Gegen halb vier erreichen wir Caransebeş, den Hauptort unten im Tal. Von hier aus führt unser Weg erst nach Norden und dann weiter nach Osten, nördlich der Karpaten entlang in das Herz Rumäniens. Die Weite, die Straßen durch die Leere, die Natur und das Licht – Kilometer rauschen vorbei, sind jedoch nichts als Schatten, im Spiegel verblassend …