::: [AAA] ::: [- II -] ::: " S t e r n e . i m . S t u r m " ::: 25. Juni 2007
::: für die, die wider der Finsternis harrten... :::
I wonder how winter will be
with a spring that I shall never see
I wonder how night will be
with a day that I shall never see
I wonder how life will be
with a light I shall never see
I wonder how life will be
with a pain that lasts eternally
In every night there's a different black
in every night I wish that I was back
to the time when I rode
through the forests of old
In every winter there's a different cold
in every winter I feel so old
so very old as the night
so very old as the dreadful cold
I wonder how life will be
with a death that I shall never see
I wonder why life must be
a life that lasts eternally
::: Montag, 25.6.2007 – la grande tristezza
::: Klamme, stumme Kälte, düstere, feuchte Nebel streifen tief und undurchdringlich um das Haus. Tristes Grau, leere Weite... das ist alles, was das Fenster freigibt, wenn man hinaus zu starren wagt. Der Blick verliert sich in dunkler Tiefe, keine Sonne, kein Strahl - nichts ließe erkennen, dass irgendwo fernab von diesem Grat, weit über uns, jenseits der Dunkelheit in der Höhe golden ein neuer Tag angebrochen sein mag. Das Nichts um uns herum verschlingt dies alles: die Berge, die Seen, die Täler, das Licht... eine Welt verloren und vergessen, jenseits von Erinnerung und Phantasie. Stille. Dort, mitten in diesem Nichts, finden wir uns auf einem dreitausend Meter hohen Grat, in einem Haus im Nirgendwo. Die Kälte durchdringt alles, findet ihren klammen Pfad in die hintersten Winkel der Hütte, scheint fast auf der Haut zu perlen, tote feuchte Luft ohne Hauch...
C01
C03
C05
::: Der Blick aus dem Fenster verheißt nichts Gutes: tiefliegende Wolken verdecken die Sicht auf die Berggipfel, feucht ist es draußen, alles andere als gutes Schiwetter. Auch ein reichliches Frühstück hebt die Stimmung nicht wirklich, geschlafen habe ich auch nicht besonders gut und irgendwie spiele ich mit dem Gedanken einer vorzeitigen Abreise. Allerdings möchte ich auf jeden Fall wenigstens einmal mit dem Lift fahren.
Bald ist es aber klar, heute wird es sicher keinen Liftbetrieb geben. Was also tun? Der Hund muß auf jeden Fall beschäftigt werden, also beschließe ich, eine kleine Rundtour zum Rifugio Claudio e Bruno und zum Sabbione-Stausee zu machen. Die anderen sind jedoch wenig motiviert, mich zu begleiten, nur Chasseral hält es auch nicht aus, auf der Hütte herumzusitzen, und so latschen wir schließlich zu dritt durch den Nebel, allerdings scheint nur Angus mit dem Ausflug wirklich zufrieden zu sein. Unsere Panik-Vorstellung - wir stehen unten am Stausee, in dem Moment reißt es auf und wir sehen von unten (die Bergstation ist sichtbar), wie der Lift startet - tritt glücklicherweise nicht ein...
::: Nach vielem Zureden am Vortag wurde uns ja versichert, dass der Lift an diesem Montag laufen würde, wenn es irgendwie machbar wäre. Der Blick aus dem Fenster und aufs Thermometer lässt jedoch nichts Gutes erahnen: Nebel mit Nebelnässe und 4 Grad plus.
Der Walzenfahrer, den ich unverzüglich aufsuche, bestätigt meine Befürchtung: "Heute ist sehr wahrscheinlich kein Skibetrieb." Nach dem Frühstück wird es nicht besser - im Gegenteil ist leichter Nieselregen dazugekommen. Ohne Aussicht auf einen baldigen Liftbetrieb beschließen Gerrit und ich, "dem Hund zuliebe" eine kleine Hüttentour zu unternehmen. In Anbetracht eines drohenden Hüttenkollers gefällt auch mir diese Idee sehr gut und wir verlassen bei abermals verstärktem Nieselregen die Hütte. Nur selten geben die Wolken den Blick auf den unmittelbar unter uns liegenden Sabbione-Stausee frei. Der Niederschlag wechselt zwischen Nebelnässe und ordentlichem Nieselregen. Schlechtes Wetter - gute Kleidung - das passt schon!
Nach Querung einiger Schneefelder und der jeweils anschließenden Suche nach dem ausgetretenen Weg wird als erstes die Freiluftkirche angesteuert, die Gerrit bereits vor zwei Jahren bildlich festgehalten hatte.
C04
C06 - Auf dem Hügel da hinten thront die Freiluftkirche
C07 – Freiluftkirche – oder doch okkulte Stätte?
Doch etwas der widrigen Umgebungsbedingungen überdrüssig freuen wir uns auf einen Tee im Rifugio Claudio e Bruno, das sich 15 Minuten von der Kirche entfernt finden sollte.
C08 - ... und weiter gehts über häufiger werdende Schneefelder ...
C09
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C11 - ... das Rifugio taucht unmittelbar vor uns im Nebel auf.
Und was ist? Das Teil ist komplett verrammelt!
Es wird nichts mit dem Tee.
C13 - Rifugio Claudio e Bruno - komplett verrammelt
C14
Wir lassen den Blick schweifen ...
C12 - Blick auf einen Gletscher mit merkwürdigen Lawinenabgangs-Spuren
Dann steigen wir weiter ab in Richtung Sabbione-Staumauer und werden von einer plötzlichen Wetterbesserung überrascht. Es klart auf, Teile der Berge rücken ins Blickfeld und was sieht Gerrit da?
C15 - ... da ist doch was! ->
C16 - Sowohl die Bergstation des alten 3A-Lifts als auch die neue Station werden auf dem Gipfelgrat sichtbar!
Also beschleunigen! Vielleicht wird’s doch noch was mit dem Liftbetrieb.
C17
C18 - Gletscher vom Ofenhorn zum Sabbione-See
C20
C19 - Neckiges Brücklein ...
C22 - ... nochmal ...
C21 - ... und nochmal
Aber schnell stellt sich die Ernüchterung ein und der Nieselregen wird stärker als zuvor. Auf dem schnellsten Weg geht’s nach der Verzweigung wieder steil nach oben - in Richtung 3A-Hütte.
::: Weißes Nichts, soweit das Auge reicht. War es heute morgen einfach nur dunkel und neblig gewesen, so ist mittlerweile ein leichter Nieselregen hinzugekommen. Chasseral und Gerrit sind vor einiger Zeit den Grat hinunter in Richtung Sabbione-Stausee und Rifugio Claudio e Bruno gelaufen. Gern wäre ich dabei gewesen, doch das Wetter draußen ist derart ungemütlich, dass ich einfach keinen Spaß dabei hätte haben können. 4°C und Nieselregen, so sieht bei uns im Norden meist der gesamte Winter aus, eine feuchte klamme Kälte, die alles durchdringt und kaum wieder aus der Kleidung, ja, man meint fast dem eigenen Körper, weichen will, auch stundenlang nach der Rückkehr nicht. Irgendwie möchte ich mir das nicht antun...
So rinnt die Zeit ins Land, gelegentlich meinen wir eine kurze Wetterbesserung draußen auszumachen, wenn das endlose Weiß für ein paar Augenblicke weicht und schemenhaft einzelne Konturen sichtbar werden – doch meist währt die Freude nur für eine kurze Dauer. Unsere Stimmung sinkt, all die grandiose Landschaft um uns herum haben wir uns mit diesem Aufstieg erarbeitet, und doch können wir sie nicht sehen. Ja, nicht mal den Siedelgletscher haben wir bisher von Nahem sehen können, der Verlauf des Liftes, das Gelände, alles bleibt verborgen. Sobald auch nur einige wenige Stützen kurz einmal für den Blick freiwerden, stürmen wir nach draußen, um sie abzulichten. Jeder dieser Momente könnte schließlich der letzte gewesen sein, in dem man so viel von dem Lift sieht, und wenn wir schon morgen abfahren müssten, ohne den Lift je in Betrieb gesehen zu haben, so wollen wir wenigstens ein paar Bilder mitbringen.
K23
Das sinnolse Rumsitzen – vielleicht in Kombination mit dem ganzen Kaffee heute morgen – macht mich zusehends unruhiger. Anders als die anderen bin ich ja bisher kaum schigefahren, nur jene drei, vier nächtlichen Schwünge gestern abend. Und hier im Gastraum ist auch nicht wirklich etwas los.
Mit einem Mal reißt es draußen erneut auf, deutlich stärker und bis deutlich weiter oben als sonst! Von Sonne oder blauem Himmel kann keine Rede sein, nicht mal die Gipfel sind zu sehen, aber immerhin ist der Lift bis über die Steilstufe auf ca. 3100m sichtbar und das Wolkenloch macht einen stabileren Eindruck als sonst. Das ist das Zeichen! „Los, komm, wir drehen 'ne Runde, oder?“, meine ich zu Steffen. Letzterer ist sofort dabei, endlich ein Grund, die Hütte zu verlassen.
Wir klettern den feuchten Schotterpfad hinüber zum Gletscher, zu dem Punkt, an dem seit unserer Auffahrt gestern abend die Raupe steht. Dort etwa beginnt der Steilhang vor der felsigen, aperen Steilstufe des Lifts. Unter den Felsen steigen wir langsam im Bogen auf und queren dabei die Lifttrasse. Hier folgt eine erste Ernüchterung: die Lifttrasse ist viel ausgeaperter als ich es gestern im Nebel gesehen habe. Im Wesentlichen lässt sie sich ja in drei Teile gliedern: das unterste, flache Stück im Trog der Gletschermoräne, der mittig gelegene Talkessel mit dem Steilhang und der Felsstufe am Ende, wo wir jetzt stehen und das exponierte Firnfeld oberhalb der Felstufe. Bis zu diesem Moment dachte ich, dass man zumindest bis zu der Steilstufe würde fahren können, also die unteren zwei Abschnitte. Jetzt wird deutlich, dass – selbst wenn der Lift in Betrieb gehen sollte morgen – von diesem trotz allem nur das unterste flache Stück zu befahren wäre. Schon fünfzig Meter unterhalb der großen Felsstufe, an der wir jetzt stehen, gibt es einen zweiten Felsarm, der weit in die Trasse hineinreicht und nicht zu befahren ist. Damit kann auch das Steilstück, in dem wir jetzt stehen, nicht erreicht werden.
Von der Befahrung der oberen, großen Felsbarriere kann ohnehin keine Rede sein. Bis zuletzt hatte ich gehofft, dass man da vielleicht mit genügend Mann und viel Arbeit bei Frost mit Schnee und vielleicht etwas Wasser eine Art Brücke oder Damm bauen könnte. Die Felsen sind aber derart hoch und ausgeapert, dass solche Aktionen völlig aussichtslos sind, bei Plusgeraden zudem sowieso. Aber das ist ja ohnehin unerheblich, wenn bereits fünfzig Meter weiter unten die Felsen die Trasse blockieren. Meine Stimmung sinkt erneut: der Lift erschließt also aktuell im wesentlichen nur einen überlangen, etwas zu breiten Ziehweg...
K24 – Das beste Wetter des Tages...
K25 – No way....
Nachdem wir die Felsstufe umrundet haben, kommen wir langsam in flacheres Gelände oberhalb. Ich wäre – da ich ja anders als Steffen noch nicht dort oben war – gerne noch ein Stück weiter aufgestiegen, aber der Nebel bricht nun erneut von allen Seiten auf uns herein. Innerhalb kürzester Zeit stehen wir mitten im Nichts. Mit wenig Anlass zur Hoffnung, dass in absehbarer Zeit noch einmal eine Wolkenlücke die Sicht freigeben wird, fahren wir im dichten Nebel das Steilstück hinab und – wo wir schon dabei sind – noch etwas weiter den Lift entlang, bis etwa hundert Meter unter unseren Ausgangspunkt. Mit deutlich weniger Motivation als zu Beginn steigen wir diese wieder auf, und finden uns schließlich wieder im Gastraum ein, wo mittlerweile auch Gerrit und Chasseral in kaum besserer Stimmung als wir eingetroffen sind und wo es bald als einzigen Trost ein wahrhaft reichhaltiges und kullinarisches Mittagessen geben wird.
::: Montag, 25.6.2007 – Pluie haute, Pluie vite, Pluie loin
::: Der Nachmittag verläuft hauptsächlich feucht, einmal hört der Regen auf und es scheint aufzureißen, kurz entschlossen ziehe ich mich noch einmal um, wenigstens eine Schiabfahrt sollte am heuten Tag auch drinnen sein, aber kaum habe ich die Schi zum Aufstieg geschultert, beginnt es wieder zu schütten, sodaß ich die Unternehmung sofort wieder abbreche.
Meine Stimmung ist am Tiefpunkt angelangt. Sollte die ganze Aktion auf diese Art scheitern? Der Pistenchef hat zwar für morgen eine Wetterbesserung angekündigt, aber wenn der Lift am Vormittag nicht läuft, dann war´s das, ich habe keine Zeitreserven nach hinten und müßte unverrichteter Dinge wieder abziehen.
Der Nachmittag zieht sich schleppend hin, alle sind etwas gedrückt, sogar Angus scheint ob des Dauerregens irgendwie mißmutig.
::: Je weiter der Tag fortschreitet, desto schlechter entwickelt sich das Wetter. Aus leichtem Nieselregen wird am Nachmittag intensiver Regen, der weitere Aktivitäten im Freien unmöglich macht. Wir schließen den Fensterladen unseres Zimmers, weil das Fenster undicht ist und ständig Wasser auf dem Fensterbrett steht. Ansonsten vertreiben wir uns die Zeit mit Karten spielen, Landkarten studieren, schlafen etc.
::: Das wie immer gute und reichhaltige Mittagessen hat unsere Lebensgeister für den Moment wieder erweckt. Je düsterer und unfreundlicher es draußen wird, desto mehr beginne ich die Wärme des Ofens, das Behagliche der Hütte zu schätzen. Ansonsten halte ich es wie Cpt. Jack Sparrow: auch ich bin irgendwie auf dieser einsamen Insel in der Mitte eines endlosen (Nebel-)Meeres gestrandet und auch ich halte mich mit meinen Rumreserven bei Laune. Als diese am frühen Nachmittag erschöpft sind, kann ich ein paar meiner Mitfahrer motivieren, mal eine Runde Grappa zu bestellen. Die Wirtin rät uns aber stattdessen zu etwas anderem: Génépy! Dahinter verbirgt sich ein selbst gebrannter Kräuterschnaps, der zugegebenermaßen doch etwas gewöhnungsbedürftig schmeckt, aber dennoch warm und bei Laune hält. So kommt es, dass wir ein paar Runden Doppelkopf spielen (und dabei den armen Steffen etwas überfordern, als wir zu viert mehr oder weniger gleichzeitig versuchen, ihm alle Regeln simultan zu erklären...
) und uns ansonsten ein bisschen der – wie auf den meisten Rifugi – auch hier zum Glück vorhandenen Gitarre widmen. Ich spiele ja eigentlich Klavier, aber ein paar Grundkenntnisse auf der Klampfe habe ich auch und diese in weiser Voraussicht vor Abreise auch noch mal ein wenig aufgefrischt. Insbesondere habe ich mir eine spielbare Transskription von „Schiiifoaaaan“ gebastelt, die ich im Laufe des Nachmittags versuche Volker – der deutlich besser Gitarre spielt als ich – beizubringen. Das klappt soweit auch ganz gut, allerdings haben wir ein bisschen damit zu kämpfen, dass der das Stück noch nie gehört hat, aber das passt schon.
C34 – Schutzhütte...
C33 – Sitzen und Warten... ich versuche derweil meine Kamera in Stand zu setzen.
T30
T31 - „Schiifoaaan!“ [Schön wärs... ]
T35 – Auch Génepy und Gitarre können jedoch die Stimmung nicht ewig heben...
Die so aufgekommene kurzzeitige Stimmungsbesserung jedoch kann über eines nicht hinwegtäuschen: wir sitzen hier mitten in einem endlosen weißen Nichts, draußen ein intensiver Dauerregen bei ungemütlichen 4°C über Null. Von der grandiosen Bergwelt hier oben, die ich unter anderen gerade meinen – gebirgsmäßig noch recht wenig erfahrenen – Freunden Phil und Volker versprach, war bisher nicht ein einziges Mal etwas zu sehen. Der gigantische Sonnenaufgang auf 3000m, von dem ich mit glänzenden Augen vor Abreise berichtet hatte, hat irgendwo anders, aber jedenfalls nicht hier stattgefunden. Von dem Lift haben wir bisher nur wenige Meter im Nebel erblickt, der Schnee ist einem warmen Dauerregen ausgesetzt und selbst wenn es nochmal morgen ein paar Betriebsstunden geben sollte, wird nur ein Bruchteil des Liftes überhaupt zu benutzen sein... Wenn überhaupt. Im Moment macht es überhaupt nicht den Anschein, als würde irgendeine Form der Wetterbesserung eintreten und die Wettervorhersage zeigt für morgen auch nur in etwa dasselbe wie für den gestrigen Tag – also vermutlich hier oben wiederum Nebel, aber dafür, so wie gestern, kein Regen... nicht gerade Aussichten, die einen wirklich erfreuen könnten.
Zusehends stelle ich mir die Frage, ob die ganze Aktion nicht einfach nur eine große Enttäuschung sein wird. Gerrit, der bereits den ganzen Tag immer wieder erwähnt, dass er sehr ernsthaft daran denkt, einfach abzusteigen und nach Hause zu fahren, ist zwar bisher noch geblieben, ich kann ihn aber zusehends besser verstehen. Ein paar Kilometer weiter ist vermutlich ein herrlicher Sommertag, am Lago Maggiore flanieren die Menschen die Promenaden entlang, sitzen in sonnigen Cafés oder springen ins Wasser. Und wir? Wir sitzen hier in einem tristen grauen Nebelloch bei vier Grad plus und Regen... Warum... ?
T29 – Düstere Stimmung in der Außenwelt... die Tatsache, dass wir dennoch hier stehen, um Bilder zu machen, sei als Zeichen zu werten, wie verzweifelt wir mittlerweile sind, überhaupt etwas von der Welt hier oben zu sehen. Stunden vor und nach diesem kurzen Aufreißen der Wolken saßen wir einfach in einem düsteren grauen Nichts, dass den Blick keine zehn Meter weit gleiten ließ...
C26
T36 – Das grüne Ding an dem Fahnenmast ist übrigens ein Drittel einer italienischen Flagge. Der rote und der weiße Teil, die bei unserer Ankunft dort noch intakt wehten, sind mittlerweile im schlechten Wetter davon geflogen...
::: Nebel und Nieselregen - ein dauerhaft tristes Bild. Nur manchmal kommt Bewegung in die Wolken und wir deuten dies jedes Mal als Zeichen einer Wetterbesserung - bis zum Abend vergeblich.
Stellenweise gibt es dann aber auch sensationelle Szenen. Wie zum Beispiel in dem Moment, als Wolken über dem Sabbione Stausee aufreißen und die feuchte Luft hinter der Staumauer zu einer Wolkenwand kondensiert...
T28 - Krasse Wolkenspiele an der Staumauer.
::: Welt, wohin gingest Du, als du uns letzte Nacht verließest? Zeit, wer ließ Dich still stehen, eingefroren im kalten Nebel stoischer Stille? Ist dies, was uns hier oben schließlich nun erwarten soll? Ist das, was uns nach all der Zeit nun letztlich bleibt? Stunden der Planung, Momente des Bangens, Zeit des Hoffens und Monate der Träume und Ideen. All die Mühen, hierher zu gelangen, all die Qualen, hier herauf zu steigen... an diesen öden kalten Ort voll Leere und Tristesse – warum?
::: Montag, 25.6.2006 – Sterne im Sturm
::: Das Abendessen ist wieder lecker und vor allem sehr reichlich, nur das Wetter läßt weiter zu wünschen übrig (obwohl wir uns wirklich bemühen, alles aufzuessen). Weiterhin trommelt der Regen gegen die Hüttenfenster, Nebel verhindert einen nächtlichen Blick auf die umliegende Bergwelt und so lasse sogar ich mich in meiner Verzweiflung zu einem Gläschen Grappa überreden. (Allerdings habe ich dann nur die Hälfte geschafft, der Rest wurde aber nicht weggeschüttet.....).
::: Mit der Dunkelheit wird der Wind stürmischer, die Wolken vom Sturm getrieben, Regen peitscht über die Grate, der Wind heult um das Haus, das unter den Naturgewalten ächzt. Für den Bruchteil einer Sekunde ist das düstere Tal in kaltes grelles Blau getaucht: ein Blitz zuckt zwischen den Gipfeln in das einsame Hochtal, der Sturm erreicht seinen Höhenpunkt. Philip ist von dem Naturspektakel fasziniert, geht wenige Meter vor die Hütte. Ein Gewitter im Hochgebirge ist ein ganz anderes Erlebnis als im Flachland, man ist nicht mehr unter dem Gewitter, das sich als Kampf der Himmel präsentiert, nein... man ist mitten
in der infernalischen Schlacht der Naturgewalten. Diese hier ist kurz und sicher nicht die schlimmste ihrer Art, die ich im Gebirge erlebt habe. Trotzdem bin ich unschlüssig, ob ich die Hütte verlassen soll. Die Gefahr von Blitzschlägen auf 3000m Höhe ist enorm! Von innen wirkt es dennoch beinah zahm.
Nichtsdestotrotz kommt Philip nach wenigen Minuten ziemlich schnell in die Hütte zurück, obwohl er sicher nicht gerade der Zartbesaitetste ist! "Viel zu krass! - Ihr habt keine Ahnung. Es ist unglaublich laut!!" . "Ja, ich weiß", denke ich, ich hab das schon erlebt - ohne Hütte neben mir... Wenn die Blitze direkt vor einem runtergehen und Licht, Schall und Druck den Äther zerreißen. Wenn ein Donner plötzlich kein Knall mehr, sondern die Druckwelle einer gigantischen Störung der Athmosphäre ist, die einem die Lungen zerreißen will...!
Und dennoch zieht es auch mich nun nach draußen.. das Gewitter jedoch ist vorüber, die Front ist durchgezogen, die warme, feuchte Luft einem eisigen Hauch gewichen. Die Himmel sind noch immer stürmisch und zerissen – und doch schicken sie uns einen leisen Gruß der Sanftmut: still und beinahe ungesehen rieselt er friedlich in kleinen, feinen Flocken herab: endlich Schnee...
::: Gegen 22 Uhr beginnt es zu blitzen und donnern, ein Berggewitter auf knapp 3000 Meter Seehöhe bringt mir wieder einmal den richtigen Bezug zum Wort "Schutzhütte". Da ich weiß, dass mein vierbeiniger Freund Gewitter nicht besonders schätzt und er ja alleine in der Nebenhütte wartet, verlasse ich die Runde und laufe durch dichten Regen und böigen Wind hinüber in meine Dependance. Angus scheint sehr erleichtert über mein Kommen und dann lauschen wir gemeinsam den vielen Geräuschen, die vom Unwetter hervorgerufen werden: dem Pfeifen des Windes, dem dumpfen Donnergrollen, dem Ächzen von Holzbalken, dem Schlagen der Fensterläden...
::: Am späten Abend, der Wein ist leer und die Grappa-Gläser auch, werfen wir vor dem Zu-Bett-gehen noch einen schnellen Blick vor die Tür. Zu unserer großen Freude hat es nun doch noch aufgeklart, der Nebel hat sich verzogen und nur noch einzelne Wolkenfetzen bedecken den sternenklaren Himmel. Es ist deutlich kälter geworden, die letzten Niederschläge sind als Schnee gefallen. Nicht ergiebig zwar, aber merklich. Dazu pfeift ein eisiger Wind über den Kamm, auf dem das Rifugio in nicht allzu geschützter Lage erbaut wurde.
T36 – Außenwelt...
Klar dass wir diese einzigartige nächtliche Stimmung nun noch miterleben wollen, die Idee des Mondschein-Skifahrens wird zwar recht schnell wieder verworfen aber eine kleine, fast schon traditionelle nächtliche Foto-Session rund um die Hütte ist noch drin. Im fahlen Mondlicht können wir das Gelände, in dem der Skilift steht, zum ersten Mal vollständig überblicken. Auch das Panorama in Richtung Lago Sabbione und den dahinter liegenden Gletscher ist nun weitestgehend ohne störende Wolken zu erblicken.
K45 - Beim Staudammwärter brennt noch Licht.
K47 - Stausee in tiefer Nacht.
::: Der Sturm der Kaltfront peitscht eisig über den Grat, Schneeflocken wirbeln um unsere Köpfe, die Luft ist schneidig. Die Wolken rasen in zerissenen Fetzen wie im Zeitraffer über den Himmel – man wird später auf den Bildern eine faszinierende Bewegungsunschärfe sehen. Ich stehe im Sturm auf den eisigen Felsen, das Wasser des Tages ist hier längst zu einem Eispanzer geworden. Der Wind heult um die verwitterten Steine, fährt ins Gesicht: meine Lebensgeister erwachen. Das ist das rauhe Hochgebirge, das ich mag! Zusehends reißt es auf, klares kaltes Mondlich flutet das einsame Tal, Sterne beginnen zu tausenden am Himmel zu funkeln.
K44
K43
T39
T40
Wir klettern ein Stück den roh behauenen Pfad entlang: endlich kann man das Gelände zu Gänze im kalten Mondlicht sehen. Was für ein Hang! Gerrit mag es gewusst haben, uns anderen oder mir zumindest ist es ein Hochgenuss, diese steile, ausgesetze Bergflanke endlich zu sehen, an die sich enggedrückt der kleine Gletscher, mit dem wohl abgelegensten und ausgesetztesten Gletscherlift der Alpen klammert. Ein grimmiges Lächeln wider den eisigen Wind steht in meinem Gesicht. So werden wir am Ende doch Recht behalten mit dieser Wahnsinnstour! Zuletzt hatte ich selbst nicht mehr daran geglaubt. All die Stunde in der tiefgrauen Ödnis, der Dauerregen bei 4° plus, das hatte am Ende auch mein Gemüt zermürbt. Jetzt da ich mich gegen den Eiswind stemme bin ich mir sicher: morgen werden wir schifahren! Die Kaltfront hat die Himmel reingewaschen, der warme Dauerregen ist zuletzt besiegt durch den eisigen klaren kalten Hauch des Hochgebirges, jener kalte Atemzug der letzten unwirtlichen, menschenfeindlichen Szenerie, die dem alten Europa geblieben ist: dem ewigen Eis des Dachs der alten Welt, der Alpenkrone jenseits der Dreitausendmetermarke.
Euphorie flutet meinen Geist und meine Seele. Eis und Wind, das ist meine Welt. Und morgen werden wir den Sonnenaufgang sehen, so wie ich davon erzählte. Und morgen werden wir die Gletscherszenerie bestaunen, so wie es angekündigte. Und morgen werden wir hier schifahren, so wie ich es versprach... !
Auf einem Seitengrat, unweit des Hubschrauberlandeplatzes, versuchen wir mit dem Stativ ausgelassen ein nächtliches Bild unserer kleinen Gruppe zu machen. Zwei mal versuche ich es, beide male bläst der Sturm das Stativ einfach um, die Kamera schlägt auf die Felsen. Nach dem zweiten Mal ist vom Objektiv nicht mehr viel übrig. Die Schutzblende, die im abgeschalteten Zustand vor Linse fahren sollte, ist völlig weggerissen, die Plastikfassung, die die Linsen trägt, hängt vorne in Fetzen herab. Einen Moment zweifle ich, ob diese Kamera, die mir so treue Dienste leistete, seit ich sie einst bei Krisu in Innsbruck kaufte, hier oben ihr eisiges Grab finden wird. Funktionen zeigt sie keine mehr. Nach ein paar Kunstgriffen vor der Hütte ist der Rest des Objektivs jedoch zu meinem eigenen Erstaunen wieder eingerenkt, gespannt mache ich ein Bild! Unglaublich, auch jetzt noch macht die Kamera scharfe Bilder! Anscheinend ist als einziges genau das von den Stürzen unberührt geblieben, auf das es ankommt: die Optik der Kamera selbst!
T41
T38
::: Beim Versuch eines Gruppenfotos muss Christians Kamera einiges einstecken. Der scharfe Wind bringt das Stativ mehrmals zum Umfallen, mehrmals meldet das Gerät Funktionsstörungen - und lässt sich doch immer wieder reparieren. Bis gegen 1:30 Uhr dauert unsere Session. Dann begeben wir uns auf eine kurze Nachtruhe, die bereits vor Sonnenaufgang wieder vorüber sein wird.
K42 – Die Crew, oder genauer: Zwei Drittel davon. Vlnr.: k2k, Chasseral, [trincerone], Volker.
T37
K48
::: An Schlafen ist nicht zu denken, ich versuche mich zunächst mit meinem Buch abzulenken, dann aktiviere ich den I-Pod, doch zweimal muss ich aus dem Schlafsack krabbeln, weil der Wind den Fensterladen meines Zimmers aus der Verriegelung reißt und gleichzeitig auch die Hüttentüre aufspringt. Die erste derartige Aktion findet nach 23 Uhr statt, nachdem ich schon auf bin, lasse ich Angus kurz hinaus und bemerke an dem Eispanzer auf seinem Fell, mit dem er schon nach kurzer Zeit zurückkommt, dass es mittlerweile zu schneien begonnen hat. Das zweite Mal springt die Türe um 1 Uhr 30 auf, die Wolken sind aber zu diesem Zeitpunkt nur mehr sehr dünn, vereinzelt schimmern Sterne durch und erstmals lässt sich auch die weitere Umgebung gut ausmachen, insbesondere der Schilift ist in seiner gesamten Länge zu sehen. Sollte das Gewitter wirklich das Schlechtwetter gebrochen haben?
Leichter Optimismus keimt in mir auf und ich verfalle in einen unruhigen Schlaf.